Wer glaubt, jede Ähnlichkeit mit einem Land, einer Person oder einer Situation auf dieser Welt sei rein zufällig, der täuscht sich gewaltig
Berühmt ist er nicht, der Dichter mit dem unaussprechlichen Namen Filomeno Eulálio Futuroso Durão. Filô der Dialektiker, wie ihn seine Freunde nennen, hat auch bisher kein Buch geschrieben. Er ist ein Dichter der Straße mit Hang zur Philosophie. Er spricht gern vom Verhältnis aller Dinge zueinander, von Neben- und Hauptaspekten, den Gesetzen des Widerspruchs und den Grundlagen der Dialektik.
Filô hat in seinem Leben schon alles versucht, nichts ist ihm heilig. Die Schule brach er frühzeitig ab, aber das Lesen war, solange er denken kann, seine Leidenschaft. Bei Poesie und Philosophie kommt er geradezu ins Schwärmen.
Land der Zukunft nennt sich das unterentwickelte Land, in dem er zur Welt kam. Allerdings hat es schon runde fünf Jahrhunderte auf dem Buckel, aber auf die Zukunft wartet es noch immer. Filô wundert sich nicht:
»Wird einen langen Weg haben, die Zukunft, und kein Geld für die Reise, da muß sie wohl zu Fuß kommen.«
Und er hängt gleich noch seine dialektische Schlußfolgerung daran, daß dies das wohl am wenigsten dialektische Land der Welt sei, denn hier verhielte sich ja rein gar nichts. Im Gegenteil, alles ein einziges Durcheinander! Und weiter:
»Ein Land der Dritten Welt soll das sein? Nein! Eher das Erste der Ersten, betrachtet man nur mal die Armut, Obdachlosigkeit, die Bettelei und die Gemeinheiten der Regierung.« Was hatte er nicht schon alles versucht, Filô, der »Spezialist für allgemeine Angelegenheiten«, wie er sich nennt, wenn er nach seinem Beruf gefragt wird.
Seine Laufbahn begann als Straßenhändler mit dem Verkauf von süßen, getrockneten Bananen. Danach verdingte er sich als Fußballspieler, mußte aber gleich wieder aufgeben, nachdem es ihn am Schienbein erwischt hatte. Er wurde Bäcker, Totengräber, Müllmann und Hilfsmaschinist, und einmal versuchte er sich sogar als Artist. Capoeiratänzer im Volkskunstverein wollte er sein. Die machten so schöne Reisen rund um die Welt. Aber irgendwie wurde nichts draus. Auch sein Versuch mit Kung-Fu brachte ihn weder nach Honolulu noch in die Gegend von Bangú. Als der Rap Mode wurde, gründete er eine eigene Gruppe. Es lief wie geschmiert, bis ihm eines Abends während der Vorführung in einer Diskothek, vom Fernsehen live übertragen, seine Hose herunterrutschte. Und noch schlimmer, denn wie immer hatte er keine Unterhose an. Man warf ihn aus der Disko und entließ ihn aus der Show.
Sein Weg führte ihn zu den Goldminen, aber die waren schon abgeräumt. Dann ging er in eine andere Stadt, hatte Glück und wurde Bote bei einer Zeitung. Einer der Journalisten mochte ihn. Der hatte sich in den Kopf gesetzt, für den Bundestag zu kandidieren. Mit einem wunderbaren Programm wollte der Kandidat mit den Armen des Landes für soziale Gerechtigkeit kämpfen. Der Wahlkampf machte aus ihm einen wahrhaftigen Robin Hood. Leider verlor er die Wahl und seine Arbeit bei der Zeitung. Filô hatte als aktiver Wahlhelfer sogar Gedichte für den Kandidaten geschrieben; also warf die Zeitung auch ihn vor die Tür.
