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Interview mit Sául Baños
Rechtsanwalt und Mitarbeiter in der salvadorianischen Menschenrechtsorganisation FESPAD

Andrea Lammers | | Artikel drucken
Lesedauer: 17 Minuten

Das historische Gedächtnis El Salvadors ist in Gefahr

Unterliegt die katholische Kirche dem Druck ehemaliger Täter, die um ihre bisher garantierte Straffreiheit bangen?

El Salvador: FESPAD Mitarbeiter Saul Banos (rechts) über Tutela Legal - Quetzal-Redaktion,amFür die überlebenden Opfer aus dem Bürgerkrieg und die Familienangehörigen Tausender von Toten war das Rechtshilfebüro des Erzbistums von San Salvador, die Oficina de Tutela Legal, ein sicherer und nahezu geheiligter Ort. Bis zum 30. September 2013. An diesem Tag schloss Erzbischof José Luis Escobar Alas das 1982 gegründete Büro plötzlich. Die zwölf Mitarbeiter durften die Räume im Inneren des erzbischöflichen Ordinariats nicht mehr betreten und bekamen ihre Kündigung ausgehändigt. Im einzigartigen Archiv der Tutela Legal lagern etwa 50.000 Akten mit Zeugenaussagen und Dokumenten darunter viele, die sich auf die 227 Massaker an Zivilisten beziehen, die während des Krieges 1980 bis 1992 überwiegend von Armee und Todesschwadronen begangen wurden. Die Ankündigung des Erzbischofs, das Büro werde im Januar 2014 unter dem Namen Tutela de Derechos Humanos (Rechtshilfebüro für Menschenrechte) und der Leitung des Jesuitenpaters Luis Alonso Coto neu eröffnet, lässt viele Fragen offen. QUETZAL sprach im November 2013 mit Sául Baños von der salvadorianischen Menschenrechtsorganisation FESPAD über die möglichen Hintergründe der Schließung der historischen Tutela Legal.

 

Sául Antonio Baños Aguilar ist Rechtsanwalt und langjähriger Mitarbeiter der Studienstiftung für angewandtes Recht (Fundación de Estudios para la Aplicación del Derecho – FESPAD), einer renommierten Menschenrechtsorganisation in San Salvador. Er leitet dort die Abteilung für wirtschaftliche, soziale, kulturelle und Umweltrechte. Im November 2013 referierte Saúl Baños auf einer vom Ökumenischen Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V. organisierten Rundreise zum Thema „Assozierungsabkommen Europa – Zentralamerika“. Aufgrund der aktuellen Ereignisse und seiner persönlichen Kenntnis der Tutela Legal willigte er in ein Interview zu diesem Thema ein.


Bischof Escobar Alas sprach zunächst davon, Tutela Legal  sei nicht mehr nötig, weil ihre Ziele erreicht seien. Zwei Tage später änderte er seine Version und behauptete, das Büro werde nur neu organisiert. Später sagte er der Internetzeitschrift
El Faro, es habe „Unregelmäßigkeiten, Korruption und eine Zweckentfremdung der Arbeit“ gegeben, ohne das aber zu belegen oder gar juristische Schritte einzuleiten. Was ist denn der wirkliche  Hintergrund für die Schließung der Tutela Legal?

Eine Annahme ist, dass Bischof Escobar Alas naiverweise wirklich angenommen hat, Tutela Legal sei nicht länger nötig. Aber das ist eine ziemlich schwache Annahme. Die zweite Hypothese ist, dass der Bischof unter Druck gesetzt wurde. Und zwar von mächtigen Leuten, die eine Strafverfolgung fürchten, falls das Amnestiegesetz aus dem Jahr 1993 für verfassungswidrig erklärt wird. Das wird deshalb für möglich gehalten, weil am 20. September 2013 die entsprechende Klage einer Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern von der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes zugelassen wurde. Es kann natürlich auch sein, dass das Amnestiegesetz bestehen bleibt, das wissen wir nicht. Eine weitere Hypothese besagt, dass es bei der Schließung von Tutela Legal darum geht, dem Image des Präsident­schaftskandidaten der Regierungspartei FMLN, Salvador Sánchez Cerén, zu schaden. [1] Ich halte aber die zweite Hypothese für am plausibelsten.

Aber immerhin hat Sánchez Cerén sich doch erst kürzlich auch für die Beibehaltung des Amnestiegesetzes für Verbrechen aus der Zeit des bewaffneten Konfliktes ausgesprochen.

