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Politik und Kultur in Lateinamerika

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IV. Amerikanisches Sozialforum: Die Basisbewegungen bleiben richtungsweisend

Raúl Zibechi | | Artikel drucken
Lesedauer: 13 Minuten

IV. Amerikanisches SozialforumFern der Unstimmigkeiten der Jahre, als in Südamerika vorwiegend rechte Regierungen an der Macht waren, kämpfen die sozialen Bewegungen heute vereint für Gemeingüter und gegen die Ausbeutung natürlicher Rohstoffe. Was die Beurteilung der fortschrittlichen und linksgerichteten Regierungen angeht, so herrschen jedoch Meinungsverschiedenheiten.

„Wir haben Kolumbien vor elf Monaten verlassen und legten jeden Monat einige Tausend Kilometer durch Ecuador, Peru, Bolivien, Argentinien und Uruguay zurück. Unsere Gruppe heißt Cicloexpedición und wir möchten verstehen, was auf unserem Kontinent geschieht. Wir beschäftigen uns viel damit, was wir tun werden, wenn wir wieder zurückkommen. Wir haben uns sehr verändert.“, berichtet Juan José Correa, ein 35 Jahre alter Kolumbianer, der in Chocó an der Pazifikküste lebt.

Etwa 15.000 Menschen haben vom 11. bis 15. August am IV. Amerikanischen Sozialforum in einem weitläufigen, zehn Kilometer vom Zentrum entfernten Sportkomplex in Asunción teilgenommen. Auf der Tagesordnung standen: Herausforderungen und Errungenschaften politischer Transformationsprozesse, Militarisierung und imperialistische Vorherrschaft, Ernährungssouveränität und Plurinationalität. Hervorzuheben ist, dass Bolivien die größte Delegation stellte, dass Guaraní als offizielle Sprache Paraguays sehr präsent war und dass das Wasserkraftwerk Itaipú mit 100.000 Dollar zur Finanzierung des Forums beitrug.

In der Abschlusserklärung wurde festgehalten, dass „die Rechte sich auf dem gesamten Kontinent zügig neu formiert, um politische Transformationsprozesse zu behindern“, und dazu aufgerufen, „natürliche Ressourcen gegen den Raubtierkapitalismus“ zu verteidigen. Zusammenfassend wurde erklärt, dass „wir als Mitglieder sozialer Bewegungen eine historisch einmalige Gelegenheit erhalten, emanzipatorische Initiativen auf internationaler Ebene zu entwickeln. Allein der Kampf unserer Völker wird uns dem ybymarane´y (Land ohne Böses) näher bringen und das tekoporâ (gute Leben) ermöglichen“.

Haiti sieben Monate danach

Die grausame Realität der Menschen in Haiti war Thema zahlreicher Debatten. Der Wirtschaftswissenschaftler Camille Chalmers, Dozent an der Universität von Haiti und Unterstützer eines Netzwerks sozialer Bewegungen, verurteilte die Scheinheiligkeit der internationalen Gemeinschaft: „Wir beklagen 300.000 Tote, drei Millionen Betroffene und 1,6 Millionen Obdachlose. 75.000 Frauen bringen ihre Kinder auf der Straße zur Welt und das während bald schon wieder die nächsten Hurrikans drohen. Die internationale Hilfe kommt den Menschen nicht zugute, da sie von den Regierungen und großen internationalen Organisationen als Mittel zur Unterwerfung instrumentalisiert wird und in erster Linie deren Verwaltungsapparate stärkt“.

Laut Chalmers verwandeln sich die Flüchtlingslager in permanente Siedlungen. „Von den am 31. März auf der UN-Geberkonferenz für Haiti beschlossenen neun Milliarden Dollar Hilfsleistungen sind weniger als zwei Prozent angekommen.“ Als einzige Länder haben Brasilien, Estland, Norwegen und Australien Zahlungen geleistet.

Die bei der Geberkonferenz ins Leben gerufene „Kommission für den Wiederaufbau Haitis“ (CIRH) hat effektiv ihre Arbeit noch nicht aufgenommen. Bisher fand lediglich eine Sitzung statt und die einzigen realisierten Projekte waren die zehn Millionen Dollar teure Einrichtung der Kommission, sowie ein Auftrag im Bereich Öffentlichkeitsarbeit für eine US-amerikanische Firma unter Leitung eines ehemaligen politischen Beraters von Bill Clinton, dem für die Erstellung des CIRH-Image 80.000 Dollar monatlich gezahlt werden.

