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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Interview mit Mario López †
einer der drei Vetreter des PRTC (Partido Revolucionario de los Trabajadores Centroamericanos) in der Politischen Kommission der FMLN

Heidrun Zinecker | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

„Zünglein an der Waage“ mit sozialistischer Vision

Der PRTC in El Salvador war 1976 als die salvadorianische Abteilung der gleichnamigen zentralamerikanischen Partei entstanden. Woher kam dieser regionale Anspruch und was ist aus ihm heute geworden?

Wir waren zu dieser Zeit der Meinung, daß es eine einheitliche Strategie für ganz Zentralamerika geben müsse, wenn auch mit spezifischen Charakteristika in den einzelnen Ländern. Es war gerade der CONDECA (Consejo de Defensa Latinoamericana, 1964 von den USA ins Leben gerufen, um Anti-Guerillakampf der Armeen Mittelamerikas zu koordinieren – H.Z.) gebildet und Arbenz (Jacobo Arbenz, im Juni 1954 durch eine Militärinvasion gestürzter Präsident Guatemalas – H.Z.) gestürzt worden, was zwar die Nordamerikaner initiiert hatten, jedoch die einhellige Unterstützung aller zentralamerikanischen Regierungen fand. Es gab also eine Reihe von Dingen, die uns zeigten, daß eine einheitliche Strategie für die Region notwendig ist. Dies brachte uns dazu, eine regionale Partei zu bilden, die sich auf einige richtige, aber auch auf einige falsche Prämissen stützte. Und vielleicht besaßen die falschen Prämissen ein größeres Gewicht als die richtigen. Denn wir hatten nicht die ungleichmäßige Entwicklung des Kapitalismus und des Klassenkampfes in den einzelnen Ländern berücksichtigt. Und der Klassenkampf in El Salvador hatte eine Dimension bzw. Züge, die in anderen Ländern, zum Beispiel in Costa Rica, wo unsere Führung saß, nicht gegeben waren. Dies wurde in gewisser Hinsicht zu einem Hemmschuh, denn das, was für El Salvador gültig war, traf für die „Ticos“ (mittelamerikanische Bezeichnung für die Kostarikaner – H.Z.), obwohl sie auch Revolutionäre waren, nicht zu. Das führte dazu, daß wir unsere Kräfte zersplitterten, sie in unserem eigenen Land dezimierten, um in der gesamten Region aktiv sein zu können. Das heißt, die Realität entsprach nicht mehr den ursprünglichen Wurzeln unseres revolutionären Denkens. Das hat uns geschwächt. Um nicht außerhalb des salvadorianischen Prozesses zu stehen bzw. um uns nicht von den anderen revolutionären Organisationen in El Salvador zu entfernen, lösten wir später die Zentralamerikanische Partei auf und formierten eine Bewegung Zentralamerikanistischer Parteien …

Das wurde dann ihr Name?

Ja, aber es funktionierte nicht. Es funktionierte nicht, weil es ein sehr abrupter Bruch war, der eher den Bedürfnissen der Salvadoreños in der Partei entsprach. Wir hatten viel zur Bildung dieser Bewegung beigetragen, und unsere Compañeros, die sich an verschieden Orten der Region aufhielten, wurden zu „Waisen“. Es war ein zu scharfer Bruch, und gegenwärtig gibt es praktisch in keinem Land der Region mehr eine solche Partei.

Welche Rolle spielt der PRTC gegenwärtig innerhalb der FMLN vor allem im Hinblick auf die Widersprüche, die sich zwischen ihren beiden „Polen“ (KP und FPL einerseits sowie ERP und RN andererseits) zuzuspitzen scheinen?

In gewisser Hinsicht haben wir die Rolle übernommen, für das Gleichgewicht in der FMLN zu sorgen, manchmal mit und manchmal ohne Erfolg. In der Politischen Kommission der FMLN hat jede Organisation (unabhängig von ihrer Größe) drei Vertreter. Im Rat der FMLN gibt es zehn Repräsentanten je Organisation. Besser gesagt, zur Zeit sind es 64, weil noch 14 Sekretäre der Departments dazugehören. Denn als jener gebildet wurde, waren wir noch nicht legal gegründet. Dies gibt uns eine gewisse Macht, sowohl in der Politischen Kommission als auch im Rat Entscheidungen „auzubalancieren“. Das war beispielsweise in der Diskussion zu den Präsidentschaftskandidaten der Fall, als zwei Organisationen fast drei Kandidaten zur Diskussion stellten. Da haben wir versucht, jemanden zu finden, der von allen fünf Organisationen akzeptiert würde. Und wir haben einen solchen gefunden, nur hat er abgelehnt.

