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Interview mit Carlos AltamiranoRechtsanwalt und Generalsekretär der Sozialistischen Partei Chiles

Marek Höhn | | Artikel drucken
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Flucht vor der Junta

Interview mit Carlos Altamirano - Flucht vor der Junta

Carlos Altamirano Orrego, geboren am 18. Dezember 1922 in Santiago de Chile, Rechtsanwalt und Professor für Wirtschaftsrecht an der Universidad de Chile, war von 1961 bis 1965 Abgeordneter des chilenischen Unterhauses, von 1965 bis 1973 Senator und zwischen 1971 und 1979 Generalsekretär der Sozialistischen Partei Chiles. Während der Regierung der linken Koalition Unidad Popular unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende stand Altamirano für eine militärische Alternative des revolutionären Übergangs zum Sozialismus und rief für den Fall eines militärischen Angriffs auf die Unidad-Popular-Regierung und ihr sozialistisches Projekt zum bewaffneten Widerstand auf. Nach dem Putsch durch die Generäle um Pinochet wurde auf ihn ein Kopfgeld ausgesetzt und er verwandelte sich in die am meisten gesuchte Person des Landes. Wie in dem Buch „Flucht vor der Junta“ – herausgegeben von Gotthold Schramm und erschienen beim Verlag „Edition Ost“ – beschrieben wird, bereiteten ehemalige Mitarbeiter der DDR-Botschaft in Santiago de Chile seine Flucht vor und retteten ihm das Leben, indem sie ihn außer Landes brachten. Vom Exil in Italien und Kuba aus organisierte Altamirano den Widerstand gegen die Diktatur und rief zur ideologischen Erneuerung der Sozialistischen Partei auf, was ihm den Vorwurf des Revisionismus einbrachte. Die chilenische PS ist heute gespalten in eine sozialistische Minderheit und eine sozialdemokratische, den Neoliberalismus im Lande befördernde Mehrheit. Drei Jahre nach der vollzogenen Demokratisierung kehrte Altamirano im Jahre 1993 nach Chile zurück, wo er sich bis vor kurzem aus der öffentlichen Politik und Debatte zurückzog und nur in wenigen Ausnahmefällen Interviews über seine persönliche Geschichte gewährte.

Das folgende Interview führte Marek Höhn, Politikwissenschaftler und parlamentarischer Berater in Santiago de Chile, am 12. Februar 2007 in Santiago.

Wie haben Sie die letzten Tage, Wochen, Monate vor dem Putsch erlebt? Es ist bekannt, dass sich die bewaffneten Auseinandersetzungen lange vorher angekündigt hatten und, wie verschiedenen Dokumenten zu entnehmen ist, haben Sie vor dem Putsch bereits sowohl die Bevölkerung als auch Soldaten und Unteroffiziere aufgerufen, im Falle von putschistischen Befehlen diese nicht zu befolgen, sondern gegen putschistische Vorhaben Widerstand zu leisten. Können Sie zusammenfassen, wie Sie die letzte Zeit vor dem Putsch erlebt haben?

Ihr könnt Euch sicher vorstellen, dass das Tage einer sehr großen Spannung gewesen sind, eine sehr mit Konflikten beladene Zeit. Das war sie insbesondere für mich. Ich war der absoluten Überzeugung, dass ein Militärputsch in Vorbereitung war. Diese Überzeugung beruht unter anderem auf einem Gespräch mit Marineangehörigen, welches mir heue noch von der Rechten vorgeworfen wird, weil behauptet wird, ich hätte politisches Aufrührertum betrieben. Aber unsere Gespräche mit dem Marineangehörigen hatten ausschließlich das Ziel, diese davon zu überzeugen, nicht in die politischen Auseinandersetzungen einzugreifen. Unsere Bemühungen gingen dahin, das Militär zu bewegen, neutral zu bleiben. Aber genau diese Gespräche werden uns heute noch vorgeworfen, und es wird behauptet, wir hätten das Militär politisiert, womit heute noch der Putsch durch seine Urheber gerechtfertigt wird. Das ist eins der vielen Argumente, das benutzt wurde und immer noch benutzt wird, um eine Rechtfertigung zu finden für den Militärputsch, den sie vorhatten und der ja dann auch stattgefunden hat.

Diese beiden Marineangehörigen, mit denen ich etwa 20 Tage vor dem 11. September 1973 eine Unterredung hatte, haben mich von all den Aktivitäten unterrichtet, die die Admirale (und der Generalstab?) der Marine bereits unternommen hatten und so bin ich in Kenntnis der Putschvorbereitungen gekommen. Ich habe diese beiden Marineangehörige gefragt, woher sie diese Informationen haben, und sie haben mir berichtet, dass sie als Ordonanz/Kellner für die hohen Offiziere arbeiten und durch diese Arbeit Gespräche mitgehört haben, in denen es um den geplanten Putsch ging. Diese Marineangehörigen wussten nicht nur bestens Bescheid über die Vorbereitungen der Putschisten, die schon getroffen waren, sondern konnten uns mit Namen und Dienstrang genauestens darüber informieren, wer die putschistischen Offiziere in der Marine waren. Ein Teil der Informationen wurden bekannt, als eines der Kriegsschiffe im Hafen von Iquique lag. Aber auch in Talcahuano, im Süden Chiles, haben Marineoffiziere gegen die Regierung Allendes konspiriert. So konnten die Matrosen mit absoluter Sicherheit, Exaktheit und Präzision die Informationen an uns weitergeben, die die Vorbereitung des Putsches beinhalteten.

