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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Die Hintergründe der lateinamerikanischen Nahrungsmittel-Krise

Laura Carlsen* | | Artikel drucken
Lesedauer: 20 Minuten

Noch vor einem Jahr hätten nur wenige Leute vorhergesagt, dass eine globale Nahrungsmittelkrise als eine der zukünftigen weltweiten Grundprobleme Schlagzeilen machen würde. Einige Kritiker von Biotreibstoffen warnten davor, dass Lebensmittelknappheit und Preisanstiege aus dem kopflosen Eiltempo, mit dem Land von Nahrungsmittel- auf Treibstoffproduktion umfunktioniert wird, resultieren würde. Und Klimawandel-Experten prophezeiten, dass die globale Erwärmung die Kleinbauern – die selbst in der heutigen Welt des industrialisierten Agrarbusiness noch vieles von dem, was wir essen, produzieren – am härtesten treffen wird. Landwirtschafts-Ökonomen alarmierten die Welt über die Gefahren, die Nahrungsmittel-Versorgung einem hoch konzentrierten internationalen Markt zu überlassen.

Aber all diese Bedrohungen schienen noch im Entstehen begriffen, nicht unmittelbar bevorstehend.

Was ist also geschehen? Wie konnte es zu einer voll entwickelten Krise kommen, mit Kindern, die vorher gesättigt wurden und nun hungrig zu Bett gehen, mit Aufrührern, die auf den Straßen auf leere Töpfe schlagen, sowie mit Keksen aus Dreck als Mahlzeit?

Die Antwort umfasst alle düsteren Warnungen von weiter oben. Wie sie sich ausgewirkt haben, hängt zum Teil davon ab, wo man sich befindet. Das Zusammenspiel von Schäden und (politischen) Maßnahmen, Dürren und Dollars, Futures und Landwirten haben die Landwirtschaft für Jahrbuch-Chronisten und Politiker schon immer schwer durchschaubar gemacht. Aber internationale Trends und Fallstudien zeigen zusammenhängende Verantwortlichkeiten.

In der westlichen Hemisphäre sind es zwei Länder – Haiti und Mexiko – welche die Kräfte offenbaren, die Gesellschaften möglicherweise in eine Krise führen, die sich als dauerhaft erweisen könnte, wenn nicht einschneidende Veränderungen an unserem Nahrungsmittel- und Landwirtschaftssystem vorgenommen werden.

Tod und Kekse aus Dreck in Haiti

Die Halbe-Insel-Nation Haiti ist der hoffnungsloseste Fall des Westens. Das Leiden dort schafft es nur in die Nachrichten, wenn es sich zu Gewalt auswächst.

Das passierte erneut Anfang April, als im ganzen Land Demonstrationen gegen steigende Lebensmittelpreise begannen. In den Provinzen einsetzend und sich schnell in die Landeshauptstadt Port-au-Prince ausbreitend, hinterließen die Proteste fünf Tote, geplünderte Geschäfte und zur Schau gestellte Verzweiflung.

Es waren keine Frühlingsgefühle, welche die Menschen auf die Straße führten. In einem kürzlich veröffentlichten Artikel des America Program, berichtete der Forscher Mark Schuller über kurz vor den Unruhen auf der Straße durchgeführte Interviews. Die Kommentare von Sylvie St. Fleur, einer entlassenen Fabrikarbeiterin, fassten die Frustration unter den Armen zusammen: „Was das Land zerstört, ist, dass du nichts kaufen kannst. Die hohen Lebenshaltungskosten töten uns in Haiti.“

In einer Nation, wo die Hälfte der Bevölkerung von weniger als einem Dollar pro Tag lebt, machen Preisanstiege von 50 Prozent und mehr für Grundnahrungsmittel wie Reis und Bohnen die Differenz zwischen essen und nicht essen aus.

Oder man isst Kekse aus Dreck. Diese Erfindung von einfallsreichen Straßenhändlern, um leere Mägen auszutricksen, wurde schnell zu einem tragischen Symbol dafür, wie immenser Hunger sogar das übliche menschliche Tabu, Dreck zu essen, brach. Nahrungsmittel tragen die Hauptlast von Preisanstiegen und werden am heftigsten wahrgenommen. Aber die Anstiege verbunden mit niedrigen Löhnen und hohen Gaspreisen sind geeignet, Haushalte zu dezimieren.

