Am Abend des 16. Januar brachte uns ein Freund die traurige Nachricht, dass Mario Payeras am Morgen dieses Tages in Mexiko-Stadt gestorben war. Das war ein Schlag, der uns tief traf, sein Tod etwas, das wir nicht akzeptieren wollten, nicht nur um des vielen willen, das er für uns bedeutete, sondern auch, weil sich in der Vielfalt seines intellektuellen Lebens große Kreativität fand. Trotzdem hat am Schluss die Krankheit gesiegt. Das Herz war geschwächt von langen Jahren des Kampfes in den Bergen, voller Einschränkungen und Entbehrungen, die er als Führer, der mit gutem Beispiel voranging, gleich dem unbedeutendsten Kameraden seines Kampfes aufsich nahm. Auch das war ein Charakterzug, den wir schon seit seiner Jugend kannten. Bescheiden setzte er sich immer an die zweite Stelle, maß er sich nie die ihm zustehende Bedeutung bei. Uneigennützigkeit – das war ganz und gar er. Und heute glaube ich, dass ihn diese Haltung dazu bewegt hat, einen Gesundheitszustand auf die leichte Schulter zu nehmen, der nicht unbedingt hätte tödlich enden müssen.
Über tote Freunde zu schreiben ist nicht einfach und wird noch schwieriger, wenn man es öffentlich tun muss. Aber im Falle von Mario Payeras ist es eine Pflicht. Auf der individuellen oder persönlichen Ebene, bezogen auf Freundschaft, auf die Ideale des gemeinsamen Kampfes oder die Bande der Familie, gehörte Payeras nur zu einem kleinen Zirkel. Aber durch die Großzügigkeit und die Tragweite seiner Arbeit ist er Teil seines geliebten Vaterlandes Guatemala und, als bedeutende Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts, Teil der Menschheit geworden. Deshalb ist es wichtig, dass wir, die ihn aus irgendeinem Grund näher kannten, über ihn sprechen. Vor allem, weil Guatemala, das so arm an Menschen seiner Größe ist und für das er sein Leben gegeben hat, gerade erst beginnt, ihn wirklich kennenzulernen.
Ich lernte Payeras vor 30 Jahren kennen, im Jahre 1964, an einem Nachmittag des kalten Monats Dezember, in der deutschen Stadt Leipzig. Ich war 33 Jahre alt, er ein Jahr älter. Für uns hat damals eine Zeit begonnen, die unser Leben prägen sollte. Wie andere Guatemalteken mit ähnlichen Gedanken und Interessen waren wir mit dem Ziel nach Deutschland gekommen, etwas zu studieren, das für Guatemala nützlich wäre. Ich studierte Medizin, er Philosophie. Payeras hat die Philosophie nie aufgegeben, weder in dem, was er literarisch geschaffen hat noch in seinem politischen Leben oder als Guerillero – aus dem Streben heraus, die Welt zu verändern, vor allem, sie menschlicher zu machen. Payeras war im Grunde ein Künstler wie der Poet Stephen bei Joyce, für den jede Epoche durch ihre Poeten und Philosophen gerechtfertigt wurde, die auserwählt waren, das Leben zu erfassen, „um es zum Hohen zu erheben, in der planetarischen Musik“. Ich selbst, teils seinem Einfluss geschuldet, und nachdem ich bei einer Gelegenheit Miguel Angel Asturias die Zweifel hinsichtlich unserer Berufung und die sehr persönlichen Wünsche mitgeteilt hatte, die uns ins Lager der Sozial- und Geisteswissenschaften führten, gab die Medizin auf und widmete mich dem Studium der Geschichte. Ich rechtfertigte mich damit, dass das am Ende genauso wichtig für Guatemala wäre, wie jedes naturwissenschaftliche Studium.
Ich erinnere mich, dass, als ich diesen Schritt unternahm, Payeras in scherzendem und triumphierendem Ton sagte, er habe auch Einfluss auf diese Entscheidung gehabt, in der die Natur -gegenüber den Sozialwissenschaften – an Reiz verloren hatte. In meinem Gedächtnis sehe ich ihn auf einer Ebene mit Miguel Angel Asturias.