Wir haben erfahren, dass insbesondere die Marine den Putsch initiiert und geplant hat. Dieses Verhalten ähnelt dem in der Revolution von 1891, in der die Marine eine sehr unrühmliche Rolle spielte. In jenem Falle war es der Admiral Carvajal, der die Führung der Operation gegen die damalige Regierung übernahm. Dabei bestand eine enge Zusammenarbeit mit der US-Marine, die damals die gemeinsamen Manöver unter dem Namen „Unitas“ als Deckmantel benutzte , um die Regierung zu stürzen.

Diese Informationen der Matrosen und viele, viele andere Informationen aus anderen Quellen haben mir zu der Überzeugung verholfen, dass die bewaffnete Konfrontation unausweichlich war. Für die Regierung war das natürlich eine sehr schwierige Situation und erhöhte die Spannung, weil wir uns Gedanken darüber machen mussten, wie wir diesem Putschversuch begegnen könnten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Präsident, Salvador Allende, bereits den General Augusto Pinochet Ugarte zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte Chiles ernannt. General Carlos Prats war bereits als Oberbefehlshaber zurückgetreten und durch General Augusto Pinochet ersetzt worden. General Prats hatte mir in einem persönlichen Gespräch berichtet: „Ich bin ein neutraler Militär. Verlangt bitte von mir nicht, dass ich eure sozialistische Revolution verteidige.“ Mit dieser Überzeugung ist Prats zurückgetreten und hat den Weg frei gemacht für einen Augusto Pinochet Ugarte, der damals als regierungstreuer Militär galt.

Interview mit Carlos Altamirano - Flucht vor der Junta

Die Tage vor dem Putsch waren also gekennzeichnet von einer enormen Spannung und von Angst. Ich persönlich glaubte nicht an so etwas wie die „Revolution in Freiheit“, wie sie Christdemokraten als „dritten Weg“ verkündeten. Ich bin davon überzeugt, dass es nicht möglich ist, dass wir die wesentlichen Strukturen einer Gesellschaft auf friedliche Weise verändern können. Die politische Rechte wäre nie bereit, solch eine Revolution ohne Widerstand hinzunehmen. Aber unser Präsident, Salvador Allende, war entschlossen, sein Versprechen einzuhalten, diese Transformation hin zum Sozialismus auf eine demokratische und friedliche Weise durchzuführen.

Ich hatte dem Präsidenten Allende vorgeschlagen und habe auch mehrere Male darauf bestanden, dass wir innerhalb der Militärs diejenigen heraussuchen sollten, auf die wir zählen könnten, die regierungstreu waren, die auf unserer Seite standen, und uns von denjenigen trennen sollten, die ganz deutliche Zeichen von sich gaben, auf der Seite der Putschisten zu stehen. Aber Allende bestand darauf, die Militärs als Gesamtheit und als neutral zu betrachten. Im Falle des Generals Pinochet war mir bereits klar, dass er nicht zu den regierungstreuen Generälen gehörte, aber unser Präsident hatte ein sehr gutes Argument. Ich fragte Salvador Allende, wie er auf die Idee käme, gerade Pinochet zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte zu ernennen, weil ich diese Information über die Putschvorbereitungen hatte. Allende sagte, dass meine Informationen nicht von direkten Quellen kämen, sondern mehr Gerüchtecharakter haben, er wies meine Argumente gegenüber Pinochet zurück und vertraute weiterhin auf ihn. Außerdem berief sich Allende auf die Aussage des vorausgegangenen Oberbefehlshabers der Streitkräfte, General Prats, der wohl geäußert hätte: „Pinochet ist ein Mann meines Vertrauens, ich lege für ihn meine Hand ins Feuer. Pinochet ist ein regierungstreuer General.“ Allende fragte mich: „Soll ich das Wort des Generals Prats in Frage stellen oder soll ich ihm glauben?“

Ich musste zugeben, dass ich Informationen von Personen hatte, die nicht so einen hohen Dienstgrad besaßen, und demzufolge waren meine Informationen nicht so gewichtig, wie die, über die Salvador Allende verfügte. Heute wissen wir, dass Prats sich geirrt hatte, dass Pinochet zu einem Verräter an unserem Vaterlandes wurde, der die Verfassung, unsere Gesetze, seine Freunde und unsere Gesellschaft verraten hat. Was heute alle wissen, ist, dass sich Pinochet erst in den letzten 48 Stunden auf die Seite der Putschisten geschlagen, nicht an den Vorbereitungen des Putsches teilgenommen hat und im letzten Moment auf den fahrenden Zug der Putschisten aufgesprungen ist, um die Macht an sich zu reissen.

Zu dem Zeitpunkt, als Prats uns mitteilte, er könne seine Hand für Pinochet ins Feuer legen, kann dies noch wahr gewesen sein, aber der General war nicht in der Lage, den ambivalenten Charakter Pinochets zu erkennen. Von dem wusste ich bereits, dass er sehr leicht seine Meinung änderte und dass er über keine festen Prinzipien verfügte. Es war davon auszugehen, dass er bei veränderten Rahmenbedingungen seine Meinung ändern und seine Loyalität aufgeben würde. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte Prats natürlich Recht: Pinochet war nicht Teil der Generalität, die den Putsch vorbereitete. Er konnte nicht wissen, dass Pinochet später die Führung dieser putschenden Generäle übernehmen würde.

