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Das "goldene Zeitalter von Pernambuco"

Georg Wink | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Der brasilianische Nordosten unter der Verwaltung der niederländisch-westindischen Companie (1630-54)

Die Eroberung und Kolonisierung Brasiliens im 16. und 17. Jahrhundert wurde nicht nur durch das Mutterland Portugal bestimmt, auch andere Länder versuchten wiederholt an den brasilianischen Küsten Fuß zu fassen. Die aus heutiger Sicht erfolgreichste Unternehmung war die niederländische Besetzung mehrerer capitanias im Nordosten des Landes von 1630 bis 1654. Der Erfolg dieser Unternehmung ist untrennbar mit dem Namen Johann Moritz von Siegen-Nassau verknüpft, der als Generalgouverneur im Dienste der Westindischen Companie (WIC) das Gebiet verwaltete. Wegen seiner Verdienste nicht nur für das Gewinngeschäft der Handelsgesellschaft, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung der Region und auf dem Gebiet der Wissenschaft, wird auch vom „goldenen Zeitalter von Pernambuco“ gesprochen.

Brasilien war zu dieser Zeit der Hauptproduzent von Rohzucker. Dieser wurde zum größten Teil in den Niederlanden verarbeitet, wo sich rund die Hälfte der damaligen Zuckerraffinerien befand. Die brasilianische Küste war nach damaligem Handelsrecht ein mare clausum, das nur von portugiesischen Schiffen angelaufen werden durfte. Von einer Präsenz erhoffte sich die WIC die Kontrolle über die Zuckerrohrproduktion und die Produzentenpreise, wie auch über den gesamten transatlantischen Zuckerhandel, auf dem der Hauptgewinn erwirtschaftet wurde.

Im Jahr 1637 wurde der deutsche Reichsgraf Moritz von Nassau-Siegen zum Generalgouverneur der niederländischen Besitzungen ernannt. Seine Aufgabe sollte es sein, die Geschäfte der WIC, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht den erwarteten Gewinn abgeworfen hatten – die Verschuldung der Gesellschaft hatte nach den kostspieligen Feldzügen sogar einen Höchststand erreicht – zu leiten. Der später mit dem Beinamen „der Brasilianer“ bedachte Graf wurde 1604 im nassauischen Dillenburg geboren. Seine Familie war in direkter Linie mit dem Hause Oranien verwandt, der Großonkel des Prinzen war Wilhelm I. von Oranien. Seine Ausbildung erhielt er – wie es sich für eine calvinistische Familie gehörte -an den Universitäten in Basel und Genf.

Moritz von Nassau führte als „aufgeklärter Despot“ moderne Ideen in die Verwaltung der Kolonie ein. Den portugiesischen Pflanzern blieben ihre Besitzrechte gewahrt, so dass er auf eine gewisse Loyalität bauen konnte. Die Bewohner der Kolonie waren vom Kriegsdienst freigestellt, für den Schutz der Gebiete sorgten europäische Söldner. Vor dem Gesetz waren alle europäischen Einwohner – die Plantagenwirtschaft beruhte natürlich weiterhin auf der Zwangsarbeit indigener und afrikanischer Sklaven – gleichgestellt, die Portugiesen hatten sogar das Recht auf eigene Richter. In der neu gegründeten Mauritsstad (dem heutigen Recife), wo der Sitz der Kolonialverwaltung war, wurde 1640 das erste Parlament der Neuen Welt eröffnet, zusammengesetzt aus portugiesischen und niederländischen Abgeordneten. Als sein größter Verdienst wird heute jedoch die Durchsetzung der Religionsfreiheit gesehen. Freilich war diese liberale Regelung weniger ein Prinzip, denn ein stark kritisiertes Zugeständnis an die Umstände: Das wirtschaftliche Überleben hing von der Kooperationswilligkeit der katholischen Plantagenbesitzer ab. Neues Kapital konnte außerdem nur mit Hilfe von auswanderungsbereiten Kaufleuten in die Kolonie gebracht werden. Dem Ruf in die Neue Welt folgten viele Mitglieder der portugiesisch- und spanischsprachigen jüdischen Bevölkerung der Niederlande, die Mitte des 16. Jahrhunderts vor der spanischen Inquisition erst aus Kastilien, dann aus Portugal fliehen mussten. Deren Bevölkerungszahl stieg allein in Mauritsstad auf 1.500, bei einer Gesamtzahl von insgesamt 7.000 freien Einwohnern.