Mit Payeras verband mich von Anfang an eine gute Freundschaft, die praktisch begann, als er meine Koffer durchwühlte, auf der Suche nach Literatur, die ich aus Guatemala oder von meinem Aufenthalt in Mexiko mitgebracht hatte. Ich sprach ihn gleich mit Payeras oder Kater an, dem Spitznamen, den er wegen seiner klaren Augen
schon in Guatemala bekommen hatte. Er war immer ein einfacher Mensch. Ohne es zu beabsichtigen, bestach er durch Witz, scharfe Beobachtung und eine Ironie, die auch verletzend sein konnte, wenn es darum ging, jemanden in die Schranken zu verweisen.
Gemeinsamkeiten hatten wir in Wahrheit wenig. Payeras stammte aus der Mittelschicht, er besaß bereits eine ziemlich solide intellektuelle Ausbildung, Ergebnis seines Aufenthaltes an der philosophischen Fakultät in Guatemala und seiner Zeit in Mexiko. Ich glaube, er hat einmal erzählt, dass in Mexiko Wenceslao Rosa, der argentinische Übersetzer von Hegel und Marx, zu seinen Lehrern gehört hatte. Ich kam aus einer einfacheren Schicht der guatemaltekischen Hauptstadt. Hinter mir lagen zehn Jahre Arbeit als Handwerker, mit der ich meinen Lebensunterhalt verdient hatte und die mir, recht und schlecht, eine Bildung erlaubt hatte, die von der fünften Klasse Grundschule bis zum Ende der Sekundärschule in Abendkursen realisiert wurde. Nach langen Stunden des Unterrichts habe ich ein Interesse und eine tiefe Liebe zur Literatur entwickelt, was einer der Gründe war, die mich Payeras näherbrachten. Andererseits, wenn die Bildung, die ich erhalten hatte, auch nicht die beste war, so habe ich sie in gewisser Hinsicht durch mein Arbeiterleben und mein Studium an Abendschulen vervollständigt. Das hat mir erlaubt, schon früh mit den Arbeitern, den erwachsenen Leuten des Viertels zusammenzuleben und von ihnen zu lernen.
Im Institute Normal Mixto Nocturno lernte ich Studentenführer vom Format eines Edgar Ibarra und Carlos Toledo kennen, beide fielen während der ersten bewaffneten Versuche, die Militärregierung zu stürzen. Mit ihnen durchlebte ich die Heldentaten des Volkes vom März und April 1960, die studentischen und Volksdemonstrationen gegen die guatemaltekische Oligarchie, organisiert von der Einheitsfront organisierter guatemaltekischer Studenten (FUEGO), genauso wie das niederträchtige Gemetzel an den Studenten der Rechtsfakultät, das Anlass gab zur Verschärfung des Volkskampfes gegen das korrupte Regime des alten ubiquistischen Generals Miguel Ydigoras Fuentes.
Feuertaufe in den Volkskämpfen
Für Payeras und uns anderen jungen Leuten bedeuteten die Heldentaten vom März/April unsere Feuertaufe in den Volkskämpfen für Guatemala, obwohl wir natürlich schon die Demonstrationen von 1956 gegen Castillo Armas erlebt hatten, nur zwei Jahre nach dem Fall der Revolutionsregierung von Jacobo Arbenz Guzmán. Der revolutionäre Prozess von 1944 wurde durch die nordamerikanische Intervention von 1954 unterbrochen, aber kurze Zeit danach begannen die Volksproteste dagegen, brach für Guatemala die schlimmste Repression seiner Geschichte an. Von da an war der Weg übersäht mit unzähligen anonymen Helden – einfache Arbeiter, Handwerker, Bauern und Berufstätige, gefallen im Kampf oder in den Folterkellern der Militärdiktatur.
