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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Guatemala, 27. Juni 1954: Staatsstreich gegen Arbenz

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 16 Minuten

Ein Lehrstück

Guatemala: Landwirtschaft mit Kaffeeanbau - Foto: Andreas BouekeVor 60 Jahren – am 27. Juni 1954 – erklärte Jacobo Arbenz, der demokratisch gewählte Präsident Guatemalas, seinen Rücktritt. Die Umstände und Konsequenzen dieses historischen Ereignisses machen es zu einem politischen Lehrstück, das heute noch unsere Aufmerksamkeit verdient.

Wer war Arbenz?

Juan Jacobo Arbenz Guzmán wurde am 14. September 1913 in Quetzaltenango (Xelajú), der zweitgrößten Stadt Guatemalas, geboren. Sein Vater, Hans Jakob Arbenz, war als junger Mann aus der Schweiz in das zentralamerikanische Land eingewandert, hatte dort Octavia Guzmán Caballeros, die aus einer angesehenen lokalen Familie stammte, geheiratet und eine eigene Apotheke betrieben. Der junge Jacobo trat 1932 in die Escuela Politécnica ein, um die Militärlaufbahn einzuschlagen. Er galt als einer der begabtesten Absolventen der bekannten Kadettenschule und war nach Erhalt seines Offizierspatents Ende 1935 dort selbst als Ausbilder tätig. Im März 1936 heiratete er María Cristina Vilanova, eine junge, sozial engagierte Salvadorianerin aus „gutem Hause“. Als sich Jacobo Arbenz 1944 entschloss, maßgeblich am Sturz der Militärdiktatur von Ponce Vaides mitzuwirken, verband sich sein persönliches Schicksal auf dramatische Weise mit der seines Heimatlandes Guatemala: Nach der erfolgreichen Erhebung vom 20. Oktober 1944 wurde Arbenz Mitglied einer dreiköpfigen Junta, die nach 14 Jahren Diktatur die ersten demokratischen Wahlen ermöglichte. In der neuen Regierung unter Präsident Arévalo wurde er Verteidigungsminister. In dieser Funktion verhinderte er 1949 einen reaktionären Putsch und trat in den Wahlen vom November 1950 als Präsidentschaftskandidat an. Mit 258.987 von 404.739 Stimmen gewählt, übte er ab März 1951 sein hohes Amt aus. Sein Regierungsprogramm ließ sich in drei Punkten zusammenfassen: ökonomische Unabhängigkeit, Umwandlung Guatemalas in ein modernes kapitalistisches Land und höchst mögliche Steigerung des Lebensniveaus der breiten Massen des Volkes. Kernstück dieses Transformationsprozesses war die 1952 begonnene Agrarreform. Mit ihrer konsequenten Durchführung erlangte der 1944 erkämpfte „demokratische Frühling“ eine revolutionäre Dimension, die nicht nur die Diktatoren der Nachbarländer, sondern auch die USA als imperialistische Supermacht auf den Plan rief.

Wie wurde Arbenz gestürzt?

Der Sturz von Jacobo Arbenz erfolgte auf Initiative und unter Mitwirkung der US-Regierung. Sie hatte zu diesem Zweck im Oktober 1953 John Peurifoy als Botschafter nach Guatemala entsandt und die CIA beauftragt, im kommende Jahr unter der Bezeichnung PBSUCCESS eine verdeckte Operation durchzuführen. Als Vorwand diente die im Kalten Krieg gängige Behauptung einer „kommunistischen Unterwanderung“. Unter dem Druck Washingtons erklärte die OAS im März 1954 auf ihrer Konferenz in Caracas, dass die Regierung Arbenz eine solche Gefahr verkörpere. Lediglich zwei Länder – Mexiko und Argentinien – enthielten sich der Stimme, nur Guatemala votierte dagegen. Die „Enthüllung“ einer Waffenlieferung aus der Tschechoslowakei, die auf dem schwedischen Schiff „Alfhem“ nach Guatemala transportiert worden war, heizte im Mai die Situation weiter an. Schließlich erfolgte nach einer entsprechenden „psychologischen Kriegsführung“ am 18. Juni von Honduras aus die Invasion einer von der CIA ausgerüsteten und gesteuerten Söldnertruppe unter Führung von Carlos Castillo Armas. Obwohl diese schon bald im grenznahen Gebiet feststeckte und bei den meisten Angriffen gescheitert war, bereitete sie den Boden für den entscheidenden Akt der Operation PBSUCCESS: den Verrat der guatemaltekischen Armee. Die Kommandeure der gegen Castillo Armas eingesetzten Truppen weigerten sich zu kämpfen und stellten Arbenz ein Ultimatum, durch das er sich zum Rücktritt gezwungen sah. US-Botschafter Peurifoy hatte nicht nur alles getan, um die Armeeführung in ihrem Vorgehen zu bestärken. Er sorgte nach Arbenz‘ Rücktritt auch dafür, dass sein Nachfolger trotz des Verbots der kommunistischen Partei nach nur zwölf Stunden durch US-hörige Offiziere ersetzt wurde und Castillo Armas am 3. Juli jubelnd in Guatemala-Stadt einmarschieren konnte. Damit hatte die Konterrevolution endgültig gesiegt.