Der FMLN hat sich zu dem Thema nicht offen geäußert. Ich sehe es so, dass jetzt im Wahlkampf alle möglichen Interpretationen in die Welt gesetzt werden und dass irgend etwas, was Sánchez Cerén gesagt haben mag, aus dem Zusammenhang gerissen und von den konservativen Medien entsprechend interpretiert wurde.

Welche Haltung hat denn FESPAD zu dem Thema?

Wir als FESPAD haben mit vorangetrieben, dass das Amnestiegesetz als verfassungswidrig erklärt werden soll. María Silvia Guillén, die Direktorin von FESPAD, gehört zur Gruppe der Kläger.  Seit das Amnestiegesetz 1993 verabschiedet wurde, haben wir die Auffassung vertreten, dass es verfassungswidrig ist und abgeschafft werden muss, damit den Leuten, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, der Prozess gemacht werden kann. Solange das nicht der Fall ist, gibt es in El Salvador keine Versöhnung, keine Wahrheit, keinen Frieden.

„Solange das Amnestiegesetz gilt, gibt es in El Salvador keine Versöhnung, keine Wahrheit, keinen Frieden.“

Nach internationalem Recht können aber Verbrechen gegen die Menschlichkeit  doch ohnehin nicht amnestiert werden, Gesetz hin oder her. So verstehe ich zumindest auch die Entscheidung des Interamerikanischen Gerichtshofes, der El Salvador verpflichtet hat, das Massaker von El Mozote [2] zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Für uns besteht da aber durchaus ein internes, verfassungsrechtliches Problem. Das Amnestiegesetz ist nämlich ein nachrangiges Gesetz. Deshalb folgt die Argumentation vor der Verfassungskammer genau dieser Linie: Das Amnestiegesetz verletzt  die Prinzipien der Verfassung und muss außer Kraft gesetzt werden. Erwähnenswert ist allerdings, warum es jetzt überhaupt möglich wurde, darüber vor Gericht zu streiten. Das liegt an der neuen Zusammensetzung der Kammer. Die früheren Verfassungsrichter standen alle der Partei ARENA nahe. Sie hatten keinerlei Interesse daran, sich mit unserer Klage zu beschäftigen. Die neu zusammengesetzte Kammer hat sie nun studiert, diskutiert und zugelassen. Das hat die konservativen Sektoren des Landes natürlich in Angst versetzt.

Allerdings macht  man sich da abhängig von der Entscheidung einer Verfassungskammer, die  – vorsichtig ausgedrückt – sehr umstritten ist und oft sehr parteiische Urteile zu fällen scheint.

Es gibt Sektoren der Gesellschaft, die zur Linken zählen, wenn man das mal so nennen will, die weiterhin behaupten, dass das Verfassungsgericht zugunsten der Rechten urteilt. In den Medien versteht es die Rechte bestens, es so darzustellen, als würden ihre Positionen bestätigt und die Urteile gingen allesamt gegen die Linke und besonders die FMLN. Tatsächlich hat die Verfassungskammer einigen Regierungsprojekten einen Riegel vorgeschoben, und da ging der Streit los. Die Rechte nutzt das weidlich aus und versucht die Dinge  so darzustellen, als würde die Verfassungskammer ihren Direktiven folgen.

„Die Stärkung einer unabhängigen Judikative ist wichtiger als der Streit um die Urteile der Verfassungskammer.“

Es gibt nur ganz wenige Organisationen in El Salvador, die das anders sehen. Wir als FESPAD meinen, dass die derzeitige Verfassungskammer völlig anders arbeitet als seine Vorgänger. Früher waren weder der Oberste Gerichtshof noch die Verfassungskammer unabhängig. Sie waren immer eine Art Rechtsbüro des Präsidenten. Das ist jetzt anders. Ich sage das, weil auch uns einige Urteile der aktuellen Verfassungskammer überhaupt nicht passen. Wir finden sie schlecht, meinen aber dennoch, dass die Stärkung einer unabhängigen Judikative wichtiger ist.

Zurück zur Situation nach der Schließung der Tutela Legal.  Es gibt ja mehrere Lösungsvorschläge für die ziemlich verfahrene und auch heikle Situation. Wie stellt sich das Panorama derzeit dar?