„Haiti hat infolge eines 1825 unterzeichneten Vertrags mit Frankreich Jahrhunderte lang unter dem Schuldenjoch gelitten: Insgesamt wurden 150 Millionen Gold-Franc als Entschädigung für ehemalige Plantagenbesitzer gezahlt. US-amerikanische Banken kauften diesen Schuldensaldo zu Beginn des letzten Jahrhunderts im Zuge der Vertreibung der europäischen Großmächte aus der Karibik. Diese Schulden waren sehr wichtig, um unser Land in die Kreisläufe der Weltwirtschaft zurück zu zwingen und die Inhalte der haitianischen Revolution zu neutralisieren.“

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte die Schuldensumme 70 Prozent der Staatseinnahmen aus. Trotz internationaler Deklarationen zahlt Haiti noch heute Schulden in Höhe des doppelten Staatshaushalts. Dabei hat das Erdbeben Verluste in Höhe von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verursacht.

MINUSTAH-Personal auf der Suche nach Überlenden des Erdbebens. Foto: UNDP„Wir empfinden die 2004 gegründete Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Haiti (MINUSTAH) als Werkzeug imperialistischer Unterdrückung unter Führung der UNO, die jährlich sieben Milliarden Dollar ausgibt, ohne bei der Erdbebenhilfe die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort zu suchen. Ganz im Gegenteil: Die vorwiegend aus Mitarbeitern lateinamerikanischer Länder zusammengesetzte Mission behindert die Bestrebungen haitianischer Arbeiter und Studenten“, erklärt Chalmers.

Die Zerstörung des Staats- und Wirtschaftsapparates hat zu einer Krise geführt, die nur durch die Mobilisierung des haitianischen Volkes und Solidaritätsbrigaden zu überwinden sei. „Das Vorgehen der internationalen Gemeinschaft steht in scharfem Kontrast zum Verhalten Kubas, das 1300 Ärzte nach Haiti entsandt hat. 2004 strich die haitianische Regierung nach dem zweiten Staatsstreich gegen Aristide den kubanischen Medizinern ein Jahr lang die Subventionen. Dass diese trotz allem von der ländlichen Bevölkerung beherbergt und versorgt wurden, ist Beweis einer großartigen Solidarität. Für einige wimmelt es in Haiti allerdings nur von Beweisen für die Re-Militarisierung des Kontinents“, beendet Chalmers seine Analyse.

Indigene und Bauern

„Wir fordern eine Verwaltung der natürlichen Ressourcen durch die Gemeinden und die indigenen Völker und nicht durch staatliche Stellen. Wir brauchen deshalb die Selbstbestimmung als neue Form der Machtverteilung“, legt Diego Faldón seine Beweggründe dar. Das Volk der Chiquitano, dem er angehört, hat vor kurzem zusammen mit anderen Völkern des Tieflandes einen 35-tägigen Protestmarsch organisiert, bei dem die Forderung nach Autonomie im Mittelpunkt stand. Der Vorsitzende der Vereinigung Coordinadora de Pueblos Étnicos de Santa Cruz fügt hinzu: „Auch wenn unser Bruder Evo an der Macht ist, müssen wir weiter kämpfen. Wir gehorchen nicht der Regierung, sondern unserer Basis.“

„In erster Linie sind wir zum Sozialforum gekommen, um bekannt zu machen, was wir tun, und weniger, um zu verkaufen“, erzählt die Bäuerin Gladys Gómez, von der Asociación de Mujeres Norteñas. „Außerdem möchten wir unsere Produkte zusammen mit ähnlichen Vereinigungen vermarkten, um den Fallen des vom Großhandel kontrollierten Marktes zu entgehen. Das gelingt uns bereits auf Ebene der Verwaltungsregion und darüber hinaus an einzelnen Orten.“

Die Vereinigung umfasst 230 Bäuerinnen im Bezirk Horquete, 430 Kilometer nördlich von Asunción, in der Verwaltungsregion Concepción. Die zugehörigen vierzehn Komitees sind auf verschiedene Produktionsbereiche spezialisiert: Heilmittel und Salben gegen Geschwüre, Hämorrhoiden und Verbrennungen, Seifenherstellung, Reinigungsmittel, Süßwaren, Obst und Gemüse aus ökologischem Anbau. Die hergestellten Produkte werden auf lokalen Märkten verkauft. Die Vereinigung verfügt über ein Destilliergerät, das alle Komitees für die eigene Produktion nutzen können. Auf gemeinschaftlicher Ebene wird außerdem Feldbau, Rinder- und Hühnerzucht betrieben und es gibt einen gemeinschaftlichen Gemüsegarten.

