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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Neue Arten der Erorberung: Das Gold, das blutet statt zu glänzen

Sergio Ferrari | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten

Für manche Objekt der Begierde, für andere ein Schutzraum für Spekulationen; ein Rücklagenparameter der meisten Banken der Welt. Wie dem auch sei, Gold bleibt ein janusköpfiges Metall: Verblendung einerseits, Schmerz andererseits. Jährlich werden 3 300 Tonnen Gold weltweit ausgebeutet. 49 Prozent entfallen auf die Herstellung von Uhren und Schmuck, 29 Prozent auf Investitionen, fünfzehn Prozent werden von Zentralbanken gekauft und die restlichen sieben Prozent werden in technischen Geräten verarbeitet.

Der Goldpreis explodiert. In der zweiten Novemberwoche 2021 wurde ein Halbjahresrekord erreicht. Dabei schwankte der Preis um 1.875 Dollar pro Unze.

Zwischen 50 und 70 Prozent des gesamten Goldes auf der Welt werden in der Schweiz veredelt. Von den sieben größten Raffinerien haben vier ihren Sitz im Alpenland, das nicht nur der zweitgrößte globale Importeur, sondern auch der Exportweltmeister dieses Wertmetalls ist, obwohl es in der Schweiz selbst kein einziges Goldvorkommen gibt.

Gold_minero_Foto_educalingo_ccEs ist offensichtlich, dass der Großteil des weltweiten Goldes an der Schweiz nicht vorbeikommt. Es trifft im Rohzustand ein und verlässt das Land mit strahlender „Reinheit“. Ein Geschäft bei dem 70.000 bis 90.000 Millionen Schweizer Franken jährlich fließen (1 Franke = 1,09 US$). Obgleich in mindestens 90 Ländern Gold abgebaut wird, kommt praktisch die Hälfte aller Schweizer Importe aus Großbritannien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Hong Kong. Das Paradoxe daran ist, dass kein einziger dieser Staaten einen eigenen Goldabbau betreibt. Mehr noch, eine beträchtliche Menge des Goldes stammt aus Ländern, dessen Wirtschaften maßgeblich von dessen Export abhängen, z.B. u.a. Burkina FasoGhanaMali und Peru.

Laut einem offiziellen Bericht des Schweizer Bundesamtes für Zoll und Grenzsicherheit wurden im Jahr 2017 2.404 metrische Tonnen Gold im Wert von ca. 70.000 Millionen Schweizer Franken importiert. Im selben Jahr exportierte die Schweiz Gold im Wert von 67.000 Millionen Schweizer Franken. Mit anderen Worten machte der Goldhandel beachtliche 24 Prozent der Exporte und 31 Prozent der Importe der Schweiz aus. Um die Zahlen zu veranschaulichen, kann man feststellen, dass die Schweizer Uhrenindustrie im gleichen Zeitraum Exportgewinne im Wert von 20.000 Millionen Franken erzielte, was 24 Millionen Uhren entspricht.

Steuervorteile spielen ebenso beim Import von Wertmetall eine Rolle, denn die Schweiz erhebt keine Steuern auf Gold, weder auf als Investition erworbenes oder als Münzen importiertes, noch auf verarbeitetes Gold. Die Legierung mit anderen Metallen zählt ebenfalls unter Gold und ist somit steuerfrei. Dasselbe gilt für Silber, das selbst, wenn es nur zu zwei Prozent goldhaltig ist, ohne Steuern importiert werden darf.

Die Erde blutet

Obwohl diese Daten öffentlich sind, gibt ihnen der Bericht The Impact of Gold des Schweizer WWF einen anderen Unterton. „Der Weg des Goldes von der Mine bis in unser Land“, heißt es da, „ist besonders problematisch. Er ist für gewöhnlich undurchsichtig und schwer zurückzuverfolgen, weil dieses Mineral entlang der Lieferkette aus verschiedenen Quellen vermischt wird. Ohne die Rückverfolgbarkeit”, besagt der Bericht, “ist nicht auszuschließen, dass es sich um inakzeptable soziale und ökologische Produktionsbedingungen handelt“. Die Publikation des Schweizer WWF systematisiert Konzepte und Fakten.

Gold wird oft unter grauenerregenden sozialen und ökologischen Bedingungen ausgebeutet, mit verheerenden Konsequenzen für Umwelt und ortsansässige Bevölkerungsgruppen. Neue Minen zu eröffnen und die nötige Infrastruktur zu bauen, erfordert große Flächen. Wo Adern entdeckt werden, fallen dem riesige Waldbestände zum Opfer; oft ist die Abholzung illegal. Allein in Brasilien wird jährlich ein natürliches Gebiet im Ausmaß von 14 000 Fußballfeldern zerstört.

