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Politik und Kultur in Lateinamerika

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México, D.F.: 6. Februar 2000

Wolfgang Nieklasen | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Nach über neun Streikmonaten an der UNAM (Universidad Autonoma de Mexico – Autonome Universität Mexikos) endete die Bewegung wohl mit einer Totgeburt: Heute im Morgengrauen wurde durch einen massiven Einsatz der Bundespolizei nicht nur die Streikfront vernichtend zerschlagen, sondern anscheinend auch das Ende der Autonomie der nationalen Universität eingeleitet. Selbst die Polizei der linken PRD-DF-Regierung sah sich, wie schon einige Male zuvor in letzter Zeit, genötigt, gegen die Studenten einzuschreiten, wenn auch nicht auf dem Campus selbst, was sie eben wegen der Universitätsautonomie strikt ablehnte, so doch, um Ordnung auf den hauptstädtischen Straßen zu schaffen.

Abschrecken ohne zu unterdrücken – das war die verkündete Losung der unbewaffnet vorgehenden Polizeimacht, um jeden Vergleich mit 1968 zu vermeiden. Und so sahen sich die Streikenden den Rechtskräften, welche mit einer geschickteren und neuen Strategie agierten, hilflos gegenüber, obwohl sie wenige Tage zuvor noch einen großen Sieg hatten verbuchen können. Alles verlief zu ihren Gunsten, nachdem vor Jahresende der Verhandlungsverweigerer, Rektor Barnes, wie die Studenten es lange gefordert hatten, endlich zurückgetreten war und der neue Rektor noch im Dezember in einem Abkommen mit dem General-Streikrat (GSR) zugesichert hatte, daß der Dialog der einzige Weg zur Konfliktlösung sei, daß er den GSR als einzigen Verhandlungspartner anerkenne, daß der 6-Punkte-Forderungskatalog des GSR der alleinige Verhandlungsgegenstand sei und, daß alle Verhandlungen öffentlich seien.

Auch wenn diese vier Zugeständnisse schon als großer Erfolg des GSR anzusehen waren, wurden dem Verhandlungsbeginn noch weitere Stolpersteine über das Prozedere in den Weg gelegt, so daß der neue Rektor dann überraschend einen eigenen Lösungsvorschlag vorlegte, der allen sechs Punkten des GSR-Forderungskataloges entgegenkam: Er sah den geforderten demokratischen Kongress zur Lösung der Universitäts-Probleme vor und bis dahin die Aufhebung der Gebührenregelung und der übrigen Punkte, die Streikanlaß waren. Außerdem garantierte er Straffreiheit für Streikvergehen.

Anstatt alles auf den Kongress zu orientieren, lehnte der GSR den Vorschlag des Rektors ab, da er nicht das Ergebnis des Dialoges sei. Der Rektor kündigte nun ein Plebiszit unter den Universitätsangehörigen an, um sich eine Mehrheit für seinen Vorschlag zu verschaffen. Der GSR lehnte das Ergebnis schon vorher als Betrug ab und organisierte einen eigenen Urnengang – noch zwei Tage vor der Abstimmung zum Vorschlag des Rektors. So verbuchten beide Seiten „ihre“ Mehrheit und ereichten doch nicht die Hälfte der Studentenschaft. Indessen bekam der Rektor immerhin von 180 000 Universitätsangehörigen ca. 90% Ja-Stimmen für seinen Vorschlag – und damit für die Streikbeendigung, das ebnete schließlich den Weg für die gewaltsame Lösung.

Danach kam es zunächst vermehrt zu massiven tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und Streikgegnern, die sich den Zugang zu den besetzten Instituten verschaffen wollten und daran gehindert wurden. Rechte Lehrkräfte verdingten sich als Provokateure. Auf der anderen Seite beschlossen gemäßigte Studenten einiger kleiner Institute, diese dem Rektor zu übergeben, worauf dieser dann Bundespolizei zu deren Sicherung anforderte.

Zum „letzten Gefecht“ kam es dann in der Schlacht um die zur UNAM gehörende Abi-Schule Prepa 3*, auf der die Hochschulreife erworben wird, als der GSR die von den Gemäßigten eroberte Anstalt zurückerobern wollte. Selbst vom Rektor zum Schutz der Anlagen eingesetzte Universitätsarbeiter wurden dabei angegriffen und verletzt. Die Gewerkschaft der Universitätsangestellten STUNAM dagegen erklärte, daß die Auseinandersetzung von der Kampfgruppe „Cobra“ der Universitätsautoritäten provoziert wurde, und weist bis heute jeden Polizeieinsatz als Verletzung der Universitätsautonomie zurück. Die Bundespolizei aber wurde angefordert und räumte die Prepa 3. Es gab insgesamt 37 verletzte und 248 verhaftete Streikende, darunter über 80 Minderjährige.

Es wurde sogar schon die Falschmeldung von einem Toten verbreitet; diese wurde am folgenden Tag auch noch von einem Studenten in einem Interview mit der Zeitung „Junge Welt“ behauptet und von der Zeitung am 4. Februar 2000 verbreitet.

Die ganze Strategie des GSR lief wohl darauf hinaus, sich als Opfer der Repression zu präsentieren. Einer der Streikführenden erklärte sogar ganz heldenhaft, sie würden den Streik sogar aus dem „Exil“, aus einer anderen zu besetzenden Hochschule, fortsetzen.

Der Rektor forderte nun zu „Notstandsverhandlungen“ auf. Der GSR kam, forderte indessen vor der Neuaufnahme des Dialogs die Freilassung der Festgenommenen. Der Streit verlief ergebnislos. Schon während dieser letzten Runde verkündete die Regenbogenpresse, die Universität werde geräumt, wenn der GSR sie nicht übergebe. Und so geschah es dann auch – heute morgen gab es bereits 700 Verhaftungen. In den geräumten Instituten wurden Molotowcoctails und Marihuanapflanzen sichergestellt. Es wird leicht sein, Anklagen wegen Aufstand, Terrorismus und Drogengebrauch zu erheben. Und falls der „demokratische“ Kongress noch stattfinden sollte, wird er wohl die Hochschulreform von rechts absegnen.


* Die höheren Schulen – die preparatorias, auf denen die Hochschulreife erworben wird, gehören in Mexiko zu den Universitäten.

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