„Vor knapp zehn Jahren gab es in der Region Concepción die ersten asphaltierten Straßen“, erzählt Gladys. Horqueta ist mit 60.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Region und produziert Mais, Maniok, Bohnen und Baumwolle. Wie in der Nachbarregion San Pedro dehnt sich auch in Concepción der Sojaanbau weiter aus und verursacht eine Abwanderung von Kleinbauern. In Paraguay verdrängen die großen Monokulturen die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Entweder verlassen die Kleinbauern freiwillig ihr Land und ziehen in die Peripherien der Großstädte oder sie werden von den so genannten „Narco-Viehzüchtern“, die beide Regionen mit einer Mischung aus Viehzucht und Marihuana-Anbau kontrollieren, gewaltsam vertrieben.

Während der Diktatur und später in der Demokratie waren beide Regionen Vorreiter, was die Mobilisierung der Bauern anging. Heute sind sie unter den fünf Regionen, in denen von der Regierung Lugo der Ausnahmezustand verhängt wurde. „In Concepción gibt es prozentual die meisten Bauern im ganzen Land und 50 Prozent der Produktion sind für den Eigenbedarf“, berichtet Gladys. „Wir glauben, dass die Militarisierung dazu dient, den landwirtschaftlichen Großunternehmen die durch den Sojaanbau erwirtschafteten Einkünfte zu sichern“. Isidoro Bazán, der ehemalige Vorsitzende der Organización Campesina del Norte (Bauernverband im Norden von Paraguay) geht sogar noch weiter, indem er sagt, dass seit den Attentaten des 11. Septembers „auch wir Bauern verdächtig geworden sind.“

Dabei bezieht er sich auf seine alltäglichen Erfahrungen: „Wer sich gegen die landwirtschaftlichen Großunternehmen auflehnt, wird des Terrorismus´ beschuldigt und hat mit Gefängnisstrafen oder ähnlichem zu rechnen. In Horqueta gibt es mehr als 100 Bauern, die sich jeden Monat auf der Polizeiwache melden müssen.“ Seine Zuhörer, Jugendliche aus verschiedenen südamerikanischen Ländern, sind entrüstet über das, was sie hören. „Wenn das fortschrittlich sein soll, wie war es dann wohl zu Zeiten der Diktatur“, ruft ein junger Kolumbianer.

Gladys fährt fort: „Was uns vereint, ist der Wunsch, weiterhin in unseren Gemeinden, auf unserem Land zu leben. Wir wollen nicht in die Städte, aber das heißt, dass wir uns gegen den Sojaanbau wehren müssen. Darum organisieren wir uns, bilden uns weiter in Bereichen wie Emanzipation, sexuelle und reproduktive Gesundheit, Gewaltfreiheit und Menschenrechte. Der gemeinschaftliche Feldbau stärkt unseren Zusammenhalt und macht uns stark für den Widerstand.“

Kinderarbeit

„Wenn wir zu Hause mithelfen, achten uns unsere Eltern“, versichert Gladys González, während sie begeistert bei der Demonstration zur Eröffnung des Forums mitläuft. Sie ist erst 16 und begann im Alter von sieben Jahren, Mais am Busbahnhof von Asunción zu verkaufen. Schon seit einiger Zeit ist sie Mitglied der Coordinadora Nacional de Niños y Adolescentes Trabajadores (CONATS), einer nationalen Vereinigung für arbeitende Kinder und Jugendliche.