Das wichtigste Anliegen des Grafen erwies sich jedoch als das schwierigste: Die Liberalisierung des Handels. Moritz von Nassau erkannte, dass das primäre Entwicklungshindernis der Kolonie das Handelsmonopol der WIC darstellte. Durch dieses waren Investitionen unrentabel, das Kapital konnte nicht im Land gehalten werden. Wie auch in anderen Kolonien war die Landwirtschaft eine rein auf den Export ausgerichtete Monokultur. Alle Güter wurden aus dem Mutterland importiert. Eine Besiedlung kam unter diesen Umständen nur schleppend voran. 1638 gelang es ihm schließlich, eine Teilliberalisierung des Handels – ausgenommen blieben die Güter Sklaven, Farbhölzer und Munition – durchzusetzen und die Versorgung des Binnenmarktes mit landwirtschaftlichen Gütern, vor allem Maniok, zu verbessern. Diese Politik stieß unter den Direktoren der WIC jedoch nur teilweise auf Zustimmung und es bildeten sich zwei Interessenblöcke: Die Verteidiger der kurzfristigen merkantilen Interessen der Companie und die Befürworter einer längerfristigen und sozial stabilen Besiedlung des Landes, beide hatten einflussreiche Fürsprecher in den Reihen der Regierung der Generalstaaten.

Die 40er Jahre des 17. Jahrhunderts waren die Blütezeit Neu-Hollands. Der niederländische Einflussabereich wurde nach Nordwesten bis nach Maranhao ausgedehnt, es entstand die Festung Fort Schooenburg (Fortaleza) und ein Handelsstützpunkt in der Ansiedlung Sao Luis. Nach Süden wurde die verwüstete Grenzprovinz Sergipe del Rey besetzt. 1641 wurden

zudem Teile der afrikanischen Küste erobert, die Niederländer bekamen den wichtigsten Sklavenmarkt des südlichen Afrikas in Luanda unter Kontrolle. Diese rasche Ausdehnung des Territoriums hatte seinen Grund in einer entscheidenden Änderung der Rahmenbedingungen zwischen den europäischen Mächten: 1640 wurde in Portugal Joao IV. aus dem Hause Bragança zum portugiesischen König gekrönt, im Kampf um die Vorherrschaft im südlichen Atlantik trat Portugal wieder als souveräner Akteur auf. Nach der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Portugal und den Vereinigten Niederlande wurde 1641 ein Waffenstillstand beschlossen. Da sich dieser auf den Status quo bezog, erging an Moritz von Nassau die Anweisung, noch vor dem Inkrafttreten der Traktate so viel Land als möglich hinzuzugewinnen. Ganze sieben von insgesamt vierzehn capitanias waren damit 1642 de facto unter Kontrolle der Niederländer.

Mit diesem Gewaltakt waren jedoch die finanziellen und militärischen Ressourcen der WIC erschöpft. Der Bitte Moritz von Nassaus um die Entsendung einer Flotte wurde nicht stattgegeben. Da abzusehen war, dass das Gebiet nicht zu halten sein würde, reichte der Generalgouverneur ein Rücktrittsgesuch ein, das überraschenderweise von dem Direktorium der WIC angenommen wurde. Neu-Holland spielte in den Plänen der Companie nicht mehr die gleiche wichtige Rolle wie früher. Die Schwäche der Kolonialverwaltung und die wirtschaftliche Verarmung der Provinz führte bald zu Aufständen, zuerst 1642 in Maranhao. Diese hatten eher den Charakter von Volkserhebungen, wie die des Guerillafuhrers Matias de Albuquerque (des ehemaligen Gouverneurs von Pernambuco) und seiner „Barfußmilizen“, die portugiesische Krone hielt sich noch zurück. Dennoch war 1645, ein Jahr nach der Abreise des Generalgouverneurs, nur noch Mauritsstad, die Festung Orange auf der Insel Itamaraca und das weit im Atlantik gelegene Archipel Fernando de Noronha niederländisch kontrolliert. Das Ende der Besitzungen besiegelte dann wieder ein Ereignis auf dem europäischen Schauplatz: Das England des Oliver Cromwell, das Bündnisse mit dem wiederentstandenen Portugal geschlossen hatte, monopolisierte mit der 1651 erlassenen navigation act den atlantischen Schiffsverkehr und machte damit den ein halbes Jahrhundert dominierenden Niederlanden die Rolle als Welthandelsmacht streitig. Die Folge war ein Seekrieg zwischen den Ländern, sämtliche noch verfügbare Reserven wurden aus Brasilien abgezogen und 1654 die Kapitulation unterzeichnet. Die Niederlande gingen jedoch nicht ganz leer aus: Nach dem 1662 geschlossenen Abtretungsvertrag wurde ihnen eine Entschädigungssumme in Höhe von 8 Mio. Gulden zugesprochen (zum Vergleich: Das Gesamtvermögen der WIC betrug nur 7 Mio. Gulden!), die letzte Rate brachte Portugal erst 1710 auf.

