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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Keine Chance für die Menschenrechte?
Eine Momentaufnahme der kolumbianischen Situation

Zeljko Crncic | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten

Kolumbien ist nach wie vor von massiven Menschenrechtsverletzungen gezeichnet. Entführungen, extralegale Hinrichtungen, Vertreibungen und die Unterdrückung sozialen Protestes sind hier seit Jahren an der Tagesordnung. Hinzu kommt die alltägliche Gewalt, die sich aus der sozialen Ungleichheit und dem Drogenhandel speist. Eine positive Facette in diesem düsteren Bild war sicherlich, dass Ingrid Betancourt nach sechsjähriger Geiselhaft in Händen der FARC im Sommer die Freiheit wieder erlangte. Medienwirksam wurde die ehemalige Präsidentschaftskandidatin in Kolumbien und in Frankreich begrüßt. Ihre Befreiung wurde als großer Sieg der kolumbianischen Streitkräfte gefeiert und fand in der Presse und im Fernsehen starken Widerhall.

Diese Geiselbefreiung, die unter mit Hilfe fragwürdiger Mittel – Angehörige der kolumbianischen Streitkräfte gaben sich bei der Aktion als Mitarbeiter des internationalen Roten Kreuzes aus und benutzten seine Symbole – zustande kam, lenkte die Aufmerksamkeit von anderen Ereignissen ab. Jenseits des Scheinwerferlichts von CNN und BBC, auf der dunklen Seite des Mondes gewissermaßen, wurde auch 2008 weiter gemordet und gestorben. So fielen nach Angaben der Gruppe „Kolumbianische Koalition gegen Folter“ in den letzten drei Jahren 234 Personen außergerichtlichen Hinrichtungen zum Opfer. 346 Personen wurden im selben Zeitraum gefoltert. Mehr als 90% dieser Verbrechen gingen auf das Konto staatlicher Sicherheitskräfte und paramilitärischer Gruppen. Amnesty International zeichnete ebenfalls ein düsteres Bild der Menschenrechtslage im Land.

Mobilisierung der Indigenen

Die Menschenrechtsverletzungen hatten neben dem andauernden bewaffneten Konflikt drei aktuelle Ursachen. Da war zum einen der gewaltsam unterdrückte Dissens der Indigenen Völker des Cauca, die gegen die gewalttätige Repression seitens des Militärs und para-militärischer Gruppen mittels einer Straßenblockade protestierten.

Am Jahrestag der „Entdeckung“ Amerikas durch Kolumbus, am 12. Oktober, blockierten etwa 8000 Indigene Frauen und Männer eine wichtige Verbindung zwischen Popayan und Cali. Die Organisation ACIN (Asociación de Cabildos Indígenas del Norte del Cauca), die zu dieser Aktion aufgerufen hatte, sprach sich gegen das Freihandelsabkommen Kolumbiens mit den USA sowie mit weiteren Ländern aus. Die Indigenen wehrten sich gegen die Aneignung von Land, das sie für sich beanspruchten und forderten das Ende der Gewalt gegen ihre Angehörigen. Nach Angaben des Koordinators für Menschenrechte der Indigenen dieses Departements, Feliciano Valencia, sind seit Amtsantritt Uribes im Jahre 2002 etwa 1000 Indigene Mordanschlägen zum Opfer gefallen.

Die Militärs und Präsident Uribe antworteten mit gewalttätiger Repression. Es gab mindestens 30 Verletzte und mehrere Tote, die nach Einsätzen der Sicherheitskräfte zu beklagen waren. Uribe bügelte die Proteste gegen die Gewalt der Streitkräfte ab und sprach von drei „tiritos“ (Schüsschen), die die Sicherheitskräfte in die Luft abgefeuert hätten. Auch behauptete er, dass die Indigenen Dynamit benutzten, um Brücken zu sprengen. Erst nach einem eindeutigen Bericht auf CNN musste er den Einsatz von Schusswaffen gegen die Protestierenden zugeben.