Ihre Ansicht über die politische Konstellation vor dem Putsch ähnelt sehr stark jener, die die beiden Führer des MIR (Linke Revolutionäre Bewegung), Miguel Enríquez und Bautista van Schouwen, hatten. Ist das richtig?

Im Großen und Ganzen, ja. Wir stimmten in unserer Interpretation der Lage überein, aber verschiedene Details habe ich auf andere Art und Weise interpretiert, als dies der MIR tat. Ich war natürlich nicht mit den verschiedenen Provokationen einverstanden, die der MIR ständig organisierte, wie z.B., dass sie an unseren Demonstrationen teilnahmen, sich in unsere Demonstrationen infiltrierten, um diese zu manipulieren. Sie hatten selbst nicht genügend Kraft, um zu so massiven Demonstrationen aufzurufen. Und so haben sie an unseren Demonstrationen teilgenommen, haben versucht, diese zu radikalisieren, haben mit Holzgewehren demonstriert und haben gerufen: „Volk, Bewusstsein, Gewehr“. Sie haben im Prinzip durch ihre Parolen versucht, auf die politische Gesinnung der Anhänger der Unidad Popular von aussen Einfluss zu nehmen, denn die Linke Revolutionäre Bewegung war nicht Teil der Regierungskoalition, sondern war Opposition links von Allende.

Es ist klar, dass solche Art von Provokationen in der Rechten und im politischen Zentrum große Furcht und verschiedene Gegenmaßnahmen hervorrufen mussten. Eine große Unterstützung für unsere Sache der friedliche Transformation zum Sozialismus waren die Aktionen des MIR nicht, sie hatten eher eine negative Auswirkung. Sie hatten nicht mal richtige Waffen, sie hatten Holzgewehre bei diesen Demonstrationen.

Gab es aber eine Art doppelte Parteizugehörigkeit? Waren viele Mitglieder der sozialistischen Partei gleichzeitig in der Linken Revolutionären Bewegung?

Nein, das ist nicht richtig. Einige Mitglieder der sozialistischen Partei hatten eine ideologische Übereinstimmung mit Mitgliedern des MIR. Es gab aber keine doppelte Parteimitgliedschaft. Es ist natürlich möglich, dass der eine oder andere ohne unser Wissen so etwas gemacht hat, aber es ist kein allgemeines Phänomen, dass so etwas stattgefunden hat, und wenn, dann war es keine bedeutende Größe.

Meine persönliche Analyse stimmte mit der der Linken Revolutionären Bewegung dahingehend überein, dass die Revolution, die wir vor hatten, nicht auf eine demokratische und friedliche Art und Weise durchzuführen war. Ohne eine bewaffnete Verteidigung der Revolution konnte ich mir das nicht vorstellen. Und eine Verteidigung unserer Revolution war ohne eine Einbindung bedeutender Teile der Streitkräfte, die regierungstreu waren und revolutionäre Einsichten hatten, nicht möglich. Andererseits war die Verteidigung ohne die Bewaffnung breiter Teile der Bevölkerung ebenfalls unmöglich. Allerdings kritisiere ich die wenig seriösen Aktionen des MIR, die – wie ich vorhin schon sagte – hauptsächlich eine negative Bilanz hatten. Sie haben mehr Schaden angerichtet, als dass sie hätten nutzen können.

Ich lehnte also damals schon diese provokativen Aktionen des MIR ab. Dazu gehörte zum Beispiel eine Operation in der Residenz des Präsidenten in der Straße Tomás Moro, in der Mitglieder des MIR im Personenschutz Allendes tätig waren. Dort hatten sie Zugang zu Waffen, die im Objekt „Tomás Moro“ untergebracht waren. Diese hatten sie gestohlen, was Allende dazu gebracht hat, einen Riesenskandal zu machen und den MIR bei seinem wichtigsten Alliierten Fidel Castro anzuschwärzen.

Solche Provokationen haben sie mehrfach durchgeführt. Das hat natürlich nicht nur auf Seiten des Präsidenten, Salvador Allende, sondern auch bei anderen Mitgliedern der Regierungskoalition eine große Ablehnung hervorgerufen. So lagen schließlich eine Reihe von Argumenten vor, die auch und besonders vom Präsidenten geteilt wurden, um den MIR als illegal zu erklären. Dieser Vorschlag kam von der Kommunistischen Partei Chiles.

Ich sprach mich entschieden gegen ein Verbot des MIR aus. Nicht weil ich mit ihm hundertprozentig übereinstimmte, sondern weil ich der Meinung war, dass ein Verbot des MIR Auseinandersetzungen mit der Polizei und den Ordnungskräften hervorrufen würde, die Opfer auf beiden Seiten verursachen würden. Auf diese Weise würde die chilenische Revolution in der internationalen Öffentlichkeit als eine blutige Revolution erscheinen. Das würde dem Gegner, also auch den Rechten in unserem Land und natürlich den USA, sehr viele Argumente liefern, um uns vor der internationalen Öffentlichkeit zu bezichtigen, dass wir die ersten gewesen seien, die unsere Gegner angegriffen und Todesopfer in unserem revolutionären Prozess hervorgerufen hätten. Auch weil es sich um Personen gehandelt hätte, die theoretisch und ideologisch auf unserer Seite standen und mit denen wir nur einige methodische Differenzen hatten.

