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Die Schuldenkrise Argentiniens
Ein faires und transparentes Schiedsverfahren könnte die Lösung sein

Pedro Morazán | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Der Beitrag von Jorge Schwarzer zeigt eindrücklich, dass es sich zum einen bei der Schuldenkrise Argentiniens um ein schwerwiegendes und andauerndes Problem handelt, und dass zum anderen das gegenwärtige Schuldenmanagement gescheitert ist. Selbst wenn sich noch im Laufe des Jahres 2002 eine vorläufige Einigung der Regierung des Landes mit dem IWF ergeben sollte, die den Weg zu Verhandlungen zumindest mit einem Teil der privaten Gläubiger öffnen würde, würde dies weder das akute Schuldenproblem Argentiniens zufriedenstellend lösen noch könnten erneute Schuldenkrisen in der Zukunft ausgeschlossen werden, da das grundsätzliche Problem der Überschuldung über den Weg des traditionellen Schuldenmanagements weiterhin ungelöst bliebe.

Argentinien braucht also, heute dringender denn je, ein geordnetes Schiedsverfahren. Der vorliegende Kommentar benennt die Argumente für die Notwendigkeit eines solchen Verfahrens sowie die Anforderungen, die sich aus entwicklungspolitischer Perspektive an die Neuordnung des internationalen Schuldenmanagements ergeben.

Die Grenzen des bisherigen internationalen Schuldenmanagements

Seit Ausbruch der internationalen Schuldenkrise 1982 hat sich ein internationales Schuldenmanagement entwickelt, das in erster Linie öffentliche bilaterale Forderungen im Rahmen des Pariser Clubs und in geringerem Umfang Forderungen internationaler Privatbanken im Rahmen des sogenannten Londoner Clubs umschuldet. In diesem System spielt der IWF eine zentrale Rolle: zum einen stellt dieser als „lender of last resort“ kurzfristige Zahlungsbilanzkredite bereit, darüber hinaus aber wirkt er als Disziplinierungsinstanz, die durch die Konditionalität ihrer Kredite den Rahmen einer – in aller Regel restriktiven -Wirtschaftspolitik für die Schuldnerländer definiert, die die Zahlungsfähigkeit wiederherstellen soll.

Dieses Schuldenmanagement hat versagt, denn das Schuldenproblem vieler Entwicklungsländer ist noch nicht gelöst, sondern nur in die Zukunft verschoben worden. Für die neue Generation von Schuldenkrisen hat der IWF 1997 die sogenannte „Supplemental Reserve Facility“ eingerichtet: Dieser Mechanismus erlaubt es zwar dem Fonds, größere Summen für in Krisen geratene Länder bereitzustellen, wobei allerdings die Tilgungszeiten kürzer und die Zinsen höher sind. Trotzdem sieht sich der Fonds beispielsweise im Falle Argentiniens nicht mehr in der Lage, mit seinen begrenzten Finanzmitteln die Zahlungsprobleme der „emerging markets“ zu lösen. Darüber hinaus treten neue Akteure als Gläubiger auf, die durch die bisherigen Institutionen des internationalen Schuldenmanagements nicht vertreten sind.

Sämtliche Stützungsmaßnahmen der letzten Jahre waren durch den Versuch gekennzeichnet, die Krise einseitig auf Kosten des Schuldners zu lösen. Auch die großen Stützungspakete müssen von den Schuldnerländern bei harten Konditionen zurückgezahlt werden. Nur im Falle Ecuadors 1999 wurde der Versuch unternommen, auch den Privatsektor in die Verantwortung zu nehmen. Da infolge der neuen Zusammensetzung der Auslandsverschuldung der Schwellenländer weder die öffentlichen bilateralen Gläubiger noch die Privatbanken eine zentrale Rolle spielen und die Stützungsoperationen des IWF immer stärker in die Kritik geraten sind, wird zunehmend öffentlich über einen geordneten Entschuldungsprozess nachgedacht. Entscheidend für das Scheitern der bisherigen Instrumente ist aber die Tatsache, dass die Gläubiger alleine das Umschuldungsverfahren definieren.