Wer nach weiteren Zeugnissen der holländischen Kultur in Brasilien sucht, wird jedoch eher in Europa fündig, denn Moritz von Nassau-Siegen wurde von einer Wissenschaftler- und Künstlerdelegation begleitet, die für Europas Herrscher und Gelehrte umfangreiches Anschauungsmaterial zusammentrug. An erster Stelle zu nennen ist dessen Leibarzt, Willem Piso aus Leiden, der gemeinsam mit seinem Schüler Georg Marggraf von Sachsen die „Historia Naturalis Brasiliae“ verfasste. Dieses mit Öl-, Kreide- und Kohlezeichnungen reich illustrierte naturkundliche Werk, das als erstes auf authentischer wissenschaftlicher Beobachtung aufbaute, wurde bereits 1648 herausgegeben. Vier Bände („De Medicina brasiliensi“) haben meist tropenmedizinischen Inhalt, acht („Theatrum rerum naturalium Brasiliae“) beschreiben detailliert die Flora und Fauna Brasiliens. Das Werk galt bis zu den Reisen der Wissenschaftler Spix und Martius sowie des Prinzen Maximilian zu Wied im 19. Jahrhundert als einzige Gesamtdarstellung Brasiliens.

Weitere Werke lassen erahnen, wie aktiv die Wissenschaftler am Hof in Mauritsstad waren: Der Architekt und Städtebauer Pieter Post, verantwortlich für die Planung der Stadt, gestaltete mit seinem Bruder, dem Kunstmaler und Kartographen Frans Post, das von Caspar van Baerle im Jahr 1647 verfasste Prachtwerk „Rerum per octennium … gestarum sub praefectura I. Mauricii Nassoviae comitis“ (heute in der königlichen Bibliothek Den Haag). In diesem findet man einen ausführlichen Bericht über die militärischen und politischen Ereignisse der Zeit, Landkarten und Stadtansichten, sowie botanische Darstellungen. Zu erwähnen sind des weiteren Zacharias Wagners zoologische Studie „Thier-Buch“ (Manuskript in der Sächsischer Staatsbibliothek in Dresden) und Caspar Schmalkaldens Reisebericht „Wundersame Reise“ (Forschungsbibliothek Gotha). Ein Kuriosum ist, dass Moritz von Nassau bereits zu seinen Lebzeiten Held eines Epos wurde, der „Mauritias“ (Original in der königlichen Bibliothek Den Haag), die der Hofdichter Franciscus Plante 1646 in lateinischer Sprache verfasste. Wegen der wohl zweifelhaften Qualität der Dichtung ist diese jedoch kurz nach Erscheinen in Vergessenheit geraten.

Moritz von Nassau, der am 20.12.1679 in Bergendael bei Kleve in seiner Hängematte verstarb, sind Museen in Siegen (Siegerlandmuseum), Kleve (Kurhausmuseum sowie städtisches Museum Haus Koek-koek) und Den Haag (Mauritshuis) sowie in Olinda und Recife („Museu Joao Mauricio de Nassau Siegen“) gewidmet. Der Humanist mit dem Wahlspruch „Qua patet orbis“ (Soweit der Erdkreis reicht) ist, nachdem er in Brasilien lange in Vergessenheit geraten war und in den nationalistisch überschatteten 30er Jahren als „ketzerischer Calvinist“ und „Pirat“ diffamiert worden war, Teil der brasilianischen Identität geworden, wie zahlreiche Symposien und Publikationen von Regionalwissenschaftlern in den letzten Jahrzehnten zeigen.

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