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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Süße Energie
oder: Was bedeutet schon eine warme Mahlzeit

Stefan Scherer | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Apagones“ heißen sie und waren in den Jahren 1993 und 1994 in Kuba an der Tagesordnung. Die Jahre danach wurden sie seltener und vor allem berechenbarer. Während anfangs niemand wusste, wann sie kommen und wie lange sie dauern würden, so waren sie ab 1997 insbesondere in den Städten weitgehend unter Kontrolle. Sie kamen noch einmal in der Woche, in jedem Stadtteil an einem bestimmten Tag und zu einer festgelegten Uhrzeit. Verschwunden sind sie inzwischen noch nicht. Aber ihren Schrecken haben sie verloren und auch Ihre Symbolkraft, auch deshalb weil sie mittlerweile, wenn auch aus anderem Grund, in einer Region in Erscheinung getreten sind, in der man niemals mit Ihnen gerechnet hätte: in Kalifornien.

Die Rede ist von Stromabschaltungen, als Folge der nicht ausreichenden kubanischen Ölimporte nach den weltpolitischen Veränderungen nach 1989. Da die Stromproduktion zu 96 % auf Erdöl basierte, war die Reduktion der Importe von jährlich 4 Millionen Tonnen auf 2 Millionen in diesem Sektor auch unmittelbar zu spüren. Da sich an der Infrastruktur auf die Schnelle nichts ändern ließ, blieb als einzige Sofortmaßnahme ein rigoroses Sparprogramm, das alle Bereiche der Gesellschaft betraf. Lediglich medizinische und soziale Einrichtungen blieben, sofern möglich, davon verschont. Gleichzeitig wurde ein Effizienzprogramm entwickelt und an Alternativen gearbeitet, die mit den gegebenen lokalen Möglichkeiten umzusetzen waren, um die Energieversorung mittel- bis langfristig zu sichern und die Abhängigkeit vom Öl zu verringern. Da Kuba (bisher!) nur über sehr wenige fossile Brennstoffe verfügt, spielten bei den Überlegungen über die Zukunft der Energieversorgung alle Varianten der erneuerbaren Energien eine bedeutende Rolle.

Die seit Jahrzehnten mit Abstand wichtigste Energiequelle ist die Biomasse. Durch die Nutzung der Bagasse, ein Abfallprodukt bei der Zuckerproduktion, sind die 156 Zuckerfabriken des Landes in der Lage, sich vollständig selbst zu versorgen und zusätzlich kleinere Mengen Strom ins öffentliche Netz einzuspeisen. Dadurch konnten in der Vergangenheit jährlich 4 Mio. Tonnen Öl eingespart werden. Da viele Anlagen veraltet sind, ist der Wirkungsgrad mit 20–40 kWh/Tonne Zucker relativ gering. Der Durchschnitt in den Industrieländern liegt bei 60–80 kWh, mit Spitzentechnologie können weit mehr als 100 kWh erreicht werden. Daraus wird ersichtlich, dass in diesem Bereich ein riesiges Potenzial steckt. Eine vollständige Erschließung würde ungefähr 1 Mrd. US-$ erfordern und dem Land eine Kapazität von 400 MW bescheren. Dies entspricht genau der Leistung des unfertigen kubanischen Atomreaktors und den Kosten für dessen Fertigstellung. Momentan werden verschiedene Zuckerfabriken modernisiert, mit einer Gesamtleistung von 100 MW.

Die zweitwichtigste Energiequelle ist das Biogas, dessen Potential in der Landwirtschaft auf 300.000 Tonnen Öl geschätzt wird, das Potenzial der Industrie auf 100.000 Tonnen. Biogas bietet insbesondere in ländlichen Gebieten viele Vorteile: In erster Linie ersetzt es Feuerholz oder Kerosin. Da es mit minimalem Aufwand zu produzieren ist – mit täglich wenigen Schubkarren Exkrementen –, reduziert es die Arbeitsbelastung erheblich, da kein Holz mehr beschafft und vorbereitet werden muss. Da bei der Verbrennung von Biogas nur wenige Abgase entstehen, werden die Köche bei der Zubereitung nicht mehr dem Rauch des Feuers ausgesetzt und damit gesundheitliche Gefährdungen verringert. Da die Zubereitung der Mahlzeiten überwiegend Aufgabe von Frauen ist, profitieren diese verstärkt von dieser Technologie. Zunehmend werden Biogasreaktoren auch in Industriebetrieben eingesetzt in denen sie häufig Gas für Kantinen für 300–400 Arbeiter liefern. Das Potenzial ist erst zu ca. 1% erschlossen.