Die Struktur der Auslandsverschuldung

Ende 2001 betrug die Auslandsverschuldung Argentiniens 146,8 Mrd. US-Dollar. Davon waren 62% Schulden des öffentlichen Sektors (90,9 Mrd. US-Dollar), 24% Schulden von Privatunternehmen (35,6 Mrd. US-Dollar) und 14%, also 20,2 Mrd. US-Dollar Schulden des Banken- und Finanzsektors. Zusammengenommen belastet die Gesamtheit dieser Verbindlichkeiten die Zahlungsbilanz. Geht es jedoch darum, die sozialen Implikationen auszumachen, haben die Schulden des öffentlichen Sektors eine besonders herausragende Bedeutung. Bei der Suche nach einer Lösung, die durch einen weitgehenden Schuldenerlass die Tragfähigkeit der Auslandsverschuldung wiederherstellt, sollen alle Gläubigerkategorien berücksichtigt werden.

Wer aber sind die Gläubiger? Mit welchen Interessengruppen muss verhandelt werden, um ein wirkungsvolles Verfahren zur Entschuldung Argentiniens zu erreichen? Mit 58% der Forderungen sind die Anleihenbesitzer (bondholders) die wichtigsten Gläubiger Argentiniens. An zweiter Stelle rangieren die internationalen Finanzinstitutionen mit 36% der Forderungen, darunter der IWF als wichtigster multilateraler Gläubiger. Mit den Anleihebesitzern kann kaum verhandelt werden, da sie im Gegensatz zu öffentlich bilateralen Gläubigern und Privatbanken nicht in einem Gläubigerkartell zusammengeschlossen sind. Sie haben jedoch die Möglichkeit (als kleine Interessengemeinschaften oder auch als Einzelgläubiger), ihre Ansprüche vor einem Gericht (in der Regel in New York bzw. in London) einzuklagen und zur Wahrung ihrer Interessen argentinisches Vermögen enteignen zu lassen.

Vorschläge für ein internationales Insolvenzverfahren

Die Verhandlungen mit dem IWF haben gezeigt, dass dort zwar neuerdings viel über ein Insolvenzverfahren für zahlungsunfähige Staaten nachgedacht, der Fall Argentinien aber ausgeklammert wird. Dies erklärt sich dadurch, dass die Vorschläge des IWF für ein sogenanntes Sovereign Debt Restructuring Mechanism (SDRM) die Realisierung einer Reihe von legalen und institutionellen Veränderungen voraussetzt, ehe dieses Verfahren umgesetzt werden kann. Nach Ansicht der Chef-Ökonomin des IWF, Anne Krue-ger, sind hierfür Änderungen der IWF-Statuten nötig, die bekanntlich der Zustimmung der Mitgliedsländer (mindestens 85% der Stimmen) bedürfen, um Universalität („universality“) anstelle von Einstimmigkeit („unanimity“) zu erreichen. Dieser „statutory approach“ käme für Argentinien zu spät.

Die argentinische Regierung hat zwar ein Moratorium deklariert, leistet aber weiterhin ihre Rückzahlungen an die bi- und multilateralen Gläubiger. Als Gläubiger kann sich der IWF im Fall Argentinien also über seinen „preferred Status“ freuen: Seine Forderungen werden pünktlich und vollständig von der argentinischen Regierung bedient. Auch für diejenigen privaten Gläubiger, die noch im Dezember letzten Jahres einem Umschuldungsabkommen mit der argentinischen Regierung zugestimmt haben, steht das Schuldenmoratorium nur auf dem Papier. Faktisch leistet Argentinien also weiterhin partiell seine Schuldendienstzahlungen, während gleichzeitig ein Teil der Gläubiger leer ausgeht. Diese Ungleichbehandlung stellt aus offizieller Sicht eines der gravierendsten Probleme dar, das eine Neuordnung dringend erforderlich macht. Dabei ist der IWF nicht nur Teil der Lösung, sondern auch ein Teil des Problems, denn als Gläubiger hat diese Institution vordringlich die Zahlungsfähigkeit des Schuldners im Visier und nimmt dabei auch verheerende soziale Folgen in Kauf.

