Angesichts des globalen Klimawandels und der unverbindlichen Ergebnisse der internationalen Klimapolitik wie zuletzt in Durban sieht die mittelbare Zukunft des Planeten nicht rosig aus, eher stürmisch grau-düster bis salztrocken ocker. Zwar betonen die meisten Länder, dass die Kohlendioxidemissionen verringert werden müssen, doch zugleich geben sie wirtschaftlichen Überlegungen nach wie vor den Vorrang vor ökologischen Notwendigkeiten. Als eine der wenigen Ausnahmen gilt in der öffentlichen Wahrnehmung – bezogen auf den Energieerzeugungssektor – Brasilien.
Brasiliens Volkswirtschaft und damit seine Energienachfrage wächst wie die von anderen Schwellenländern kontinuierlich. Allein bis 2017 braucht das Land 47 GW an neuen Energieerzeugungskapazitäten. Zum Vergleich: Deutschland hatte 2006 eine installierte (Netto-)Kraftwerkskapazität von 139,5 GW und war damit Europas Spitzenreiter.
Doch im Gegensatz zu anderen Ländern setzt Brasilien nicht auf Kohle oder Gas, sondern auf „emissionsfreie“ Technologien. So mag es zunächst scheinen. Denn 84 Prozent der gesamten Elektrizitätserzeugung stammte im Jahr 2009 aus Wasserkraft. Und auch die weiteren Pläne fokussieren auf diese Energiequelle. Insgesamt 30 GW an neuen Kapazitäten sollen errichtet werden.
Das Problem: Die Stauseen befinden sich vornehmlich in Regenwaldregionen. Das heißt, es müssen erst riesige Urwaldgebiete überschwemmt und indigene Völker aus ihren Gebieten vertrieben werden, bevor „saubere“ Energie fließen kann. Die ist in vielen Fällen zudem nicht so „sauber“, wie es den Anschein hat, denn gerade flache Stauseen geben durch die Zersetzung von Biomasse so viel Kohlendioxid und Methan an die Atmosphäre ab wie ein von der Leistung vergleichbares Gaskraftwerk.
Nichtsdestotrotz setzt die brasilianische Regierung weiter auf Wasserkraft. Und das ruft zunehmend den Widerstand der betroffenen (indigenen) Bevölkerung hervor. Die Auseinandersetzungen um das 11,2 GW-Kraftwerk Belo Monte, für das am 17.12.2011 das brasilianische Bundesgericht den im September verhängten Baustopp aufhob, gingen um die Welt. Auch gegen den Komplex Madeira (d.h. die Projekte Jirau und Santo Antonio) wehren sich die ansässigen Ureinwohner.
Neben dem erstarkten zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen die Großprojekte erschweren zwei andere Aspekte die weitere Erschließung der Amazonas-Region. Zum einen setzt die brasilianische Umweltgesetzgebung inzwischen sehr enge Grenzen des Möglichen. Zum anderen fehlt es zunehmend an geeigneten Orten für weitere Stauseen. Deshalb hat Brasilien eine neue Strategie parat: Es lagert zunehmend seine Energieproduktion aus.
Exemplarisch steht dafür das geplante Wasserkraftwerk Inambari im peruanischen Amazonasgebiet nahe der brasilianischen Grenze. Der Stausee für Inambari befindet sich an der Schnittstelle der peruanischen Regionen Puno, Cusco und Madre de Dios. Auftraggeber ist hingegen kein peruanisches Unternehmen, sondern die Empresa de Generación Eléctrica Amazonas Sur (EGASUR), ein Konsortium brasilianischer Energiefirmen (Eletrobrás, Furnas) und der Baufirma OAS. Auch das Kapital für das 2,2-GW-Kraftwerk, dessen Kosten sich auf etwa vier bis fünf Milliarden US-Dollar belaufen, kommt aus Brasilien – bezeichnenderweise zum großen Teil (etwa 2,5 Milliarden US-Dollar) von der Nationalen Entwicklungsbank (BNDES). Und das ist kein Einzelfall. Die „nationale“ Entwicklungsbank hatte im Jahr 2009 bereits 8,3 Milliarden US-Dollar im Ausland investiert. Dahinter steckt die Überlegung, dass die Investitionen wieder direkt Brasilien zugute kommen.
