Das Departement Madre de Dios, am südwestlichen Rand des Amazonasbeckens gelegen, gilt als die „Hauptstadt der Biodiversität“. Die Region beherbergt einen Artenreichtum, den es sonst nirgendwo auf der Welt auf so engem Raum gibt. Allein im Manu-Nationalpark finden sich beispielsweise 222 Säugetierarten und 1005 Vogelspezies. Garant für diese Vielfalt sind die größten zusammenhängenden Regenwaldflächen des Amazonasbeckens.
Doch wie lange noch? Denn das zerstörerische Wesen der kapitalistischen Expansion hat auch diesen entlegenen Winkel erreicht. Nun wird er erobert. War das Gebiet bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts den indigenen Ureinwohnern, Abenteurern und manchen lebensmutigen Ökotouristen vorbehalten, gibt es Coca Cola und Red Bull inzwischen an jeder Ecke zu kaufen. Und die Kolonisierung, die Unterwerfung der Natur, der Sieg des Menschen über die Wildnis hinterlassen überall ihre Spuren; Farmen, Plantagen und Siedlungen schießen im Tagesrhythmus aus dem Boden. Es qualmt und raucht. Das Leben pulsiert. Immer neue Migranten siedeln sich im Niemandsland an, besetzen Waldflächen, roden und brennen nieder. Ökonomen übersetzen diese Aktivitäten dann in Kennzahlen des wirtschaftlichen Wachstums, wie zum Beispiel die Zunahme des Bruttosozialprodukts. Das stieg zwischen 2000 und 2011 real von 409 Millionen Nuevos Soles auf 828 Millionen Nuevos Soles oder durchschnittlich um knapp 10 Prozent pro Jahr. 2013 lag das Wachstum in Madre de Dios bei 14,2 Prozent. Die Abnahme der Biodiversität ging definitionsgemäß nicht in diese Rechnung ein. Die Wertschöpfung könnte sonst schnell negativ ausfallen.
Den wohl bedeutendsten Anteil an der wirtschaftlichen Prosperität hat die handwerkliche, illegale, extraktivistische Goldsuche. Entlang der wichtigsten Flüsse reihen sich die Abraumhalden wie Perlen auf einer Schnur aneinander. Überall türmen sich die Steinberge auf, wo früher Sandbänke waren. Zu diesen wilden Schürfstellen kommen die drei Hauptabbaugebiete hinzu: „Guacamayo“ (zwischen dem Río Inambari und der Interoceánica), „Delta 1“ (zwischen den Flüssen Colorado und Puquiri) und das älteste Schürfgebiet „Huepetuhe“, in dem schon seit den 1980ern nach Gold gesucht wird. Die Fläche der drei Zonen zusammen umfasste im Jahr 2009 etwa 15.500 Hektar.
Insgesamt geht man davon aus, dass durch die Goldaktivitäten in Madre de Dios bislang zwischen 28.000 und 58.000 Hektar Wald zerstört wurden. Mindestens weitere 150.000 Hektar Wald weisen Schäden auf. Schätzungen zufolge. Denn inzwischen ist die Goldsuche in der Region so schnell gewachsen, dass die drei Hauptgebiete nur noch 49 Prozent der gesamten Schürfflächen ausmachen. Wer wo wieviel Gold sucht, darüber weiß niemand sicher Bescheid.
Die Produktion
Mit einer Gesamtproduktion von fünf bis sechs Millionen Unzen pro Jahr (1 Unze = 0,028 Kilogramm) ist Peru der größte Goldproduzent in Lateinamerika. Weltweit liegt das Land an sechster Stelle. Unangefochtene Nummer 1 ist China mit etwa 355.000 Kilogramm gefolgt von Australien (270.000 Kilogramm) und den USA (237.000 Kilogramm).
Wie auch in den meisten Ländern der Spitzengruppe dominiert in Peru die Goldproduktion aus der großindustriellen Förderung. Etwa 80 Prozent des geförderten Goldes stammt aus Großprojekten, davon 23 Prozent allein aus der größten Mine Yanacocha. Ein weiteres Projekt, die Mine Conga mit geschätzten sechs Millionen Feinunzen Gold, liegt aufgrund der ungeklärten Auswirkungen auf die Umwelt derzeit auf Eis.
