Am 4. Februar ging eine von Richter Miguel Ángel Gálvez geführte Verhandlung im Völkermordprozess gegen den ehemaligen guatemaltekischen Diktator Efraín Ríos Montt zu Ende. Alle Zeugen, Sachverständigen und Dokumente der Anklagevertretung wurden zur Beweisführung zugelassen. Die von der Verteidigung zur Unterstützung ihres Mandanten vorgeschlagenen Sachverständigen und Berichte wurden hingegen abgelehnt. Jedoch ließ der Richter einige Zeugen der Verteidigung zu.
Nach diesem Beschluss wird der Fall nun an das urteilsverkündende Gericht verwiesen, das über einen Termin für die letzte, mündliche Verhandlung im wegweisenden Prozess gegen den ehemaligen General und seinen Geheimdienstchef, José Mauricio Rodríguez Sánchez, befinden wird. Den beiden Männern wird vorgeworfen, die führenden Köpfe hinter der 1982-83 zur Bekämpfung von Rebellengruppen durchgeführten Militäroperation „verbrannte Erde“ zu sein, der Hunderte Zivilisten vom Volk der Maya in der Region Ixil im Nordwesten Guatemalas zum Opfer fielen.
Die Verhandlung fand im 14. Stock des „Tribunals Tower“ in Guatemala-Stadt in Anwesenheit von Menschenrechtlern, Maya-Aktivisten, Journalisten und weiteren Beobachtern statt. Ríos Montt saß hinter seinen drei Anwälten, folgte der Verhandlung und machte sich dabei Notizen. Ihm gegenüber waren Staatsanwalt Orlando López und vier Vertreter der Opfer des Massakers an einem langen Tisch versammelt.
Obgleich der Nachmittag ganz im Zeichen des Richters stand, der die Namen der vielen Hundert von der Generalstaatsanwaltschaft vorgeschlagenen Zeugen verlas – darunter viele Überlebende des Massakers – sorgte seine Ablehnung eines Großteils der von der Verteidigung vorgebrachten Beweismittel für heftige Reaktionen auf Seiten der Anwälte von Ríos Montt. Francisco Palomo, Danilo Rodríguez und Marco Cornejo protestierten gegen den Beschluss. Sie bezeichneten den Prozess als „Lynchjustiz“ und warfen dem Gericht vor, es verletze das Recht ihres Mandanten auf Verteidigung. „Dieser Prozess kann nicht ohne Sachverständige der Verteidigung eröffnet werden,“ beschwerte sich Palomo, „schon gar nicht, wenn die Anklage über 64 von ihnen verfügt.“
Gálvez wies darauf hin, dass die Verteidigung die Namen der Sachverständigen vorgelegt habe (darunter der ehemalige General José Quilo Ayuso), ohne deren Analysen oder Berichte mitzuliefern, weshalb sie unzulässig seien. Anstatt Dokumente für die Beweisführung vorzulegen, hätten Ríos Montts Anwälte vielmehr in letzter Minute das Verteidigungsministerium um Unterlagen ersucht, deren Herausgabe sie mittels Gerichtsbeschluss erwirken wollten, so der Richter weiter.
Faktisch hob der Richter das Unvermögen der Verteidigung hervor, die für den Fall erforderliche Arbeit zu erledigen. Als Palomo sich über die fehlende Vorbereitungszeit beschwerte, konterte Gálvez, dass bereits 2001 Strafanzeige wegen Völkermord gegen Ríos Montt und seine hochrangigen Offiziere erstattet worden sei. [Ein hervorragender Hintergrundbericht zu dem Fall ist die in spanischer Sprache im Internet veröffentlichte Zusammenfassung des Zentrums für juristisches Vorgehen in Menschenrechtsfragen (Centro para la Acción Legal en Derechos Humanos, CALDH), eine Organisation, welche die Opfer des Völkermords vertritt.]
Darüber hinaus lehnte Richter Gálvez den Einspruch der Verteidigung gegen die Zulässigkeit von Plänen und Unterlagen der Armee in Zusammenhang mit der „Operation Sofía“ ab. Bei diesem gewaltsamen militärischen Einschreiten im Ixil-Dreieck im Juli und August 1982 waren Maya-Siedlungen zerstört und Zivilisten getötet worden. Zur Rechtfertigung seines Beschlusses wies der Richter darauf hin, dass der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt geurteilt habe, dass Guatemala Beweismittel in Menschenrechtsprozessen nicht unter Berufung auf „Staatsgeheimnisse“ zurückhalten dürfe. Gálvez berief sich unter anderem auf das Urteil des Gerichtshofs im Fall der Ermordung Myrna Macks im Jahr 1990 („Myrna Mack Chang gegen Guatemala“, ein am 25. November 2003 verhängtes Urteil). Ein Auszug des Urteils lautet folgendermaßen:
„…im Fall von Menschenrechtsverletzungen dürfen sich die staatlichen Behörden nicht auf Staatsgeheimnisse, die Vertraulichkeit von Informationen, das öffentliche Interesse oder die nationale Sicherheit berufen, um zu verhindern, dass den mit laufenden Ermittlungen oder anhängigen Verfahren betrauten Justiz- oder Verwaltungsbehörden die benötigten Informationen vorgelegt werden“ (siehe Abschnitt 180).