Arbenz fand in der mexikanischen Botschaft Asyl. In den folgenden Jahren zog er mit seiner Familie ruhelos im Ausland umher. Neben Mexiko waren Prag, Moskau, Paris, Uruguay (ab 1957), Kuba (ab 1960), dann wieder Europa (Paris, Lusanne) und schließlich Mexiko (ab 1970) die Stationen seines erzwungenen Exils. In Uruguay trat Arbenz dann in den PGT ein. Nach dem Selbstmord seiner ältesten Tochter Arabella im Oktober 1965 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zusehens. Am 27. Januar 1971 kam Jacobo Arbenz in Mexiko unter bislang nicht geklärten Umständen ums Leben.

Warum wurde Arbenz gestürzt?

In der Literatur über den Sturz von Arbenz werden zumeist zwei Erklärungen angeführt: die ökonomischen Interessen der United Fruit Co. (UFCO) bzw. die geopolitische Perzeption der US-Regierung unter Eisenhower. Beide Akteure argumentierten mit dem Verweis auf die „kommunistische Gefahr“, die von Arbenz ausgehe, und beide waren durch die Gebrüder Dulles nicht nur personell miteinander verbunden. John Foster Dulles war damals US-Außenminister und sein Bruder Allan fungierte als Direktor der CIA. Zugleich waren die Dulles-Brüder geschäftlich und finanziell aufs engste mit der UFCO liiert.

Von Autoren, die den ökonomischen Interessen den Vorrang bei der Begründung des Vorgehens gegen Arbenz einräumen, wird geltend gemacht, dass die UFCO bereits vor 1954 versucht hatte, diesen zu stürzen, und dass ihre Einflussnahme bei der diesbezüglichen Entscheidung der US-Regierung maßgeblich gewesen sei. Außerdem war der „kommunistische Einfluss“ bei genauerem Hinsehen eher gering: Die Partei der Arbeit (PGT), wie sich die guatemaltekischen Kommunisten seit ihrer Legalisierung 1952 nannten, hatten nur vier Sitze im Parlament und verfügte im besten Falle über 4.000 Mitglieder. Warum hat sich Washington dann erstmals seit Franklin D. Roosevelts Politik der „Guten Nachbarschaft“ entschlossen, in Lateinamerika zu intervenieren? Wurde der Einfluss der Kommunisten bewußt übertrieben oder ist die US-Regierung wirklich davon ausgegangen, dass Guatemala dem Kommunismus anheim gefallen war oder es bald soweit sein könnte?

Es ist müßig, die genannten Positionen gegeneinander abzuwägen. Alle gehören zum Gesamtbild, ohne dass dieses damit schon hinreichend umrissen ist. Der entscheidende Kern, der zugleich alle Puzzleteile miteinander verbindet, ist die Arbenz’sche Agrarreform. Aber auch dieses Argument ließe sich mit Verweis auf die moderaten Bestimmungen des Dekrets No. 900 und die Ähnlichkeit mit den Reformen in Japan und Taiwan, die unter US-Regie bzw. mit deren Billigung durchgeführt wurden, kontern.

Die Agrarreform von 1952: Moderat oder gefährlich?

