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Weiße Flecken auf der Klimakarte
Neue Daten aus dem Amazonas

Sven Schaller | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Lateinamerika: Das Projekt ATTO im Amazonas-Regenwald - Karte: NASA Blue Marple/Quetzal-Redaktion, ssc

In der globalen Klimadebatte gelten inzwischen zwei Aussagen als ziemlich sicher: „Das Klima ändert sich“ und „Der Wandel ist durch anthropogene Aktivitäten verursacht“. Als Beleg werden Messreihen zu den verschiedensten Variablen wie Temperatur, C02-Gehalt der Atmosphäre, Methankonzentration, Niederschlag, Eisdicke usw. präsentiert. Computermodelle entwickeln auf Basis dieser Daten hunderte Szenarien. Und dennoch: Vieles ist bei der Klimaforschung noch nicht verstanden, unsicher, jenseits des Bereichs der verlässlichen Vorhersage. Gerade dieser Aspekt ist jedoch die eigentliche Grundvoraussetzung zur Klimaanpassung.

Weiße Flecken zu Klimadaten gibt es nicht nur über weiten Teilen der Weltmeere, über Meeresströmungen und Eisflächen, sondern vor allem auch über den riesigen Waldflächen Russlands, Afrikas, Kanadas oder im Amazonas. Die Lage erinnert an die Expeditionen von Naturforschern und Kartographen im 19. Jahrhundert: Man weiß wenig über diese Gebiete, obwohl inzwischen Satelliten den Blick auf sie freigeben.

Das Wenige hat allerdings enormen Einfluss auf das Klima. Der Amazonas-Regenwald produziert beispielsweise etwa die Hälfte des weltweiten Sauerstoffs. Zudem spielen Wolken, die sich über ihm infolge der Verdunstung bilden, eine bisher schwer kalkulierbare Rolle beim globalen Wasserkreislauf – und damit beim Klima. In dem Kontext sei erwähnt, dass dieser Prozess der Wolkenbildung über dem Regenwald selbst erst vor wenigen Jahren entdeckt wurde. Es gelang Forschern nachzuweisen, dass die Bäume winzige Aerosole (z.B. Pollen, Sporen und Bakterien) ausstoßen, die als Kondensationskeime für Wolken dienen. Verschwindet der Regenwald, gibt es auch keine Wolken und keinen Niederschlag mehr. Was lange vermutet wurde, gilt nun als relativ sicherer Zusammenhang.

Aber über dem Amazonas-Regenwald passiert noch viel mehr, was die Wissenschaftler bis heute nicht erklären können: Welchen Einfluss hat er auf den Stickstoffkreislauf? Wie werden die Treibhausgase ausgetauscht? Und wie atmet der Wald? Klar, durch Photosynthese nehmen die Bäume tagsüber Kohlendioxid auf. Aber nachts, wenn die Pflanzen den produzierten Zucker verbrennen, gibt der Wald Kohlendioxid wieder ab. Durch die relativ schnelle Abkühlung in Bodennähe steigt dieses C02 allerdings nicht mehr in die Atmosphäre auf. Neueste Erkenntnisse lassen zudem vermuten, dass es nicht gespeichert, sondern über Bäche aus dem Wald gewaschen wird.

Licht ins Dunkel sollen nun neue Forschungsprojekte bringen. Eines ist das ATTO-Vorhaben des Max-Planck-Instituts für Chemie. Wissenschaftler lieben bekanntlich Akronyme. ATTO steht für Amazonian Tall Tower Observatory, das derzeit in der Nähe von Manaus im brasilianischen Regenwald errichtet wird. Mit einem 320 Meter hohem Messturm sollen alle relevanten meteorologischen Daten wie Temperatur, Niederschlag, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Sonneneinstrahlung usw. aufgezeichnet werden – und natürlich die C02-Konzentration.

All diese Parameter sind extrem wichtig, um das System Regenwald besser zu verstehen, die Klimamodelle mit mehr Daten zu versorgen und Zusammenhänge herzustellen. Dafür werden dann nicht nur Wetterdaten in luftiger Höhe gewonnen, sondern am Boden auch Bäume vermessen, Boden- und Gewässerproben genommen und Sterberegister für Bäume angelegt.

Lateinamerika:_Amazonas-Regenwald - Foto: Quetzal-Redaktion,_sscDas ATTO-Projekt hat übrigens einen „Bruder“: ZOTTO, das Zotino Tall Tower Observatory, mitten in der sibirischen Taiga. Dort werden seit 2006 Treibhaus- und andere Spurengase sowie Aerosole gemessen. Auch die Taiga ist einer der hotspots für das globale Klima. Wie im Fall des Amazonas-Regenwaldes gibt es kaum Daten(reihen). Und es gilt, grundsätzliche Fragen zu beantworten. Vielleicht finden sich ja Antworten, die den Klimawandel noch deutlicher als Problem für die weitere menschliche Entwicklung darstellen und die Weltgemeinschaft bereitwilliger zum Handeln bringen. Erste Indizien deuten in diese Richtung: So kann große Dürre im Sommer die großen Waldflächen von einer Kohlendioxidsenke in eine Kohlenstoffquelle verwandeln, d.h., es wird dann mehr Kohlenstoff abgegeben als aufgenommen. Ein Bumerang für das Klima.

Ähnliche Zusammenhänge wurden auch im Amazonas-Regenwald beobachtet. Die Wissenschaft hat das Thema entdeckt und geht damit einer globalen Fragestellung nach. Dafür sind 8,4 Millionen Investitionskosten, die Deutschland und Brasilien zu gleichen Teilen für das ATTO-Projekt aufbringen, ein vergleichbar geringer Preis. Wesentlich teurer wird es später, wenn die wissenschaftlichen Erkenntnisse politisches Handeln erfordern.

Bildquellen: [1] NASA World Wind / Bearbeitung: Quetzal-Redaktion, ssc; [2] Quetzal-Redaktion, ssc

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