Am 17. Mai 2009 starb Mario Benedetti, der erfolgreichste und meistgelesene Schriftsteller und Poet Uruguays. Die Uruguayer verabschiedeten sich von ihm wie von einem Staatsmann. In folgendem Beitrag erinnert der Journalist Alberico Lecchini an seinen berühmten Landsmann.
Benedetti betonte immer, er sei ein Schriftsteller für die „ganz normalen Leute“. Sein Optimismus und seine Heiterkeit sowie sein Scheitern und seine Erfolge, die er in seinen Texten zum Ausdruck bringt, spiegeln diesen „normalen Menschen“ wider, als den er auch sich selbst bezeichnete. Sein zugleich komplexer und schlichter Stil, die unerwarteten Wendungen in seinen Erzählungen, seine lyrischen Gedichte und seine feinsinnigen Literaturanalysen haben ihm einen Platz unter den erfolgreichsten Schriftstellern des gesamten Kontinents eingeräumt.
Seine ersten Schritte zum Erfolg tat er 1920 in Paso de Toros, damals ein kleines Dorf auf dem Lande im Kreis Tacuarembó. Aus diesem Ort stammte außerdem kein geringerer als Carlos Gardel, jedenfalls wenn man den Uruguayern glaubt, die angeblich unwiderlegbare Beweise dafür haben.
Falls dies wahr ist, wird das Dorf, das heute eine Stadt ist, in Zukunft neugierige Besucher empfangen, die den Ort sehen wollten, an dem er zur Welt kam und an dem er nach italienischer Tradition auf fünf Namen getauft wurde. Mario Orlando Hardy Hamlet Brenno Benedetti Farrugia. Als er gerade einmal vier Jahre alt war, mussten er und seine Eltern wegen eines misslungenen Geschäfts nach Montevideo umziehen.
Damals, in den zwanziger Jahren, war Montevideo noch eine Provinzstadt, dort wurden aber auch soziale Reformen entwickelt, die für Lateinamerika völlig neu waren. Immigranten aus Europa brachten neue Impulse in die Gesellschaft und Kultur ein. In dieser Umgebung kam Mario Benedetti in die Grundschule, seine Schulzeit verbrachte er erst auf einer deutschen Privatschule, später kam er auf eine öffentliche Schule. Er musste die Schule abbrechen, um in einem Ersatzteilgeschäft Geld zu verdienen.
Mit 18 Jahren versuchte er sein Glück in Buenos Aires. Er kam aber nach Montevideo zurück, um sich dort endgültig dem Journalismus und der Literatur zu widmen. So begann seine Geschichte als Dichter – in einem ärmlichen Viertel von Montevideo, in dem sein Bruder Raúl seine ersten Erzählungen und Gedichte, mit Kohlepapier kopiert, an die Nachbarn verkaufte.
1945 begann Benedetti in der Redaktion der Wochenzeitschrift Marcha zu arbeiten und veröffentlichte seine erste Gedichtsammlung La vispera indeleble, über die er von da an nichts mehr hören wollte. Im gleichen Jahr entstand auch die legendäre Generación del 45 mit Schriftstellern wie Juan Carlos Onetti, Idea Vilariño, Mario Arregui und Emir Rodríguez Monegal, die eine sehr kritische Sicht auf die uruguayische Gesellschaft hatte.
Drei Jahre später begann Benedetti bei dem Literaturblatt Número zu arbeiten. In dieser Zeitung veröffentlichte er auch erstmals ernsthaft seine ersten Erzählungen, er erhielt einen Preis für die Ausgabe Esta mañana y otros cuentos. Der Roman Quién de nosotros erschien 1953 und kurz darauf wurde Benedetti Redaktionsleiter der Marcha. Bis 1974, als die von Carlos Quijano gegründete Zeitschrift von der Regierung unter Juan Maria Bordaberry verboten wurde, behielt er das Amt.
1960 schaffte Benedetti den großen Sprung mit seinem Erfolgsroman La Tregua (Die Gnadenfrist). In der Hauptfigur, einem verwitweten und kurz vor der Rente stehenden Büroangestellten, erwacht noch einmal das Feuer der Liebe, doch das Schicksal lässt dies nicht zu.
Ein Jahr vor der Veröffentlichung von La Tregua erschien ein zweiter Sammelband mit Erzählungen aus Montevideo und kurz darauf der Essay El pais de la cola de paja. Darin stellte der Schriftsteller seine Vision eines Landes dar, das aufgrund einer wirtschaftlichen und politischen Krise zerreißt. Gracias por el fuego (Danke für das Feuer), ein Roman, der sein nationales und internationales Ansehen festigte, wurde 1965 veröffentlicht.