Der MIR hatte sich in dem Sinne große Mühe gegeben. Hat die Banküberfälle beendet, die in der vorausgegangenen Regierungszeit des Christdemokraten Eduardo Frei Montalva an der Tagesordnung waren. Diese Banküberfälle, die vom MIR als „Enteignung durch das Volk“ definiert wurden, waren eine Strategie der Enteignung und Umverteilung sowie natürlich zur Finanzierung ihres revolutionären Kampfes; so eine Art Revolutionssteuer. Dieser vorübergehende Verzicht auf Banküberfälle während der Unidad-Popular-Regierung sollte als Zeichen der Sympathie und Kooperation mit der Regierung Allendes gelten.

Das war uns natürlich nicht genug. Es gab eine Reihe von Situationen, in denen der MIR offen regierungsfeindlich war. Ich hatte also keine ideologischen oder theoretischen, sondern strategisch-taktische Differenzen mit der „Linken Revolutionären Bewegung“. Der MIR war zum Beispiel der Ansicht, den cordones industriales, also den in Arbeiterräten organisierten und selbstverwalteten Fabriken im Industriegürtel um die Hauptstadt, zur Unabhängigkeit von der Regierung verhelfen zu müssen. Auf diese Weise entstand eine linke Opposition zur Regierung Allendes, und es drohte zu einer Konfrontation mit der Regierung und ihren Sicherheitsorganen zu kommen. Ich bin natürlich dagegen gewesen, die Arbeiter in einen Konflikt mit unserer Regierung zu bringen oder die Regierung der Schwäche oder fehlenden revolutionären Konsequenz zu bezichtigen. Dies aber tat der MIR, indem er zum Beispiel die Regierung des Revisionismus und einer mutlosen, arbeiterfeindlichen Strategie des Übergangs zum Sozialismus bezichtigte.

Zusammenfassend können wir feststellen, dass es bedeutende Diskrepanzen zwischen dem MIR und der Regierungskoalition der Unidad Popular gegeben hat. Allende hatte das Amt übernommen und hat mit absoluter Offenheit, Treue und Loyalität einen Übergang zum Sozialismus in Freiheit und Demokratie zu vollziehen versucht, der erste revolutionäre Prozess hin zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, der auf demokratischem Wege stattfinden würde. Er berief sich auf einen kurzen Abschnitt von Friedrich Engels, den dieser um 1880 herum schrieb. Darin äußerte Engels, dass es in der Welt Länder geben könne, die den Übergang zum Sozialismus auf friedliche Weise erreichen könnten. Ich glaube, dass er sich auf die Niederlande bezog, als ein Land, das sich aufgrund seiner gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung, seiner hohen politischen Stabilität und seines zivilisatorischen Fortschritts auf demokratische und friedliche Weise hin zum Sozialismus entwickeln könnte.

In seiner jährlichen Ansprache vor dem Nationalkongress hatte Allende ganz besonders Engels zitiert und geäußert: “Ich habe die Unterstützung der hervorragendsten Marxisten und Sozialisten nicht nur unseres Landes, sondern auch des Theoretikers Friedrich Engels. Engels schrieb, dass eine friedliche Transformation möglich sei, und ich werde beweisen, dass dies in Chile der Fall ist, ein Übergang von einer kapitalistischen zu einer sozialistischen Produktionsweise auf demokratischem Wege“.

In der sozialistischen Partei waren nicht alle von dieser Idee überzeugt. Ein paar Parteimitglieder teilten diese Ansicht Allendes, aber die meisten waren anderer Auffassung. Auch die Kommunistische Partei war nicht besonders einverstanden mit der Idee Allendes, die Revolution innerhalb der bestehenden demokratischen Institutionalität zu vollziehen. Die Kommunisten waren hauptsächlich dagegen, weil es den Anschein hatte, dass es eine unbewaffnete Revolution sein würde. Das betrachteten die Kommunisten als besonders gefährlich. Für viele Kommunisten sah es so aus, als würde es eine spirituelle Revolution sein und nicht der wirkliche Übergang zu einer neuen Produktionsweise. Bekanntermaßen setzte sich Allende mit seiner Idee durch, ehrenhaft und sehr loyal, was deren Umsetzung anbetraf.

Meiner Sorge um die Bewaffnung der Bevölkerung und um die Einbeziehung breiter Teile der Streitkräfte in unseren revolutionären Prozess begegnete Allende stets mit beruhigenden Worten und relativer Sorglosigkeit. Er war der Meinung, dass jede Aktion hinsichtlich der Kontaktaufnahme zu den Militärs, sie in den revolutionären Prozess einzubeziehen, als Provokation von Seiten der Rechten gewertet werden könnte. Das Militär ideologisieren zu wollen, könnte schließlich einen Vorwand liefern, in den revolutionären Prozess gewaltsam einzugreifen.

