Ich hatte Angst, ich zitterte vor Furcht wie ein kleines Kind. Eleonor, meine Frau, beweinte allein meine lange Krankheit. Ich wollte nicht sterben, wer will das schon? Ich klammerte mich mit aller Macht an das Leben. Ich schlang wie ein Aasvogel unaufhörlich Tabletten und alles, was man mir empfahl, in mich hinein. In meinen letzten Tagen hängte man mich häufig an den Tropf. Ich verfluchte viele Male die Stunde, in der die Krankheit von mir Besitz ergriffen hatte.
Eleonor liebte mich. Wir waren ungefähr sieben Jahre verheiratet, und diese Jahre an ihrer Seite waren höchst angenehm. Es lebte sich gut mit ihr. Viele sagen, daß sie ein anziehendes Wesen hat. Ich fand sie unwiderstehlich. Ehe ich allerdings ihr Vertrauen gewonnen hatte und sie etwas für mich empfand, kämpfte ich wie ein Löwe. Ich liebte Eleonor, seit ich sie kennengelernt hatte. Ich leugne nicht, daß diese Liebe für mich kein Hindernis war, vor und nach der Heirat Beziehungen zu anderen Frauen zu haben. Ich fühlte mich immer von anderen Körpern und anderen Leidenschaften angezogen. So lernte ich Mayra kennen, ein Jahr, nachdem ich geheiratet hatte. Sie selbst war ziemlich mutwillig. Sie mochte es, sich auf neue Abenteuer einzulassen, und sie suchte sie. Sie hatte eine ziemlich lange Liste verflossener Liebhaber. Männer waren ihre Schwäche. Mayra zeigte mir eine Art, die Vergnügen der Liebe zu erleben, die ich noch nicht kannte. Und sie war eine souveräne Künstlerin in diesen Künsten. Was zwischen uns begann, waren Streifzüge, die sich bald in ein beiderseitiges Bedürfnis verkehrten.
Ich pendelte zwischen Eleonor und Mayra. Die beiden waren gute Freundinnen. Eleonor war nie eifersüchtig auf Mayra, vor allem, weil sie mir absolut vertraute und glaubte, daß die flüchtigen Leidenschaften nicht meine Sache seien. Ach! Daran zu denken, daß mitunter, während sie bügelte oder Mittagsruhe hielt oder spazierenging, Mayra und ich uns unserer leidenschaftlichen Verzückung hingaben.
Ich verstand Mayra. Sie verstehen zu lernen war ein langsamer Prozeß, der mit der Zeit und mit den Gefühlen einsetzte, die zwischen uns entstanden. Mayra erzählte mir ihre Abenteuer, und ich kam zu dem Schluß, daß sie krank war, denn ich hatte keine andere Erklärung für ihre unersättliche Lust nach sexuellen Kontakten. Ich suchte ihren Ursprung in der Kindheit, in dem Zeitabschnitt, als sie zu leben anfing. Ihre Mutter war Prostituierte, weil ihr Mann sie verlassen hatte und sie völlig mittellos war. Ohne Beruf, und noch dazu mit einem Kind, das an einer akuten Poliomyelitis litt und für den Rest seines Lebens gelähmt und schwach blieb und ständig krank wurde, blieb ihr keine andere Wahl, als ihren Körper zu verkaufen. Am Anfang tat sie es sehr versteckt, aber mit der Zeit legte sie die Diskretion ab und brachte ihre Freier mit nach Hause. Einmal, als sie betrunken war, vergingen sich drei Kerle an ihrer Tochter —Mayra war damals kaum 12 Jahre alt. Sie verwüsteten ihren Körper. Die Nachbarn brachten sie ins Krankenhaus, und als man sie dort entließ, kam sie in ein christliches Waisenhaus. Mayra veränderte sich nach dieser schrecklichen Erfahrung. Sie war intelligent und nutzte die Bildungsmöglichkeiten, die man ihr im Waisenhaus anbot, aber sie fing gleichzeitig an, sich den Vergnügungen des Fleisches hinzugeben. Als sie mit der Sekundärschule fertig war, verließ sie das Waisenhaus und begann zu arbeiten. Später schrieb sie sich an der Universität ein und vertiefte sich voll und ganz in ihr Studium. Mayra bestand ihre Prüfungen erfolgreich und bekam ihr Diplom in Volkswirtschaftslehre. Ihre Mutter fand ein böses Ende: einer ihrer Freier vergaß, eine Zigarettenkippe auszudrücken, und das alte Holzbett fing in einer überaus heißen Nacht Feuer. Es war unmöglich, die Personen zu retten, die sich im Zimmer befanden: den Freier, sie und ihren Sohn.