Kampf um würdige Arbeit

Als zweite Gruppe waren die Zuckerrohrschneider (corteros) betroffen, die im selben Departement gegen ihre prekären Arbeits- und Lebensbedingungen protestierten. Ab dem 15. September streikten etwa 14.000 Zuckerrohrschneider, nachdem ihr Forderungskatalog, den sie am 14. Juli dem Verband der Zuckerrohrproduzenten Asocaña überreicht hatten, auf taube Ohren gestoßen war. Das Tal des Flusses Cauca ist eine Region, die vom Zuckerrohranbau geprägt ist. Viele Menschen verdingen sich in der Produktion, in der sie miserabel entlohnt werden. Die Arbeitszeiten betragen 14 Stunden pro Tag und die Akkordarbeit ist mit gesundheitlichen Schäden verbunden. Die Arbeitsbedingungen, die sich durch die Anstellung in so genannten Arbeitskooperativen (CTA) weiter verschlechtert haben, werden oft als der Sklaverei nicht unähnlich bezeichnet. Die Ausgliederung der Arbeiter in CTAs hatte zum Ziel, die Zucker¬rohrproduzenten von Beiträgen zur Krankenversicherung, Unfallversicherung und Renten¬kasse zu befreien. Die Arbeiter sind offiziell bei den Kooperativen angestellt, die Zuckerrohr¬produzenten haben mit ihrer Entlohnung nichts mehr zu tun. Da die corteros nach abgeernteter Fläche oder Menge des geernteten Zuckerrohrs von der Kooperative bezahlt werden, müssen sie täglich zwölf bis vierzehn Stunden arbeiten, um ihr Soll zu erfüllen. Arbeitsausrüstung und Werkzeuge bezahlen sie ebenso wie 20% des Lohns, der für die Arbeitsvermittlung draufgeht.

Die Arbeiter fordern aus diesem Grund eine erneute Direktanstellung bei ihrem eigentlichen Arbeitgeber und existenzsichernde Löhne. Außerdem verlangen sie eine bessere Gesundheits-versorgung sowie Zuschüsse zum Wohnraum und angemessene Arbeitskleidung.

Auch auf diesen Protest reagierte die Regierung mit Repression und der alt bekannten Anschuldigung, wonach die Arbeiter des Zuckerrohrsektors mit der Guerilla zusammen-arbeiten würden. Dieser Verleumdung fielen drei Anführer der Zuckerrohrschneider sowie Juan Pablo Ochoa und Alberto Bejarano, Mitarbeiter des Senators Alexander López vom Polo Democrático, zum Opfer. Im Oktober wurden sie kurzzeitig unter Hausarrest gestellt, später jedoch wieder freigelassen.

Freiheitskämpfer?

Im Februar dieses Jahres konnte ich in Cali mit den später beschuldigten Mitarbeitern des Senators López sprechen und sie auch zur Rolle der Guerilla befragen. Anfang des Jahres war der Fall des in Geiselhaft geborenen Manuel durch die Medien gegangen, dessen sich die Guerilla entledigt hatte und der später in Bogotá in einem Kinderheim auftauchte. Damals meinte Alberto Bejarano:

„Wir können nicht von einzelnen Fehlern der Guerilla sprechen. Der Fall Manuels zeigt, dass sich das Kind nicht mehr unter Kontrolle der FARC befand. Trotzdem behauptete sie das Gegenteil und verhandelte über ihn. Das macht deutlich, wie monströs ihr Fehlverhalten im politischen, taktischen und militärischen Fragen war. Es geht nicht um einen einzelnen Fehler, sondern um eine Serie von Fehlern, die zu ihrer Ablehnung geführt haben.“

In der Öffentlichkeit hat das Verständnis für gewalttätige Aktionen deutlich abgenommen. Zudem wurde die Guerilla über die Jahre empfindlich geschwächt, was die Verluste der letzten Monate klar zeigen. Der Menschenrechtsaktivist nimmt in Bezug auf die Guerilla eine klare Position ein:

„Man ging allgemein davon aus, dass die Guerilla über die Jahre an Unterstützung verloren hätte. Dies wird heute mehr als deutlich, die Guerilla hat viele Sympathien eingebüßt. Ich glaube, dass es zu einem Niedergang des Verständnisses von Gewalt als politischem Mittel gekommen ist.“

Bejarano meint über den Einfluss der Guerilla und ihres politischen Projektes:

„Meine persönliche Meinung ist, dass das Projekt des bewaffneten, revolutionären Aufstandes in Kolumbien gescheitert ist. Es geht nicht mehr um Befreiung. Das Projekt besteht als Projekt des Widerstandes fort und erfreut sich großer Unterstützung aus dem Drogenhandel.“

Aber die unrühmliche und gewalttätige Rolle der FARC sowie der anderen Guerilla-Gruppen sollte nicht über die Handlungsweisen staatlicher Stellen und seiner Verbündeten hinweg-täuschen. Wenn das Problem mit der Gewalt linker Gruppen nicht zu lösen ist, so ist der repressive Weg der Rechten ebenfalls keine Lösung:

„Das Problem kann nur auf politischem Wege gelöst werden. Dabei müssen die Geschichte des Krieges, das Entwicklungsmodell des Landes sowie der Staatsterrorismus berücksichtigt werden. Die Guerilla hat einen Platz am Verhandlungstisch.“, sagt Bejarano.