Diese Menschen, die seine Romane, seine Gedichte, seine Erzählungen füllen, diese Verliebten, die sich nicht verstehen oder die sich ohne Worte verstehen; diese Pessimisten, die ihr Dach mit denen teilen, die an eine bessere Welt glauben; diese grauen Bürokraten, die in ihren Büros sitzen und die Stunden wie Blütenblätter einer Margerite abzupfen, sie alle führen uns an ihrer Hand durch diese Welt, die uns alle im Geheimen versteht und bei uns einen bittersüßen Geschmack hinterlässt.
In den 70er Jahren veröffentlichte Benedetti, u. a., El cumpleaños de Juan Ángel, ein experimenteller Roman in Versform, in dem der Protagonist in wenigen Stunden eine Metamorphose durchlebt, die ihn auf den Weg zum Kampf gegen die Unterdrückung eines Systems schickt. Er hatte eine enge Verbindung zur politischen Entwicklung und nahm an der Bewegung der Unabhängigen 26. März (M26) teil.
In diesen Wirbel von immer radikaleren Ideen und immer brutaleren Auseinandersetzungen in einer zerbrechenden Gesellschaft brach der Militärputsch von 1973, und eine Zeit der Verfolgung aller politischen Aktivitäten und kritischen Stimmen. Und Mario zielte mit seinem Kugelschreiber mitten in die Herzen von Pinochet, Videla, Álvarez und anderer Generäle.
Die Gewalt zwang ihn dazu, das Land zu verlassen. Er floh zuerst nach Buenos Aires, aber auch dort begann sich die Willkür auszubreiten und so ging er in die peruanische Hauptstadt Lima. Dort wurde er von den peruanischen Autoritäten verfolgt, schließlich konnte er nach Kuba fliehen. Das war im Jahr 1976, im selben Jahr wurde Benedetti Mitglied im Vorstand der Casa de las Américas (Amerikahaus). Vier Jahre später zog er von der einen Insel auf eine andere und richtete sich in Palma de Mallorca ein. In Spanien arbeitete er für die Tageszeitung El Pais und beschloss 1983, nach Madrid zu ziehen. In seiner Exilzeit erschienen weitere bedeutende Bücher wie das Drama Pedro y el capitán (Pedro und der Hauptmann), Con y sin Nostalgias (Erzählungen), Primavera con una esquina rota (Frühling im Schatten, Roman) und Vientos del exilio (Gedichte).
Die Zeit im Exil ließ seine Erfahrungen und sein Talent wachsen, dennoch entfernte er sich nur selten geistig vom paisito, wie die Uruguayer ihr Land zu nennen pflegen, und von den herzlichen Einwohnern Montevideos. Einmal sagte er: „Ich denke das einzig Gute, was die uruguayische Diktatur gemacht hat, ist, dass sie meine Leute aus Montevideo in alle Winde verstreut hat und ich weiter über diese Menschen an den verschiedensten Orten im Exil schreiben konnte.“
Auch als er internationale Preise erhielt und mit Anerkennungen überhäuft wurde, zog er sich nie in einen Elfenbeinturm zurück. Demut war immer eine seiner starken Charaktereigenschaften, was viele erstaunte, wenn sie ihn kennen lernten.
Mitte der 80er endete die Diktatur und Benedetti kehrte mit der Energie eines jungen Mannes nach Uruguay zurück und nahm neue Projekte in Angriff. Der Prozess der Desexilierung, wie er es nannte, begann. Viele Menschen kehrten aus dem Exil zurück, wo sie sich an neue Kulturen, Sprachen und Sitten hatten gewöhnen müssen, und nun entstanden neue Konflikte, weil jeder seinen Platz in einer Gesellschaft suchte, die nicht mehr dieselbe war.
2003 beendete Benedetti eine neue Sammlung mit Erzählungen, El porvenir de mi pasado. Auf seiner Reise durch die Welt hat er insgesamt mehr als 80 Bücher veröffentlicht.
Der Tod seiner Frau, Luz Pérez Alegre, im Jahr 2006, mit der er seit 1946 verheiratet gewesen war und die unter Alzheimer gelitten hatte, war für Benedetti ein schwerer Schlag. Er zog sich in seine Wohnung im Zentrum von Montevideo zurück und war kaum noch in der Öffentlichkeit zu sehen. Seine Gesundheit verschlechterte sich und er musste einige Male ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der Tod der Lyrikerin Idea Vilariño, einer engen Freundin, im April war ein weiterer Schlag, der seine Lebenslust schwächte. Am 17. Mai starb Benedetti. In Erinnerung bleibt sein in vielerlei Hinsicht beispielhaftes Leben, seine vollständige Hingabe an das Menschsein, die Liebe und die Gerechtigkeit.
La Semana vom 23.05.2009
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Übersetzung aus dem Spanischen: Charlotte Navitzkas
Bildquellen:
01. Mario Benedetti. Public Domain.