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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Guatemala ist in mir
Francisco Alejandro Méndez im Gespräch mit Augusto Monterroso

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Lesedauer: 11 Minuten

Ich hatte die Chance, Mexiko zu besuchen, ein Land, das Verbannten und Flüchtlingen aller Welt Unterschlupf gewährt hat; insbesondere Guatemalteken, vielleicht auf Grund der Nähe beider Länder. Diesmal habe ich einige guatemaltekische Schriftsteller, die in Mexiko wohnen, interviewt. Unter ihnen war Augusto Monterroso.

Obwohl seine literarische Produktion nicht mehr als zehn Titeln umfasst, ist Monterroso weltweit bekannt. Seine Märchen und Fabeln sind ins Deutsche, Finnische, Italienische, Polnische und noch ein Dutzend weitere Sprachen übersetzt worden.

Wichtige Schriftsteller wie Gabriel García Márquez, Italo Calvino, Isaac Asimov, Carlos Fuentes, Roberto Fernández Sastre, José García Nieto, José Miguel Ovideo, Carlos Monsiváis etc. haben wohlredende Bemerkungen über das Lebenswerk von Augusto Monterroso gemacht, der seit fast 50 Jahren in Mexiko wohnt.

Ich ging die gepflasterte Chimalistacstraße entlang, bis ich vor einem Kolonialhaus hielt. Monterroso empfing mich mit seiner charakteristischen Schüchternheit und bot mir ein erfrischendes Tamarindengetränk an. Er fragte, ob ein Tonbandgerät wirklich wichtig wäre. Ich sagte, dass, falls es ihn störte, ich es in meinem schwarzen Rucksack verstauen könnte. Lächelnd verneinte er und bat mich, mit den Fragen anzufangen. Jedesmal wenn ich ihm eine Frage gestellt habe, ist Monterroso aufgestanden, hat eine klassische Melodie gepfiffen, vielleicht Aida oder Romeo und Julia, ist zum Stuhl zurückgekommen und hat geantwortet.

Sich mit einem der wichtigsten Autoren dieses Jahrhunderts zu unterhalten ist belebend und riskant zugleich. Letzteres, weil Augusto Monterroso so bedeutend ist, dass es einem schwer fällt, alles was über ihn in Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und im Internet geschrieben worden ist, zu recherchieren, um ihm später keine Frage wiederholt zu stellen oder eine, die er nicht schon hundert Mal beantwortet hätte.

Guatemala ist ein Land, das im allgemeinen in der roten Chronik der Zeitungen aller Länder vorkommt. Die wenigen Momente, in denen es als ein würdiges Land anerkannt wird, sind die, wenn man über Literatur redet. Dafür haben Miguel Ángel Asturias, Luis Cardoza y Aragón und Augusto Monterroso gesorgt.

Ihre Lebenswerke leuchten über der Unbarmherzigkeit eines kaum 108.000 Quadratkilometer großen Landes, das mehr Tote und Opfer gefordert hat als jedes andere in Lateinamerika; sie leuchten über einer verzerrten Gesellschaft, die kaum als Projekt für eine Nation zu bezeichnen ist. Trotzdem schaffen es diese drei großen Meister, dass die Leser für einen Moment das Grausame und Finstere dieser Gesellschaft vergessen.

Monterroso hat als Schriftsteller bewiesen, dass die Kürze und die Sparsamkeit des Ausdrucks sowohl die mächtigsten Mittel der Literatur sind als auch die Merkmale, die seine aufrichtige Persönlichkeit beschreiben.

Wenn man mit dem kleinen Mann mit den roten Wangen redet, entdeckt man in ihm die Einfachheit eines anonymen Wesens, aber auch die Weisheit von Sokrates. Der Humor und die Ironie sind gemeinsame Merkmale, die sich nicht nur in seiner Literatur spiegeln, sondern die er auch ausstrahlt.

Mehr als einmal hat er (Monterroso) Journalisten gesagt, er möge lieber die Fragen stellen, denn so würde er andere Sachen erfahren.

Und da Monterroso auch ein leibhaftiger Mensch ist, ist er vor Räubern nicht sicher: Einmal, als ich bei ihm zu Hause zu Besuch war, erzählte er mir, wie drei Diebe in sein Haus eindrangen. Sie haben alle gefesselt, bevor sie es jedoch auch mit ihm tun konnten, gelang es ihm, über das Telefon einen Notruf zu tätigen und den Diebstahl zu melden. Als die Diebe sich dessen bewusst wurden, flüchteten sie. Das war sein Glück und das der Literatur, denn solche Diebe bringen in der Regel ihre Opfern um, wenn sie davon erfahren. Zum Glück hat dieser Autor überlebt.

„Ich beschäftige mich mit den Fliegen”, hat er gesagt, besonders als er eine Anthologie über diese Zweiflügler geschrieben hat. „Es gibt drei Themen: die Liebe, den Tod und die Fliegen … ich beschäftige mich mit den letzteren”, sagte er, und das tut er besonders in seinem Buch „Movimiento Perpetuo” (Ewige Bewegung), in dem er mit einem satirischen Spiel zahlreiche Passagen der Geschichte und der Literatur, in denen diese Insekten vorkommen, durchgeht.