Kein in Harvard ausgebildeter Ökonom kann bessere Statistiken für Preise anführen als eine arme Frau, die eine Familie ernähren muss. Sylvia bestätigt das: „Wenn du normalerweise einen Sack Reis für 1.000 Goud kaufst, musst du das nun für 1.500 Goud (37,50 US-$) machen. Und nun kostet eine Tasse Zucker 25 Goud, eine Tasse Reis 18 oder 19 Goud, eine Tasse Bohnen kostet 25 Goud. Selbst wenn du für 70 Goud am Tag (Mindestlohn) arbeitest, kaufst du eine Gallone Gas für 150 Goud (3,75 US-$) … verstehen Sie? Hier können Sie zwei ganze Tage arbeiten und nicht einmal eine Gallone Gas kaufen.“

Haiti ist nicht für alle Haitianer ein armes Land. UN-Statistiken zeigen, dass es unter den ungleichen Nationen der Welt den zweiten Platz einnimmt. Haitianische Millionäre haben ein Leben, das sich tausende von Slum-Bewohner nicht einmal vorstellen könn(t)en.

Sowohl die soziale Ungleichheit wie auch die Nahrungsmittelkrise resultieren aus einer neoliberalen Wirtschaftspolitik. Haiti war beim Grundnahrungsmittel Reis bis in die 1980er ein Selbstversorger, als sich aber in den 1990ern die Freihandelspolitik durchsetzte, begannen die Importe die Produktion zu übersteigen. 1995 wurden unter einer „mittelfristigen Strukturanpassungs-Strategie“ des IWF die Zölle auf Reis von 35 Prozent auf 3 Prozent herabgesetzt. Direkte Nahrungsmittel-Hilfen der USA nach der Putsch-Periode von 1991-1994, welche die lokale Produktion ersetzten, sowie der Ressourcen-Abfluss zur Bezahlung erdrückender Auslandsschulden trugen ebenfalls zum langsamen Niedergang der haitianischen Landwirtschaft bei.

Nachdem ein Staatsstreich, der Zeichen einer Involvierung der USA aufwies, Präsident Jean-Bertrand Aristide am 29. Februar 2004 vertrieben hatte, lockerte Interims-Ministerpräsident Gerard Latortue die Zölle weiter und förderte einen export-orientierten Ansatz zur Wiederbelebung der nationalen Landwirtschaft. Als Ergebnis aller Faktoren ist Haiti nun fast vollständig abhängig von ausländischen Lebensmittel-Importen und führt geschätzte 82 Prozent des gesamten Reisverbrauchs ein.

Nach einer Studie der American University von 2004 „ … ist die Reisproduktion in Haiti kollabiert und bedroht das ökonomische Wohlergehen haitianischer Reisbauern und tausender Anderer, die am Anbau, der Verarbeitung und dem Verkauf von haitianischem Reis beteiligt sind. Obwohl dieser Rückgang auf eine Vielfalt von Gründen, inklusive der erbärmlichen Konditionen der natürlichen Umwelt in Haiti sowie verschiedene andere Faktoren, welche die haitianischen Bauern behindert haben, zurückgeführt werden kann, … steht die Politik der Handels-Liberalisierung im Zentrum des Phänomens.“

Haitis Reiszölle sind die niedrigsten in der Karibik, und Haiti hat eine Top-Bewertung im Trade-Restrictiveness-Index des IWF erlangt. Aber dies ist ein Fall, wo sich der Musterschüler auf unterem Klassenniveau befindet und man sich wundern muss, was genau eigentlich gelehrt wird. Die Zollsenkung hat die Produktion dezimiert und zu einem Einströmen von „Miami-Reis“ geführt, zu Konditionen, die von manchen Experten als Dumpingpreise bezeichnet werden.

Der Journalist Reed Lindsay zitiert Frantz Thelusma, einen Kommunalplaner, der die Ansprüche der Mobilisierung beschreibt: „Als erstes verlangen wir, dass die Regierung ihren neoliberalen Plan verwirft. Wir werden diesen Todesplan nicht akzeptieren. Zweitens muss die Regierung den Markt regulieren und die Preise für Basisgüter senken.“ Die Proteste führten zur Abberufung von Premierminister Jacques-Edouard Alexis am 12. April und zu Verhandlungen über die Senkung der Preise von importiertem Reis.

