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Honduras nach der Flut

Ilona Medrikat | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Leben im Provisorium

Am 31. Oktober 1998 erreichte der Hurrikan Mitch auch Honduras‘ Hauptstadt Tegucigalpa. Die Menschen, die die ganze Woche über Kleidung und Lebensmittel für ihre Landsleute an der verwüsteten Küste gesammelt hatten, wurden nun selbst zu Opfern. Durch die anhaltenden Regenfälle stieg der Fluß, der die Stadt teilt, seit morgens stetig und schnell, bis er über die kaum gesicherten Ufer trat und Viertel um Viertel überschwemmte und mit sich riß. Einige Hangviertel wurden durch Erdrutsche hinuntergerissen, Menschen, Tiere, Hab und Gut völlig unter Steinen, Schlamm und Geröll begraben. Viele Leute hatten auf die Warnungen im Radio nicht reagiert, sie glaubten den Meldungen nicht und hatten mehr Angst vor Plünderern, weshalb sie in ihren Häusern ausharren wollten. „El Gordito“, der dicke und populäre Bürgermeister von Tegucigalpa, machte sich selbst auf den Weg, die Leute in letzter Minute zum Verlassen ihrer Häuser zu bewegen. Viele flüchteten erst, als ihnen das Wasser schon bis zu den Knien reichte, so daß sie nicht einmal Papiere mit sich nehmen konnten. Viele kamen bei diesem Versuch in den schnellen Fluten ums Leben. Am nächsten Morgen bot sich den Überlebenden ein Bild des Grauens, die daraus folgende kollektive Depression hielt noch Wochen an. Dennoch begann man schnell, die Toten zu zählen, Hilfsappelle in die ganze Welt zu senden und denen, die alles verloren hatten, zu helfen, die Ausbreitung von Epidemien zu verhindern. Einen Tag später ein neuer Schock: als sich der Bürgermeister, aussichtsreicher Kandidat für die nächsten Präsidentschaftswahlen, einen Überblick über die Verwüstungen verschaffen wollte, stürzte sein Helikopter ab. Seine Ehefrau wurde entgegen jeglicher Regeln zur vorübergehenden Nachfolgerin bestimmt, mehr Symbol als kompetente Politikerin. „Vorübergehend“ – fünf Monate lang – wurden die Obdachlosen in Schulen und kommunalen Zentren untergebracht, schließlich ab März diesen Jahres in sogenannte Makroherbergen verfrachtet: in langgezogenen Spanplattenbauten erhält jede Familie einen ca. 15m2 großen Raum, Toiletten und Waschbecken sind am Ende jeden Gebäudes. Das Wasser muß mit Lastwagen herangekarrt werden, die Häuser für die 2.500 bis 5.000 Menschen sind auf einen einsamen Hügel gesetzt worden. Es ist abzusehen, daß dieses Provisorium eine Dauereinrichtung bleiben wird, denn Bauland ist in Tegucigalpa und Umgebung knapp und teuer, Spekulantentum und Korruption haben ihres dazu beigetragen.

Im folgenden dokumentieren wir ein Interview mit einer Mitch-Geschädigten aus einem bescheidenen Viertel in Tegucigalpa, die über ihre Erlebnisse in der Nacht vom 31. Oktober berichtet.

Mein Name ist Maritza Garcia, ich bin 35 Jahre alt und habe fünf Kinder. Ich lebte einen Block weit vom Gemeindezentrum entfernt in der Kolonie „Las Brisas“. (Viele der zerstörten Wohnviertel tragen so malerische Namen wie „Nueva Esperanza“- Neue Hoffnung oder „Nuevo Progreso“ – Neuer Fortschritt.) Am Tag, als der Hurrikan kam, half ich dem katholischen Pfarrer der Pfarrei ab sechs Uhr morgens, Leute aus ihren Häusern zu evakuieren. Schließlich, etwa gegen zwölf, nein, gegen halb zwölf Uhr nachts, evakuierte ich die letzte Familie, denn die Frau wollte ihr Haus nicht verlassen. Also sagte ich: „Komm, gehen wir, Dona Digna“, sagte ich, „hier kann man nichts mehr tun, vamonos!“ Das Wasser war schon nah, es kam schon über die Dämmauer, die wir hier im Viertel „Las Brisas“ hatten. Ich nahm die Frau mit ins Kommunalzentrum, wo wir jetzt untergebracht sind. Etwa gegen zwölf, es fehlten fünf Minuten bis Mitternacht, ging ich hinaus und hinunter Richtung Fluß, um den Leuten zu sagen, daß sie ihre Häuser verlassen müssen, die Leute, die immer noch am Flußufer in ihren Häusern waren, ich sagte zu ihnen: „Gehen Sie, das Wasser kommt schon immer höher“, auch meine Geschwister waren dort, am Flußufer und wollten nicht gehen. Ich sagte zu meinem Bruder „Tonio, was ist los, daß Du nicht gehen willst? Das Wasser steigt schon! Nehmt, was aus Holz ist und bringt es in Sicherheit.“ Er hatte da Holz aufgestapelt. Sein Zimmer war sehr klein. Deshalb arbeitete er und kaufte nach und nach Holz, um es zu vergrößern. Also sagte ich ihm, daß er das Holz retten müsse. Es blieb ihm keine Zeit mehr. Als ich wieder zum Kommunalzentrum zurückkehrte, um nachzusehen, wie es den Leuten ging, was sie brauchten, Kleidung, Decken oder was auch immer, ich arbeitete ja auch mit dem Herrn Präsidenten der Kolonie zusammen, – als ich raus ging, sah ich, wie mir der Herr Präsident entgegengerannt kam, er ist ein dicker Freund von mir, also sage ich zu ihm: „Luis, was ist los, daß Du so angerannt kommst?“ Also sagt er zu mir: „Maritza, Du mußt stark sein, Du mußt jetzt sehr viel Kraft zeigen, denn die Mauer ist aufgebrochen und das Wasser steht schon in Deinem Haus.“ Als er das sagte, rannte ich los. Zu meiner Überraschung traf ich meine ganze Familie dort schlafend an. Meine Kinder schliefen, mein Großer war erschöpft, nachdem er die ganze Zeit dem Pfarrer geholfen hatte, Leute zu evakuieren. Er schlief in einem Bett mit seiner Frau und meinem Enkel, mein Ehemann und meine zwei Enkel waren ebenfalls dort, meine große Tochter mit dem Baby in der Stube, auch sie waren völlig erschöpft, weil sie den ganzen Tag geholfen hatten. Als ich drinnen war, war ein Raum, den ich als Küche gebaut hatte, schon zur Hälfte weggerissen. Also sagte ich zu meinem Sohn: „Steh auf, das Wasser ist schon hier drinnen. Ihr müßt aufstehen!“ Sie begannen, aus den Betten zu kommen, zwischen Schlafen und Erwachen begannen sie, Sachen zusammenzuraffen. Meine Tochter, die Große, nahm die Kinder und trug sie zum etwas höher gelegenen Haus meines Vaters. Als wir sahen, daß das ganze untere Zimmer bereits voller Wasser war, nahmen wir das Bißchen, das wir tragen konnten, aber kurz darauf überschwemmte das Wasser das ganze Haus. Mein Haus war groß, ich hatte etwas abseits eine kleine Küche gebaut, im gleichen Garten, aus Holz. Als wir die letzte Sache herausgeholt hatten, sahen wir, wie das Wasser angeschossen kam, auf einen Schlag eine Masse Wasser, wir konnten nichts mehr tun. Ich bekam Angst und sagte zu meinem Sohn: „Schließt die Tür und Gottes Wille geschehe.“ Und wir kamen zum Kommunalzentrum, ich weinend, meine Kinder weinten auch.

