Puerto Rico ist zahlungsunfähig. Diese Nachricht klingt banal und ging deshalb im Zuge der globalen Schuldenkrise und des finanziellen Kollapses von Griechenland auch weitgehend an den Printmedien und der Öffentlichkeit vorbei. Doch das Schuldenmoratorium der Karibikinsel bietet einige Besonderheiten, die es zu einem interessanten und tragischen Fall machen.
Das hängt vor allem mit dem Status von Puerto Rico zusammen. Die Insel ist nämlich weder ein souveräner Staat noch ein Gliedstaat der USA. Vielmehr ist es ein Freistaat und ein nichtkorporiertes US-amerikanisches Außengebiet. Das bedeutet, dass Puerto Rico keine eigene Außen- und Währungspolitik verfolgen kann. Es ist der Karibikinsel somit auch nicht möglich, sich bei Zahlungsschwierigkeiten an den Internationalen Währungsfonds zu wenden. Zugleich ist Puerto Rico aber auch das Insolvenzverfahren gemäß Kapitel 9 des US-amerikanischen Konkursrechts verwehrt. Dieser Weg steht nur den US-amerikanischen Bundesstaaten offen.
Puerto Rico bleibt daher vorerst auf seinen 73 Milliarden US-Dollar Schulden sitzen. Davon aufgeschreckt, ließ die US-Notenbank Fed eine Analyse zu den geldpolitischen Risiken für die US-Finanzmärkte anfertigen. Da dieses Risiko als „minimal“ eingeschätzt wurde, kam es von Seiten der Fed zu keinen weiteren Aktivitäten. Anders sieht die reale Lage vor Ort aus. Die US-Regierung hat nämlich erkannt, dass angesichts der Zahlungsunfähigkeit, der hartnäckigen Rezession und der hohen Arbeitslosigkeit auf der Karibikinsel dringendes Handeln nötig ist.
Da die Schulden inzwischen 75 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entsprechen, sucht die Inselregierung nun händeringend nach einem Ausweg. Erste Maßnahme: Aussetzung von gewissen Schuldenzahlungen. Doch sie geht dabei äußerst behutsam vor. Die Schulden mit dem höchsten Rechtsschutz („General Obligations“), die auch von der puerto-ricanischen Verfassung garantiert sind, werden weiterhin bedient.
Dieses vorsichtige Navigieren ist notwendig, weil ein Bankrott von Gebietskörperschaften wie Bundesstaaten, Städten und Gemeinden bislang nur auf dem Papier möglich schien. Gläubiger rechneten daher immer mit einem Einschreiten Washingtons bei knappen Kassen – trotz der No-Bail-Out-Norm, nach der seit 1840 die Gliedstaaten mit keiner Hilfe vom Zentralstaat im Falle von Zahlungsschwierigkeiten rechnen können. Seit dem Bankrott von Detroit im Jahr 2013 ist dies aber keineswegs mehr gesichert. Es hat sich nämlich vielfach bei Politikern die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich ohne Bankrott die Lage in den Gebietskörperschaften nie verbessern wird. Entsprechend empört reagierte die Wall-Street auf solche Gedanken. Wahrscheinlich läuft es früher oder später somit auf eine (neue) juristische Grundsatzentscheidung hinaus.
Die „Heuschrecken“ haben sich jedenfalls bereits in Position gebracht. In den letzten Monaten haben sie im großen Stil puerto-ricanische Schuldtitel aufgekauft und versuchen diese auf juristischem Wege durchzusetzen. Die Blaupause hierfür lieferte wohl der Default Argentiniens von 2014 – und die juristische Rückendeckung durch die US-Justiz, die auf die vollständige Rückzahlung von Schulden drängt.
Die Finanzinvestoren kämpfen jedoch vorerst vehement gegen die Möglichkeit einer gerichtlich verordneten Umschuldung. Sie behaupten, Puerto Rico könne problemlos den Schuldendienst aufrechterhalten, wenn nur die öffentlichen Ausgaben genügend zurückgefahren und die Steuern erhöht würden. Dass in Puerto Rico inzwischen eine humanitäre Krise droht, nehmen sie billigend in Kauf.
Wie prekär die Situation ist, zeigt ein Statement der US-Regierung. Nach knapp zehn Jahren der Rezession auf der Karibikinsel und stetig wachsendem Schuldenberg ist die US-Regierung nämlich inzwischen zur Einschätzung gelangt, dass nach dem finanziellen Kollaps auch der soziale Zusammenbruch möglich scheint. Ein Indikator hierfür ist auch die ununterbrochene Migration von der Karibikinsel weg in einen der US-Bundesstaaten. 2014 schrumpfte die Bevölkerung um knapp 1,6 Prozent; 2015 noch einmal um 1,7 Prozent.
Die US-Regierung muss also handeln. Doch der Weg ist nicht einfach. Der für die Belange der Staatsführung in den US-amerikanischen Außengebieten zuständige US-Kongress hat deshalb im April 2016 einen besonderen Gesetzesentwurf verabschiedet: den Puerto Rico Oversight, Management and Economic Stability Act. Oberste Leitlinie hierbei ist erneut, Puerto Rico weder mit US-Steuergeldern zu helfen noch Zugang zum Insolvenzverfahren nach Kapitel 9 des US-amerikanischen Konkursrechts zu gewähren. Stattdessen wird für die Karibikinsel ein „Fiscal Board“ eingesetzt. Die Aufgabe dieses unabhängigen Vormundes ist die Überwachung des Budgetprozesses. Diese Aufgabe zielt darauf, die puerto-ricanische Regierung zu einem ausgeglichenen Haushalt zu drängen, um damit wieder ein wachstumsfreundliches Umfeld zu schaffen. Als Allheilmittel werden Privatisierungen angesehen. Der „Fiscal Board“ ist zudem bemächtigt, Gesetzesvorlagen zu überstimmen, die dem Sparplan des Haushalts zuwiderlaufen. Außerdem soll das Gremium zwischen den Parteien vermitteln und Schuldenrestrukturierungen anschieben – zunächst ohne gerichtlich veranlasste Umstrukturierungen.
Ob diese Maßnahmen greifen, bleibt offen. Zudem rennt Puerto Rico die Zeit davon. Denn bereits im Juli werden zwei Milliarden an Zins- und Schuldenzahlungen fällig. Die Karibikinsel steht spätestens dann am Rande des finanziellen Kollapses.
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Bildquelle: [1] Quetzal-Redaktion, ecm; [2] Presidencia de la República Dominicana