Allende beteuerte, dass er dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Prats, keinesfalls Befehle in dieser Hinsicht geben würde. Er erwartete ebenso von mir, das zu unterlassen. Keinem, auch nicht einem regierungstreuen General, sollten irgendwelche politischen Befehle gegeben werden. Es gab eine sehr große Zahl regierungstreuer Generäle, eine sehr große Zahl von Offizieren, die ideologisch die Ansichten der Unidad Popular teilten. Ich schätze, dass etwa 500 bis 600 hochrangige Offiziere diese Position vertraten. Viele dieser Offiziere wurden nach dem Putsch festgenommen, in Konzentrationslager gesperrt, gefoltert und ermordet. Unter ihnen war auch der Vater unserer heutigen Präsidentin sowie der Vater und fast die komplette Familie der heutigen Verteidigungsministerin. Meine Ansicht war es, diese Militärs, die auf Regierungsseite standen oder ideologisch unsere Ansichten teilten, ebenfalls zu organisieren, um der rechten Opposition und den Putschisten innerhalb des Militärs zu zeigen, dass wir uns auch auf militärischem Wege auf alle Eventualitäten vorbereiten. Dies teilte ich auch dem Präsidenten mit. Wir hätten in der Lage sein müssen, unseren revolutionären Prozess mit militärischen Mitteln zu verteidigen.

In den Tagen nach dem Staatsstreich gab es sehr begrenzten Widerstand gegen die Putschisten. Oder würden Sie diesen lokalen Widerstand als bedeutend einschätzen? Hatten die Regierung und das Volk überhaupt die Möglichkeit, Widerstand gegen den Putsch zu leisten?

Es gab keinen Widerstand gegen den Putsch. Wir waren nicht in der Lage, einen nennenswerten Widerstand gegen die Putschisten zu leisten. Verwirrung und Enttäuschung herrschten, obwohl einige von uns, und im besonderen Maße ich, schon Tage und Wochen vorher davon überzeugt waren, dass dieser Putsch sich ereignen würde. Es gab ja schon drei Monate vor dem 11. September einen Putschversuch, den so genannten Tancazo. Ich hatte den Organen meiner Partei vertraut, dass sie sich in gewisser Weise auf ein Untertauchen und einen Widerstand aus der Illegalität vorbereiteten. Ich ging davon aus, dass konspirative Strukturen aufgebaut worden waren, um im Falle eines Putsches die Möglichkeit zu haben, das Leben unserer Mitglieder und der Führungskräfte der sozialistischen Partei zu retten. Als der Putsch stattfand, stellten wir fest, dass es solche Vorbereitungen nicht gab, dass es solche konspirativen Wohnungen, Kommunikationskanäle und Strukturen nicht gab. Einige der Führungskräfte waren davon überzeugt, dass eine Möglichkeit bestand, offenen Widerstand gegen die Militärs zu leisten. Ich jedoch war immer der Ansicht, dass wir im Falle eines Putsches nicht in der Lage wären standzuhalten, um unser sozialistisches Projekt zu retten, und war im Gegenteil davon überzeugt, dass im Falle eines Putsches unser Untertauchen in den Untergrund unbedingt notwendig war.

Das chilenische Militär verfügt über ein sehr gutes, nach preußischem Vorbild organisiertes Heer. Es ist ein sehr diszipliniertes, ein hochgradig ideologisiertes Heer, vollkommen anders, als man es zum Beispiel geschichtlich von den Militärs der Batista-Diktatur kannte, gegen die ein revolutionärer Krieg relativ leicht zu führen war. Die Marine ist nicht nach preußischem Vorbild sondern nach dem Vorbild der britischen Marine organisiert. Sowohl das Heer als auch die Marine waren eine nicht zu unterschätzende Kraft, wollte man mittels Guerrilla-Krieg Widerstand gegen sie leisten. Das Wichtigste war zu erreichen, dass ein bedeutender Teil sowohl des Heeres als auch der Marine unsere Regierung und unseren Prozess unterstützte, gegen jegliche Art von Versuchen unsere Revolution auf gewaltsame Art zu beenden auftrat.Interview mit Carlos Altamirano - Flucht vor der Junta

Das war also die Situation vor dem Putsch. Nach dem Putsch war das Niveau des Widerstandes sehr gering. Auf individueller Ebene gab es einzelne Personen, die Widerstand leisteten, aber zu einem organisierten Widerstand waren wir nicht in der Lage. Die Kommunistische Partei war in dieser Hinsicht besser vorbereitet als wir, es war jedoch nicht möglich, unter der Führung der Sozialistischen Partei einen Widerstand an der Basis zu organisieren. Wir hatten es, wie gesagt, aufgrund politischer Entscheidungen verpasst, diesen vorzubereiten. So hat es auch in jenen Fabriken keinen Widerstand gegeben, die mehrheitlich von kommunistisch orientierten Gewerkschaften organisiert und verwaltet wurden. Dort sowie in allen cordones industriales gab es keinen bewaffneten Widerstand gegen die Putschisten.

Man sollte allerdings nicht nur die relativ unorganisierte Sozialistische Partei dafür verantwortlich machen, sondern auch die sehr gut strukturierte und vorbereitete Kommunistische Partei. Auch die PC war nur äußerst mangelhaft in der Lage, organisierten Widerstand zu leisten, sodass praktisch keiner stattgefunden hat, bis auf einzelne minimale, sehr lokal begrenzte und individuell abhängige Widerstandsherde.

Wenn es also keine konspirativen Strukturen, keine Vorbereitungen für das Untertauchen in den Untergrund gab, was haben Sie unternommen, um die Führungskräfte vor dem Zugriff der putschistischen Militärs und vor Verschleppung, Folter und Ermordung zu schützen und zu retten? Wie war Ihre persönliche Situation in dieser Hinsicht?