Gleiche Sorgen in Bezug auf Guatemala und das gemeinsame Interesse für die Literatur waren ohne Zweifel die Grundlagen einer Freundschaft, die bis zu seinem Tod dauerte, und die sich während der drei Jahre des Studiums ständig weiterentwickelt hatte: Von Ende 1964 bis Ende 1967, als er sich entschloss, Deutschland zu verlassen und sich in die bewaffnete Volksbewegung einzugliedern. Als er diesen Schritt unternahm, hatte Payeras schon unzählige Gedichte geschrieben und einen Roman fertiggestellt, den er mir und anderen Freunden zum Lesen gab und der, wie ich glaube, in die Hände von Miguel Angel Asturias gelangte, für den, nach den Worten von Bianca, der Frau von Asturias, Payeras unter den jungen guatemaltekischen Schriftstellern der bevorzugte war. Payeras gefielen die Sonette – ich erinnere mich wie wir einmal eines von Wolfgang Goethe übersetzten- und wir wussten, dass das einer der Einflüsse von Asturias war, dessen Sonette er gerne vortrug. Einmal trug er uns eines vor, das er Ernesto Ché Guevara, dem heldenhaften Guerillero gewidmet hatte, damals, als dieser in Bolivien starb. All das und der Tod von Otto René Castillo, verbunden mit einem tiefempfundenen Wunsch, seinem Land zu dienen, brachten ihn zweifellos auf den Weg, den er eingeschlagen hat.
Die deutsche Episode
Nach Deutschland kam Payeras 1964 über Rumänien, wohin er von Mexiko aus gegangen war, um sich der Philosophie zu widmen. Trotzdem hatte ihm dieses Land, vor allem sein politisches System, nie gefallen und Dank der Intervention von Miguel Angel Asturias konnten er und andere guatemaltekische Freunde nach Deutschland wechseln. Die Jahre des Studiums waren durch das gekennzeichnet, was Studienjahre meistens prägt, etwas Boheme, den notwendigen Dingen zum Leben, denn das Stipendium reichte gerade zum Zahlen der Miete im Internat und für eine ziemlich mäßige Verpflegung, die wir manchmal vernachlässigten, um Bücher, Zigaretten oder Bier zu kaufen. An der Universität war Payeras immer unter den besten Studenten, nur dass ich ihn nie lernen sah. Natürlich traf man ihn ständig lesend oder mit einem Buch unter dem Arm auf dem Weg zum Cafe, oft zusammen mit Carlos Marroquín, einem anderen guatemaltekischen Studenten, der ihn seit seinem Abschied aus Guatemala 1962 begleitete.
Ich weiß nicht, ob es ihm bewusst war, aber er war der Mensch , der mich in diesen Jahren am meisten beeinflusste, vor allen Dingen durch seine
Integrität und Offenheit, durch seine Vitalität und gute Laune, die uns viele angenehme Stunden im Cafe oder beim Bier verbringen ließ, was natürlich nicht in die Geschichte eingehen wird. Auf diese Art verlebten wir eine fröhliche Zeit, auch wenn wir einige Probleme mit den Autoritäten der DDR hatten, deren Vertikalismus und Trennung vom Volk uns aufregte und manchmal zu ziemlich ärgerlichem Protest veranlasste. Seinen Einfluss spürte ich besonders auf intellektuellem Gebiet, durch Gespräch, Diskussion und Kritik oder durch die Empfehlung eines Buches. Die tiefempfundene Liebe Payeras für Guatemala, seine feine Sensibilität des Poeten, die ihm das Privileg gab, sich seiner Heimat auf besondere Weise zu nähern, habe ich seit dieser Zeit gekannt.