Die Welt reagierte auf Haitis „Nahrungs-Unruhen“ mit starker Medienberichterstattung und Versprechen von Notfall-Hilfen. Die UN versprach neben der Einführung von Gemeinschaftsküchen und Schulmahlzeiten die Lieferung von 8.000 Tonnen Lebensmittelpäckchen. In der impliziten Anerkennung von Haitis geschädigter Lebensmittelversorgung sicherten internationale Agenturen zu, Haitis Landwirtschaft mit Programmen zur Düngerlieferung und der Wiederherstellung zerstörter Umweltgebiete auf die Beine zu helfen.

Wenn alle wussten, dass die haitianische Landwirtschaft für einige Zeit zum Erliegen kommen würde, warum hat niemand eher daran gedacht? Solange Importe verfügbar waren und das Land das Auslandskapital auftreiben konnte, um dafür zu zahlen, schienen die meisten Politiker zu denken, das System würde funktionieren. Bis jetzt.

Mexikos Tortilla-Krise und der Kampf um Mais

Eine aufkommende Machtprobe in Mexiko über Mais war nicht schwer vorherzusagen. Die Mexikaner streiten schon seit Jahrzehnten um Mais. Nichts bringt die Widersprüche der mexikanischen Gesellschaft so ins Blickfeld, den Zusammenprall von Werten und Klassenkonfrontation, wie es das nationale Hauptanbauprodukt und wichtigste Nahrungsmittel tut.

Im Januar 2007 marschierten zehntausende Mexikaner auf den Straßen, um gegen einen Sprung der Preise von Mais-Tortillas um 50 Prozent zu protestieren. Obwohl viele Analysten diese plötzliche Steigerung dem internationalen Preisanstieg aufgrund der Nachfrage der Ethanol-Produktion zugerechnet haben, sind die Ursachen wesentlich komplexer und gehen dem Bio-Treibstoff-Boom voraus.

Was in Mexiko passierte und weiterhin passiert, wurde vom Zusammenfluss mehrerer Faktoren verursacht: dem internationalen Preisanstieg, dem Anwachsen der Benzinpreise und der Konzentration der Maismärkte durch transnationale Unternehmen als Folge der nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA).

Als mexikanische Mais-Expertin stellt Ana de Ita heraus, dass „[d]ie Preisanstiege nicht auf einen Mangel der nationalen Produktion zurückgeführt werden können, da 2006 21,9 Mio. Tonnen produziert wurden, ein Rekordergebnis. Gleichzeitig wurden Rekordmengen an Mais importiert – 7,3 Mio. Tonnen gelber Mais und 254.000 Tonnen weißer Mais. Wenn der Import beschädigten Maises mit eingerechnet wird, beträgt die Gesamtmenge 10,3 Mio. Tonnen. Bizarrerweise erreichten in einem Krisenjahr – aufgrund einer Abnahme der Maislieferungen – Maisaktien den höchsten jemals existierenden Stand.“

Das geschah aber nicht nur aufgrund der internationalen Märkte. Am Ende des Jahres 2006 zeigten die internationalen Märkte einen klaren Aufwärtstrend der Preise für Mais. Aber der steile Preisanstieg in Mexiko übertraf selbst die Tendenzen auf dem Weltmarkt. Schuld waren Spekulationen und das Zurückhalten seitens der transnationalen Unternehmen. Die vier Firmen – Cargill, Maseca-Archer Daniels Midland, Minsa-Arancia Corn Products International und Agroinsa – sind die Hauptabnehmer der mexikanischen Maisernte und die wichtigsten Importeure von Mais in die USA.

Die großen Unternehmen hatten zwei Gründe den Preis in die Höhe zu treiben. Der erste war Profit. De Itas Untersuchung zeigt, dass diese Käufer – denen der Zugang zu Kapital-, Lager- und Transportkapazitäten einen enormen Vorteil auf dem mexikanischen Markt verschafft – Mais für 1.450 Pesos der Herbst-Winter-Ernte 2005-2006, die im April für die Produzenten in Sinaloa und Tamaulipas beginnt, kauften und für 1.760 Pesos von den Produzenten des 2006er Frühlings-Sommer-Zyklus, der im September startet. Im späten Dezember begannen sie, denselben Mais auf dem Inlands-Markt zwischen 3.000 und 3.500 Pesos zu verkaufen.