In den oberen Zeilen wurde schon erwähnt, wie riskant das Schreiben für Monterroso ist, da er schon alles gesagt hat, was er zu sagen hatte und er hat es sehr gut getan und hat es auch veröffentlicht. Andere hätten das ebenfalls getan und auch mit erfreulichen Ergebnissen.

Dies sind einige Fragmente der Unterhaltung, die wir an jenem Tag geführt haben, an dem der Autor von „La obeja negra” (Das schwarze Schaf) in die den USA fliegen sollte, aber wegen dieses Interviews seinen Flug verschoben hat und mir die Chance gab, eine Reise „zu ihm“ anzutreten.

Eine der wichtigsten Erinnerungen war vielleicht, dass er mir seine Bibliothek und seine Plattensammlung gezeigt hat. So offenbarte er mir etwas, das für ihn wie ein Schatz war: Ein Brief, den ihm Yoko Ono gesendet hatte, als er dem genialen John Lennon zehn Jahre nach seinem Tod eine Ehrerbietung machte.

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Was sagt ihnen das Wort Guatemala?

Es ist kein Tag meines Lebens vergangen, an dem ich das Wort nicht gehört habe. Es ist nicht so, dass ich es einmal höre und es eine Welle der Erinnerungen in mir weckt. Vielmehr lebt Guatemala in mir, es hat nie aufgehört, ein Teil meines Lebens zu sein. Wie ich schon sagte, es geht nicht darum, dass ich es plötzlich höre und es eine Menge Erinnerungen zurück bringt, wie eine Magdelena von Proust. Wollen Sie aber eine genauere Antwort von mir hören, so sage ich Ihnen, dass ich immer an meine Kindheit, meine Jugendzeit, die Freunde der Generation der 40er denke. Mit ihnen habe ich angefangen, Schreiben zu lernen. Außerdem habe ich mit ihnen dieselben Besorgnisse und Begeisterungen geteilt. An jeden erinnere ich mich, als hätte ich ein Foto von ihnen vor Augen. Ich lebe bei ihnen und sie bei mir, obwohl es einige nicht für möglich halten.

Ich werde nie aufhören, an sie zu denken und sie zu lieben, da jene Zeit meines Lebens von sehr starken Eindrücken, die sich nie löschen werden, geprägt ist. So muss ich nicht das Wort Guatemala hören, um an das alles zu denken. Müsste ich eine Liste von Freunden aufschreiben, so würde diese unendlich sein und vielleicht für einige sogar ungerecht. Jetzt wo Sie mir die Chance dafür geben, möchte ich meinen Freunden sagen, dass sie immer bei mir sind und ich sie im Herzen trage.

Wie sieht ein Arbeitstag für sie aus?

Man kann sagen, dass meine Tage nicht sehr stereotypiert oder routiniert sind. Zum Beispiel heute, da Sie hier sind, habe ich das, was ich gerade machen musste, verschoben. Falls ich etwas ich vorhatte, absagen muss, sage ich es einfach ab. Im Grunde genommen habe ich keine feste Arbeitszeit. Aber das heißt längst nicht, dass ich mich nach meiner Inspiration richte. Ich versuche immer am Morgen zu arbeiten. Um acht habe ich wahrscheinlich schon zwei Stunden gelesen. Ich wache früh auf, aber ich stehe nicht auf, sondern fange an zu lesen. Am Anfang des Tages ist die einzige Zeit wo ich meine Ruhe habe: keiner ruft an und es gibt nicht so viele Sachen zu tun, sondern einfach nur das Lesen. So habe ich acht Uhr morgens bereits gearbeitet, obwohl das schwer zu glauben ist.

Schreiben sie mit der Hand, mit Schreibmaschine oder sind sie schon in die Welt der Computer eingetaucht?

Ich bleibe den zwei ersten treu, da ich beides tue, mit der Hand und mit der Schreibmaschine schreiben. Ich fange damit an, ein Blatt Papier in die Schreibmaschine einzustecken, aber gleichzeitig unterstütze ich meine Arbeit mit handgeschriebenen Notizen. Das heißt, wenn ich mit einem Satz nicht zufrieden bin, schreibe ich ihn erst einmal mit der Hand und fange sofort an, ihn zu bearbeiten. Wenn er einigermaßen meinen Erwartungen entspricht, tippe ich ihn ein. Mein Schreibstil verlangt beides, die Maschine und das Handschriftliche.

Ich habe von ihrer Leidenschaft zur Musik gehört. Was können sie mir dazu sagen?

Ich habe schon mal gedacht, dass ich mich für die Musik mehr als für die Literatur interessiere. Aber ich muss klar machen, dass ich vorziehe, sie zu hören, denn ich strebe nicht an, Musik zu machen oder sie zu interpretieren. Für mich ist es eine starke tägliche Zuneigung. Ohne Musik, einen bestimmten Stil in irgendeiner Form zu hören, könnte ich nicht leben, ich mag alles. Ich mag sowohl eine Sinfonie als auch einen Son oder einen Bolero. Wenn die Musik gut ist, muss sie nicht unbedingt einen bestimmten Rahmen haben. Eine Sinfonie kann gut sein und ein Bolero auch.