Eigentlich hätte Washington das Regierungsprogramm von Arbenz begrüßen oder wenigstens tolerieren müssen. Das ernst gemeinte Ziel von Arbenz – und das der guatemaltekischen Kommunisten – war ein demokratisches, modernes, kapitalistisches Guatemala, das aber auch selbstbestimmt sein sollte. Die Agrarreform war als Motor dieses Transformationsprozesses konzipiert: Umverteilung des Landes, um einerseits aus den armen, ausgebeuteten campesinos selbständige Bauern analog den Farmern in den USA zu machen, andererseits um die rückständigen „feudalen“ Großgrundbesitzer in moderne Agrarkapitalisten zu verwandeln. Auf dieser Grundlage sollte ein kaufkräftiger Binnenmarkt entstehen und ein Industrialisierungsprozess angestoßen werden. Ein Weg also, wie ihn Japan und die ostasiatischen „Tiger“ – mit Unterstützung der USA – gegangen waren.

Auch die Umverteilung selbst erfolgte nach moderaten Kriterien: Enteignet wurde nur nicht bebautes Land, für das Entschädigungen vorgesehen waren. Es gab vertretbare Obergrenzen für das nicht zu enteignende Land (90 ha ohne Einschränkungen; 270 ha bei 2/3 Bewirtschaftung). Kollektive Bewirtschaftung war nur in Ausnahmefällen und auf freiwilliger Basis vorgesehen. Die Umsetzung sollte unter aktiver Teilhabe der Landbevölkerung und über speziell eingerichtete Behörden erfolgen. Insgesamt wurden in zwei Jahren knapp 900.000 ha an 138.000 campesinos verteilt, davon 609.000 ha Privatland, das zuvor enteignet worden war. Das meiste Land (160.000 ha) büßte die UFCO ein, die bis dahin der größte Grundbesitzer in Guatemala war, aber immerhin knapp 30 Prozent ihres ursprünglichen Besitzes behalten konnte.

Warum also musste Arbenz gestürzt werden? Die Frage stellt sich um so mehr, da die USA die militantere Agrarreform 1953 in Bolivien tolerierten. Zur Erklärung für das Vorgehen Washingtons gegen Arbenz lassen sich drei miteinander verknüpfte Faktoren anführen:

Erstens sahen alle Arbenz-Gegner in der politischen Mobilisierungsdynamik des Enteignungs­prozesses eine Gefahr. Die Durchführung der Agrarreform wurde maßgeblich von örtlichen Agrarkommittees getragen, an deren Bildung die Gewerkschaften und Bauernverbände beteiligt waren. Dies führte zu eine Politisierung und Organisierung der Landbevölkerung, wie sie Guatemala bis dahin noch nicht erlebt hatte. Hinzu kam, dass sich gerade die Kommunisten in diesem Prozess engagierten. Diese Entwicklung passte weder der UFCO noch der guatemaltekischen Oligarchie. Aber auch aus Sicht der US-Regierung lief der Prozess in die falsche Richtung, da er die Kommunisten zu stärken drohte. Gleiches gilt für die antikommunistisch eingestellte Mehrheit des Militärs, die zudem befürchtete, ihrer bisherigen Kontrollmöglichkeiten und Machtpositionen verlustig zu gehen.

Zweitens waren im Unterschied zu Bolivien im guatemaltekischen Fall mächtige US-Unternehmen direkt betroffen. Die UFCO, die in vielen karibischen und zentralamerikanischen Ländern aktiv war, befürchtete nicht nur den Machtverlust und die ökonomischen Einbußen in Guatemala, sondern auch die Beispielwirkung auf andere „Bananenrepubliken“. Sie versuchte deshalb alles in ihrer Macht stehende zu tun, um Arbenz die Luft abzudrehen.

Drittens spielt der geopolitische Kontext eine gewichtige Rolle. Für die USA gehört Guatemala zu ihrem Hinterhof. Aus der Sicht Washingtons barg der von Arbenz in Gang gesetzte Prozess die Gefahr in sich, dass er erfolgreich sein und Nachahmer in der unmittelbaren Einfluss- und Sicherheitszone Washingtons finden könnte. Für die USA gab es also genügend Gründe, dem Arbenz’schen Paradigma den Krieg zu erklären. Allerdings ergeben sich daraus zwei weitere Fragen: Welchen Preis hatte dieses Vorgehen der USA? Und warum war Washington mit relativ geringem Aufwand in der Lage, Arbenz zu stürzen?

Hätte Arbenz seinen Sturz verhindern können?