Fast abgemagert zum Skelett, verlor er schließlich die Arbeit, die Wohnung und sein Bett. Eingereiht in eine Heerschar von Bettlern und Obdachlosen, ist auch Filô jetzt auf der Straße zu Haus und lebt inzwischen von Almosen. Sein Interesse an der Poesie und Philosophie ist ungebrochen wie nie. Filô sinniert:
»Ein bißchen Ahnung hab ich ja vom Leben. Über Philosophie und Poesie weiß ich sogar ganz gut Bescheid. Aber in Bettlerkunde und Obdachlosenwissenschaft macht mir keiner etwas vor, darin bin ich glatt Professor.«
In diesem Gewimmel von Bettlern lebt auch Sofia, Studentin der Soziologie war sie früher. Am Anfang des Studiums war Sofia einmal sehr schön gewesen, dann war ihr das Geld ausgegangen, und ein Zugunglück nahm ihr auch noch ihre Eltern. Man bot ihr Arbeit an in einem Massagesalon. Sie akzeptierte, noch ahnte sie nichts von der Zweideutigkeit dieser Art von Massage. Als sie später dies Angebot, sich selbst zu verkaufen, durchschaute, nahm sie es bar anderer Möglichkeiten hin, als Prostituierte zu leben, denn das Studium ging ihr nicht aus dem Sinn. Sie betrachtete ihre Situation einfach unter soziologischen Gesichtspunkten.
Schon in der ersten Woche kam ein Zuhälter in das Etablissement und verlangte die Hälfte ihres Geldes. Durch ihr Studium hatte sich Sofia einen Haufen linker Argumente angeeignet und sprach zu ihm von Ausbeutung und Mehrwert, woraufhin ihr der Zuhälter eine Ohrfeige verpaßte und sagte:
»Was? Hier gibt’s keine Soziologie, auch nicht diesen Mehrwert, hier herrscht das Hurengeschäft, und wenn du in diesem Ton mit irgendeinem Kunden sprichst, werfe ich dich ins Kittchen.«
Sofia wußte, daß der Zuhälter ein Polizeikommissar war und erkannte ihre Lage ganz klar. Gelandet war sie im Aus, ihr Soziologiestudium gab sie dann auf, denn von nun an mußte sie den ganzen Tag arbeiten.
Sofia fiel tiefer und tiefer von der Leiter, sie wußte bald absolut nicht mehr weiter, und man schickte sie in ein billiges Bordell. Schließlich landete sie in der Gosse bei den Bettlern, wo man ihr den Namen Sofia Mehrwert gab.
Filô verliebte sich in Sofia. Bald bildeten sie ein harmonisches Paar, und die Bettler kannten sie nur immer zusammen als Filô/Sofia.
Unter den Bettlern lebt ein gewisser Senhor Nicanô, vor Zeiten war er mal Pastor. Eines Tages, als er noch schöne Predigten hielt, bekam er Schwierigkeiten mit der Frau des Gouverneurs, die sich in ihn verliebt hatte. Nicht lange gefackelt, und Pastor Nicanô vernaschte Maria da Virgem, die Frau des Gouverneurs. Ihm war ziemlich klar, worauf er sich einließ, als sie zu diesem besonderen Gebet niederkniete, so jedenfalls berichtet Nicanô;
»Heilige Jungfrau Maria! Ein schlimmer Finger die Maria da Virgem, sie betete den ganzen Rosenkranz.«
Just an diesem Tag hatte der Gouverneur beschlossen, etwas für die Verständigung mit der Kirche zu tun und hatte in seine Tagesordnung einen Höflichkeitsbesuch in Nicanôs Kirche eingeplant. Mit dem Ergebnis, daß der Gouverneur Pastor Nicanô dabei erwischte, wie er im Adamskostüm seiner Frau Maria da Virgem eine süße, gefühlvolle Predigt hielt. Welch ein Wirbel, ein Riesentrara! Der enttäuschte Gouverneur hielt vor dem Bild, das sich ihm bot, seine bisher wohl kürzeste Rede:
»Das ist wirklich gelungen, Senhor Nicanô! Hier stehe ich vor Ihnen in Gottesfurcht, und der Herr verfuhrt meine Frau!«
Am nächsten Tag wurde überall darüber berichtet. Eine Zeitung brachte es als Schlagzeile auf der Titelseite:
»Die angesehene First Lady des Staates, Gemahlin des verehrten Herrn Gouverneur, hält sich seit gestern in einer Klinik auf. Sie erholt sich von dem Schock, den sie beim Blasen in Pastor Nicanôs Mikrophon erlitt.«
Nicanô kam ins Kittchen, der Skandal war perfekt. Monate später war er zwar frei, doch für immer erledigt. Unglaubwürdig geworden, ergab er sich in sein neues Schicksal eines Wanderpredigers. Er wurde es müde, die Menschen um Vergebung zu bitten, es war doch alles umsonst, und niemand als die Gemeinde der Obdachlosen und Bettler nahm ihn schließlich bei sich auf. Alle möglichen Leute gehörten zu dieser Gemeinde. Einer war mal Asphalt-Lambretta-König gewesen, ein anderer Fußballstürmer, einer war Fälscher, und es gab Anacleto, der war Komponist. Er komponiert bis heute und singt seine witzigen Lieder zum Schwof. Einer unter ihnen, ein ehemaliger Sänger und ein ziemlicher Angeber, rühmt sich damit, schon zusammen mit Stevie Wonder gesungen zu haben.