Es wird davon ausgegangen, dass die mit der „Operation Sofía“ zusammenhängenden Dokumente und Militärpläne, die Gálvez heute als Beweismittel zugelassen hat, in dem Unterfangen der Anklage, die Anschuldigungen gegen Ríos Montt und Rodríguez Sánchez zu beweisen, eine wichtige Rolle spielen werden.
Der Völkermordprozess wird nun an das Tribunal Primero A de Mayor Riesgo (nächste Instanz) unter dem Vorsitz von Richterin Jazmín Barrios verwiesen. In den nächsten Tagen wird das Gericht über einen Termin für die mündliche Verhandlung entscheiden. Ein Beginn in drei bis vier Monaten ist wahrscheinlich.
Richterin Barrios führte bereits in einigen der wichtigsten Menschenrechtsprozesse in Guatemala den Vorsitz, darunter im Prozess gegen die Militäroffiziere, die des Mordes an Myrna Mack im Jahr 1990 beschuldigt wurden, im Prozess im Mordfall des Bischofs Juan José Gerardi 1998 und in den Prozessen zur Aufklärung der Massaker in Dos Erres und Plan de Sánchez.
Ein großer Schritt in Richtung Gerechtigkeit
Mit der Eröffnung des richtungsweisenden Strafprozesses gegen den ehemaligen Militärdiktator Ríos Montt, der wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht steht, ist Guatemala am 31. Januar ein großer Schritt in Richtung Gerechtigkeit gelungen. Ríos Montt und seinem früheren Militärgeheimdienstchef, José Mauricio Sánchez, wird vorgeworfen, 1982-83 eine blutige Militäroperation zur Niederschlagung von Guerilla-Kämpfern und ihren Unterstützern angeordnet und befehligt zu haben. In der Anklageschrift werden die beiden ehemaligen Generäle beschuldigt, für 15 Massaker in der Region Ixil im Bezirk Quiché im Nordwesten des Landes verantwortlich zu sein. Dabei waren damals 1.771 unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder ums Leben gekommen.
Die Anklage hat etwa 142 Zeugen vorgeschlagen – darunter Angehörige der Opfer und Überlebende des Massakers – sowie 64 Sachverständige einschließlich Militäranalytikern, Gerichtsmedizinern, Anthropologen, Wissenschaftlern, Ermittlern und Psychologen. Unter den zur Beweisführung zugelassenen Dokumenten befinden sich Aufzeichnungen des Militärs, Pläne für die Operation zur Niederschlagung der Aufständischen, Feldberichte, die aus den Todeszonen an das Oberkommando geschickt wurden, und die 1999 veröffentlichten Ergebnisse der von den Vereinten Nationen unterstützten Wahrheitskommission, die besagen, dass in dem 36 Jahre andauernden Konflikt 200.000 Zivilisten starben oder verschwanden. Darüber hinaus stellte die Kommission fest, dass die Armee, die Polizei und die paramilitärischen Kräfte in Guatemala für 93 Prozent der im Krieg begangenen Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren.
Ríos Montt wurde im Januar 2012 wegen Völkermord angeklagt, doch eine Flut von Berufungsanträgen und Amnestiegesuchen sowie sonstige Verzögerungsversuche der Verteidigung sorgten dafür, dass der Fall keine Fortschritte machte. Die 13 noch ausstehenden Berufungsanträge sind nun aufgrund des von Richter Gálvez am Montag gefassten Beschlusses zur Eröffnung des Prozesses vom Tisch. In einem Gespräch mit Journalisten sagte Francisco Palomo, einer der Anwälte von Ríos Montt, gestern, dass die Verteidigung nun an einem Einspruch gegen die Entscheidung des Richters, den Prozess zu eröffnen, arbeite. Er bezeichnete ihn als „politischen Lynchmord“.
„Es gibt keine Dokumente oder Aussagen, die belegen, dass mein Mandant an den Verbrechen beteiligt war, die ihm von der Generalstaatsanwaltschaft vorgeworfen werden,“ so Palomo. Dieser Vorwurf der Generalstaatsanwaltschaft ließe sich dadurch erklären, dass sie „voll von ehemaligen Guerilla-Kämpfern“ sei – eine Anspielung auf Generalstaatsanwältin Claudia Paz y Paz, deren Familienangehörige laut Militär angeblich in der Bewegung der Aufständischen kämpften.