Ich habe mich am Anfang in den Häusern von Genossen der Sozialistischen Partei versteckt, die ich bereits kannte. Wie ich schon sagte, war der Kontakt zu den sicherheitsbeauftragten Genossen der Sozialistischen Partei abgebrochen und es gab keine konspirativen Wohnungen, wo wir hätten untertauchen können. Ich war innerhalb der Sozialistischen Partei in einer Position, die es mir heute erlaubt, behaupten zu können, dass es solche konspirativen Strukturen, solche Häuser nicht gegeben hat. Wir haben später festgestellt, dass die wenigen Orte, die zum Untertauchen geeignet und dazu vorbereitet waren, den Militärs bereits bekannt waren und dass die Genossen, die dort untertauchten, heute nicht mehr am Leben sind. Diese Verstecke waren bereits vor dem Putsch lokalisiert worden.

Ich habe mich also in Wohnungen von Freunden und Genossen versteckt, immer unter der Bedrohung, dass eine Hausdurchsuchung mit meiner Verhaftung und Verschleppung enden würde. Das hängt damit zusammen, dass ich zu diesem Zeitpunkt eine relativ bekannte Person in der chilenischen Politik war. Immer wenn ich in ein Haus eines unser Genossen gekommen bin, meistens ein sehr bescheidenes Haus in einem Armenviertel, bin ich bereits von den Nachbarn und den Kindern erkannt worden, die dann freudestrahlend auf der Straße herum riefen: „Da kommt Altamirano, da kommt Altamirano.“ Das war für mich natürlich eine sehr gefährliche Situation, weil gleich das ganze Viertel Bescheid wusste, dass ich mich in einem der Häuser versteckt hielt. Ich bin zwar nicht sehr katholisch, aber ich meine einen Schutzengel gehabt zu haben, der mich in der ersten Zeit und in den ersten zehn oder elf Häusern, in denen ich mich versteckt hielt, beschützt hat, bis ich letztlich in dem Haus eines Genossen unterkam, dessen Sohn einer der führenden Funktionäre des sozialistischen Jugendverbandes war. Dieser Genosse hatte ein relativ sicheres Haus und dieses Haus befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft eines Generals der Polizei. Es war an der Tagesordnung, dass es Razzien gab, wo ganze Viertel abgesperrt wurden, um die Häuser zu durchsuchen. Durch die unmittelbare Nachbarschaft zu dem Haus des Generals der Polizei sind wir bezüglich dieser Razzien und Blockierungen der Stadtviertel verschont worden, weil die Militärs den Befehl hatten, die Generäle der Streitkräfte und der Polizei mit solchen Suchaktionen nicht zu belästigen.

Es gab eine Reihe von Situationen, in denen ich beinahe festgenommen wurde. Zum Beispiel wurde im Haus eines Genossen eine Hausdurchsuchung durchgeführt und ich habe es gerade noch so geschafft zu fliehen, indem ich über eine Mauer sprang. Ich war in meiner Jugend ein sehr sportlicher Mensch und war südamerikanischer Meister im Hochsprung. So hatte ich keine Schwierigkeit, über diese Mauer zu springen, und bin in das Nachbargrundstück geflüchtet, in dem ich mich unter großen Weinstöcken verstecken konnte. Der Putsch hat im Frühling stattgefunden. Somit hatten die Weinstöcke schon die ersten Blätter, die mir einen sehr guten Schutz boten, um nicht von den Militärhubschraubern entdeckt zu werden. Ich bin in die Krone eines solchen Weinstockes geklettert und habe mich an den Befestigungsdrähten festgehalten, so dass ich weder von oben noch von unten zu sehen war. Ich war mitten im Laub des Weinstockes versteckt. Die Militärs sind gekommen, haben das Haus durchsucht und natürlich auch die Weinstöcke mit Taschenlampen abgeleuchtet, haben mich aber Gott sei Dank nicht gefunden. Das war übrigens das Haus des berühmtesten chilenischen Fußballers dieser Zeit, Carlos Caszely.

So wie diese Episode gab es eine ganze Reihe von verschiedenen Situationen, in denen ich gerade noch, um ein Haar, der Verhaftung entkommen bin. Ohne sehr religiös zu sein, glaube ich wirklich, einen Schutzengel gehabt zu haben, der mir in diesen Tagen das Leben rettete. Es muss sich auf die eine oder andere Weise schon um ein Wunder gehandelt haben, dass ich diese ersten Tage nach dem Putsch überlebte.

Wie wurde schließlich der Kontakt zu den Funktionären der DDR-Botschaft hergestellt?

Mein Bruder Guillermo ist Psychiater oder Psychoanalytiker (ich habe den Unterschied zwischen beiden Disziplinen leider nie richtig verstanden) und ist in seiner Branche relativ bekannt in Chile. Zu diesem Zeitpunkt behandelte er den Sohn einer Sekretärin der DDR-Botschaft. So wurde ich eines Tages kontaktiert und darüber informiert, dass die zu diesem Zeitpunkt schon ehemalige DDR-Botschaft (die diplomatischen Beziehungen zur DDR wurden sehr schnell nach dem Putsch abgebrochen) in der Lage sei, mich in den Räumen ihres Gebäudes zu beherbergen. Ich bin aufgefordert worden, zu einem der Funktionäre der DDR-Botschaft Kontakt aufzunehmen und habe natürlich sofort zugesagt. In den darauf folgenden Tagen haben wir die Operation geplant. Ich sollte an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit in einem Taxi mit einer bestimmten Nummer und einer bestimmten Farbe zum Botschaftsgebäude transportiert und in einem Zimmer in der Botschaft untergebracht werden.