Im Gemeindezentrum gaben sie uns Unterkunft und bis heute sind wir dort. Dank Gott, die Pfarrei des San Jose Obrero hat uns immer geholfen, Caritas, verschiedene Organisationen. Jetzt wohnt mein Ältester bei seinem Vater, wir paßten nicht alle in das Zentrum. Und meine Tochter ist mit ihrer Tochter bei ihrem Mann. Ich wohne mit meinen kleinen Kindern und meinem Enkel. Mein Vater hat sein Haus noch, dorthin waren wir zuerst gegangen, aber er hat das ganze Haus vermietet und konnte die Leute, die dort lebten, nicht einfach vor die Tür setzen, denn sie waren zuerst da. Deshalb gab er uns nur ein Zimmerchen, wo wir das bißchen, das wir in derselben Nacht hatten retten können, unterstellen konnten.

Am Sonntag schon setzte mein Vater vier Pfähle, um das Haus wieder aufzubauen. Das Gebiet ist bewohnbar, anders gesagt, es gehört nicht zur „Gefahrenzone“. Denn mein Haus verschwand praktisch deshalb, weil es aus Holz war, es war schon etwas verrottet, 1985 hatten wir es gebaut, deshalb taugte das Holz nichts mehr. Auf meinem Land blieben nur Wasserbecken und -tank erhalten, die Entnahmestelle ist intakt, wenn mein Haus aus Stein gewesen wäre, wäre es vielleicht nicht fortgespült worden. Vielleicht wären nur die Sachen beschädigt worden. Denn alle Häuser meines Blocks stehen noch ganz. Nur meines verschwand, weil es aus Holz war.

Den Boden habe ich schon bezahlt. So Gott will, bauen wir mein Haus dort wieder auf.

Die Stadt hat als Lösung nur die „Makro“ (=Makroherberge), ja, das ist alles, was sie uns geben werden. Land werden sie nicht geben, das haben wir schon erkundet, wir sind schon auf verschiedenen Versammlungen gewesen, ich bin sogar mit den Präsidenten der Kolonien „Nora de Melgar“ und „Las Brisas“ unterwegs gewesen und die haben mir zu verstehen gegeben: Land für Häuser werden sie nicht verteilen. Wir werden jetzt ein Stückchen Land in San Matias erhalten, aber durch die Kirche, durch die Pfarrei und ihren Pfarrer Toni. Als Anzahlung werden wir 2.000 Lempiras (entspricht einem guten monatlichen Durchschnittsgehalt der Mittelklasse) einzahlen, das ist für meine Mutter, meinen kleinen Bruder, meinen Sohn, meine Tochter und auch für meine Schwester. Denn sie hatten ihr Haus verloren. Und sie können nicht zurückkehren, es ist jetzt unbewohnbares Gebiet, dort blieb nur ein Loch zurück.

Jetzt verkaufe ich Süßigkeiten mit einem Bauchladen. Davon ernähre ich alle. Meinem Vater gebe ich die Kleidung, ich koche ihm das Essen. Ich mache mir große Sorgen um die Familien in der Herberge, ich mag es nicht, nur für mich etwas zu erreichen oder zu bekommen, es sollen alle was davon haben. Denn so haben wir angefangen, so werden wir aufhören.

Klar, manchmal hat man so seine Problemchen, nicht wahr? Aber gut, die lassen sich lösen. Mehr passiert auch nicht.

Das Interview wurde am 5.3.1999 geführt.

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