Zunächst hat die  staatliche Ombudsstelle für Menschenrechte die Exekutive angewiesen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um schnellstmöglich die Gesamtheit der Archive der Tutela Legal zu sichern. Das für das nationale Kulturerbe zuständige Staatssekretariat hat also ein Dekret herausgegeben, das dem Erzbistum auftrug, die Unversehrtheit des Archivs zu gewährleisten. Gleichzeitig schrieben verschiedene, auch internationale, Organisationen an den apostolischen Nuntius, an den Papst usw. Und wir demonstrierten vor dem Erzbistum und vor der Kathedrale in der Hauptstadt, um einen gewissen Druck aufzubauen. Am 18. Oktober mischte sich dann die Generalstaatsanwaltschaft ein und durchsuchte die Räume der Tutela Legal im erzbischöflichen Ordinariat. Laut Staatsanwaltschaft wurden Akten von 34 Fällen mitgenommen, die für die Generalstaatsanwaltschaft angeblich „von Interesse“ waren.  Das war an einem Freitag. Am darauf folgenden Montag gab der Generalstaatsanwalt eine Pressekonferenz mit den entsprechenden Aussagen. Später teilte er mit, die Informationen seien der Tutela Legal zurückgegeben worden. Zuvor hatte ein hochrangiger Würdenträger der katholischen Kirche, der Vizekanzler der Bischofskonferenz, Monseñor Urrutia, aber bereits gesagt, die Staatsanwaltschaft habe keinerlei Akten mitgenommen. [3] Ein ähnlich widersprüchliches Hin- und Her gab es bei zwei Pressekonferenzen des Erzbischofs.

Tutela Legal war das Erbe des 1980 ermordeten Erzbischofs Oscar Romero. Das Rechtshilfebüro des Erzbistums von San Salvador wurde nach der Ermordung Romeros von seinem Nachfolger Monseñor Rivera y Damas 1982 als Fortführung  des jesuitischen Soccoro Jurídico Cristiano unter dem Dach des Erzbistums gegründet. Eine langjährige Mitarbeiterin aus Romeros Arbeitsteam, Dr. María Julia Hernández leitete Tutela Legal bis zu ihrem Tod 2007. Die Mitarbeiter des Büros vertraten bedeutende Fälle vor internationalen Gerichten, wie zum Beispiel den des Massakers von El Mozote. Auch nach dem Friedensschluss 1992 nahm sich das Rechtshilfebüro Fällen von Menschenrechtsverletzungen an. Einer der bekanntesten betrifft die Batteriefabrik Record. Tutela Legal engagierte sich, zum Ärger einiger konservativer Kleriker, aber auch in anderen Bereichen, z.B. der Gewaltprävention und der Arbeit mit Jugendlichen.

Die heutige Situation hat damit zu tun, dass das Erzbistum Widerspruch gegen die Anordnung des Kulturstaatssekretariats einlegte. Und zwar beim der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes. Wir fanden es recht seltsam, dass die katholische Kirche sich dabei ausgerechnet von einem Anwalt vertreten ließ, der in der Vergangenheit FUSADES [Fundación Salvadorena para el Desarollo Económico y Social – eine unternehmernahe Stiftung, Anm. d. Red.] und ANEP [Asociación Nacional de Empresa Privada – Verband der Privatunternehmen, Anm. d. Red.] vertreten hat. Merkwürdig. Jedenfalls urteilte die Kammer zugunsten der katholischen Kirche.

„Das Archiv gehört nicht der katholischen Kirche, sondern den Opfern.“

Mit diesem Urteil treten wir in eine neue Phase ein. Es verändert den ganzen Prozess, der sich vorher angebahnt hatte. Die Resolutionen der staatlichen Ombudsstelle für Menschenrechte können nicht mehr durchgesetzt werden. Als ich das Urteil der Verfassungskammer gelesen habe, habe ich mich schon sehr über einige Konzepte gewundert, die da angewendet wurden. Die Kammer bezieht sich auf Artikel 26 unserer Verfassung, der in etwa folgendes besagt: „Der Status der katholischen Kirche als eigene Rechtsperson wird anerkannt“. Das heißt, der katholischen Kirche wird ein ziemlich hoher Status zuerkannt, auch wenn es an anderer Stelle heißt, dass der salvadorianische Staat nicht-konfessionell sei. Aber so ist das eben mit unserer Verfassung aus dem Jahr 1983, die – nebenbei bemerkt – unter einer ARENA-Regierung verabschiedet wurde. Diese Verfassung ist bis heute gültig. Außerdem hatte das Erzbistum sich auf spezielles Kirchenrecht berufen. Und so besagt das Urteil nun, dass das Archiv der Tutela Legal Privateigentum sei und der katholischen Kirche  gehöre. Diese Auffassung teilen wir überhaupt nicht! Legalistisch kann man vielleicht so argumentieren, legitimerweise gehört das Archiv aber keineswegs der katholischen Kirche. Die Informationen im Archiv stammen schließlich von den Familienangehörigen der Opfer und von den Opfern selbst. Soweit sie überlebt haben. Zum Beispiel von Gefangenen, die gefoltert wurden und später die Unterstützung des Rechtshilfebüros suchten. Also bleiben wir dabei, dass diese Informationen nicht Privatbesitz der katholischen Kirche sind! Und wir haben Vorschläge gemacht, wie Opfern, Wissenschaftlern und Institutionen, die ein Interesse an der Wahrheitsfindung haben, der Zugang zu dem Archiv gewährleistet werden kann.