»Was für’n Wunder?«
wollen die Bettler dann von ihm wissen.
Viele von ihnen sind irgendwas »Ex«, Ex-Schuster, Ex-Bäcker, Ex-Hornhautentferner, auch Ex-Kämpfer in mehreren Kriegen. Eine recht ansehnliche Bettlerkommune. Möglicherweise sogar eine der größten der Welt, wenn sich das Land, das immer und überall das größte und beste zu sein glaubt, in seinem megamanischen Größenwahn nicht auch darin überschätzt. Auf jeden Fall aber ist diese Zunft der Bettler ganz ungeheuer kompetent, einfallsreich, immer wachsam und immer auf der Lauer. Zu ihrem Speiseplan gehören Aasgeier und Ratten, Stinktiere sogar. Man mache sich klar, Aasgeier und Stinktier, ekelerregende, ungenießbare Viecher! Aber die Mägen der Bettler sind gut geschult, Sodbrennen kennen sie nicht, nicht einmal Mundgeruch. Von sich selbst sagen sie:
»Wir sind die echten Bettler, hier gibt’s keine Hippies, keinen Punk, keine Aussteiger. Hier ist alles echt, hier wird niemand getäuscht.« Natürlich betteln die Bettler um Kleidung, Essen, Geld, wie jeder Bettler, der was auf sich hält. Sie wissen alles über alle Müllhalden der Stadt. Ihr suchender Blick durchdringt die Häuser, sie wissen genau, welche ihrer Bewohner sich makrobiotisch ernähren und wo gern Fleisch gegessen wird. Teilen müssen sie nur mit den streunenden Katzen und Hunden, sie haben aber einen Weg gefunden, sich nie ins Gehege zu kommen. Sie haben sich einfach solidarisiert und hocken immer zusammen, die trostlose Horde der Straßenköter, der Katzen, der Obdachlosen und Bettler. Mit gefüllten Bäuchen verdrücken sich die Hunde in ihre Ecken, die Raucher unter den Bettlern zünden sich ihre Kippen an, und hin und wieder erleichtert ihnen ein ergattertes Schlückchen Schnaps die Verdauung und die Kälte. Sie reden über Neuigkeiten und die Erlebnisse des Tages, und manchmal erhebt sich das größte Palaver, wenn Filô mal wieder ein Gedicht deklamiert, oder wenn Pastor Nicanô ganz salbungsvoll das Neue Testament rezitiert. Die meisten machen sich rein gar nichts aus Predigt und Poesie. Wie sagt einer der ganz Radikalen?