Meister, wie geht es dem Dinosaurier?

Na ja, das ist ein Dinosaurier, der um die Welt reist und nie still ist. Mein Märchen hat großes Glück gehabt. Es ist in mehrere Sprachen übersetzt worden und ich habe genug Kommentare darüber gehört. Viele Leute kennen mich nur wegen dieses Märchens und es sieht so aus, als ob sie alle andere Werke nicht mehr interessieren würden. Ich glaube, es ist gut so, weniger ist manchmal mehr.

„Als er erwachte, war der Dinosaurier immer noch da”. Was sagen sie über diesen Text?

Ich mag es nicht zu erklären, ich überlasse das der Phantasie jedes Menschen.

Haben sie je darüber nachgedacht, nach Guatemala umzuziehen?

Ja, täglich.

Und werden sie es tun?

Natürlich. Aber man verwurzelt sich unaufhaltsam in jedem Ort, wo man gerade wohnt. Ich zum Beispiel habe hier geheiratet, habe meine Töchter, meine Familie, meine Arbeit. Außerdem habe ich hier viele Verpflichtungen. Es ist schwer, an eine abrupte Rückkehr zu denken, aber letztendlich tendiere ich dazu, nach Guatemala zu ziehen. Ich denke immer an das Land und wünsche mir, dort zu sein. Es ist ein konstantes Ideal, das sich aber nur schwer verwirklichen lässt.

Ist es deswegen, weil in Guatemala in vielen Bereichen nicht so viele Veränderungen stattgefunden haben, oder zumindest nicht diejenigen, die sie sich gewünscht haben?

Tatsächlich. Ich glaube, seitdem ich aus Guatemala ging, hat sich die politische und wirtschaftliche Lage nicht verbessert. Es gibt immer mehr gutmütige Menschen. Ich glaube, das Land ist rückwärts gegangen, anstatt nach vorne. Denken sie daran, dass die weiße Minderheit im Besitz der Macht ist, während die native Mehrheit, die keinen Zugang zu den Feldern hat, obwohl sie deren legitime Besitzerin davon ist, unter miserablen Umständen lebt.

Würden sie den jungen guatemaltekischen Schriftstellern irgendeinen Rat geben?

Ich glaube, es ist sehr schwer, Ratschläge zu geben. Ich habe viel darüber nachgedacht und ich gebe keine. Ich glaube, dass der Schriftsteller, wenn er reift, von den Jüngeren lernen muss. Man sollte nie sagen, man sei schon gebildet genug. Das ist immer entgegen meiner Philosophie gewesen.

Muss der Schriftsteller wissen, wie man schreibt?

Ich glaube, der Schriftsteller muss nie wissen, wie man schreibt. Das ist schlecht. Das Wissen, in fast jeder Kunst, verursacht Erstarrung. Das Schöne in der Kunst ist der Versuch, das Abenteuer, die Suche. Vielleicht ist das der Grund, weswegen alle meine Bücher anders sind. Das zweite ist anders als das dritte, das dritte ist anders als das vierte, alle sind anders. Ich habe nicht zwei Bücher, die ähnlich sind. Und das mache ich wegen meines Strebens nach dem Experimentieren und wegen einer besonderen Art, die ich habe, die Sachen anders zu sehen.

Wenn man ein Buch schreibt geschieht es, dass man damit den Höhepunkt seines Lebenswerkes erreicht zu haben glaubt. Was sagen sie darüber?

Ich glaube, nachdem ein Buch veröffentlich worden ist, muss es der Schriftsteller beiseite legen. Wie ich vorher sagte, kann ich keine Ratschläge geben, aber andererseits würde ich sie gerne von den Jüngeren bekommen, denn die Jüngeren haben vielleicht Probleme im Ausdruck, in der Sicherheit etc. Aber ich wiederhole es: Das tut dem Schriftsteller gut. Daher ziehe ich es vor, auf die Ratschläge der Jüngeren zu hören, anstatt ihnen selbst welche zu geben.

Sind sie als Schriftsteller damit zufrieden, was sie erreicht haben?

Als erstes werde ich ihnen sagen, dass ich noch nicht erreicht habe, was ich mir als Schriftsteller vorgenommen habe. Und damit meine ich nicht, dass ich ein frustrierter Mensch bin, aber in der Literatur ist es so, dass man nie wirklich tut, was man sich wünscht.

Was interessiert sie am meisten, wenn sie Literatur produzieren?

Eine meiner Prioritäten ist vielleicht, den Leser einzufangen. Das heißt nicht, dass ich ihn zu meinem Komplizen machen will, sondern ich will Besitz von ihm ergreifen, besonders von seiner Fantasie und, wenn ich das könnte, sogar von seinen Gefühlen. Deswegen glaube ich, dass meine Literatur etwas besitzt, das mit der Fantasie zu bewältigen ist.

(Aus: Línea guatemalteca)

Aus dem Span.: Zoraida Royo / Uwe Greiner

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