Gleichzeitig hat sich eine Initiative gegründet, die ein neues Rechtshilfebüro unter dem Namen  Maria Julia Hernández aufbauen möchte. Sie stammt von den entlassenen früheren Mitarbeitern der Tutela Legal, dem ehemaligen Leiter Ovidio Mauricio González und seinen Kollegen. Sie haben Statuten ausgearbeitet und legen sie jetzt dem Innenministerium vor, um als juristische Person anerkannt zu werden. Sobald das geschehen ist, könnte dieses Rechtshilfebüro einige Fälle weiterverfolgen. Mit der Einschränkung des fehlenden Zugangs zum Archiv. Dafür müssten dann eben die entsprechenden Mechanismen gefunden werden. Diese Mitarbeiter vertreten ja immerhin einige Opfer vor nationalen und internationalen Instanzen, wie der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof. Das kann der Erzbischof nicht ändern. Denn es sind die Opfer, die ihre Rechtsvertreter bestimmen, nicht das Erzbistum. Ihre Position muss gestärkt werden.

Die Ombudsstelle für Menschenrechte hat den Vorschlag gemacht, eine Stiftung zu gründen, um möglichst viele Sektoren in das weitere Vorgehen einzubeziehen. Ich persönlich glaube, dass so eine Rechtsform, in der verschiedene gesellschaftliche Sektoren, nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen und die staatliche Ombudsstelle für Menschenrechte gemeinsam den guten Gebrauch und die Integrität des Archives der Tutela Legal garantieren, der richtige Weg wäre. [4]

„Es können Akten verschwinden, aber auch Informationen hinzugefügt werden, die historisch gar nicht vorhanden waren.“

El Salvador: Präsident Mauricio Funes - Foto: Agencia Brasil, Wilson DiasEs fällt auf, dass mal von 30.000, mal von 50.000 oder mehr Akten die Rede ist. Offenbar hat niemand einen Gesamtüberblick über den Inhalt und Umfang des Archivs. Da liegt doch immer der Verdacht nahe, dass manipuliert werden kann.

Und diese  Manipulationen können verschiedener Art sein: Es kann etwas herausgenommen, zerstört, aber auch Informationen hinzugefügt werden, die historisch gar nicht vorhanden waren. Ich glaube, es gibt niemand, der weiß, wieviel Akten genau das Archiv der Tutela Legal umfasst. Ich wage das zu behaupten, weil ich das Archiv kenne. Es sieht durchaus wohlgeordnet aus, mit guten Metallbehältern etc. Aber es hat keinen Rückhalt in irgendeiner Form von Datenbank. Sei sie nun auf Papier oder digital. Es gibt keine Inventare, keine Inhaltsverzeichnisse der einzelnen Akten, mit deren Hilfe man etwas rekonstruieren könnte. All dies zu haben, war immer der Traum von María Julia Hernández. Sie wollte auch alle Informationen digitalisieren. Es wurden Projektanträge bei ausländischen Hilfswerken und Universitäten gestellt, aber alles in allem waren die Kosten immer zu hoch. Vor etwa fünf Jahren, als David Morales [der heutige staatliche Ombudsmann für Menschenrechte, Anm. d. Red.] noch dort arbeitete, habe ich mich angeboten zu helfen. Denn ich kenne mich ein wenig mit Archivmanagement aus. Und da wurde mir klar, was da für Defizite bestanden. Es gab z.B. keine Kontrollbögen, wer welche Information benutzte oder gar etwas mitnahm.