Das erste Weihnachten in Deutschland feierten wir mit anderen guatemaltekischen und lateinamerikanischen Freunden. In einer Mischung aus Heimweh und Fröhlichkeit war unser Land sofort der Inhalt des Gespräches und der hitzigen Diskussion. Ich erinnere mich, dass ein anderer Guatemalteke eine verächtliche Bemerkung über die indígenas machte, was bei mir Protest und Empörung hervorrief. Denn ich, aus Verapaz kommend, kannte schon von klein auf diese Haltung des Spotts, des Ausnutzens und der Diskriminierung der indígenas durch den guatemaltekischen ladino, was mich schon immer gestört hatte. Nach einem Moment lachte Payeras nur und nannte mich scherzend Pater Las Casas, aber sofort erzählte er mir auch von einem Guatemalteken, den ich lesen müsste, einem Autor, der sich bis heute am meisten für die indigene Welt Guatemalas interessiert und sie am besten versteht.
Er bezog sich selbstverständlich auf Luis Cardoza y Aragón, der zusammen mit Asturias, Landivar und Pepe Batres Montúfar einer der wichtigsten Schriftsteller Guatemalas war. Da fing ich an,“ Guatemala, die Linien seiner Hand“ zu lesen, ein Buch, das mich enorm beeinflusst hat, hauptsächlich durch die Art, wie es die historischen Prozesse Guatemalas behandelte, seine soziale Problematik und die Situation des durch ethnische Konflikte geteilten und rückständigen Landes hervorhob. Guatemala werde erst dann als Nation gelten, wenn es demokratisiert und die indígenas wieder Protagonisten seiner Geschichte seien. Das profunde Verständnis Cardoza y Aragóns für Guatemala als unglaublich schönes, aber gleichzeitig, wegen des Ballastes, den es mit sich schleppt, unglaublich trauriges und schmerzerfülltes Land, beeindruckte mich. Beschämt durch seine guatemaltekische studentische Ausbildung, schildert Cardoza y Aragón, wie er in Paris Bernal Diaz del Castillo entdeckte, und wie er durch ihn, die jahrhundertealten Wurzeln des Vaterlandes begreifend, Guatemala wirklich entdeckte. Auf bestimmte Weise hatte Cardoza y Aragón für mich als Historiker die gleiche Bedeutung.
Manchmal befiel uns Frustration und Heimweh nach dem fernen Guatemala, Frustration, die durch die Tatsache verstärkt wurde, dass der deutsche Sozialismus in keiner Weise unsere teuersten sozialen und humanistischen Ziele erfüllte. Nicht etwa wegen seiner sozialen Politik gegenüber der Bevölkerung oder wegen einer unhöflichen oder unfreundlichen Behandlung uns gegenüber, sondern aufgrund der abgeschlossenen und -vertikalen Form des gesellschaftlichen Systems. Das spiegelte sich klar in dem enormen und erstickenden Gewicht des Staates wider, seiner Funktionäre und vor allem der Partei und ihrer Führer, welche, wenn sie auch keine eigene soziale Gruppe oder Schicht bildeten, sich doch nicht mehr in Verbindung mit dem Volk befanden. Sie lebten in einem privilegierten Zustand und verrieten die besten revolutionären Traditionen des deutschen Volkes, deren Repräsentanten sie doch eigentlich sein sollten. Das alles war weit entfernt von unseren Vorstellungen und Idealen bezüglich des Gesellschaftstyps, den wir für Guatemala und Lateinamerika anstrebten. Es handelte sich vielmehr um eine augenscheinlich diktatorische und paternalistische Haltung dem deutschen Volk gegenüber, dem sie die Schuld am Aufstieg des Faschismus zur Macht gaben. Eine deutlich infantile Einschätzung des deutschen Volkes, die sich darin widerspiegelte, dass sie für das Volk dachten, handelten und es lenkten, und das auf sehr unverantwortliche Weise. Aber freilich funktionierte das System. Wir versuchten, seine Schwächen zu verstehen oder wir rechtfertigten sie damit, daß sich die Dinge später regeln würden, anders und besser sein würden, vor allem dann, wenn die Diktaturen in unseren Ländern fallen und dort ein wahrer Sozialismus entstehen würde.