Die Vereinigung ging 1999 aus der NGO Calle Escuela hervor, die sich für Kinderrechte einsetzte. Die Mitglieder der CONATS haben fast identische Biografien: Anfangs verkauften sie auf dem Markt oder am Busbahnhof oder waren Schuhputzer. Sie litten mindestens unter „verbalem Missbrauch“ und fielen in der Schule zurück. Sie alle haben mindestens sechs oder sieben Geschwister und leben in Armenvierteln, die vorwiegend aus Familien bestehen, die wegen des expansiven Sojaanbaus gezwungen wurden, ihr Land zu verlassen.

Die 14 Jahre alte Graciela García lebt mit ihrer Mutter und sieben Geschwistern zusammen. Sie erinnert sich nicht, wann sie anfing zu arbeiten, ist sich aber sicher: „Schon im Bauch meiner Mutter bin ich mit zum Markt gegangen, um zu verkaufen.“ Jeden Morgen steht sie um zwei Uhr auf, um pünktlich um vier auf dem Markt zu sein. Vormittags verkauft sie Obst und Gemüse und geht nachmittags „sehr müde und erschöpft“ zur Schule.

Francisco Estigarribia, bereits 18 Jahre alt, erzählt seine unglaubliche Geschichte: „Ich bin das fünfte von neun Geschwistern und wir wohnen in San Antonio in der Nähe von Asunción. Wir Kinder arbeiten alle. Seit letztem Jahr sehe ich meine Eltern nur noch am Wochenende, weil ich jeden Tag bis 22 Uhr in der Fakultät bin und danach nicht mehr nach Hause fahren kann.“ Am Anfang verkaufte Francisco die Empanadas, die seine Mutter zubereitete im Viertel, danach verkaufte er Obst und Gemüse und arbeitete auf dem Markt. „ Zusammen mit meiner Mutter habe ich am Busbahnhof bis zum Mittag verkauft und bin dann in die Schule gegangen.“

Mit zehn Jahren wurde er Mitglied in der Vereinigung der Schuhputzer am Busbahnhof von Asunción und dort mit zwölf Jahren zum Sprecher gewählt. „Wir waren insgesamt 50 Schuhputzer und ich habe von zwölf Uhr mittags bis sechs Uhr abends gearbeitet. Danach habe ich meiner Mutter in ihrem kleinen Lebensmittelladen geholfen. Wir waren um Mitternacht zu Haus und am nächsten Morgen musste ich um sieben in der Schule sein.“ Heute setzt er sich für die Rechte der Kinder ein und studiert an der Universität, wo nicht wenige seiner Kommilitonen ebenfalls Mitglieder bei der CONATS waren.

Wie in solchen Fällen öfter zu beobachten, haben sich die Mütter ebenfalls organisiert, um ihren Kindern den Rücken zu stärken. Lourdes Torres, Mutter eines arbeitenden Kindes, sagt: „Ich habe gelernt, dass meine Kinder ein Recht auf ihre eigene Meinung haben und darauf, dass man ihnen zuhört.“ Die Mütter kümmern sich um die Gemeinschaftsküchen und helfen den Kindern, ihren schwierigen Alltag besser zu organisieren.

Gladys Gonzáles scheut sich nicht, ein sehr schwieriges Thema anzusprechen: Die Konfrontation mit denjenigen, die gemäß Artikel 32 der UN-Menschenrechtskonvention Kinderarbeit verbieten wollen. „Was wirklich abgeschafft gehört, ist die Armut. Wenn wir nicht arbeiten, haben wir nichts zu essen. Außerdem trägt die Arbeit zu unserer Persönlichkeitsbildung bei und am wichtigsten ist, dass unsere Eltern für ihre Arbeit angemessen bezahlt werden, damit wir nicht für unser tägliches Brot Müll sammeln müssen.“

Am Rande der Städte

Vor ein paar Monaten brachte der liberale Senator Luis Jaeggli einen Gesetzentwurf ein, um bezahltes Auto-Hüten und Scheibenputzen zu verbieten. Er stieß damit auf heftigen Widerstand seitens der Vereinigungen von Kinderarbeitern sowie eines Großteils der sozialen Bewegungen. Um seinen Vorschlag zu verteidigen, zeigte Jaeggli, dass er in Wirklichkeit ein Befürworter der Putschisten ist: „Was in Honduras geschehen ist, war meiner Meinung nach absolut legal.“

Die Haltung rechtsgerichteter Politiker steht im Konflikt zu der Unterstützung, welche die NGO Calle Escuela den arbeitenden Kindern bietet. Während des Sozialforums jährte sich zum ersten Mal der Capoeira-Kurs (afro-brasilianischer Kampftanz, der Kampfsport, Musik und Geschicklichkeit vereint) im Busbahnhof von Asunción, an dem Dutzende Kinder teilnehmen.