Arbenz selbst bekennt im Exil, mehrere Fehler begangen zu haben: Erstens habe er zu lange der Armee vertraut und zweitens nicht rechtzeitig durchsetzen können, das Volk, das für die Verteidigung der Revolution zu kämpfen bereit war, zu bewaffnen. Kritiker von rechts werfen ihm vor, dass er sich gar nicht erst mit den USA hätte anlegen dürfen und auch die Zusammenarbeit mit den Kommunisten sei ein fataler Fehler gewesen. Von links wird er mit ähnlichen Argumenten bedacht, die er selbstkritisch als Gründe seines Scheiterns genannt hat – fehlende oder zu späte Mobilisierung der Volksmassen gegen die vereinte Konterrevolution. Will man eine Antwort finden, die den historischen Bedingungen vor 60 Jahren entspricht, so muss man zweierlei zueinander in Bezug setzen: zum einen die Möglichkeiten der Revolutionäre um Arbenz, zum anderen die Absichten und die Macht der USA.

Das Projekt von Arbenz ergab sich sowohl aus der inneren Logik des 1944 begonnenen Reformprozesses als auch aus den strukturellen Zwängen der historischen Entwicklung Guatemalas. Arbenz und seiner Anhänger gingen genau die Probleme an, die der weiteren Entwicklung der guatemaltekischen Gesellschaft im Wege standen: Sie wagten sich an die Agrarfrage und wollten sie so lösen, wie es für das Land und die Masse der Bevölkerung am besten war. Man kann ihnen vorwerfen, dass sie den zu erwartenden Widerstand gegen ihr Projekt falsch eingeschätzt haben und deshalb nicht die erforderlichen Gegenmassnahmen getroffen haben. Aber vor allem muss man ihnen zugestehen, dass sie das historisch Notwendige und politisch Sinnvolle durchzusetzen versucht haben. Auch ein kleines Land wie Guatemala hat das Recht, seinen Weg selbst zu wählen. Das Scheitern von Arbenz ist zuvörderst der Arroganz der USA anzulasten.

Mit Guatemala standen die USA 1954 in der westlichen Hemisphäre vor einer grundsätzlichen Entscheidung, die bis heute nachwirkt: Entweder tolerieren sie ein Reformprojekt, das auf kapitalistische Modernisierung zielt, dabei aber auf die Mobilisierung der Volksmassen setzen muss, um erfolgreich zu sein – oder sie setzen ihre Macht ein, um dies im Sinne des status quo ante zu verhindern. Wie der paradigmatische Fall von Arbenz zeigt, haben sie letzteres gewählt. Aber um welchen Preis?

Arbenz‘ Vermächtnis

Die zehn Jahre zwischen dem 20. Oktober 1944 und dem 27. Juni 1954 sind wohl die besten, hoffnungsvollsten und glücklichsten in der Geschichte des guatemaltekischen Volkes. Danach begann eine 60jährige Tragödie in mehreren Akten: Militärdiktaturen (1954 bis 1985), Bürgerkrieg (1960-1996), Genozid (1978-1983), ausufernde Gewalt, organisierte Kriminalität, Straflosigkeit, parallele Machtstrukturen (poderes ocultos) trotz Demokratisierung (seit 1985) und Friedensvertrag (seit 1996). Immer wieder unternahmen Arbeiter, campesinos, Studenten und Militärs den Versuch, diese blutige Kette der Repression und des Staatsterrors zu unterbrechen. Der Militäraufstand vom 13. November 1960, die Studenten- und Arbeiterproteste von 1962, die Guerillakämpfe zwischen 1962 und 1996, ein weiterer großer Protestzyklus von 1976 bis 1980 waren Meilensteine des Volkswiderstandes. Den entscheidender Bezugspunkt all dieser Kämpfe bildete das Vermächtnis von Arbenz.

Der Sieg der kubanischen Revolution 1959 schuf für ganz Lateinamerika und damit auch für die Bewertung und die Realisierungschancen des Vermächtnisses von Arbenz ein neues Koordinatensystem. Die Überwindung von Rückständigkeit und Abhängigkeit sollte nunmehr im Rahmen einer sozialistischen Revolution erreicht werden. Für die Anhänger Fidel Castros und Ernesto Ché Guevaras war der bewaffnete Kampf in möglichst vielen Ländern Lateinamerikas der Weg, auf dem sich diese Umwälzung auf kontinentaler Ebene verwirklichen sollte. Die Guerilla- und Volkskämpfe in Guatemala verstanden sich einerseits als legitime Erben des Arbenz’schen Projektes und bildeten andererseits einen Teil des kontinentalen Kampfes für eine alternative sozialistische Gesellschaft.