Ich sollte also mein Wissen über Archivorganisation der zuständigen Person übermitteln, die keine spezielle Ausbildung dafür hatte. Ich richtete eine Datenbank auf einem Computer ein und wir fingen an, Register und Inhaltsverzeichnisse anzulegen. Aber dann ging diese Person ins Ausland, und die Arbeit blieb liegen. Später gab es einen neuen Versuch mit einem anderen Programm, aber auch da wurde nichts fertig. Man spricht von einem Bestand von 40.000 bis 60.000 Akten. Sicher ist nur, dass es Tausende sind. Einige haben Aufkleber, die anzeigen, dass sie für die Ausarbeitung des Berichtes der UN-Wahrheitskommission benutzt wurden. Aber insgesamt weiß niemand, wie viele Akten und Dokumente es gibt. Und das ist gefährlich.

 Am frühen Morgen des 14. November 2013 gab es einen brutalen Überfall auf das Büro der Menschenrechtsorganisation Pro Búsqueda, die sich um das Wiederauffinden von Kindern kümmert, die im Krieg verschleppt wurden. Mitarbeiter wurden überwältigt und gefesselt, Computer zerstört, Dokumente verbrannt. Gibt es einen Zusammenhang mit der Schließung der Tutela Legal?

Es gab nach dem Friedensschluss noch einige, obskure Attentate gegen Menschenrechtsverteidiger, aber insgesamt doch wenig von der Dimension dessen, was da unlängst bei Pro Búsqueda passiert ist. Die Tatsache, dass es den Tätern nicht darauf ankam, Wertgegenstände zu stehlen, sondern dass sie wichtige Akten verbrannt haben, lässt den Schluss zu, dass das keine gewöhnlichen Verbrecher waren. Sie hatten es nicht auf ökonomische Werte abgesehen, sondern auf historische Werte, auf wertvolle Beweismittel für die Zukunft.

„Das Attentat will Terror verbreiten. Das sind Methoden der Vergangenheit!“

Und hier sind wir wieder beim gleichen Kontext wie im Konflikt mit dem Erzbischof. Also bei der Hypothese, dass mächtige, in Verbrechen gegen die Menschlichkeit verstrickte Sektoren Druck machen. Das Attentat richtete sich gegen eine Institution, die nach dem Ende des Amnestiegesetzes wichtige Beweise für Prozesse hätte beitragen können – gegen Militärs, die Kinder raubten, die Kinder verschleppten und teils außer Landes brachten. Deshalb denken wir auch hier an einen Zusammenhang mit dem Amnestiegesetz. Und ich meine, dass der Anschlag auf Pro Búsqueda eine Botschaft hat: Er soll uns Angst einjagen. Er will Terror verbreiten. Das ist nicht zufällig passiert. Es war vorbereitet und geplant.  Das sind Praktiken der Vergangenheit! Dass so etwas wieder passiert, macht uns Sorgen.

Ich möchte aber trotzdem versuchen, die Sache auch noch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Möglicherweise soll hier Druck von der Partei ARENA und bestimmten Funktionären genommen werden. Da geht es um den aktuellen Haftbefehl gegen den ehemaligen Wirtschaftsminister Miguel Lacayo und die Schließung seiner Apotheken durch die staatliche Medikamentenbehörde. Ein anderes Beispiel sind die Anschuldigungen des Präsidenten des Rechnungshofes gegen die ehemalige Direktorin der Sozialversicherung. Sie soll 17 Millionen Dollar veruntreut haben. Gegen weitere Funktionäre von ARENA sind Haftbefehle wegen des Falles ENEL – CEL erlassen worden. [5] Also könnte die Botschaft bestimmter Sektoren auch sein: „Seht her, wir sind präsent, wir sind stark. Hört auf, uns zu belästigen!“ Das ist nicht auszuschließen. Aber ich bin doch eher der Meinung, dass der rote Faden der gleiche ist wie im Fall der Tutela Legal.

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Das Interview mit Saúl Baños wurde am 16. November 2013 in Leipzig geführt. Am 3. Dezember fand eine große Demonstration vor der Kathedrale der Hauptstadt und dem Obersten Gerichtshof statt, an der Opfervereinigungen u.a. aus Morazán, Chalatenango und Usulután sowie der staatliche Menschenrechtsombudsmann David Morales teilnahmen. FESPAD begleitete im Anschluss die Überlebenden und Familienangehörigen der Opfer der Massaker von Sumpul, El Mozote, La Quesera und des Falles Baterías Record beim Einreichen einer Verfassungsbeschwerde. Die Opfer reklamieren, das Erzbistum verletze mit der illegitimen Aneignung des Archivs der Tutela Legal als kirchlicher Privatbesitz ihr Recht auf Eigentum, Vertragsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung. Mitte Januar wird nach Auskunft von Saúl Baños eine weitere Demonstration stattfinden, um der Forderung nach Annahme der Klage durch die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs Nachdruck zu verleihen.