Der zweite Grund war die Eroberung des Maismehl-Marktes. In Mexiko wird die eine Hälfte der Tortillas mit industrialisiertem Maismehl und die andere Hälfte mit traditionell gemahlenem Mais […] aus kleinen Mühlen hergestellt. Der traditionelle Sektor umfasst 70.000 kleine Mühlen und Tortilla-Produzenten. Die großen Mehlproduzenten wollten schon lange einen Einfall in diesen Markt wagen. Nach der Erhöhung der Maispreise für die Mühlen, standen sie parat, um das Maismehl zu niedrigeren Preisen an die Tortilla-Produzenten verkaufen und die großen Einzelhandelsketten mit fertigen Tortillas unterhalb der Kosten der traditioneller Herstellung zu überschwemmen. Maseca allein hat einen Marktanteil von 73 Prozent am Maismehl-Markt und die anderen drei Unternehmen beanspruchen praktisch den Rest.

Kleine Produzenten bezeichneten diese Interessenabsprache und Marktkontrolle in den Händen einiger weniger großer Unternehmen bereits als „Mais-Tortilla-Kartell“ und beschuldigten die mexikanische Regierung „die einheimische Produktion zu entmutigen, mit unsicheren Importen zu spekulieren und eine Volatilität der nationalen Maispreise zu verursachen …“

In der Tat subventionierte die mexikanische Regierung den Markt mit mehreren Millionen Pesos. Nach Angaben der nationalen Vermarktungsagentur [für landwirtschaftliche Produkte – F.Q.] Aserca, zahlte die mexikanische Regierung 37.776.174 Pesos als „Direktinvestitionen für Marketing“ an Cargill und Minsa nur für die Herbst-Winter-Ernte 2005-2006 von weißem Mais im Bundesstaat Sinaloa. Das Subventionsprogramm wurde schwer kritisiert; nach Angaben des Vorsitzenden des Bauernverbandes Víctor Suárez ist „Aserca die wichtigste Behörde, um öffentliche Gelder an Monopole zu transferieren … damit erhält sie die Unordnung in Landwirtschafts- und Nahrungsmittelmärkten aufrecht, fördert die Konzentration der Produktion, Vermarktung und Industrialisierung in wenigen Händen.“

Als die Armen in den Straßen nach Nahrung verlangten, verzeichnete Cargill – der weltgrößte Getreidehändler – im ersten Quartal 2008 eine 86-prozentige Zunahme seiner Profite im Rohstoffhandel. Die Kleinbauern in Mexiko dagegen erlebten einen Verfall der Erzeugerpreise, als Resultat von Importen und der Eliminierung von Regierungsprogrammen. Seit NAFTA in Kraft getreten ist [1994 – F.Q.], haben zwei Millionen Bauern ihre Arbeit verloren.

Was viele Leute nicht wissen, ist, dass die Tortilla-Krise von Januar 2007 nicht vorbei ist. Das freiwillige Regierungsprogramm einer Obergrenze für Maispreise bleibt bestehen und in einigen Gebieten haben sich die Preise stabilisiert, aber die Ernährung der armen Menschen wird weiterhin durch den höheren Preis beeinflusst . Am 5. Mai verkündeten Tortilla-Verkäufer im Bundesstaat Chiapas einen nahezu 18-prozentigen Preisanstieg auf 10 Pesos pro Kilogramm. Obwohl eine Anhebung um 15 Cent für Konsumenten in der entwickelten Welt wie eine Kleinigkeit aussieht, bedroht sie in Mexikos ärmstem Staat die Ernährung von tausenden Familien.

In einer Umfrage auf einem Markt in einem einkommensschwachen Viertel von Mexiko-Stadt äußerten Käuferinnen, dass sie nach der Tortilla-Krise von Januar 2007 den Familien-Konsum von Tortillas um die Hälfte reduzieren mussten. Wie eine Señora klarmachte: „Wenn wir keinen Mais essen können, haben wir nichts zu essen.“

