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Rio plus 20: Gipfel der verpassten Gelegenheiten

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Brasilien: Abholzung des Amazonas-Regenwaldes - Foto: Agencia BrasilGestern, am 22. Juni 2012, endete die dritte Weltkonferenz in der Nachfolge des Erdgipfels von 1992. Die Bilanz fällt enttäuschend aus. Alle strittigen Punkte – immerhin 199 Paragrafen – der Abschlusserklärung wurden von brasilianischer Seite einfach gestrichen. Damit werden alle zentralen Vorhaben – die Einrichtung eines Fonds für Entwicklung und Technologietransfer, die Einführung von Nachhaltigkeitszielen (SDG), die Reform der für Umwelt und nachhaltige Entwicklung zuständigen UNO-Institutionen sowie eine „Road Map“ für die „Grüne Wirtschaft“ – einfach auf die nächsten Jahre verschoben. Selbst das „Handelsblatt“ kommt nicht umhin, von einem „Gipfel der unambitionierten Unverbindlichkeit“ zu sprechen. „Keine Ziele, keine verbindlichen Fristen, keine Visionen“ lautet das Fazit der meisten Beobachter. Für Ernst-Ulrich von Weizsäcker, viele Jahre Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, sind die Ergebnisse der Konferenz „gleich null“. Aber auch im Falle der Annahme des ursprünglichen Entwurfs der Abschlusserklärung von „Rio plus 20“ erweisen sich drei politische „Großtrends“, die sich durch das Dokument ziehen, nach Meinung von Lili Fuhr von der Heinrich-Böll-Stiftung, als besonders problematisch:

– freiwillige Selbstverpflichtung statt rechtliche Verbindlichkeit;

– das blinde Vertrauen auf Investitionen des Privatsektors;

– die Umwandlung von natürlichen Ressourcen wie Biodiversität, Wald und Boden in „Naturkapital“.

Angesichts dieses Befunds erweist sich die neue „Zauberformel“ von der „grünen Ökonomie“ als eine schale Worthülse ohne Verbindlichkeit.

Das Versagen der Konferenz ist angesichts der Bilanz der vergangenen 20 Jahre besonders schmerzlich. In keinem der zentralen Bereiche – Senkung der Kohlendioxidemissionen, Schutz der Biodiversität, Eindämmung der Desertifikation und des Waldsterbens – konnte eine Trendwende erzielt werden. Die partielle Absenkung der Verlust- und Schadensquoten von 1992 wird schon als großer Erfolg verkauft. Sieht man sich beispielsweise die Zahlen zum Waldsterben näher an, so entpuppt sich der vermeintlich geringe Verlust zwischen 1990 und 2010 von 3,3 Prozent weltweit als Mogelpackung. Die Wiederaufforstung, die vor allem in den Industrieländern Europas und Nordamerikas greift, kann nicht die immensen Schäden ausgleichen, die durch die Vernichtung der Primärwälder in Lateinamerika, Westafrika und Südostasien verursacht werden. Deren Anteil an der gesamten globalen Waldfläche ist inzwischen auf 40 Prozent gesunken. Und netto verliert unser Planet pro Jahr immer noch Waldgebiete von der Größe Großbritanniens.

Am Beispiel des Gastgebers Brasilien lässt sich anschaulich zeigen, wie tradierte ökonomische Interessen ökologische Fortschritte verhindern. Hauptverantwortlich für dieses Missverhältnis ist der „plündernde Extraktivismus“, der nach wie vor eine zentrale Säule des brasilianischen „Wirtschaftswunders“ bildet. Ein Indikator dafür ist die Exportstruktur des lateinamerikanischen Landes: Der Anteil von Eisenerz, Rohöl, Soja, Fleisch, Zucker und Kaffee, der 2006 bei 28,4 Prozent der Gesamtausfuhr lag, schnellte bis 2011 auf 47,1 Prozent empor. Aber auch die vermeintlich grünen Seiten der brasilianischen Ökonomie erweisen sich bei genauerer Betrachtung sowohl ökologisch als auch sozial als kontraproduktiv. Beispiele dafür liefern die expandierende Produktion von Biotreibstoffen (Ethanol aus Zuckerrohr und Agrodiesel aus Soja) sowie der Ausbau von Megaprojekten zur Energiegewinnung aus Wasserkraft oder zur Ausbeutung von Rohstoffen. Beides geht nicht nur zu Lasten des weltweit einzigartigen und zugleich wichtigen Ökosystems des Amazonas-Regenwalds, sondern auch der dort lebenden Menschen. Während solche Megaprojekte wie der Bau des Wasserkraftwerkes von Belo Monte die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung zerstören, verschärft die Konkurrenz von Treibstoff- und Lebensmittelproduktion die Ernährungskrise weltweit. Die Gewinner dieses gleichermaßen zynischen wie einträglichen Geschäfts mit der Umwelt sind die mächtige Agrarlobby und Bergbauriesen wie Vale, inzwischen das zweitgrößte Rohstoffunternehmen der Welt. Deren Einfluss ist es auch zu „verdanken“, dass die anstehende Novelle des Waldgesetzes wichtige Schutzbestimmungen aushöhlt. Bereits jetzt ist eine neuerliche Zunahme der Entwaldung zu beobachten.