So auch im Fall von Inambari. Die dort erzeugte Energie soll zu 80 Prozent gen Osten in die brasilianischen Bundesstaaten Acre und Rondônia exportiert werden. Aufgrund der hohen Kosten für die sehr weite Übertragung und die Inkompatibilität mit der existierenden peruanischen Infrastruktur spricht einiges für einen noch höheren Anteil. Inambari wird praktisch eine 378 Km2 große brasilianische Enklave mitten in Peru sein. Das ist von der Fläche etwas etwas weniger als das ehemalige Ost-Berlin. Angesichts dessen sind nicht nur die 8000 Einwohner der Region, die umsiedeln müssen, wenig begeistert.
Inambari ist jedoch nur eines von fünf weiteren Staudamm-Großprojekten, das Alan García und Lula da Silva im Zuge des brasilianisch-peruanischen Energieabkommens 2010 unterzeichneten. So will Brasilien zwischen 2011 und 2020 eine Gesamtkapazität von 7,2 GW Kraftwerksleistung auf peruanischem Territorium errichten. Das technische Potential in der Amazonas-Region (unterhalb von 1000 m ü. NN) ist enorm – und sollte nach Ansicht der Planer genutzt werden. Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ, jetzt Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ) schätzte bereits in den 1970er Jahren die installierbaren Kapazitäten auf 22,8 GW. Seitdem hat sich die (Turbinen-)Technologie weiter entwickelt, so dass das Potential inzwischen sogar noch höher liegen dürfte.
Allerdings muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass es für Peru durchaus effizientere und weniger umweltschädliche Lösungen gäbe, den Energieverbrauch zu decken, z. B. in höheren Regionen der Anden. Allerdings befinden sich diese Gebiete weiter weg von Brasilien, ließen sich für brasilianische Firmen schwieriger erschließen und verlangen wohl auch andere Technologien als die, die sie im Moment verkaufen. Deshalb steht der Amazonas-Regenwald im Mittelpunkt der Planungen.
Doch die Umsetzung dieser weitreichenden Pläne steht noch in den Sternen – vor allem aufgrund lokaler Proteste und des Widerstands von Umweltorganisationen. Der brasilianische Konzern Odebrecht hat deshalb bereits den Bau des Staudamms Tambo 40 suspendiert. Auch gegen die Projekte Tambo 60 (Odebrecht), Paquitzapango (Engevix) und Mainique 1 (Andrade Gutierrez) läuft die ansässige Bevölkerung Sturm. Die Konsultationen zu den Großprojekten entschied sie ablehnend.
Momentan ruhen die Arbeiten in Inambari. Bereits am 13. Juni 2011 hatte die peruanische Regierung die Genehmigung für das dortige Kraftwerk widerrufen. Eine neue Konzession würde erst erteilt werden, wenn eine Konsultation im Einklang mit der ILO-Konvention 169 stattgefunden hätte. Es ist unsicher, wie es mit Inambari weiter geht. Vieles spricht allerdings dafür, dass die Pläne lediglich aufgeschoben werden. Denn auch unter Ollanta Humala scheint es in den Regierungskreisen eher Zustimmung als Ablehnung zu geben.
Anstatt darauf zu setzen, über juristische und Verwaltungswege die Genehmigung zum Weiterbau zu erhalten, sollte Brasilien die Möglichkeiten für andere alternative Energiesysteme prüfen. Zum einen ist das Energieeinsparpotential riesig, zum anderen bieten sich vor allem im Nordosten sehr gute Bedingungen für Wind- und Solaranlagen. Und beide Quellen sind krisensicher. Anders dagegen die Wasserkraft. Die Dürre im Jahr 2001 brachte beinahe die gesamte Energieversorgung zum Erliegen. Und die Pläne zum Ausbau der Kernkraft (Angra 3) sollten mit Blick auf die Risiken endgültig in den Schubladen verstauben. Brasilien könnte so wirklich zu einem Beispiel für ein Schwellenland mit nachhaltiger Energieversorgung werden.
Bildquellen: [1]-[3] Amazonia Puno – Madre de Dios