Kein Kapitel der Tortilla-Krise hatte mit einem wirklichen Problem von Knappheit zu tun. Und die jetzige Antwort konzentriert sich auf die instabilen landwirtschaftlichen Anbauerträge. Die Biotech-Lobby hat die Krise benutzt, um für ein Ende des staatlichen Anbauverbotes von genetisch modifiziertem Mais zu werben. Die neuen Bestimmungen eines auf ihre Interessen zurechtgeschneiderten Bio-Sicherheits-Gesetzes haben Saatgut-Konzerne wie Monsanto ermutigt, auf die Aussaat-Erlaubnis von genmanipuliertem Mais zu drängen, mit der Behauptung, dass die höheren Sortenerträge die Tortilla-Krise lösen und für eine größere Nahrungsmittel-Sicherheit sorgen würden. Bauernverbände warnen davor, dass die Aufhebung des Verbotes natürliche Maissorten, Existenzgrundlagen und die nationale Souveränität über Nahrungsmittel bedroht. Mexiko gilt als ein Herkunftsort von Mais mit hunderten nativen Sorten, die über Jahre von indigenen und nicht-indigenen Kleinbauern gezüchtet wurden. Genmanipulierter Mais kreuzt sich auf natürliche Weise mit nativen Sorten, was zu bereits dokumentierten Fällen von genetischer Kontaminierung von Sorten führt, die Jahrhunderte von indigenen Bauern gezüchtet wurden. Die Nutzung von genmanipulierter Saat macht die Bauern zudem abhängig von transnationalen Saatgut-Unternehmen, anstatt sich auf die Jahrtausende alten Praktiken des Aufhebens von Saatgut zu verlassen.

Experten zufolge reift eine ausgewachsene Nahrungsmittel-Krise in Mexiko heran. Auf Tortilla-Verkäufer ist kein Verlass mehr, und die Fleischpreise steigen an. Die Ernährungs-Expertin Blanca Rubio warnt, dass Knappheit zum Problem werden könnte. Seit NAFTA alle Importregulierungen abgeschafft hat, können transnationale Konzerne damit drohen zu importieren, anstatt anständige Preise an lokale Produzenten zu zahlen, was zu einer Abschreckung der Produktion führt.

Die Bank von Mexiko bilanziert, dass Mexiko 2007 für 127 Basis-Nahrungsmittel und landwirtschaftlichen Input 5 Mrd. US-$ mehr als 2005 gezahlt hat – ein Anstieg von 62 Prozent. Zwei Drittel der Zunahme kamen auf fünf Produkte: Mais, Weizen, Soja, Milchpulver und Saatgut. Die Kosten für Mexikos Nahrungsmittel-Abhängigkeit hoben die unerwarteten Gewinne aus den hohen Ölpreisen vollständig auf.

„Die Reichen verstehen die Armen nicht“

Die Standard-Erklärung für die globale Nahrungskrise stützt sich auf die Konvergenz von einer erhöhten Nachfrage nach Nahrungspflanzen für Biotreibstoffe, dem Anstieg der Benzinpreise, Urbanisierung, einer steigende Nachfrage in Schwellenländern, dem Klimawandel und der Umweltzerstörung aufgrund von Erosion und Verschmutzung.

Alle diese Faktoren haben in der Krise eine Rolle gespielt. Der Entwicklung von Biotreibstoffen wurde eine günstige Zukunft vorausgesagt, obwohl sie sich verlangsamen könnte, wenn die Kritik wächst. Ein aktueller Bericht der UN Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifikraum (ESCAP) macht Biotreibstoffe zum Teil als Schuldige der Preisanstiege aus. Der Bericht zieht das Fazit, dass „Regierungen sorgfältig die Auswirkungen von Biotreibstoffen auf die Armen berücksichtigen müssen.“ Die Benzinpreise werden voraussichtlich hoch bleiben. Mit der unter der Freihandelspolitik im Umlauf befindlichen hohen Menge an Nahrungsmitteln wird das sicherlich die Preise und den Zugang beeinflussen.

Ein weiterer, weniger erwähnter Faktor des Anstiegs ist die Spekulation von Investoren, die neue Gelegenheiten suchen, ihr Geld zu vermehren. Auf der Arancia Corn Website bietet die typische Offerte eines Investmentunternehmens „Wie man von der Kornkrise 2008 profitieren kann“ einen einfachen Weg an, wie man „aus der Agflation Gewinn schöpfen kann – ein Weg der vorausblickende Investoren mit Renditen von 61 Prozent und mehr belohnen könnte.“ The Economist berichtet, dass „ein fieberhafteres Verhalten die Märkte zu beeinflussen scheint: Exportquoten von großen Kornproduzenten, Gerüchte über Panikkäufe von Getreide-Importeuren, Hedge Fond-Gelder, die nach neuen Märkten suchen.“

Die Rekordeinnahmen von Agrobusiness-Unternehmen (die Gewinne von Cargill, ADM wuchsen von 363 Mio. US-$ im Jahr 2006 auf 517 Mio. US-$ in 2007) und Investoren, die nach Agflations-Gewinnen geifern, zeigen, dass die Krise für die Einen eine Goldgrube für die Anderen ist. Das sollte an sich einen Hinweis darauf geben, dass die strukturellen Probleme des globalen Nahrungsmittel-Systems nicht an geringen Ernte-Erträgen, ineffizienten Kleinbauern oder Klima-Katastrophen liegen. Es sind manipulierte Preise, eine fehlerhafte Handels-, Hilfs- und Förderpolitik, Distribution und falsche Prioritäten, welche die weltweit anfälligsten Bewohner hungern lassen.