In Hinblick auf die globalen Entwicklungsziele konnten allein bei der Bekämpfung der Armut sichtbare Fortschritte erzielt werden: Die Zahl der absolut Armen mit einem Tageseinkommen von weniger als 1,25 US-Dollar sank bis 2008 auf 22 Prozent (1996 noch 43 Prozent) bzw. von 1,9 Mrd. Menschen auf 1,3 Mrd. Die Kehrseite der Medaille zeigt sich jedoch in einer weiter zunehmenden sozialen Polarisierung. So erhalten die 2,5 Mrd. Menschen, die von weniger als zwei Dollar am Tag leben müssen (das sind immerhin 40 Prozent der Weltbevölkerung), nur 5 Prozent des Welteinkommens, während die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung über 54 Prozent desselben verfügen.

Das Scheitern von „Rio plus 20“ lässt sich auf das Zusammenwirken von drei „Verschiebungen“ im Vergleich zu 1992 zurückführen, die in ihrer Resultante eine globale Blockadesituation produzieren:

Erstens konnte das Primat der Ökonomie sowohl gegenüber der Politik als auch gegenüber der Ökologie, das im Zuge der neoliberalen Wende in den 1990er Jahren politisch durchgesetzt wurde, bislang nicht gebrochen werden.

Zweitens werden die verschiedenen globalen Krisen des kapitalistischen Weltsystems nicht in ihrer Wechselwirkung begriffen und erklärt. Gerade das Treffen der G20 in Los Cabos (Mexiko), das unmittelbar vor dem Erdgipfel stattfand, hat gezeigt, dass die globale Finanzkrise Priorität genießt und als Totschlag-Argument gegen jeglichen politischen Vorstoß auf den anderen „Krisenfelder“ (Energiekrise, Klima- und Umweltkrise, Ernährungskrise, soziale Krise) eingesetzt wird.

Drittens hat der Aufstieg der großen Schwellenländer (China, Indien, Brasilien) eine geopolitische Verschiebung bewirkt, die sich bislang jedoch im doppelten Sinne blockierend statt verändernd gestaltet: Zum einen setzen sie auf nachholende Entwicklung und stabilisieren damit die Pfadabhängigkeit im Sinne des „fossilen Kapitalismus“, wobei sie ihre bisherigen Positionsverbesserungen innerhalb desselben als Erfolg interpretieren, der durch den „Ökoimperialismus des Westens“ nicht gefährdet werden soll. Zum anderen erschöpft sich die Konkurrenz zwischen „First-“ und „Newcomern“ in Hinblick auf eine „ökologische Wende“ in gegenseitigen Schuldzuweisungen. Wenn sich der Gastgeber Brasilien eine ähnliche Arroganz wie die USA zu erlauben können glaubt, dann ist das ein Weg in die Sackgasse. Das 1992er Prinzip der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“, mit dem die Industrieländer erstmals die historische Verantwortung für die globale ökologische Krise übernommen hatten, droht dabei unter die Räder zu geraten.

Drei reale „Großtrends“ wirken jedoch dieser Blockade entgegen: Zum einen ist bei Beibehaltung des gegenwärtigen Kurses eine Verschärfung der Konkurrenz zwischen Industrie- und Schwellenländern zu erwarten. Zweitens wird sich die Krisendynamik weiter entfalten und dabei schwer vorhersehbare Synergien und Verzahnungen entwickeln. Drittens werden die Verlierer, die diese beiden Prozesse hervorbringen werden, nicht wie Opferlämmer stillhalten. Wie, wann und mit welchen Konsequenzen sich dieses Aufbrechen der gegenwärtigen Blockade vollziehen wird, kann niemand vorhersagen. Sehr viel wird davon abhängen, ob die Mächtigen dieser Welt dies weiter dem Selbstlauf überlassen wollen oder ob sie endlich bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Viel Zeit für eine geordnete Umkehr im Sinne einer „Zukunftsgerechtigkeit“ für alle bleibt nicht mehr.

Bildquelle: Agencia Brasil

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