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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Die Mikroerzählung und das chilenische Patagonien
Eine Annäherung in aller Kürze

Gabriela Espinosa | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Der folgende Text erschien als Nachwort im Band „Microcuentos desde el sur profundo“ in der Zeitschrift Caballo de Proa und behandelt die in Lateinamerika populäre Gattung des „Microcuento“. Quetzal hat bereits mehrere Microcuentos des südchilenischen Schriftstellers Victor Montoya veröffentlicht.

Chile: Cover des Magazins Caballo de Proa Heftnummer 70 (2009)Für diese Jubiläumsausgabe der von Pedro Guillermo Jara in Zusammenarbeit mit führenden Schriftstellern und Fachwissenschaftlern edierten und betreuten Taschenbuchzeitschrift Caballo de Proa bot sich uns die Wahl eines literarischen Genres sowie die Vermessung eines literarischen Feldes.

Versuche, der Begrenzung dieser Textsorte definitorisch beizukommen, sind vielfältig, wobei dem Phänomen der extremen Kürze weitaus mehr Beachtung geschenkt wird als dem Inhalt der Texte.  Die Diskussion dieser Kategorie, die mit „Minifiktion“ (minificción), „Mikrogeschichte“ (microcuento), „Minigeschichte“ (minicuento), „Kürzestgeschichte“ (cuento brevísimo) oder „Mikroerzählung“ (microrrelato) bezeichnet wird, ist in Fachkreisen noch heftig im Gange. Die zahlreichen Ansätze einer kritischen Annäherung, u. v. a. von Edmundo Valadés, David Lagmanovich, Laura Pollastri, Dolores Koch, Juan Armando Epple, Violeta Rojo, Lauro Zavala, Francisca Noguerol oder Irene Andres-Suárez, stimmen in der Bedingung sine qua non der Kürze überein, auch wenn dieses Merkmal zur Eingrenzung problematisch ist, wird es doch mit anderen Kleinformen geteilt. Als weitere Spezifika werden genannt: das Fragmentarische, der poetische Ton, die Intertextualität, der Humor und die Wirkung, die die Lektüre dieser „vergifteten Häppchen“ – wie Laura Pollastri sie metaphorisch nennt – nach sich zieht. Diese Expertin zählt zu den Kennzeichen der Kürzestprosa: die stark geschliffene und poliseme Prosa, der Rekurs auf klassische Motive, um an unserer Gegenwart Kritik zu üben und die Aufgabe des Schriftstellers zu hinterfragen, der häufige Hinweis auf die Benutzung einer Bibliothek, die Verwendung von Ironie oder Parodie zur Zerschlagung von Herrschaftsdiskursen, die Einübung von Hierarchiefreiheit zur Unterminierung althergebrachter Denkstrukturen und eine Prägnanz, die die Beschreibung von Leerstellen ermöglicht. Andere Wissenschaftler – zu nennen sind hier Dolores Koch oder David Lagmanovich – charakterisieren diese Texte als geschliffene, aber biseme Prosa, die sich des misstrauischen Humors des Paradoxen, der Ironie oder der Satire bedient und in Abkehr von tradierten Formen wie Fabel oder Bestiarium vielmehr von Ausdrucksweisen moderner Kommunikationsmedien abgeleitet ist. Eine Verstärkung narrativer Elemente, die Wiederaufnahme und Parodie von Texten, eingefügte Diskurse und emblematische Darstellung  machen ebenfalls diese Art des Schreibens aus.

Obwohl dieses Phänomen der allgemeinen Tendenz der Moderne zur Eliminierung alles Redundanten und Ornamentalen zu Gunsten der reinen Form, der Kürze geschuldet und somit nicht nur für die hispanoamerikanische Literatur kennzeichnend ist, dominieren Texte dieser Art die Literatur unseres Kontinents. Es genügt, die Produktionen  des 20. Jahrhunderts in Mexiko (z. B. Julio Torri, Juan José Arreola, Augusto Monterroso, René Avilés Fábila), Argentinien (z. B. Jorge Luis Borges, Julio Cortázar, Marco Denevi, Ana María Shua, Luisa Valenzuela, Raúl Brasca) oder Chile (z. B. Vicente Huidobro, Juan Armando Epple, Alejandro Jodorowsky, Pía Barros, Virginia Vidal, Andrés Gallardo, Pedro Guillermo Jara, Diego Muñoz Valenzuela) heranzuziehen.

Anforderungen an die Lesbarkeit, die durch die Massenmedien und die Vielschichtigkeit des konkret erlebbaren Alltags bestimmt sind, haben zu einer reichen Produktion und weiten Verbreitung dieses Genres geführt. Dazu haben Veröffentlichungen in Anthologien oder die einzelner Autoren der jeweiligen Länder oder Regionen, theoretische und kritische Studien und die Thematisierung in akademischen Curricula oder auf internationalen Kongressen, Tagungen und Kolloquien beigetragen.

Was nun die eingangs erwähnte kartografische Erfassung betrifft, unterläuft die Aufnahme einer abgelegenen Zone des chilenischen Gebiets die Dominanz des Kulturkreises. Autoren wie Andrés Gallardo, María Isabel Quintana, Guido Eytel, Yuri Soria Galvarro, Nelson Antonio Torres, die aus Landstrichen stammen, die zwischen Concepcíon und Punta Arenas liegen, kommen hier zu Wort. So versteht sich der repräsentative Charakter einer nationalen Identität als diskursives Konstrukt, das von Spannungen und Widersprüchen geprägt ist und dabei Generelles und Kategorisierungen außen vor lässt.

Daher meine ich, dass diese Festnummer von Caballo de Proa an der Schnittstelle der Debatten steht, die sich um das Zentrale und das Periphere, um Korpus und Kanon drehen, und somit die weitere Ausbreitung dieses Genres begünstigen wird. So wird diese Zeitschrift zum Kulturvermittler, und das auf Grund eines bahnbrechenden Vorschlags, für den sich neben Autoren und Forschern von unserem ganzen Kontinent insbesondere all diejenigen von uns aus dem tiefen Süden, der wegen seiner Entlegenheit eine alternative Sichtweise möglich macht, stark gemacht haben.

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Übersetzung aus dem Spanischen: Gabriele Eschweiler

Original-Beitrag aus Caballo de Proa (Valdivia), Bandnr. 28, Jahrgang 2009, Heftnummer 70.

Bildquelle: [1] Quetzal Redaktion, gt

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