In Madre de Dios hingegen dominiert der handwerkliche Kleinbergbau. Mit knapp 14.000 Kilogramm Feingold pro Jahr trägt das Departement mit 11,3 Prozent zur Gesamtfördermenge des Andenlandes bei.
Im März 2013 explodierte jedoch förmlich die Goldausbeutung in der Region. In nur einem Monat wurden mehr als 4000 Kilogramm Feingold gefördert. Die Werte für die nachfolgenden Monate lagen immer noch mit knapp 3500 Kilogramm weit über den bis dato maximalen Fördermengen von etwa 2500 Kilogramm pro Monat. Möglicherweise stellt dieser sprunghafte Anstieg der Produktion lediglich eine vorübergehende Korrektur dar, da die Produktionszahlen zwischen August 2012 und Februar 2013 bei kaum 250 Kilogramm pro Monat lagen.
Diese abweichenden Zahlen ergeben sich daher, dass es aufgrund der Illegalität der handwerklichen Goldförderung auch keine gesicherten Kennzahlen über das Ausmaß der Produktion gibt. Dennoch wird geschätzt, dass im letzten Jahrzehnt 159 Tonnen Gold im Wert von 6,7 Milliarden US-Dollar in der Region Made de Dios gefördert wurden.
Die Akteure
Schätzungen gehen davon aus, dass mittlerweile zwischen 50.000 und 70.000 Bergleute illegal in der Region Madre de Dios nach Gold suchen. Sie lassen sich nieder, wo immer es ihnen beliebt und wo sie eine große Goldausbeute erhoffen. Für ihre Aktivitäten besitzen sie weder eine behördliche Erlaubnis, noch haben sie eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen lassen. Raumordnungspläne, die Naturschutzgebiete oder indigene Gemeinschaften auszeichnen, kennen sie nicht oder ignorieren sie.
Viele der illegalen Goldsucher in Madre de Dios kommen aus den Anden. Vor allem die Departements Cusco und Puno gelten als Herkunftsregionen ganzer Familien, die in das Amazonastiefland migrieren. Im Allgemeinen sind sie relativ jung. Und sie gehören zu den ärmsten und marginalisiertesten Gruppen der Gesellschaft, weshalb auch ihr Bildungsniveau oft unterhalb des landesweiten Durchschnitts liegt.
In einer Mine arbeiten in der Regel zwei bis acht Personen. Das Misstrauen und die Gewalt unter den Goldsuchern sind groß. Dennoch etablieren sie schnell ein Netz zu Versorgern (Diesel, Chemikalien, Ausrüstung, Lebensmittel), Transportunternehmern und Abnehmern (Goldhändler), so dass letztlich direkt oder indirekt ein Großteil der Wirtschaftsaktivitäten in Madre de Dios mit ihnen verbunden ist.
Der Staat ist weitgehend abwesend. Zwar hat er einige Gesetze erlassen (z.B. bereits 2002 das Forstgesetz 27308), um die illegalen Bergbauaktivitäten einzudämmen und das Forstmanagement nachhaltig zu gestalten. Aber die Gesetzgebung ist lückenhaft und inkohärent. Beispielsweise fehlt nach wie vor eine Beschränkung oder ein Verbot des Quecksilberimports. Dabei stellt die Goldamalgamation, bei der der Goldflitter mit Quecksilber vermischt und aufgrund seiner hohen Dichte von anderen Gesteinsarten getrennt wird, praktisch die einzige Anwendung dar. Mit der wachsenden Goldproduktion zwischen 2006 und 2009 stiegen parallel auch die Quecksilberimporte, und zwar um 42 Prozent auf jährlich 130 Tonnen.
Nicht zuletzt aufgrund der unzulänglichen Gesetzgebung bleibt die Staatsmacht vor Ort oft symbolisch. Trotz des Marinestützpunkts in Puerto Maldonado gelangen die meisten Chemikalien und Ausrüstungsgegenstände über die Flüsse aus Brasilien in die Goldschürfzentren – praktisch vor den Augen von Zoll und Militär.