Hatten Sie während des Aufenthalts in der ehemaligen DDR-Botschaft Kontakt mit anderen Chilenen, die dort untergebracht waren?

Ja, aber nur mit einem. Ich glaube, es war ein Journalist. Es ist ein wenig schwierig mit der Erinnerung. Das war eine Zeit unwahrscheinlich großer Anspannung und voller Ängste. Deswegen bin ich mir nicht sicher. Ich glaube aber, es war ein kommunistischer Journalist, der von Friedel Trappen, dem damaligen DDR-Botschafter, gebeten wurde, von mir ein Foto zu machen, um für mich einen Reisepass ausstellen zu können. Das war natürlich ein falsches Dokument, aber unabhängig davon brauchte ich ein Foto für den Pass, hatte aber in dieser Situation – ich war ja auf der Flucht – keine Passfotos von mir dabei. Ebenso wenig war es mir möglich, zu einem Fotografen in der Stadt zu gehen, um ein solches Foto machen zu lassen. So wurde vereinbart, dass eben dieser Journalist unter strengen Sicherheitsvorkehrungen Passfotos von mir machen sollte. Er war der einzige Chilene, der davon Kenntnis hatte, dass ich mich im Gebäude der DDR-Botschaft befand.

Dies war also kein Chilene, der dort ebenfalls auf der Flucht und versteckt war, sondern einer, der noch nicht durch die Diktatur gesucht worden war?

Ich glaube, er war dort ebenso versteckt wie ich, bin mir aber nicht sicher. Diese Information habe ich nicht bekommen. Ich war in einem der oben liegenden Zimmer untergebracht, ständig mit zugezogenen Vorhängen, dass keiner von außen sehen konnte, was in dem Zimmer passiert. Die Umstände zwangen mich dazu, eine sehr starke, nahezu „deutsche“ Disziplin anzunehmen.

Dort wurde auch die Operation geplant, die mich außer Landes bringen sollte. Es wurde geplant, dass ich im Kofferraum eines Autos über den Grenzübergang Paso „Los Libertadores“ in Los Andes nach Mendoza in Argentinien herausgeschmuggelt werden sollte.

Wann haben sie dann Professor Hackethal kennen gelernt, der Sie letzten Endes außer Landes gefahren hat?

Den Genossen Hackethal habe ich erst unmittelbar vor der Operation kennen gelernt. Später hatte ich dann die Gelegenheit, ein paar Worte mit ihm zu wechseln, aber vor der Operation kannte ich ihn nicht. Ich habe ihn kennen gelernt, als er mit dem Auto ankam, in dessen Kofferraum ich steigen sollte. Da wurde er mir vorgestellt. Wir sind erst mit einem Botschaftsauto aus der Botschaft zu dem Ort gefahren, an dem der Übergang in das andere Auto stattfinden sollte. Vorher hatte man mich gefragt, welches der günstigste Ort für so einen Wechsel wäre. Ich habe empfohlen, auf dem Berg San Cristobal relativ dicht bei der Stadt, an einem Ort mit viel Vegetation und wenig Verkehr, „Pyramide“ genannt, den Austausch durchzuführen. Dort wurde mir der Chauffeur des Autos, Professor Hackethal aus Leipzig, vorgestellt. Danach gab es eine Reihe von unvorhersehbaren Zwischenfällen, bei denen ich wie durch ein Wunder nicht verhaftet wurde.

Als wir zum Beispiel am Grenzübergang „Los Libertadores“ ankamen, wurde Prof. Hackethal, nach seinen Papieren gefragt. Das Auto und der Kofferraum wurden durchsucht. Genosse Hackethal erklärte den Militärs, dass der Kofferraum voller Koffer und Kisten mit Medikamenten wäre. Er sei Arzt und müsse die Medikamente nach Argentinien transportieren. Er hat sich also als Vertreter eines pharmazeutischen Konzerns ausgegeben und da er ein paar sehr elegante Koffer im Kofferraum hatte, hat man ihm das geglaubt. Ich habe mich natürlich nicht im Kofferraum befunden, sondern in einem speziell dafür eingerichteten doppelten Boden zwischen Rücksitz des Autos und Kofferraum. Dort war ich auf sehr unbequeme Art und Weise dazwischengeklemmt. Das hat mich erneut vor einer Festnahme gerettet.

An der Grenzpolizei angekommen, wurde Professor Hackethal darüber informiert, dass sein Passierschein verfallen war, dass er die Grenze nicht passieren dürfe sondern sich um einen neuen Passierschein kümmern müsse. Ich habe aus meinem Versteck gehört, wie Hackethal eine Weile mit dem Militär diskutiert hat, schließlich stellte sich heraus, dass wir nach Los Andes zurückfahren mussten, um im Regiment von Los Andes einen neuen Passierschein zu beantragen. Die Anden sind an dieser Stelle fast 4.000 m hoch. Wir mussten also die gesamte Strecke zurück bis fast auf Meeresspiegelhöhe über eine enorme Serpentinenstraße runterfahren. Diese Fahrt dauerte etwa anderthalb bis zwei Stunden. Zu diesem Zeitpunkt war die Straße noch nicht wie heute asphaltiert.