Bis Mitte der neunziger Jahre existierten in Kuba zwischen 200 und 400 kleinere Biogasanlagen. Vor diesem Hintergrund stellen die 13 sich bereits in Betrieb befindlichen Anlagen, die von Cuba Sí im Valle del Perú finanziert wurden, plus die 25 im neuen Projekt geplanten Anlagen, in diesem Sektor eine messbare Größe dar. In den letzten Jahren konnten auf dem Milchprojekt durch die Verwendung von Biogas 8000 Liter Kerosin bzw. 50 Tonnen Brennholz eingespart werden. Da die Anlagen und Gasherde im Land produziert werden, waren keine Importe dafür notwendig.

Das Potenzial der Wasserkraft wird auf 325.000 Tonnen Öl geschätzt, wovon ca. 10% bereits genutzt werden. Vorherrschend sind bisher kleinere Anlagen von 8–550 kW, häufig in abgelegenen Gebieten ohne Anschluss ans Netz. Pläne für vergleichsweise riesige Anlagen in den östlichen Provinzen liegen bereits in den Schubladen. Durch ein Kraftwerk mit 360 MW Leistung am Fluss Toa könnten auf einen Schlag 55 % des gesamten Potenzials ausgeschöpft werden. Zu realisieren ist dieses Projekt jedoch nur mit massiven Eingriffen in teilweise noch unberührte Natur.

Die Windkraft und die Sonnenenergie spielen in der Gesamtbilanz eine untergeordnete Rolle. Rund 9000 meist in Kuba hergestellte Windmühlen werden in der Landwirtschaft zum Wasser pumpen verwendet. Pro Jahr werden rund 250 weitere hergestellt, jede einzelne spart im Jahr ca. 1,5 Tonnen Öl. Erste Demonstrations-Windparks zur Stromproduktion wurden eingerichtet, z.B. auf der Isla Turiguanú (Ciego de Avila). Die dort installierte Leistung liegt bei 450 kW. Haupthindernis der Windkraft ist, dass das genaue Potenzial noch unerforscht und die besten Standorte noch nicht ermittelt sind. Solaranlagen sind eine extrem teure Technik, weshalb nur wenige Privathaushalte mit ihr ausgestattet sind. Sie ist jedoch ideal, um abgelegene, dünn besiedelte Gebiete zu versorgen. […]

Holz ist ein Energieträger, der vor allem in ländlichen Gebieten von Bedeutung ist. Rund 2,5 Mio. m3 Brennholz und 80.000 t Holzkohle werden in Kuba jährlich verbraucht. Im Verhältnis zum Wachstum der Wälder ist dies eine durchaus akzeptable Größe. Massive Aufforstungen und die Einführung von effizienten Öfen haben dazu beigetragen, dass der Waldanteil seit 1959 von 14 % auf 20 % der Fläche gestiegen ist. Kuba gehört damit zu der handvoll Länder weltweit, die einen steigenden Waldanteil nachweisen können. Um die geplanten 25–30% Waldanteil zu erreichen, sind jedoch weitere Maßnahmen notwendig. Es ist erforderlich, in der Nähe von Siedlungen ausreichend Bäume zu pflanzen, damit insbesondere jene Waldgebiete geschont werden, die wichtige Schutzfunktionen erfüllen, und um Transportwege kurz zu halten. Auf den Weideflächen unserer Milchprojekte werden deshalb tausende Leucaenas gepflanzt – allein im Valle del Perú 293 000. Leucaena ist eine Baumsorte, die den Kühen Schatten spendet und eiweißhaltige Samen und Blätter bietet. Da die Anpflanzungen regelmäßig gelichtet werden müssen, fallen pro Jahr und Hektar rund 1m3 hochwertiges Brennholz an, auf jeder der 27 Vaquerias also rund 10m3 .

Alle Anstrengungen auf dem Gebiet der Energieversorgung dienen der Grundversorgung der Menschen, da die Elektrifizierung des Landes zu Recht als eine Errungenschaft der Revolution betrachtet wird. Die „weißen Flecken“ im Bereich der Energieversorgung werden auf der kubanischen Landkarte stetig kleiner. Kuba muss auch in diesem Bereich keinen Vergleich mit den Nachbarländern scheuen. […]

Original-Beitrag aus: Cuba Sí Revista 02/2001, S. 05. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Zeitung.

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