»Wenn ich das schon höre, Gedichte, diesen frommen Sermon, Philosophie, ist alles Quatsch! Macht mein Leben nicht besser und meinen Bauch nicht voll. Los, Anacleto, spiel lieber einen deftigen Blues oder Rap oder auch Samba! Warum nehmt ihr nicht endlich den ganzen Kram und überlegt euch einen genialen Plan, der uns mit Essen und einem anständigen Leben versorgt?«
Sofia Mehrwert, noch immer ein Fan der Soziologie, unterbricht:
»Dein Vorschlag, Genösse, entbehrt nicht einer gewissen Kohärenz und ist eine Überlegung wert. Du darfst aber nicht die Bedeutungsrelevanz all dessen, was für die Formulierung des Plans wichtig ist, vergessen. Man kann die Theorie nicht abspalten, das ist nicht der Weg, Genösse, vielmehr ist der Stellenwert…«
Der Ex-Maskenbildner unter ihnen fährt Sofia ganz ungeschminkt dazwischen:
»Verdammte Scheiße, halt die Klappe, Sofia Mehrwert! Kannst du nicht mal deine Soziologie vergessen? Kein Mensch hier versteht dein Gefasel, und führen tut es zu überhaupt nichts. Hätte verdammt mehr Wert, wenn du sprichst wie wir alle hier, schließlich ist dies nicht die Universität; im Gegenteil, Universum und unsere Realität haben absolut nichts miteinander zu tun. Hier paßt das Gerede von der Philosophie des Elends oder vom Elend der Philosophie nicht her, hier ist das Elend selbst Philosophie. Tatsache ist, wir sind Bettler, wir sind Obdachlose, und wenn alles so weitergeht, sind wir bald die Mehrheit in dieser Nation. Laßt uns lieber schon mal an Weihnachten denken! Warum nutzen wir nicht die Gunst dieser Stunde, in der sich plötzlich alle
Welt an die Armen erinnert, an die Bettler, die armen verlassenen Kinder und so? Nehmen wir doch die Gelegenheit der allgemeinen Verbrüderung beim Schöpfe und bereiten uns ein wirklich geiles Festmahl!«
Der Ex-Magier unter ihnen entwirft gleich ein schillerndes Bild, reißt alle mit sich, und mit Feuereifer stürzen sich die Bettler auf die Organisation dieses einmaligen, außerordentlich außergewöhnlichen Weihnachtsessens.
Der Bettler Peri, früher Fälscher, übernimmt das Ausstellen falscher Stammbäume für die Straßenköter. Die ganze Hundemeute wird frisch gebadet und in feinen Duft gehüllt. Sie schrecken auch nicht vor Schleifchen zurück, so als seien sie Frauchens Liebling. Der Plan ist, sie als Rassehunde getarnt einen eleganten Angriff starten zu lassen auf das Büffet bei dem Internationalen Turnier der Rassehunde, das für diese Woche im Golf Club der Riesenmetropole angesetzt ist. Jeder Hund wird einzeln darauf abgerichtet, nur von den delikatesten Sachen zu nehmen. Diesmal gibt’s keine Hundewurst. Sie spüren sie schon auf der Zunge, die Schenkelchen, den Räucherschinken, italienische Salami und köstlich pikanten französischen Käse.
Der einstige Schneider, jetzt obdachlos, Ivo von Sankt Laurenzius, näht einen Frack für Filô. In der Weihnachtswoche nämlich wird dieser sich verwandeln in ein ehrenwertes Mitglied der Akademie der Literatur.
»Bereite dich gut auf die Aufgabe vor«, so spornen sie ihn an.
»Der Städtische Verband der Kaufleute hat im Süden der Stadt schon seine echte, vollendete Krippe aufgestellt. Und du wirst es sein, der vor den hohen Herren und dem staunenden Publikum einen zu Herzen gehenden Vortrag hält. Derweil werden wir dieser Kripperei ein Ende setzen und alle Tiere mitgehen lassen. Deine Botschaft an diese Typen, Filô, muß sehr poetisch sein, absolut zündend, mit einem verführerischen Schuß Dialektik. Und mitschwingen muß auch eine gut fundierte Portion Philosophie. Kurz, eine Rede, die die Leute aus dieser Welt entrückt. Sprich doch mit Pastor Nicanö, und würze die Rede mit einer prickelnden christlichen Prise, sprich von den Heiligen Drei Königen und vom Gebot der Brüderlichkeit, damit sich die Leute in ihrer rührseligen Stimmung auch wirklich angesprochen fühlen. Hier kannst du endlich beweisen, was für ein großer philosophischer Dichter du bist. Und du beweist damit auch den Dichter der neuen Klasse, die endlich und kraftvoll aus der Versenkung auftaucht, die machtvolle Klasse der Obdachlosen und Bettler. Laß dir was einfallen, wir haben unseren Ruf, unser Ansehen, unsere Zuständigkeit als Bettler und Obdachlose zu verlieren.«
Filô ist glücklich, er ist erfüllt von dem Gefühl seiner Bedeutung. Wie ein Sportler vor der Olympiade ist er ganz innere Sammlung. Er raucht nicht, er trinkt nicht, er denkt an nichts anderes als an Poesie und an Philosophie. Filô isoliert sich von allen in dieser Zeit, auch von Sofia, er allein ist jetzt reine Philosophie.