Obendrein werden beim Abbau fast systematisch hochgiftige Chemikalien benötigt, wie Quecksilber und Zyanid. Diese Substanzen verbreiten sich in Luft, Boden und Wasser. Das hat zur Folge, dass die Biodiversität sowie die Gesundheit der ortsansässigen Bevölkerung Schaden nehmen. Die besagten Gifte können u.a. Blindheit, Gehirnschäden, Tumor und fötale Fehlbildungen verursachen.

Die Goldgewinnung hat zudem direkte Auswirkungen auf die Qualität und Verfügbarkeit von Wasser in den betroffenen Regionen. Auch die Belastung für das Klima liegt auf der Hand. Bei der Produktion von einem Kilo Gold kommt es zu einem hohen Energieverbrauch und zu zwölf Tonnen CO2-Emissionen.

Der Schweizer WWF betont, dass zu einer extremen Umweltverschmutzung auch noch menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, Sklaverei, Menschenhandel, Kinderarbeit und Zwangsprostitution hinzukommen. Häufig werden indigene Völker und einheimische Gemeinschaften von ihrem Land vertrieben. Zurück bleibt nur ein Tagebau.

Die Tragödie des peruanischen Amazonas

Bis zur Jahreshälfte 2019 exportierte Peru 60 Tonnen illegal abgebautes Gold, das zum größten Teil direkt in die Schweizer Raffinerien ging. Die Region Madre de Dios (mit der Hauptstadt Puerto Maldonado), im peruanischen Amazonas ist historisch gesehen eine der wichtigsten Goldextraktionsstätten des Landes.

In einem aktuellen Bericht der spanischen Nachrichtenagentur EFE heißt es: „Aus der Luft sieht man eine Wüstenlandschaft: Wo zuvor noch Regenwald war, gähnen Schlammkrater, liegen kreuz und quer gefällte Baumstämme und erstreckt sich versandetes Ödland voll Quecksilber und Unrat. Der Goldrausch machte aus dem Boden einen Sumpf der Plünderung, eine gesetzlose und alles vertuschende Hölle im peruanischen Regenwald. Wir sprechen von der Pampa, 98 bis 105 Kilometer entlang der interozeanischen Straße, ein Areal im Naturschutzgebiet Tambopata und jahrelange Hochburg des illegalen Bergbaus in Madre de Dios. Dieses lukrative Geschäft, übrigens profitreicher als der Kokainhandel, machte in den letzten zehn Jahren 25 000 Hektar Regenwald mit dem größten Artenreichtum der Welt dem Erdboden gleich“.

Yanacocha_Goldmine_Peru_Foto_Euyasik_CCDiese brandaktuelle Reportage zeigt dies auf: „Heute, trotz aller millionenschweren Kraftakte, um illegalen Abbau aus dem Gebiet zu verbannen, ist die glühende Geißel des Goldes geblieben; und mit ihr Umweltfrevel, Menschenhandel, Auftragsmorde, körperliche und sexuelle Ausbeutung als Nebenwirkungen dieser Tragödie. Das Schicksal der Menschen ist gar nicht auszudenken. Gegenwärtig sind es 40 000, die in Machenschaften rund um den illegalen Abbau verstrickt sind. In jener improvisierten Stadt ist Luxus rar, aber es wimmelt von Hotels, Restaurants, Bars und vor allem Prostitution auf eine Art wie in den Saloons in Western-Filmen“.

In Madre Dios werden 70 Prozent des zur Weiterverarbeitung bestimmten Goldes in Peru produziert. Das Land ist der größte Goldproduzent Lateinamerika und steht weltweit an fünfter Stelle. In Madre de Dios macht der Bergbau 70 Prozent der Wirtschaft aus, aber nur zehn Prozent davon sind legal.

Anfang 2019 schob die peruanische Regierung die Operación Mercurio in der Region La Pampa an, ein Mega-Einsatzkommando, um illegale Aktivitäten auszumerzen. Laut einer digitalen Publikation der peruanischen Actualidad Ambiental wäre zwar der illegale Abbau um 98 Prozent verringert worden, es liegen aber Beweise vor, dass sich dieser einfach ins Umland verlagert hat.