Darf ich fragen, wer das war?

Hector Dada. (1980 aus Protest aus PDC und Regierung ausgetreten – H.Z.)

Werden solche Entscheidungen in der Politischen Kommission bzw. im Rat eingentlich im Konsens oder per Mehrheitsbeschluß getroffen?

In einigen Fällen geschah das auch durch einen Mehrheitsbeschluß. Und zwar genau dann, wenn die Widersprüche besonders scharf waren. Dehalb sagte ich, daß wir in gewissem Sinne die Rolle des ausgleichenden Faktors gespielt haben. Jedoch, wenn die Widersprüche schon vorher gelöst sind, werden Resolutionen auf der Basis des Konsens verabschiedet. In der FMLN haben sich verschiedene Methoden zur Lösung von Problemen herausgebildet: Dies geschieht entweder im Führungsgremium (heute ist das die Politische Kommission, früher war es das Generalkommando) oder in bilateralen Treffen, letzteres in dem Falle, daß die Widersprüche besonders scharf sind.

Einige der Organisationen der FMLN fühlen sich heute sozialdemokratischen Positionen verbunden. Wie sieht das der PRTC?

Wir glauben, daß diese Organisationen das Recht dazu haben. Wenn wir uns im Programm einig sind… das heißt, über die Endziele der Revolution dürfen wir das Heute nicht vergessen. Wir dürfen die Diskussion von heute nicht durch die von morgen ersetzen. Auch wenn wir weiter an den Sozialismus glauben, denken wir, daß wir das Letztere nicht erringen, wenn wir das Nächstliegende nicht erreichen. Doch dafür ist nicht die ideologische oder theoretische Diskussion entscheidend, sondern die praktische Aktion. Zweifellos, die Bedeutung der praktischen Aktion wäre geringer, hätten wir keine Zukunftsvision. Wir glauben weiter an den Sozialismus.

(Das Interview führte Heidrun Zinecker am 9. September 1993 in San Salvador)

Nachruf

Mit tiefer Betroffenheit nahmen wir zur Kenntnis, daß Mario López am 9. Dezember 1993 in San Salvador ermordet worden ist. Das Attentat auf ihn wurde gegen 10.30 Uhr etwa zwei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt durch zwei Männer in Zivil ausgeübt. Sein Leibwächter Lucio Herrera wurde schwer verletzt. Mit Mario López wurde innerhalb von zwei Monaten der dritte Ex-Kommandant der FMLN erschossen.

Mario López (Comandante Venancio Salvatierra) war bis zu seinem Tod Mitglied der Politischen Kommission der FMLN, Sekretär für Bildung in der FMLN, Mitglied der Politischen Kommission des PRTC und Kandidat für das Zentralamerikanische Parlament. In der Universität von El Salvador (UES) übte er die Funktion des Direktors für Planung an der Fakultät für Geisteswissenschaften aus. Seiner Ausbildung nach Wirtschaftswissenschaftler, hat er entscheidend die sozialwissenschaftliche Forschung in nikaraguanischen, mexikanischen und salvadorianischen Institutionen befördert. Er galt als einer der theoretischen Köpfe der FMLN.

Mario López gehörte zu den Begründern der Lehrergewerkschaft ANDES-21 Junio, der Volksorganisationen FAPU und MLP, des PRTC und der FMLN. Während des Krieges kommandierte er die zentrale Front der FMLN.

Uns, die wir Mario schon seit einiger Zeit kannten, erfüllt die Nachricht von seiner Ermordung mit Empörung und Trauer. Sie bestätigt, was wir vermuteten: Der Frieden in El Salvador hat die Schrecken der Gewalt noch nicht beendet. Wir fordern deshalb nicht nur die schnelle und schonungslose Aufklärung des Attentates und die Bestrafung des Mörders von Mario López, sondern ebenso entschiedene Maßnahmen, die die Einhaltung des Friedensabkommens von Chapultepec gewährleisten.

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