Sylvie St. Fleur in Port-au-Prince hat eine einfachere Erklärung. „Haiti leidet nicht unter einem Nahrungsmangel weil es keine Lebensmittel gibt, nein! Es liegt daran, dass die Reichen die Armen nicht verstehen.“

Ungeeignete Lösungsvorschläge der internationalen Gemeinschaft

Die Nahrungsmittel-Krise wird andauern. Die Weltbank verzeichnet in den 36 Monate bis Februar 2008 einen Anstieg der Weizenpreise von 181 Prozent und einen globalen Anstieg der Nahrungspreise von 83 Prozent. Sie sagt voraus, dass die Preise für Nahrungspflanzen für 2008 und 2009 hoch bleiben und danach wieder absinken, aber bis 2015 ein Niveau weit über den Preisen von 2004 halten werden. Weltbank-Präsident Robert Zoellick warnte, dass die Nahrungsmittel-Krise weltweit 100 Millionen Menschen in größere Armut stürzen könnte.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bezeichnete es als „eine beispiellose Herausforderung von globalen Ausmaßen, die zur Krise für die Anfälligsten geworden ist“, und die FAO hat auf höchster Ebene für den 3. – 5. Juni eine Konferenz zur Welt-Ernährungssicherheit, Klimawandel und Biotreibstoffen einberufen. US-Präsident Bush hat den Kongress um ein Notfallpaket für Lebensmittelhilfen in Höhe von 700 Mio. US-$ ersucht.

Infolge der Informationen, die nach dem Zusammenbruch des Zugangs zu Nahrung für die Ärmsten der Welt bekannt geworden sind, ist klar, dass die Krise real ist. Aber die Krisenmentalität der Lösungsansätze hilft nur, die Aufmerksamkeit von den tiefen strukturellen Defekten der globalen Nahrungsmittelproduktion, -distribution und -konsumption abzulenken.

Seltsam genug, dass internationale Lösungen nicht diese fundamentalen Probleme ansprechen. Die politischen Rezepte der reichen Länder und internationaler Finanzinstitutionen betonen Hilfslieferungen und mehr Freihandel. Sie tendieren zu Vertiefung und nicht zur Abnahme der Abhängigkeit der Entwicklungsländer von Importen und Hilfen und füttern weiter die Geldbeutel der Unternehmen, welche die Öffentlichkeit ausnehmen.

Die Vorschläge der Weltbank beinhalten: „einen Aufruf an die internationale Gemeinschaft, dem Fehlen von Nahrungsmitteln in Höhe von 500 Mio. US-$ zu begegnen, die vom UN Welternährungs-Programm benötigt werden, um auf die Notfälle reagieren zu können“, die Erhöhung von Landwirtschafts-Krediten (das gleiche Modell, das zum Verlust der Nahrungsmittel-Souveränität in den Entwicklungsländern geführt hat, die den aktuellen Nahrungsmittel-Krisen ausgesetzt sind), „die Ausweitung und Verbesserung von Sicherungsprogrammen, wie Geldtransfer- und Risikomanagement-Programmen zum Schutz der Armen“ sowie die Verstärkung des Freihandels mittels „Eintretens gegen die negativen Effekte von Methoden wie Ausfuhrverboten, die Preisanstiege in Importländern herbeiführen, und gegen das hohe Niveau von Zolltarifen und Subventionen in der entwickelten Welt.“ Weltbank-Präsident Robert Zoellick, IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn und der frühere WTO-Präsident Pascal Lamy haben die Nahrungsmittel-Krise genutzt, um für eine Neubelebung der Doha-Runde der WTO zu werben, um das Freihandelssystem zu vertiefen. Das bedeutet einen Angriff auf Maßnahmen, die die internationalen Märkte – welche dazu beigetragen haben, die Nahrungsmittel-Krise hervorzurufen – in Frage stellen.