Andererseits betrachteten wir uns als privilegiert, da wir als Studenten Zugang zum Besten der deutschen Kultur und ihrer Tradition hatten, zur Kenntnis ihrer revolutionären Geschichte: von Thomas Müntzer, dem Führer der deutschen Bauernaufstände zur Zeit der lutherischen Reformation, über Karl Marx, August Bebel, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, bis zum antifaschistischen Arbeiterführer Ernst Thälmann, der, wie so viele andere, von Hitler ermordet wurde. Die literarische und humanistische Tradition, Luther, Schiller, Goethe, Herder, Weber, bis zur “ zeitgenössischen Literatur, die Brüder Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht und Anna Seghers waren ein wichtiger Teil der Bildung, die wir erhielten und die wir selbst, aus eigenem Interesse, vertieften. Teil der Ausbildung war es auch, Nazikonzentrationslager wie Buchenwald kennenzulernen.
Zwiespältiges Verhältnis zur DDR
Terror und Barbarei kannten wir auch, da wir unsere Jugend in einem Land erlebt hatten, das von Repression und Folter geprägt und von gnadenloser politischer Gewalt überzogen war. Aber Buchenwald übertraf das Vorstellbare.
Und dort wuchs auch unsere Identifkation mit der DDR, die durch eine humanistische Erziehung des Volkes versuchte, diese faschistische Barbarei auszurotten, die auch die schrecklichen Produkte des Chauvinismus und schlimmste reaktionäre und expansionistische deutsche Traditionen ablehnte, welche das Gefühl der rassischen Überlegenheit der Deutschen gegenüber anderen Völkern erzeugten.
Wir waren froh, dass die DDR als eines der führenden industrialisierten Länder der Welt angesehen wurde, was man uns auch ständig unter die Nase rieb, eine Praxis, die uns manchmal an neokoloniales Verhalten erinnerte, diesmal durch eine sozialistische Macht.
Langsam wurde uns aber auch bewusst, dass diese Prosperität auch Resultat der traditionellen Arbeitsmoral des deutschen Arbeiters war, die sich in der Fabrik ebenso wie in der intellektuellen Aktivität widerspiegelte. Andererseits wurde uns aber auch klar, dass vieles einfach Propaganda war, dass die hohe deutsche Leistungsfähigkeit manchmal nur auf dem Papier stand, dass der Arbeiter nicht sein Bestes gab, weil er mit dem System der staatlichen Kontrolle nicht einverstanden war, weil der Dirigismus der Partei und der Gewerkschaft nur Apathie, Gleichgültigkeit und Entfremdung von einem System erzeugte, das er als sein eigenes ansah. Wir wussten das, weil wir mehr als einmal in so einer Fabrik gearbeitet hatten, um unser Stipendium aufzubessern. Payeras kannte diese Orte bald hervorragend. Ich erinnere mich, dass in einer Fabrik in der Industriestadt Riesa Payeras während der Arbeitspausen entweder Marcel Proust oder den Zauberberg von Thomas Mann gelesen hat.
Diese ganze Situation in der DDR beeinflusste und desillusionierte uns. Aber das ließ uns nicht von unseren Idealen der sozialen Gerechtigkeit abkommen. Für uns war der Sozialismus die einzige Alternative zum Kapitalismus mit seiner langen Geschichte von Kriegen, Völkermord, menschlicher Barbarei, seiner Entfremdung des Menschen durch eine Politik des Konsums um des Konsums Willen. In Wirklichkeit hatte sich das System für uns zugespitzt, man billigte den Kampf unserer Länder überhaupt nicht. Wir mussten uns ganz der politischen Linie anpassen, denn nur dann bekamen wir Unterstützung beim Studium.
In den letzten Jahren machten wir mit einem anderen guatemaltekischen Freund postgraduale Studien, um unsere Bildung zu vertiefen und unser Wissen zu erweitern, und weil die Rückkehr nach Guatemala durch die herrschende Unterdrückung fast unmöglich gemacht wurde. Besonders gefährlich war es für uns, die wir hinter dem Eisernen Vorhang gelebt und studiert hatten. Deshalb mussten wir unsere Studien weiterführen und den Aufenthalt in Europa nutzen, um in den Archiven von Sevilla, Madrid oder London Dokumente zu finden.
