Eine kleine Kulturgeschichte der Kartoffel
Man kann sich heute in Deutschland nur schwer ein Leben ohne Kartoffeln vorstellen. Ein typisch deutsches Gericht besteht zumindest in einem Teil aus dieser Knolle. Doch entgegen vieler Annahmen ist die Kartoffel gar nicht so deutsch, wie man gemeinhin meint. Sie hat eine weite Reise hinter sich und brauchte eine relativ lange Zeit, um sich in ihrer neuen Heimat durchzusetzen. Auch wenn zweifelsohne in wohl keinem Land der Welt so viele Kartoffeln und auf solch vielfältige Art und Weise gegessen werden, sollte man die Herkunft dieser Pflanze, die in ihrer Heimat keine ähnlich bedeutende Rolle wie hier spielt, nicht vergessen. Hier eine kleine Erinnerung.
Die eigentliche Heimat der Kartoffel ist das Hochland von Peru und Nordchile. Die von den dortigen Einwohnern papa genannte Frucht breitete sich schnell über das gesamte südliche Amerika aus. Wie die für unsere Eßkultur so entscheidende Pflanze nach Europa kam, ist umstritten. Brachte sie Francisco Pizarro von den Inkas nach Spanien mit oder nahm sie den Umweg über Virginia, um dann ihren europäischen Einstand in Irland zu feiern? Auf jeden Fall war die neue Pflanze Mitte des 16. Jahrhunderts in Teilen Europas bekannt. In dieser Zeit konnten die Europäer allerdings nicht allzu viel mit dieser ihnen unbekannten Frucht anfangen. Aber sie war neu und seltsam, also stellte man sie erst einmal als Schmuck und Sensation in Vasen und ließ die Pflanze bewundern. Einige eifrige Botaniker wußten um ihre Nützlichkeit und ließen sie in ihrem Garten anbauen. Unerfahrene Gärtner kamen in ihrer Neugier nicht umhin, die kleinen kirschgroßen Beeren (die Kartoffeläpfel) zu probieren. Wie auch sie damals schon feststellten, sind sie nicht genießbar. Mit ein wenig Hilfe entdeckten sie – spätestens wenn sie enttäuscht und wutentbrannt die Pflanzen aus ihrem Garten entfernen wollten – die unterirdischen nahrhaften Früchte. In Deutschland wurde die Frucht um 1650 eingeführt. Auch hier wurde sie erst einmal als Seltenheit bestaunt und ansonsten mißtrauisch gemieden. Was der Bauer nicht kennt, ißt er nicht. Mit dem dreißigjährigen Krieg fand die Frucht weite Verbreitung. In Fachkreisen rühmte man den Wert und die Vielfältigkeit der Frucht, scheute sich allerdings Gebrauch von dieser Neuheit zu machen. Die Solanum tuberosum gehört nicht umsonst zu den Nachtschattengewächsen, die man damals als vorwiegend giftig erkannte. Die breiten Volksschichten glaubten, daß der Genuß dieser Pflanze Dummheit hervorrufe. Die Kartoffel war demzufolge ein gutes Viehfutter, aber für Menschen nicht geeignet. Erst durch mehrere aufeinanderfolgende Mißernten von Getreide Ende des 18. Jahrhunderts und die darauffolgenden Hungersnöte wurden die Menschen gezwungen, sich an die Kartoffel zu erinnern. Erst Anfang des 19. Jahrhundert fand die Kartoffel die ihr gebührende Anerkennung in Europa. In Deutschland war die Sachlage etwas schwieriger. Hier mußte der Anbau der Kartoffel erst hoheitlich angeordnet und teilweise mit Gewalt zwanghaft durchgesetzt werden. Friedrich der Große hat in Preußen einen entscheidenden Anteil an der Verbreitung und Anerkennung des Deutschen (heute) liebster Speise. Mit der Ausbreitung und Akzeptanz folgte auch die Veredelung der Kartoffel, deren Name erst im Laufe der Jahrhunderte aus Formen wie Erdäpfel, Grundbirnen, Toffeln und Ertuffeln entstand. Der Name Kartoffel stammt von dem italienischen ‚tartufolo‘ (= Trüffel) ab und zeigt die allseitige Wertschätzung der Menschen. Bereits 1797 werden in einem Fachbuch 46 verschiedene Sorten aufgelistet; geteilt in frühe und späte, Sommer- und Winterkartoffeln. Ausführlich beschreibt dann Carl Wilhelm Ernst Putsche in seinem 1819 erschienen Buch „Versuch einer Monographie der Kartoffeln“ die ihm bekannten verschiedenen Sorten. Heute heißen unsere Kartoffelsorten Vineta oder Sieglinde. Was hatten Putsches Sorten für interessante Namen! Es gab Erdbeer-, Zucker- und Schottländerkartoffeln in den vielen verschiedenen Farben wie rot, plattweiß, schwarz und „rothblaumarmorirt“, nicht nur gelb. Bald stellten die Menschen fest, daß man die Kartoffel nicht nur kochen und verspeisen kann. Neben den vielfältigsten Kartoffelgerichten wurden auch andere Produkte aus der Knolle hergestellt. Als die jeweiligen Landesherren verboten, aus Roggen oder Weizen Branntwein zu brennen, fand man schnell einen Ersatz in der Kartoffel. Dieser Branntwein soll stark und schön gewesen sein, weshalb man diese Methode heute noch verwendet. Besonders in Mangelzeiten wurden regelmäßig auch andere Verwendungsmöglichkeiten der Kartoffel entdeckt. So stellte man zeitweise Kaffee, Schokolade, Zucker, Bier und Wein auf der Basis der Kartoffel her. In diesem Jahr sind es 400 Jahre, daß die Kartoffel nach Europa eingeschifft wurde. Es dauerte zwar einige Zeit bis sie hier heimisch wurde, doch von allen Neuheiten aus der Neuen Welt Lateinamerikas ist es ihr als einzige gelungen, ein echtes Stück deutscher Kultur zu werden.