In einem kleinen Pavillon mitten auf dem Gelände des Sozialforums zeigen Mitglieder der CODECO (Coordinadora de Defensa Comunitaria) ein Video, das von den Tausenden Familien handelt, die in Bañado Norte leben. Dieser Landstrich wurde dem Fluss Paraguay von Bauern abgerungen, die vor 50 Jahren in die Hauptstadt kamen. Im Jahr 2004 spaltete sich die CODECO von der COBAÑADOS ab, um die Vetternwirtschaft der rechtskonservativen Partei Partido Colorado zu umgehen und um auf Basis von Solidarität und minga (kollektive, solidarische Arbeit, dank derer die Armen des Kontinents überleben) gegen die Armut zu kämpfen.

Im Zuge neoliberaler Spekulationen erkannte die Stadtverwaltung 1994 Bañado den gesetzlichen Status eines Naturschutzgebietes zu. Dieser Erlass ermöglichte es, die bereits Jahrzehnte dort ansässige Bevölkerung umzusiedeln. „2004 versuchte man, uns von hier zu vertreiben, aber die Mobilisierung stoppte das Projekt einer durch die Weltbank finanzierten Küstenregion“, berichtet María, 35 Jahre alt und Sekretärin der CODECO. Sie betreibt eine kleine Viehwirtschaft mit 40 Schweinen, die durch folgenden Tausch ernährt werden: „Die Müllsammler bringen uns die Essensreste, die sie auf der Straße finden und bekommen dafür von mir für die Feiertage und den Ersten Mai ein Schwein.“

Am zehnten Dezember gab es eine große Demonstration bis ins Zentrum der Stadt gegen die erneuten Umsiedlungsversuche. Eine besondere Rolle spielten dabei Vereinigungen all derer, die in der Abfallwirtschaft der Stadt arbeiten und den Müll sammeln und trennen (Asociación de Carreros, Carritos de Mano, Recicladores y Recicladoras del Bañado San Miguel). Wie eigentlich überall auf dem Land, besitzt auch in Bañados fast jeder Hühner, Schweine und vor allem Pferde, die besonders zum Bewegen größerer Lasten auf Karren geschätzt werden. Patricio Pintos verdingt sich manchmal als Tierarzt, seit er als Angestellter im Gesundheitswesen dazu ausgebildet wurde, Injektionen zu geben.

María erklärt ausführlich, wie die verschiedenen Komitees innerhalb der CODECO arbeiten. Sie erklärt die besondere Rolle der Sprecher für die jeweiligen Gemeinden. „Sie beruhigen ihre Leute mit sanften Worten.“ So zeigt sich einmal mehr die christliche Prägung dieser Aktivisten.

Carmen Castillo, eine Frau dunkler Hautfarbe und wichtigste Ansprechpartnerin der Organisation, fügt hinzu: „Wir haben uns so organisiert, dass alle zusammen die Entscheidungen treffen.“ Humorvoll, aber bestimmt betont sie, dass sie keine Anführerin ist, und unterstreicht das mit einem Satz, der in der Unterschicht Südamerikas immer häufiger zu hören ist: „Yo no mando, a mí me mandan.“ (auf Deutsch: Ich führe nicht, ich werde geführt.)

* Raúl Zibechi ist internationaler Korrespondent der Wochenzeitung Brecha aus Montevideo, Dozent und Forscher für soziale Bewegungen an der Multiversidad Franciscana de América Latina und Berater verschiedener sozialer Vereinigungen. Er ist Verfasser des monatlichen „Zibechi-Berichts“ für das Americas-Programm (www.cipamericas.org/es)

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Der Artikel erschien bereits am 27.08.2010 bei www.cipamericas.org. Mit freundlicher Genehmigung des Americas Program.

Übersetzung aus dem Spanischen: Maxi Pöttrich

Bildquellen: [2] United Nations Development Programme (UNDP)

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