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[1] Hier geht es offenbar um den Fall „Mayo Sibrián“, eines Guerilla-Kommandanten der „Frente Paracentral“, der für eine Serie außergerichtlicher Hinrichtungen verantwortlich war.  Die Hypothese wurde vom rechtsgerichteten „El Diario Latino“ ins Spiel gebracht: Angeblich hätten Angestellte Akten aus dem Archiv entfernt, um Beweismittel dazu zu vernichten. Der Autor dieser Konstruktion ist nicht bekannt, es wird aber vermutet, dass es sich um Chefredakteur Eduardo Vásquez Becker handelt, der zugleich Berater der Parlamentsfraktion der rechten Oppositionspartei ARENA ist. Elaine Freedman befragte dazu für die Zeitschrift Envío (Nr.380, Nov. 2013) u.a. María Silvia Guillén, Direktorin von FESPAD. Sie zeigte sich ebenso wie der ehemalige Leiter der Tutela Legal, Ovídio Gonzalez, sicher, dass von Dokumenten, die Sánchez Cerén mit dem Fall in Verbindung brächten, keine Rede sein könne. Es sei aber zu befürchten, dass eine Akte fabriziert werde. [Anm. d. Red.]

[2] Das Massaker  von El Mozote, im Norden des Departments Morazán, gilt als größtes Kriegsverbrechen in der Geschichte Mittelamerikas. Bei dem Massenmord wurden im Dezember 1981 an die tausend Zivilisten, darunter sehr viele Frauen und Kinder, von Regierungstruppen ermordet. Am 16. Januar 2012 jährte sich die Unterzeichnung der Friedensverträge zwischen der damaligen Regierung El Salvadors und der Guerillaorganisation FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) zum zwanzigsten Mal: Mauricio Funes, der Präsident El Salvadors, nahm den Jahrestag zum Anlass, die Hinterbliebenen der Opfer um Verzeihung zu bitten. Knapp ein Jahr später entschied der Interamerikanische Gerichtshof, dass das Amnestiegesetz den salvadorianischen Staat nicht davon entbindet, das Massaker von El Mozote aufzuklären und Gerichtsverfahren gegen die Täter einzuleiten. Die Regierung erkannte das Urteil an, und Ende 2013 wurden schließlich  die ersten Exhumierungen vorgenommen und die sterblichen Überreste der Opfer den Angehörigen übergeben.

[3] Generalstaatsanwalt Luis Martínez, Funktionär in allen bisherigen ARENA Regierungen von 1989 – 2009, gab anlässlich der Durchsuchung an, es gehe ihm um Fälle von Massakern aus dem Bürgerkrieg.  Freedman (Envió Nr. 380, Nov. 2013, S.37) notiert,  dass Beobachter sahen, wie  nach der staatsanwaltschaftlichen Durchsuchung ein geschlossenes Fahrzeug mit unleserlichen Nummernschildern das Gebäude verließ, als Polizei und Kirchenleute schon weg waren. Überlebende des Massakers von Sumpul berichteten, dass sie von einem Fahrzeug verfolgt wurden, nachdem sie beim Erzbistum ihren Protest gegen die Schließung der Tutela Legal kundgetan hatten. [Anm. d. Red.]

[4] Bis Redaktionsschluss (10.Januar 2014) waren die Statuten der neuen, rein kirchlichen Tutela de Derechos Humanos noch nicht veröffentlicht. Sicher ist, dass sie ohne jegliche Beteiligung der betroffenen Überlebenden oder Familienangehörigen, Menschenrechtsorganisationen oder gar der staatlichen Ombudsstelle für Menschenrechte eingerichtet wurde.

[5] Prominente und mit Haftbefehl gesuchte Beschuldigte sind der ehemalige Wirtschaftsminister Miguel Lacayo und der Chef der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft CEL (Comisión Hidroelectrica del Rio Lempa), Guillermo Sol Bang, die in einen krummen Millionendeal mit dem italienischen Energieriesen ENEL zur Gründung eines gemeinsamen Geothermie-Unternehmens verwickelt gewesen sein sollen.

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Bildquellen: [1] Quetzal-Redaktion,am, [2] Agencia Brasil, Wilson Dias

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