Leichen für den Urlaub

Die dritte Quelle massiver Menschenrechtsverletzungen, die in den letzten Monaten in Kolumbien zu beobachten war, ist der Skandal um die so genannten – man beachte die Wortwahl – „falsos positivos“ (dt.: positive Lügen). Ende Oktober trat Präsident Álvaro Uribe vor die Presse und verkündete die Entlassung von 27 hohen Militärs. Wenig später folgte der Rücktritt von Mario Montoya, Chef der kolumbianischen Armee. Eine Kommission des Militärs und Menschenrechtsorganisationen hatten massive Missbräuche in der Armee zu Tage gefördert. So gehörten extralegale Hinrichtungen seitens Armeeangehöriger zur gängigen Praxis. Zivilisten, oft Jugendliche aus Elendsvierteln, wurden mit falschen Versprechen angelockt und in entlegene Landesteile gebracht. Dort wurden sie hingerichtet. Ziel der Morde war es, die Getöteten als im Kampf getötete Guerilleros oder Paramilitärs darzustellen und auf diese Weise Prämien wie zusätzliche Urlaubstage oder Geldbeträge zu erhalten. Dieser makabren Praxis fielen nach Angaben der Koordinationsgruppe Kolumbien-Europa-USA, einem Zusammenschluß von Menschenrechtsorganisationen, zwischen Juni 2002 und Juni 2007 955 Zivilisten zum Opfer. Gegen 3000 Mitglieder der Streitkräfte seien Untersuchungen beim Generalstaatsanwalt und der Staatsanwaltschaft anhängig.

Der lange Krieg und die Betonung gewaltförmiger Lösungsmechanismen machen diese Art von Übergriffen überhaupt möglich.

„Die Gewaltopfer werden nur als Verhandlungsmasse angesehen. Ihr persönliches Drama interessiert nicht. Eine Verhandlung mit der Guerilla, die von der Regierung seit Jahrzehnten abgelehnt wird, kann nur zustande kommen, weil eine Geisel im Spiel ist. Als Personen interessieren die Betroffenen weder die Regierung noch die Guerilla.“

Die allgemeine Verhärtung führt zu den beschriebenen Repressionsmechanismen. Die Regierung bläst zum Kampf gegen die Guerilla, alle alternativen Ideen werden als Unterstützung des Feindes abqualifiziert.

„Man macht uns für den Krieg und die Gewalt mitverantwortlich, wir sind dazu gekommen wie die Jungfrau zu dem Kind. Dabei glaube ich, dass politische Verhandlungen den einzigen Ausweg aus dieser Situation darstellen. Das Gegenteil bedeutet einen Rückfall in die Barbarei“, konstatiert Alberto Bejarano.

Die Leidtragenden dieser Situation sind die Zivilisten und ihre Rechte. Eine Diskussion über ihre Anliegen wird systematisch unterdrückt.

Eine etwaige Diskussion diesen Typs sollte, so der Aktivist Juampablo Ochoa, auf nationaler Ebene geführt werden. Es gehe nicht primär um eine Diskussion zwischen FARC und Uribe, sondern um einen breiten, inkluierenden Dialog vieler Kräfte und Bewegungen.

„Man muss politisch sehr beschränkt sein“, fügt Bejarano hinzu, „wenn man die politischen und ökonomischen Gründe sowie die strukturelle Situation und die prekären Lebensumstände auf dem Land, die die Wurzeln des Konfliktes darstellen, nicht wahrnehmen will. Aber um in der Öffentlichkeit Gehör zu finden, muss man sich von gewalttätigen Aktionen, zu denen die Entführung Unbeteiligter gehört, distanzieren. Alle gegenteiligen Versuche stoßen auf keine Resonanz“, unterstreicht der Mitarbeiter von Senators López.

Es scheint, dass medienwirksame Auftritte, wie die der ehemaligen Präsidentschafts-kandidatin Betancourt und ihre voreiligen Aspirationen auf den Friedensnobelpreis – ihr Büro hatte im Vorfeld der Verleihung dieser Ehrung bereits eine Erklärung verbreitet – kaum zu einer ernsthaften Lösung beitragen. Bedauerlicherweise erhalten weniger bekannte Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Sie können, wie Juampablo Ochoa, Alberto Bejarano und die anderen Aktivisten vielmehr im Gefängnis landen. Dabei spielt die ausländische Rezeption des kolumbianischen Konfliktes auf jeden Fall eine wichtige Rolle.

„Wir befinden uns an einem Punkt, an dem wir uns eine neue Position erkämpfen können. Die sozialen Bewegungen Kolumbiens spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Rechte wird keinen kompletten Sieg erringen. Trotz allem wächst auch der Gegendruck. Es könnte somit zur Entwicklung eines neuen Dialogs kommen und so könnte dann das Eis gebrochen werden.“

Es bleibt zu hoffen, dass der Aktivist Ochoa mit dieser Einschätzung Recht behält.

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