Trotz mehr als 700 Polizeieinsätzen in knapp zwei Jahren und der Vertreibung von 25 000 illegalen Schürfer*innen, besagt ein Bericht des Monitoreo de Deforestación en la Amazonía, dass seit Beginn der Operación Mercurio, 1 100 Hektar neu entwaldet wurden, aufgrund von Goldminen. Ebenso wurden sechs neue Zentren für illegalen Abbau vorgefunden: Pariamanu, La Pampa (in zwei nördlich gelegenen Zonen), Camanti, Chaspa (Puno) und Apaylon. Kurz gesagt, jegliches repressive Vorgehen der Politik gegen solche Aktivitäten ist zwecklos, wenn es keine produktiven Vorschläge oder Möglichkeiten zur Wiedereingliederung in den legalen Arbeitsmarkt gibt.

Schweizer Selbstkritik

Der Schweizer Bundesrat „ist sich des Risikos bewusst, dass illegal geschürftes Gold, bei dem die Möglichkeit von Menschenrechtsverletzungen besteht, in die Schweiz importiert wird”, heißt es im Bericht des Bundesrates über „Goldhandel und Verletzung der Menschenrechte“.

Ende 2019 wurde der Bericht dem Parlament vorgelegt. Dazu gekommen war es durch eine Postulation des Grünen-Abgeordneten Luc Recordon vier Jahre zuvor. Die Regierung beauftragte eine unabhängige Gruppe damit, eine Analyse des Schweizer Goldsektors vorzunehmen, samt den Hauptakteur*innen, möglichen Risiken und Herausforderungen. Im Zuge dessen suchte die Gruppe den Kontakt mit dem privaten Sektor und NGOs für Menschenrechte, Umwelt und Entwicklungszusammenarbeit.

Der Bericht hält es für wahrscheinlich, dass Tätigkeiten in den Unternehmen entlang der Goldbranche negative Auswirkungen auf vielerlei Menschenrechte haben; so kommt es zu Misshandlung der Arbeiter*innen und zur Missachtung der gesetzlichen Arbeitsbestimmungen, insbesondere des sicheren und gesunden Arbeitsumfeldes und einer menschenwürdigen Entlohnung. Ebenfalls in Betracht gezogen wird die Verletzung der indigenen Völker in ihrer traditionellen Lebensweise, ihrer Selbstbestimmung und ihrer Landrechte. Auch der Schaden für die lokalen Gemeinschaften wird genannt, so z.B. Zwangsumsiedelung, Vertreibung, Verletzung der Eigentums- und Versammlungsrechte sowie der Meinungs- und Redefreiheit.

Der Bericht erwähnt unter Umständen Umweltschäden und schließt eine Verletzung der rechtsstaatlichen Prinzipien durch Goldunternehmen nicht aus. Abschließend befürwortet die Regierung größere Transparenz bei allen Vorgängen rund um das in die Schweiz importierte Gold. Überdies empfiehlt sie beteiligten Vereinigungen des Metallhandels und der Metallindustrie (z.B. dem Verband der Schweizer Edelmetallindustrie und Swiss Better Gold), ihre Verfahrensweise zu verbessern und mit entsprechenden NGOs über die Herausforderungen in diesem sensiblen Sektor der Schweizer Wirtschaft in einen Dialog zu treten.

Abgesehen von den Empfehlungen des Novemberberichts mahnt der WWF Gesetze an, die in der Schweiz ansässige Firmen verpflichten, Gold zu kaufen und weiterzuverarbeiten, das unter sozialen und ökologischen Mindeststandards gewonnen wurde, und diese Daten auch offen darzulegen. Gleichzeitig wird an das verantwortungsvolle Kaufverhalten der Verbraucher*innen appelliert. Diverse Qualitätssiegel wie FairTrade und FairMined tragen zu einem verantwortungsvolleren und transparenteren Abbau bei und helfen, die zukünftige Umweltzerstörung einzudämmen.

500 Jahre später sind es nicht mehr vollbeladene Galeeren, auf denen Wertmetall aus der neuen Welt nach Europa gelangt, sondern Lastschiffe und Flugzeuge. Es sind noch mehr Extraktionsländer in Afrika und Asien hinzugekommen. Ein Großteil des von der Alten Welt importierten Goldes landet in den Prestigeraffinerien in der Schweiz, der großen Drehscheibe des Welthandels. Fast alles legal, aber nicht automatisch gerecht – und daher unethisch.

 

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Original-Beitrag aus Rebelión vom 23.11.21. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.

Übersetzung aus dem Spanisch: Uta Hecker

Bildquellen: [1] educalingo_cc; [2] wiki_euyasik_cc

 

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