Die Verteidigung scheint auf die Strategie zu bauen, Ríos Montts Rolle als früheren Staatschef von den durch seine Soldaten im Feld begangenen Menschenrechtsverletzungen zu trennen. Diese Taktik lässt die berüchtigte strenge Hierarchie, durch die sich das Militär auf der Höhe des bewaffneten Konflikts auszeichnete, völlig außer Acht: Die Befehle des Oberkommandos wurden nach unten, an die Offiziere im Kampfgebiet, weitergegeben. Diese wiederum leiteten ihre Berichte nach Abschluss einer Operation durch die Befehlskette zurück nach oben.
Zu den wichtigsten Beweismitteln, die die Anklage vorlegen wird, zählen eine Reihe militärischer Aufzeichnungen zur „Operation Sofía“, einer blutigen Militäraktion zur Niederschlagung der Aufständischen, die im Juli und August 1982 in der Region Ixil durchgeführt wurde. Das Nationale Sicherheitsarchiv der George Washington University hatte die Dokumente 2009 aus einer vertraulichen Quelle erhalten, deren Echtheit bestätigen lassen und schließlich an die mit dem Völkermordfall befassten Anwälte übermittelt. Sie geben Aufschluss über das Ausmaß der Kontrolle, die das guatemaltekische Oberkommando über die brutale Vorgehensweise der Soldaten hatte, die auf der Suche nach dem Feind in die Maya-Siedlungen einfielen. In den Berichten wird mehrfach davon gesprochen, dass unbewaffnete Personen ermordet, Dörfer zerstört, Tiere brutal getötet, Feldfrüchte verbrannt und Menschen, die vor der Gewalt flohen, willkürlich unter Beschuss genommen wurden.
Mit der unermüdlichen Unterstützung des CALDH, der Vereinigung für Gerechtigkeit und Aussöhnung (Asociación de Justicia y Reconciliación, AJR) sowie weiteren lokalen und internationalen Organisationen kämpfen die Überlebenden der Operation „verbrannte Erde“ seit dreißig Jahren für Gerechtigkeit und Anerkennung. Das Nationale Sicherheitsarchiv kam 1994 ins Spiel, als die Friedensverhandlungen bereits in Gang waren. Es rief damals ein Dokumentationsprojekt ins Leben, um mit Hilfe veröffentlichter US-amerikanischer Unterlagen neue Informationen über die unbekannten Hintergründe des guatemaltekischen Konflikts und die Funktionsweise des staatlichen Unterdrückungsapparats ans Licht zu bringen und aufzuzeigen, welche Rolle die Vereinigten Staaten bei der Unterstützung der Operation der guatemaltekischen Armee zur Bekämpfung der Aufständischen gespielt hatte.
Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens 1996 ebnete die Wahrheitskommission unter Berufung auf die US-amerikanischen und guatemaltekischen Berichte sowie Tausende Zeugenaussagen 1999 den Weg für ein internationales Gerichtsverfahren und erklärte, dass es 1981 und 1982 in den von Maya-Gruppen besiedelten Gebieten des Landes einschließlich des Ixil-Dreiecks zu „Völkermordhandlungen“ gekommen war. Aufgrund dieser Schlussfolgerung erstatte Guatemalas führende Maya-Aktivistin und Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchú vor dem spanischen Gerichtshof Audiencia Nacional de España Strafanzeige wegen Völkermord, die das Archiv mit Aussagen und Dokumenten von Sachverständigen untermauerte.
Kate Doyle ist Direktorin des Mexiko-Projekts. Neueste Meldungen zu dem Prozess können in ihrem Blog auf der Website des Nationalen Sicherheitsarchivs nachgelesen werden.
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Hintergründe und weitere Informationen unter:
„Unredacted, National Security Archive unedited and uncensored“, Blog.
http://nsarchive.wordpress.com/
Hier finden Sie Dokumente des Nationalen Sicherheitsarchivs zur „Operation Sofía“.
Auf der guatemaltekischen Nachrichtenseite „Plaza Pública“ wird über Twitter live und in spanischer Sprache über den Gerichtsprozess berichtet: https://twitter.com/PzPenVivo
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Übersetzung aus dem Englischen: Sandra Zick
Der Artikel erschien bereits am 07.02.2013 bei www.cipamericas.org. Mit freundlicher Genehmigung des Americas Program.
Bildquellen: [1] Public domain; [2] National Security Archive_ ; [3] Jonathan Moller_; [4] Gobierno de Guatemala_