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Printausgaben

Schneider, Jens: Newen Domo – Die Kraft der Frauen

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Die Kraft der Frauen. Frauen in der Mapuchebewegung

Über Mapuche wurde viel geschrieben, auch viel Falsches. Über Mapuchefrauen schrieb bisher kaum jemand; sie sind für etablierte Denker offensichtlich genauso unwichtig wie es Frauen generell zu sein scheinen, wenn es um gesellschaftliche Strukturen geht. Mit diesen Problemen – Marginalisierung der Frauen in der Forschung (hier mehr als Objekt gemeint) und ungenaue Beschreibung der Mapuche-Gesellschaft in der ethnologischen und soziologischen Literatur – setzt sich Jens Schneider im vorliegenden Buch auseinander. Er suchte sich ausdrücklich Frauen als Gegenstand seiner Forschungen in Chile, und von seinen Ergebnissen ausgehend, musste er sehr schnell feststellen, dass mit den Darstellungen der Mapuchegemeinschaft, insbesondere mit der Rolle der Frauen in selbiger, etwas nicht stimmen kann. Dabei vermag Schneiders Verblüffung angesichts bewusster Verfälschungen und Vorurteile, die die Literatur seit ca. 100 Jahren über Mapuche verbreitet, eher zu überraschen. Rassismus und weiße Überheblichkeit im Umgang mit anderen Völkern und Kulturen sollten dem Ethnologen eigentlich so fremd nicht sein, sind sie doch leider nach wie vor gang und gäbe. Die Hartnäckigkeit aber, mit der selbst renommierte und wohlmeinende Forscher diese halben Wahrheiten und ganzen Lügen bis in die Gegenwart hinein nachbeten, erstaunt schon etwas. Schneider vermag das sehr detailliert darzustellen. Er selbst versucht, von dieser Überheblichkeit im Umgang mit Anderen wegzukommen, versucht, so wenig wie möglich westeuropäisch besserwissend, überheblich und männlich zu sein – und er tappt m.E. doch voll in die Fallen, die er zu umgehen versucht.

Jens Schneider interviewte neun Mapuchefrauen, die in verschiedenen Mapuche-Organisationen arbeiten, auf verschiedenen Organisationsebenen sowohl in ländlichen als auch in städtischen Regionen. Er hat die erklärte Absicht, die Interviews möglichst wenig zu steuern, führt seine Gespräche also weitestgehend offen. Und hier beginnt schon das Dilemma des vorliegenden Bandes. Da Schneider den Leser /die Leserin nur wenig in seine strukturellen Vorgaben (sprich: den Leitfaden) für die Gespräche einweiht, bleiben die dargestellten Ergebnisse beliebig. Es fällt mir z.B. schwer, die (von Schneider zurückhaltend moderierten) Antworten zu beurteilen und einzuordnen, weil ich nicht weiß, ob und inwieweit der Interviewer mit seinen Fragen die Antworten vorherbestimmt hat. Die wenigen abgedruckten Fragen sind mitunter recht unglücklich formuliert, vielleicht hat sich Schneider mit der Methode des Interviews auch selbst überfordert. Auf jeden Fall scheint die Vermutung begründet, dass der Autor mit einigen Fragen die Gespräche unfreiwillig in eine bestimmte Richtung drängte. Das belegen die Antworten zum Diskussionsthema Machismus sehr deutlich. Mit dem machismo ist das ja inzwischen so eine Sache; jeder weiß, was machismo ist, jeder kann etwas dazu sagen und kaum jemandem fällt auf, dass der Begriff zur inhaltsleeren Phrase verkommen ist. Schneider hat seinen Gesprächspartnerinnen diesen Begriff offensichtlich vorgeworfen wie einen Knochen, und sie haben dann halt entsprechend reagiert -bis hin zur (nicht eingestandenen) Verwirrung auf beiden Seiten. So kommen die Frauen z.B. zu dem Ergebnis, dass die Männer in der Mapuchegemeinschaft wesentlich mehr macho sind als die Winkas (Nichtmapuche/Weiße), um diese Aussage in der weiteren Diskussion wieder zu verwerfen. Und umgekehrt. Was soll aber auch die Frage, ob nun der Mapuche- oder der Winkamachismo stärker ist? Schneider kommt selbst zu dem Schluss, dass die Maßstäbe der interviewten Frauen in dieser Frage von seinen eigenen abweichen, versteigt sich dann aber zu der Bemerkung: „Der Widerspruch Mann-Frau wird, zumindest von den befragten Frauen, immer noch geringer eingeschätzt, als die Widersprüche Winka-Mapuche und vielleicht auch arm und reich …“ Können wir dann vielleicht hoffen, dass die Frauen einmal vernünftig werden? Oder wollte uns der Autor sagen, dass er mit ihnen einer Meinung ist; nur dass er das nicht so recht in Worte fassen konnte? Offensichtlich folgt die Gemeinschaft der Mapuche nach wie vor weitgehend nicht den Maßstäben der westlichen Zivilisation (was immer man darunter verstehen mag), und aus eben diesem Grunde ist es höchst fragwürdig, dieselben als Gradmesser zu nehmen. Schneider betont das selbst immer wieder, und auch seine Gesprächspartnerinnen lehnen eine solche Vorgehensweise ab. In Kapitel 5 referiert J. Schneider sehr überzeugend, wohin ein solcher Standpunkt fuhren kann – zu den eingangs bereits erwähnten Verfälschungen der Wirklichkeit.

Leider nur bleibt J. Schneider beim Referieren stehen – zu theoretischen Aussagen, wie denn nun die Forschung betrieben und abgesichert werden müsste oder könnte, um von der europäischen Brille wegzukommen, vermag er sich nicht recht zu entschließen. Das wäre aber sicher in diesem Stadium auch zu viel verlangt. Mit seiner Darstellung zur Rolle der Mapuchefrau in der ethnologischen Literatur und den Interviews mit Aktivistinnen ist Schneiders Arbeit eine gute Vorarbeit zu einer weiter- und tiefergehenden Erforschung der politischen und sozialen Organisation von Mapuchefrauen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Jens Schneider:
NEWEN DOMO – „Die Kraft der Frauen“.
Frauen in der Mapuchebewegung in Chile.
LIT Verlag Münster/Hamburg.
1993.

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