Nach der Epochenwende von 1989 sieht sich Arbenz‘ Vermächtnis erneut in ein verändertes Bezugssystem gestellt. In der Ära neoliberaler Globalisierung und angesichts der Gefahr eines gescheiterten Staates in Guatemala bildet es eine unabdingbare Quelle der Hoffnung, des Stolzes und der Würde. Darüber hinaus lassen sich anhand der historischen Erfahrungen der guatemaltekischen Oktoberrevolution 1944-1954 die ungelösten Strukturprobleme des Landes präzise benennen: die Agrarfrage – heute erweitert um die Forderung nach Ernährungssouveränität, die Demokratiefrage in all ihren Facetten (partizipative Dimension, Kontrolle des Militärs und der Sicherheitskräfte, Wirtschaftsdemokratie – um nur die wichtigsten zu nennen), die Frage nach einem zukunftsfähigen Entwicklungsmodell – diesmal im Rahmen des globalen Krisenkapitalismus, der einerseits die soziale Polarisierung weltweit forciert, andererseits bei der Bewältigung von Klimawandel, Energiekrise und Weltwirtschaftskrise versagt.

Zur Neubewertung des Vermächtnisses von Arbenz gehört auch die Frage, welche Stellung die indigene Bevölkerungsmehrheit des Landes in Gesellschaft und Staat einnehmen soll. Arbenz hatte noch versucht, das so genannte Indio-Problem im Rahmen der Agrarreform zu lösen. Die Maya-Bevölkerung des Landes wurde damals primär in ihrer sozialen Existenz als campesinos wahrgenommen und angesprochen. Durch Verbesserung ihrer Produktions- und Lebensbedingungen sollten sie als gleichberechtigte Bürger in die guatemaltekische Gesellschaft integriert werden. Dieses Integrationsangebot implizierte eine einseitige kulturelle Anpasssung (Akkulturation) an die mestizische Ladino-Bevölkerung – verbunden mit der Preisgabe der indigenen Identität. Die indigene Renaissance, die in den 1970er begann und ab 1992 ganz Lateinamerika erfasste, hat auch in Guatemala die Bedingungen für das gleichberechtigte Zusammenleben der verschiedenen Ethnien und Kulturen grundlegend verändert. Die indigene Bevölkerung hat ihr Schicksal selbst in die Hände genommen und beginnt nach dem Vorbild Boliviens eine Neugründung Guatemalas auf plurinationaler Grundlage zu fordern. Damit ist die Agrarreform von Arbenz keineswegs obsolet geworden. Sie bildet mit ihren notwendigen Erweiterungen gerade heute ein unverzichtbares Zentralelement bei der Neugründung Guatemalas.

Der Arbenz-Faktor

Die US-Intervention gegen Arbenz hatte nicht nur weitreichende Folgen für Guatemala, sondern für die gesamte westliche Hemisphäre. Der „Arbenz-Faktor“, auf den Mark Hove in Hinblick auf die Beziehungen zwischen den USA und Chile aufmerksam macht, hat in Lateinamerika auf drei zentralen Feldern seine Wirkung gezeitigt:

Erstens hat Guatemala 1954 entscheidend die revolutionäre Strategie von Fidel Castro und Ché Guevara geprägt. Der junge Ernesto Guevara war am 20. Dezember 1953 nach Guatemala gekommen und musste ein halbes Jahr später erleben, wie die USA dem hoffnungsvollen Vorhaben der Regierung Arbenz ein brutales Ende bereiteten. Seine Erfahrungen in Guatemala 1954 machten ihn zum Revolutionär. Er und mit ihm die kubanischen Revolutionäre unter Fidel Castro zogen aus den guatemaltekischen Ereignissen zwei entscheidende Lehren: Statt auf Reform zu setzen und dabei auf die Gnade Washingtons zu hoffen, sollte die Linke von vornherein einen revolutionären Kurs einschlagen; desweiteren erfordert eine Revolution, die erfolgreich sein wollte, die Bewaffnung des Volkes. Wie recht die kubanischen Revolutionäre damit hatten, zeigte sich im April 1961. Die von den USA lancierte Invasion bewaffneter Exil-Kubaner in der Schweinebucht folgte dem Muster von PBSUCCESS. Washington hoffte den Coup von 1954 wiederholen zu können. Im Unterschied zu Guatemala war jedoch in Kuba die alte Armee zerschlagen und aus den guerrilleros der Sierra Maestra sowie den Volksmilizen eine schlagkräftige Revolutionsarmee geschmiedet worden. Nach vier Tagen harter Kämpfe mussten sich die Invasoren geschlagen geben. Die Kubaner hatten bewiesen, dass sie ihre Revolution gegen die USA erfolgreich verteidigen konnten. In diesem Sinne hat der „Arbenz-Faktor“ einen wesentlichen Beitrag zum Sieg der kubanischen Revolution geleistet.