Die Notfallhilfen konzentrieren sich darauf, Nahrungsmittel global hin und her zu bewegen, von dort, wo es zu viel gibt, nach da, wo zu wenig ist. Diese Bewegung von Nahrungsmitteln wird aber nur noch mehr zu den Profiten von Handel treibenden und landwirtschaftlichen Überschussproduzenten hinzufügen, bezahlt von den Steuerzahlern. Gleichzeitig wird es nichts oder kaum dazu beitragen, die Produktion zu erhöhen. Darüber hinaus bleibt die Frage, ob es nicht genau das war, was das System der freien Marktwirtschaft eigentlich leisten sollte?

Bushs Hilfspaket wiederholt abermals das Modell von Naturalienhilfe, das hart für die Zerstörung der lokalen Produktion kritisiert worden ist. Obwohl er angekündigt hat, dass ungefähr ein Viertel für Einkäufe aus lokaler Produktion genutzt würde, ist das nur ein Bruchteil des Betrages und stellt keinen durchdachten Wandel der Prioritäten oder Praktiken dar.

Einige Vorschläge zielen darauf ab, die Ernten zu steigern. The Economist, der Nahrungsmittelhilfen als „leisen Tsunami“ bezeichnet hat, nimmt unverständlicherweise an, „dass Bauern, die nicht schnell reagieren können, zur Erreichung eines neuen Marktgleichgewichtes schließlich mehr anbauen werden.“ Die Erklärung ist unverständlich, da der selbe Artikel ausführt, dass „es an den meisten Orten keine absoluten Engpässe gibt und es die Aufgabe ist, die Inlandspreise zu senken, ohne zu viel Schaden für die Bauern anzurichten.“ Also warum konzentriert sich die Antwort internationaler Agenturen auf die Erhöhung der Produktion mittels technologischer Innovation?

Die Antwort ist, dass die internationale Landwirtschafts- und Nahrungsmittelpolitik eine sich seit Jahrzehnten wiederholende Angelegenheit ist. Pat Money von der ETC Group kritisiert besonders den von ihm als „Königsweg“ bezeichneten Lösungsansatz für die Nahrungsmittelkrise, welcher auf neuen Technologien zur Steigerung der Erträge beruht, obwohl es Anhaltspunkte gibt, die zeigen, dass der mangelnde Zugang zu Nahrungsmitteln für die Hungrigen viel mehr aus den Preisen und der Verteilung resultiert. Der „Königsweg“-Ansatz entwickelte sich zur globalen Herangehensweise mit dem Aufkommen der „Grünen Revolution“ bei landwirtschaftlichen Technologien, welche die Erträge steigerte, aber zu Umweltzerstörung und der Abhängigkeit der Kleinbauern von Chemikalien und Saatgutkäufen geführt hat.

Kleinbauern sollten unterstützt werden, mehr zu produzieren, damit ihre Gemeinschaften weniger von den von Großunternehmen kontrollierten internationalen Märkten abhängig sind. Aber unter den aktuellen Bedingungen wird das schwierig werden. Düngemittelpreise haben sich im letzten Jahr verdreifacht. Einige Organisationen haben festgestellt, dass das eine gute Möglichkeit wäre, auf Bioproduktion umzustellen, aber dafür werden sie staatliche Unterstützung benötigen und die ist bislang nicht in Sicht. Wenn die Preise und das Marktsystem nicht korrigiert werden, werden die Kleinbauern nicht mehr in der Lage sein, auf nachhaltigere Art und Weise zu produzieren, noch werden sie ihre Produkte zu angemessenen Preise vermarkten können.

Die richtigen Fragen stellen

Da Experten und Entscheidungsträger anfangen, Fragen zu stellen und Ausschüsse Untersuchungen anstellen, um die globale Nahrungsmittelkrise zu lösen, ist es bemerkenswert, dass einige Fragen überwiegen und andere praktisch aus der Diskussion ausgegrenzt werden. Zu den ausgeschlossenen Gebieten der Debatte gehören:

  • Staatliche Subventionen: Viele aktuelle Artikel und Erklärungen haben staatliche Subventionen als Ursache für die Marktverzerrung bei Nahrungsmittellieferung und -herstellung benannt. In der Tat hat der landwirtschaftliche Freihandel mit reichen Nationen, die ihre ohnehin schon privilegierten Bauern stark subventionieren, den Kleinbauern in Entwicklungsländern geschädigt. Aber wie kann man kapitalarme, familiäre landwirtschaftliche Einheiten, sowohl in entwickelten wie auch in sich entwickelnden Ländern, ohne staatliche Unterstützungsprogramme fördern? Verhandlungen in der Welthandelsorganisation und bilaterale Abkommen behandeln staatliche Landwirtschaftssubventionen so, als wären sie für Industrie- und Entwicklungsländer, für Agrarkonzerne und Bauernfamilien gleich. Sie sind es nicht. Warum berücksichtigen sie nicht den Grund, den Typ der Subvention (Hintergründe), und wem sie nützen? Warum nicht Subventionen generieren, die gesellschaftliche Ziele in der Landwirtschaft befördern, die zur Schaffung stabiler Existenzgrundlagen, einer nachhaltigen Nahrungsmittelversorgung und der Umwelterhaltung beitragen, sowie das beseitigen, was gegen diese Interessen wirkt?
  • Patente auf lebende Organismen: Patente verhindern öffentliche Forschung in gemeinnütziger Landwirtschaft, indem sie die Möglichkeit, Erkenntnisse zu teilen, einschränken. Darüber hinaus haben sie zur Plünderung öffentlicher Genbanken durch private Interessen geführt. Die Erzeugung und die Förderung patentierter Pflanzen- und Saatgutprodukte haben zu einer genetischen Verunreinigung sowie gestohlenen Erkenntnissen und Lebensgrundlagen von Kleinbauern und indigenen Völkern geführt. Es ist Zeit für eine seriöse Debatte darüber, wem diese Protektion wirklich etwas einbringt.
  • Die Konzentration des globalen Nahrungsmittelhandels: Institutionen der Global Governance müssen einen Blick auf die humanen Kosten werfen, die aus der Kontrolle des globalen Nahrungsmittelangebotes durch eine Handvoll transnationaler Unternehmen resultieren. Es müssen Kartellgesetze eingeführt werden, um ihre Umklammerung der internationalen Märkte zu lösen.
  • Beschaffungsmanagement und Marktkontrollmechanismen: Regierungen müssen ihre absolute Abhängigkeit von internationalen Nahrungsmittelmärkten überdenken. Zusätzlich zur Entwicklung nationaler Programme zur Nahrungsmittelsouveränität sollten sie in Erwägung ziehen, Reserve- und Beschaffungsmanagement-Systeme zu errichten, um die Volatilität der Preise zu kontrollieren.

Die Empfehlungen von Maßnahmen des mexikanischen Kleinbauernverbandes in der Chilpancingo-Erklärung von Februar 2007 fassen einen alternativen Ansatz zur Lösung der Nahrungskrise, welcher die Vorschläge von Bauernverbänden aus anderen Teilen der Welt enthält, zusammen. Unter ihnen sind Maßnahmen zur Herbeiführung von Nahrungssouveränität auf Basis der Produktion von Grundnahrungsmitteln, Campesino Subsistenzlandwirtschaft und biologischer Anbau, die Finanzierung und Unterstützung den Campesinos gehörender Maisspeicher und Distributionsunternehmen, die Stärkung der Ausbildung und Bildung von Campesinos und die Förderung ihrer Organisation bei kollektiven Marketingtätigkeiten, die Eliminierung der Subventionen für große Produzenten, korporative Verkäufer und Verarbeiter, die Neuverhandlung des NAFTA-Landwirtschaftskapitels und die Beseitigung jedweder kommerzieller Abkommen auf „Grund- und strategische“ Produkte, die Einführung einer Preisuntergrenze für Mais und andere Grundnahrungsmittel, welche die Produktionskosten kompensiert, die Errichtung eines Mechanismus, mit dem der Staat die Preise, das Angebot, Importe und Exporte für Mais und andere Grundnahrungsmittel reguliert.

Die Massenmedien stellen die „Nahrungs-Unruhen“ in Lateinamerika – Demonstrationen in den Straßen von Haiti, auf Töpfe schlagende Frauen in Lima, Rufe nach einer bezahlbaren Tortilla in Mexiko – als beunruhigende Zeichen von Instabilität dar. Stattdessen sollten sie als Weckruf gesehen werden, unsere vitalste Verbindung zueinander und zum Leben selbst zu reparieren – das Nahrungsmittelsystem.

* Laura Carlsen ist Leiterin des Americas Policy Program in Mexiko-Stadt.

Mit freundlicher Genehmigung des Americas Program, Center for International Policy (CIP).

Übersetzung: Florian Quitzsch

Siehe dazu auch: de Ita, Ana: Fourteen Years of NAFTA and the Tortilla Crisis. In: Americas Program, Center for International Policy (CIP).

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