Trotzdem warf man uns vor, den Kontakt zu den guatemaltekischen Freunden verloren zu haben und man lehnte uns als Rebellen mit eigener Meinung ab, weil wir nicht ganz mit der deutschen Politik übereinstimmten. Schließlich durften wir diese Reisen doch machen, Dank der Hilfe anderer Freunde, zum Beispiel Professor M. Kossok, der uns die ganze Zeit über unterstützte und ebenso wie Professor Walter Markov praktisch unsere gesamte historische Ausbildung bestimmt hatte.
Hinzu kam auch Payeras‘ Ablehnung des deutschen Sozialismus, die mich tief prägte. Ich erinnere mich, dass wir uns schon in der Erwartung der Abreise aus Berlin, Ende 1967, eines Abends trafen und er im Gespräch über das deutsche Regime und seine Verfehlungen wiederholte, dass der erste Schuss, den er in Guatemala als Rebell abgeben werde, gegen so ein System gerichtet sein werde.
Vor nicht allzu langer Zeit, 1988, aber bevor all die Bewegungen dem System des Staatssozialismus ein Ende setzten, betonte Payeras in einer Arbeit mit dem Titel Philosophie und Ökologie, das Recht oder die Pflicht des deutschen Arbeiters, jene von der Macht zu vertreiben, die in seinem Namen die Prinzipien des Sozialismus zunichte gemacht und entehrt haben. Er hielt auch eine Neugeburt des wissenschaftlichen Denkens und der marxistischen Philosophie für notwendig. Und es kann ohne eine neue Praxis der Philosophen keine neue Philosophie geben. Die Heimat der „großen Philosophie“ wird neue Meister hervorbringen, wenn der Albatros der Revolution wieder seine Flügel im Sturm ausbreitet und im sozialistischen Teil der Welt die Arbeiter mit der Subversion ihres eigenen Frühlings beginnen. Und deshalb griff Payeras zu den Waffen und er blieb sein ganzes Leben lang ein ewiger Rebell gegen etablierte Ordnungen, die dem Menschen das Recht auf die Fülle des Leben in Freiheit absprechen.
1989, nach mehr als zwei Jahrzehnten, hatten wir in Mexiko-Stadt die Möglichkeit, miteinander zu sprechen. Ich hatte wieder denselben Payeras vor mir, einfach wie immer, mit derselben Schlichtheit gekleidet, mit seinem feinen Lächeln, kontemplativ, halb komisch, das seinen tiefen Sinn für das Leben, wie er es kannte, ausdrückte. Das Gespräch verlief, als ob wir uns erst am vergangenen Tag aus den Augen verloren hätten. Er hatte schon einen langen Weg hinter sich, seine Gestalt war zusammen mit seinem literarischen Werk, das schon international anerkannt war, gewachsen. Aber auch seine politischen Taten und sein Leben als Guerillero hatten ihn in eine fast legendäre Persönlichkeit verwandelt.
Leider gibt es kein Wort, das man benutzen könnte, um sein Leben zu würdigen. Er hat es erfüllt gelebt, bis zur letzten Minute im Einklang mit seinen politischen Ideen und Überzeugungen. Trotzdem glaube ich, dass seine poetische und novellistische Schöpferkraft noch nicht erschöpft war, dass sie gerade erst begann, Früchte zu tragen. Ich denke, er hätte unserem Land und ganz Lateinamerika ein bedeutendes literarisches Werk schenken können, von der gleichen Bedeutung wie die Werke von Asturias, Cardoza y Aragón und Pablo Neruda, denen die Zeit zu ihrer Vollendung zur Verfügung gestanden hatte.