Sofia hat auch einen Auftrag. Sie bereitet sich vor auf das Festbankett für Industrielle und Bankleute, das im Rahmen eines Internationalen Finanzkongresses stattfinden soll. Sofias gewinnversprechender Plan ist, den Präsidenten der Weltbank zu animieren und ihn am Ende dann auch zu verführen. Sie tarnt sich als Soziologin, die ihren ganzen Erfahrungsschatz aus dem Leben einer Dirne zusammenkratzt, um ihr Ziel zu erreichen, in den Besitz amerikanischer Dollar zu kommen. Sofia Mehrwerts Einsatz ist außerordentlich erfolgreich, sie kommt zurück mit einem Darlehen, dessen Höhe den gesamten Spendenbetrag für Ruanda, Somalia, Sarajevo und Rußland um ein Vielfaches übersteigt:
Weihnachtstag. Ein wimmelnder, quirliger Karneval auf der großen Avenida Central. Kilometerlang der Tisch der Bettler und Obdachlosen. Es verspricht, das gewaltigste Weihnachtsfestessen auf der ganzen Welt zu werden. Der Verkehr steht im Stau und im Scheinwerferlicht, es gibt Laser-Show und Feuerwerk. Nicht dumm, hat ein Fernsehkanal die Chance erkannt, sich die alleinigen Informations- und Manipulationsrechte besorgt und eine Vereinbarung getroffen für die exklusive und landesweite Übertragung dieses weihnachtlichen Bettler- und Obdachlosenbanketts. Die internationale Presse ist allgegenwärtig. Fotografen und Journalisten wetteifern um den besten Platz für ihre Reportage. Der Bettlerfestausschuß hat alle Bettler, Obdachlosen, alle Armen des Landes und aller Länder der Welt rechtzeitig zu diesem Gala Diner eingeladen. Und welch ein Erfolg. Von überall her, aus allen Ländern und aus allen Höllen der Welt sind sie gekommen. Dieses üppige Weihnachtsmahl ist jetzt ganz international und zum Gala Diner ohne Grenzen geworden. Abrufbereit stehen Heer und Polizei, auf den Einsatzbefehl der obersten Landesleitung wartend. Die Amerikaner haben Flugzeugträger geschickt, die Friedenstruppen sind schon gelandet.
Ein Reporter des Allerweltsenders CNN verkündet:
»Meine Damen und Herren, ein Höllenspektakel, dieses Weihnachtsbankett. Wir sind Zeugen der Verbrüderung von Millionen und Abermillionen von Bettlern und Obdachlosen.«
Und der Fernsehkanal von BBC London schließt sich an:
»Die Bettler und Obdachlosen dieser Stadt haben in überwältigender Weise Kreativität bewiesen und zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein wirkliches, unverfälschtes Weihnachtsmahl inszeniert. Tausende, Millionen von Kindern, von Bettlern, von Armen aus aller Welt, es bringt alle Herzen zum Schmelzen.«
Der Schweizer Ansager, höchst empfindsam und feinfühlig, aus lauter Ergriffenheit in seiner traditionellen Neutralität tief getroffen, unterbricht seine tränenerstickte Übertragung. Das achte Weltwunder wird schon zitiert. Sogar der Papst sendet einen vatikanischen Beobachter mit einer Grußbotschaft, seine brüderliche Verbundenheit mit den Armen der Welt zu verkünden. Schon werden die Bettler für den Friedensnobelpreis in Erwägung gezogen.
Bevor aus dem Rampenlicht wieder Finsternis wird, meldet sich allerdings aus der unzähligen Menge der namenlosen Armen, Frauen, Männer, Jungen und Alten, der Kinder, der verschmähten Weißen und Schwarzen dieser Manege des Lebens einer zu Wort:
»Es ist alles perfekt auf der Welt und so bestens geordnet!
Alle sind hier. Alle?
Wo sind sie: Gott, Teufel und all die Halunken, deretwegen wir Hungers sterben?
Wo sind sie, die elenden Gauner, die Räuber und Diebe unserer Zukunft?«
Übersetzung aus dem Brasilianischen von Sabine Bormann
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