Zweitens bewirkte der „Arbenz-Faktor“ eine Radikalisierung großer Teile der lateinamerikanischen Linken. Die US-Invasion von 1954 löste auf dem gesamten Kontinent eine breite Protestwelle aus. Wie in Chile begriffen auch die Reformer in den anderen Ländern Lateinamerikas, dass Washington nicht bereit waren, einen zweiten Arbenz zu tolerieren. Statt dessen favorisierten die USA die Zusammenarbeit mit Diktatoren jeglichen Coleurs, sofern diese nur straff antikommunistisch gesinnt waren. Zusammen mit der kubanischen Revolution beförderte der „Arbenz-Faktor“ die Guerillakämpfe der 1960er und 1970er Jahre. Als Kennedy mit seiner „Allianz für den Fortschritt“ zur Verhinderung eines zweiten Kubas seinerseits ein Reformsignal an Lateinamerika sandte, war es zu spät. Die Enttäuschung von 1954 saß südlich des Rio Grande zu tief, um den USA noch Vertrauen entgegen bringen zu können. Die Invasion Johnsons 1965 in der Dominikanischen Republik bestätigte nur, wie recht die Lateinamerikaner damit hatten.

Drittens zeigt der „Arbenz-Faktor“, wie sehr der Antikommunismus Washington an einer realistischen und unvoreingenommenen Wahrnehmung der Entwicklung in Lateinamerika hinderte. Wenn – wie das Beispiel von Arbenz zeigt – die US-Regierung alle nationalen Reformbewegungen mit der „kommunistischen Bedrohung“ des westlichen Hemisphäre gleichsetzte, nur weil Kommunisten daran teilnahmen, dann konnte dies für die langfristigen Interessen der USA nur kontraproduktiv sein. Man kann sogar behaupten, dass der „Arbenz-Faktor“ die These vom „demokratischen Frieden“ widerlegt. Immerhin setzte der „demokratische Frühling“, den Guatemala zwischen 1944 und 1954 erlebte, neue Maßstäbe in Sachen Demokratie für ganz Lateinamerika. Dennoch waren die USA als Führungsmacht der „freien Welt“ bereit, das kleine Land militärisch zu unterwerfen. Dabei kungelten sie auch noch ungeniert mit Diktatoren und nahmen billigend in Kauf, dass Guatemala in einem blutigen Albtraum versank. Der Sturz von Arbenz erwies sich für die USA als Pyrrhus-Sieg und – im negativen Sinne – als ein Schlüssel­ereignis des Kalten Krieges. Damit ist er ein Lehrstück nicht nur für Guatemala und Lateinamerika, sondern auch und im Besonderen für die USA.

Literatur:

Cambranes, Julio Castellanos: Jacobo Arbenz Guzmán: Por la Patria y la Revolución en Guatemala, 1951-1954. Guatemala, COPREDEH 2011

Cullather, Nick: Secret History: The CIA’s Classified Account of the Operations in Guatemala, 1952-1954. Stanford 2006

Gleijeses, Piero: Shattered Hope – The Guatemalan Revolution and the United States, 1944-1954. Princeton 1991

Hove, Mark: The Arbenz Factor: Salvador Allende, the U.S.-Chilean relations, and the 1954 U.S. Intervention in Guatemala, in: Diplomatic History 31 (Sep. 2007) 4, S. 623-663

Immerman, Richard: The CIA in Guatemala. The Foreign Policy of Intervention. Austin 1982

Roa, Raul: Arbenz und die Oktoberrevolution. Deutsche Übersetzung des Interviews mit Jacobo Arbenz in der Revista Bohemia vom 14. Nov. 1954, in: Quetzal, Heft Nr. 14, Winter 1995, S. 12-15

Schlesinger, Stephen/Kinzer, Stephen: Bananenkrieg. CIA-Putsch in Guatemala. Hamburg 1984

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Bildrechte: [1] Andreas Boueke_

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