Als wir in Mexiko miteinander sprachen, war es schon einige Jahre her, dass er einen neuen politischen Weg eingeschlagen hatte und außerhalb des bewaffneten Kampfes Wege suchte, die ebenfalls zu Gerechtigkeit, Demokratie und sozialen Wohlstand für das guatemaltekische Volk führen würden. Es war in keiner Weise ein Wechsel der Ideale, sein Glaube an den Sozialismus als Ziel für die Menschheit war der gleiche, er lehnte bis zum letzten Augenblick den Kapitalismus als ein System ab, dass dem Menschen seine beste Verwirklichung verweigert. Seine Ablehnung des in Guatemala herrschenden Systems hat mir das Recht und die Pflicht bewusst gemacht, von dem Moment an dagegen zu sein, da durch die spanische Eroberung die indigene Zwangsarbeit begann. Trotzdem empfand er eine Müdigkeit und eine Abneigung gegen die Gewalt, die das Land so mit Blut befleckt hat, einen Wunsch, neue Mittel des politischen Kampfes zu finden.
Der Kampf geht weiter
Ein anderes Mal bat er mich um die Autorisierung des Druckes eines Textes, den ich über die Formen der Arbeit in der Kolonialepoche geschrieben hatte. Er war sehr beschäftigt mit redaktionellen Projekten, die durch die Förderung eines kritischen und pluralistischen intellektuellen Denkens der Befreiung Guatemalas dienen würden. Wenige Jahre zuvor hatte er mir in einer Notiz sein Interesse daran mitgeteilt, eine Zeitschrift herauszugeben. Die Zeitschrift sollte versuchen, alle kritischen Intellektuellen, deren Ziel der soziale und politische Wandel im Land ist, zu vereinen, heißt es wörtlich. Die Zeitschrift sollte zugleich intellektuelles Sprachrohr und Bindeglied der verschiedenartigen Fähigkeiten sein, mit hohem intellektuellen Anspruch und höchstmöglichem Niveau. Sie wird auf eine Art, die ihr Gewicht verleiht, die in ihrer Entwicklung die Übereinstimmung einer bürgerlichen und intellektuellen Ordnung repräsentiert und auch im Land neue Möglichkeiten erschließt, Sprecherin und kritische Referenz der Möglichkeiten des Landes sein. Sie wird nicht radikal sein, sondern pluralistisch. Er hatte sich vom bewaffneten Kampf losgesagt und genau diese Art von Projekten beschäftigte ihn, da er Wege im zivilen Leben suchte, durch seine literarische Arbeit und mit seinem Beispiel als in seinen Prinzipien unnachgiebiger politischer Mensch.
Sein Zeitschriftenprojekt wurde mit der Veröffentlichung von Jaguar-Venado Wirklichkeit. Er bereitete die vierte Nummer vor, als der Tod ihn in einem einfachen mexikanischen Krankenhaus überraschte. Eine Einfachheit, die ein Leben symbolisierte, das er für die Armen seines Landes lebte. Mit Payeras starb ein Teil unserer besten Jahre. Aber seine Haltung vor dem Leben, seine tiefe Liebe für Guatemala – das alles gekannt zu haben, hat unser eigenes Leben bereichert.
Übersetzung: Daniela Vogl, Gabi Töpferwein
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* Mario Payeras (1940-1995) : bedeutender guatemaltekischer Intellektueller. 1964-1967 Studium in Leipzig, danach Aufenthalt in Kuba und Mexiko, 1971-1984 Teilnahme am bewaffneten Kampf als Kommandante Benedicto, 2. Mann in der Hierachie des EGP, 1984 Bruch mit der Guerilla, Mitbegründer des Octubre Revolucionario, Herausgeber des Jaguar – Venado, einer Zeitschrift für Politik und Kultur, die in Mexiko herausgegeben wird.
Hallo bin Clrissa,bin auf der suche nach meinen Vater Mario Payeras, suche Fotos von meinen Vater.Er ist am 15.08.1940 in Guatemala gebuhren.ich bin am 04.06.68 in Leipzig Gebuhren.Suche kontakt zu seinen Freunden(Julius Pindo)Bitte um Kontakt.Liebe Grüße Clarissa,Deutschland
ICH bitte, um verständnis, (suche)Seinen Freund,Julio Pinto oder andere Freunde,(oderFamilie von Mario Payeras.Liebe Grüße Clarissa König Aus Deutschland