Hackethal musste umdrehen und zurückfahren und da hatten wir die Möglichkeit uns kurz zu verständigen. Ich habe aus dem Versteck heraus gefragt, was nun zu tun sei. Ich kannte die Gegend und ein Skigebiet und habe dem Professor empfohlen, einen kleinen Weg hinein zu fahren, etwa 5 km weit. Dort würde ich aussteigen, zwischen den Felsen warten, mich dort verstecken, bis er wiederkehrte, um mich abzuholen. Auf diese Weise würde ich mich nicht erneut der Gefahr aussetzen, bei einer Straßenkontrolle festgenommen zu werden. Mich mit zum Regiment zurück zu nehmen, den Passierschein zu beantragen und wieder da hoch zu fahren, wäre eine zu große Herausforderung des Glücks und meines Schutzengels gewesen. Das hätte ich wahrscheinlich nicht problemlos überstanden.

Also haben wir beschlossen, dass ich an dieser Stelle aussteige und auf die Rückkehr des Professor Hackethal warte. Der Genosse Hackethal ist zu diesem Regiment gefahren, hat seinen Passierschein bekommen und ist auf dem schnellsten Wege zu meinem Versteck gekommen, um mich wieder in den Kofferraum zu verfrachten, weil bereits um siebzehn Uhr die Grenze geschlossen werden würde. Die ganze Aktion war ein Rennen gegen die Zeit, weil wir zu diesem Zeitpunkt bereits drei Stunden verloren hatten. Wir konnten auch nicht damit rechnen, dass die Militärs flexibel mit der Zeit umgehen. Wenn sie den Befehl bekommen, siebzehn Uhr wird die Grenze geschlossen, konnte man davon ausgehen, dass um siebzehn Uhr die Grenze zu war. So haben wir praktisch fünf Minuten vor Toresschluss das Land verlassen können.

Wir sind nach einigen Stunden nach Mendoza gekommen. Dort hat der Genosse Hackethal einen Bungalow gemietet und wir haben dort die Nacht verbracht. Am darauf folgenden Tag kam dann Friedel Trappen nach Mendoza, um mich abzuholen. Nachdem wir erneut das Auto gewechselt hatten, habe ich die gesamte Strecke zwischen Mendoza und Buenos Aires auf dem Rücksitz gelegen, allerdings auch etwas versteckt. Das konspirative Verhalten war nötig, weil wir uns auf argentinischem Territorium befanden und der argentinischen Polizei nicht vertrauen konnten. Zu diesem Zeitpunkt war auch das argentinische Regime autoritär und repressiv. Der Putsch hatte dort noch nicht stattgefunden, das erfolgte erst drei Jahre später, im Jahre 1976. Allerdings mussten wir uns auch vor den Chilenen verbergen, die sich in Argentinien aufhielten, gerade auf dieser internationalen Strecke zwischen Mendoza und Buenos Aires, und so beschlossen wir, nach wie vor größte Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten. So habe ich mich auf dem Rücksitz hingelegt, mit einer Decke verdeckt, zwar nicht mehr in meinem Kofferraumversteck, aber immer noch mit größter Vorsicht.

Später bin ich dann mit einer russischen Interflugmaschine aus Argentinien ausgeflogen worden. Wir sind nach Berlin gereist und dort bin ich mit sehr großer Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit von Erich Honecker auf dem Flughafen empfangen worden. Er hat mich willkommen geheißen und mir angeboten, mich in der DDR aufzunehmen. Allerdings war ich nach Italien zu einem großen politischen Kongress eingeladen worden und musste dorthin weiterreisen. Ich habe also nur eine Nacht in Berlin verbracht.

Diese Einladung von Honecker hat mich natürlich nicht gleichgültig gelassen, ich war sehr dankbar dafür. Mir wurde angeboten, in Berlin ein Büro einzurichten, um von dort aus unseren Widerstand gegen Pinochet und die Diktatur zu organisieren und zu koordinieren. Natürlich hatte uns auch Fidel Castro angeboten, in Cuba ein Koordinierungsbüro einzurichten und die Genossen der Sozialistischen Partei aufzunehmen. Er hat mir sehr herzliche Grüße ausrichten lassen und die Einladung ausgesprochen: „Komm nach Kuba, wann immer Du willst, und koordiniere Deine politischen Aktivitäten von hier aus.“

Einige Tage nach meiner Ankunft in Berlin bin ich schließlich nach Kuba gefahren und dort hat mich die Presse dann auch fotografiert. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste die Militär-Junta nicht, wo ich mich aufhielt. Sie dachten, dass ich mich immer noch im Land befinde und zweifelten die Echtheit der Fotografie an, die in Kuba von mir gemacht wurde. Sie dachten, es wäre eine Fotomontage, weil sie nicht glauben konnten, dass ich bereits das Land verlassen hatte. Die Militärs vertrauten sehr auf ihre Fähigkeit zur Überwachung und Kontrolle. Insgesamt ungefähr 200.000 Soldaten und Offiziere kontrollierten damals das Land und die Grenzen. Hinzu kam die Polizei, hinzu kamen die Sicherheitskräfte, hinzu kamen die Denunzianten; es war das halbe Chile, das hinter mir her war, und so konnten sie sich natürlich nicht vorstellen, dass es möglich gewesen wäre, dass ich das Land unbemerkt verlassen hatte.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Marek Höhn. Das Interview erschien in einer gekürzten Fassung auch in der Jungen Welt, 8./ 9. September 2007, S. 4-5 unter dem Titel “Allende wollte sein Versprechen halten”.

Bildquellen: Quetzal-Redaktion, Manfred Höhn

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