Der Hafenort Laberinto, zirka 60 Kilometer von Puerto Maldonado entfernt, der vor zehn Jahren noch aus einer Ansammlung von Hütten bestand, ist inzwischen zu einer Stadt mit schätzungsweise 15.000 Einwohnern herangewachsen. Fast jeder handelt hier mit irgendetwas: Rohren, Pumpen, Schrauben, Fässern, Diesel, Außenbordmotoren, Chemikalien, Töpfen, Lebensmitteln, Plastikplanen, Küchenutensilien oder rosa Spielzeug aus China. Alles legal und alles für die illegalen Goldschürfer bestimmt.
Die Polizei lässt sie weitgehend gewähren. Erst jetzt hat sie angekündigt, dass sie die Kontrollen auf der Interoceánica ausweiten will. Zwischen Iñapari und Inambari sollen sieben Polizeiposten entstehen, um die illegale Goldsuche in dem Sektor La Pampa zu beenden. Zusammen mit einem Posten bei Kilometer 104 der Interoceánica werden etwa 300 Beamte den Zugang zu dieser Zone kontrollieren. Damit ist allerdings das Gros der Polizisten in der Region gebunden. Denn in dem Gebiet, das so groß ist wie die Bundesländer Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen zusammen, agieren gerade einmal 500 Polizisten, die neben der Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung auch für die Bekämpfung des illegalen Bergbaus, der illegalen Abholzung, des Drogenschmuggels und des Menschenhandels zuständig sind.
Die staatlichen Stellen sind seit April 2014 bestrebt, mit Sondereinsatzkräften illegale Gold-Camps zu zerstören, die Pumpen über Dieselembargos trocken zu legen und die Goldschürfer aus dem Dschungel zu vertreiben. Diese Versuche ähneln aber einem Katz- und Mausspiel, bei dem die Einsatzkräfte regelmäßig unterliegen. Sie sind einfach zu schwach, um die Goldschürfer dauerhaft von dem Gebiet fernzuhalten. Man kann auch sagen: Es ist ein typischer Fall von Staatsversagen („failed state“). Selbst die groß angelegte Operation in Huepetuhe vom 29. April dieses Jahres, bei der 1500 Polizisten und Armeeeinheiten zum Einsatz kamen und Maschinen im Wert von 20 Millionen US-Dollar zerstört wurden, stellte lediglich ein Intermezzo dar. Denn die Goldsucher verlassen keineswegs die Region, sondern dringen stattdessen immer weiter in den Urwald vor, auf immer schmäleren Pfaden zum nächsten Fluss oder zu einer Straße, was die Aufgabe der Sicherheitskräfte deutlich erschwert.
Die Kommunen vor Ort profitieren kaum von der illegalen Goldsuche – vor allem nicht, wenn die negativen gesundheitlichen Folgen und die Konsequenzen für die Umwelt einbezogen werden. Aufgrund des sehr geringen Anteils der legalen Goldförderung in Madre de Dios erhalten die Kommunalverwaltungen der Region gerade einmal 42.000 Nuevos Soles (11.500 Euro) pro Jahr durch die Minenabgabe für die föderale Entwicklung (Canon Minero). Der geschätzte Gesamtwert der Förderung liegt hingegen bei 1600 Millionen Nuevos Soles pro Jahr (439 Millionen Euro). Außerdem entgehen den Kommunen aufgrund der Informalität zwischen 50 Millionen und 200 Millionen Nuevos Soles (14 und 55 Millionen Euro) an Steuern.
Nicht zuletzt kämpfen die Kommunen mit einem Anstieg der Kriminalität. Denn mit den Goldsuchern kamen nicht nur die Prostituierten und Glücksspieler, sondern auch Menschenhändler und Zuhälter. Sklavenarbeit von Minderjährigen in den Camps ist genauso anzutreffen wie deren sexuelle Ausbeutung. Schätzungsweise 1100 Minderjährige werden in der Region sexuell ausgebeutet. Die Aids-Rate zwischen Huepetuhue und Km 103 der Interoceánica ist die höchste im ganzen Land.
Völlig überfordert sind auch die Naturparkranger. Ohnehin hilflos in ihren Mitteln, kontrollieren sie mitunter pro Person mehr als 35.000 Hektar, ein Gebiet größer als die Stadt Leipzig. Sie können der Entwaldung nichts entgegensetzen, sondern diese lediglich dokumentieren.
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