In ihrem Innersten war Mayra nur ein Mädchen, das nach menschlicher Wärme oder ein paar zärtlichen Worten suchte. Ich versuchte viele Male, ihr zu helfen, wenn sie diese Zustände emotionaler Instabilität überkamen, die regelmäßig wiederkehrten. Mayra war ein Produkt des Niedergangs unserer Gesellschaft.
Mayra kam vor mir hierher. Sie starb bei einem Verkehrsunfall. Sie ist jetzt ein anderer Mensch. Und dieser Ort ist ohnegleichen. Eine Sonne, die in keiner Weise der Sonne ähnelt, die jeden Morgen auf der Erde aufgeht, erscheint im äußersten Osten und verschiebt sich langsam gen Süden, einen Winkel von fünfundvierzig Grad zum Horizont bildend und ihre Bewegung in die entgegengesetzte Richtung wiederholend. Sie bleibt zwanzig Monate in der Unendlichkeit. Sie strahlt ein asche- und opalfarbenes Licht aus, zwischen weiß und bläulich mit irisierenden Reflexen, Luminiszenzen, die zur Ekstase einladen. Die Nächte sind kurz, sie dauern nur vier Monate. In zwei der vier Monate haben wir drei Monde. Es gibt Jahreszeiten, in denen Blumen von einem märchenhaften Blau blühen, die ein Gefühl unendlieher Weite im Betrachter erzeugen. Uns ist weder warm noch kalt. Wir leben in einem ewigen Herbst.
Mayra ist romantisch, und ich mag das. Wenn wir beide gleichzeitig eine Erholungspause haben, gehen wir an den Ufern eines Flusses spazieren, und das gefällt ihr, oder wir gehen in einen kleinen Park und freuen uns an seinen Wundern. Wir lachen über Kleinigkeiten, und, kaum zu glauben, wir haben keine sexuellen Kontakte, denn die hat man hier nicht: unsere Geschlechter existieren nicht, wir sind ein Teil der Zeit, auch wenn einige behaupten, daß es das nicht gibt.
Eleonor gelangte vor ungefähr zwölf Jahren an diesen Ort, aber sie kam an eine andere Stelle, weit weg von mir. Ihr gefällt das Leben im Paradies —wenn man es denn so nennen kann. Die wenigen Male, die wir uns getroffen haben, haben wir lange über unseren Aufenthalt auf der Erde gesprochen. Sie hat mir Episoden aus ihrem Leben erzählt, die ich nicht kannte, Episoden, von denen zu wissen mir in jener Zeit nicht anstand. Ich bekräftigte meine Liebe aus jener Zeit und erzählte ihr von all meinen Betrügereien. Ich belog sie nicht über Mayra, mit der ich jetzt zusammen bin.
„Liebling, es ist schon spät. Wach auf! Denk daran, daß wir uns mit Mayra im Rehabilitationszentrum für Kinder treffen wollten.“
„Was?“
„Aufstehn! Es ist spät! Ich dachte, du bist schon fertig. Meine Güte!“
„Naja, ich war ziemlich müde. Ich glaube, jetzt habe ich genug geschlafen, um die drei Tage auszugleichen, in denen ich wegen dieser verdammten Schlafstörungen kein Auge zugetan habe.“
„Na gut, aber jetzt müssen wir uns beeilen. Bestimmt ist Mayra schon ganz nervös, du weißt, wie sie ist, sicher glaubt sie, daß uns was passiert ist.“
„Ja, aber weißt du, ich hatte einen sehr interessanten Traum, er ist ziemlich schwierig zu erzählen. Ich war im Jenseits, also, ich…“
„Deinen Traum kannst du mir später erzählen. Jetzt zieh dich an“ – unterbrach ihn Eleonor.
„Ach komm schon, sei nicht so verbissen. Gib mir einen Kuß, ja Liebling?“
Eleonor küßte ihn.
„Ich hab dich sehr lieb“ —sagte sie.
„Ich dich auch.“
„Ach, ich hab heute abend keine Lust zum Theaterspielen.“
„Gut, aber du hast es meiner Schwester versprochen, und jetzt kannst du nicht mehr absagen.“
„Stimmt. Und werden alle diese alten Tanten aus dem Konvent da sein?“
„Ich glaube schon. Mayra organisiert die Wohltätigkeitsveranstaltung für das Zentrum, aber die Obersten ihres Konvents tragen die Verantwortung, und ich glaube kaum, daß sie es sich nehmen lassen hinzuzukommen, vor allem, weil auch der Bürgermeister kommt. Also wirst du schön den Clown spielen müssen.“
„Oh verdammt! Das fehlt mir gerade noch!“