Die Tatsache, dass einige Gläubiger in der Lage sind, ihre Macht erfolgreich einzusetzen, um ihr Scherflein auf Kosten anderer Gläubiger ins Trockene zu bringen, erzeugt darüber hinaus hohe Kosten für Argentinien und führt zu einer weiteren Verschärfung der Krise.

Ein effektiver Ausweg aus der Krise setzt ein faires und transparentes Schiedsverfahren voraus. Zur Zeit stehen unterschiedliche Vorschläge zur Debatte. Aus entwicklungspolitischer Sicht bietet sich für Argentinien das Kapitel 9 des US-amerikanischen Insolvenzrechtes als Vorbild an. Erstens kann auf dieser Grundlage ein Insolvenzverfahren unter gleichzeitiger Wahrung der Souveränitätsinteressen des Schuldnerlandes in Gang gesetzt werden. Zweitens müssen an einem solchen Verfahren sämtliche Gläubiger teilnehmen. Das Wichtigste ist aber drittens, dass hier das Konzept eines „fresh start“, also eines Neubeginns dominiert und nicht die Zerschlagung des Schuldners (Konkurs), wodurch auch die Sicherung des Existenzminimums des Schuldners eine Bedeutung erhält und nicht einzig und allein die Interessen der Gläubiger im Mittelpunkt stehen. Diese Konzeption würde eine entscheidende Neuerung im Vergleich zum gegenwärtigen Umgang mit der argentinischen Krise bedeuten, wo durch das Festhalten an einer restriktiven Wirtschaftspolitik und die dadurch entstandene Rezession Arbeitslosigkeit und Armut dramatisch angestiegen sind.

Institutionalisiertes oder ad hoc-Verfahren?

Argentinien kann nicht auf die Institutionalisierung eines internationalen Insolvenzverfahren warten. Eine ad hoc-Lösung ist denkbar, wenn der politische Wille insbesondere der G-7 – Staaten vorhanden ist. Ähnliche Verfahren in anderen Bereichen zeigen, dass eine neutrale Instanz von einem Gremium ernannt werden kann, in dem Gläubiger und Schuldner gleichermaßen vertreten sind. Dieses Gremium sollte seinerseits nicht mehr als 6 Personen (3 + 3) umfassen, um die nötige Flexibilität zu garantieren. Aufgrund ihres Gläubigerstatus können weder die Weltbank noch der IWF als neutrale Instanz füngieren.

Wie können die unterschiedlichen Gläubiger in eine Zwangsgemeinschaft integriert werden? Wie wir gesehen haben, sind 58% der Gläubiger Argentiniens Inhaber von staatlichen Anleihen, die die Möglichkeit haben, ihre Ansprüche vor Gericht einzuklagen. Darüber hinaus müssen jedoch auch inländische Gläubiger mit einbezogen werden. Das schwierige Thema der mehr als 100 Mrd. US-Dollar Kapitalflucht sollte hier behandelt werden, will man nicht diese inländischen Gläubiger benachteiligen.

Aufgaben der neutralen Instanz

Im Fall Argentinien würde die neutrale Instanz weitreichende Aufgaben erhalten, will man eine faire Lösung finden und Missbrauch vermeiden. Im Verfahren sollten sowohl Fragen der Korruption, der Kapitalflucht als auch die notwendigen Reformen zur Sicherung der sozialen Dienstleistungen behandelt werden.

Welche Schulden sollen behandelt werden? In einem ad-hoc Verfahren sollte auch die Frage der Legitimität von Schulden (z. B. aus der Militärdiktatur 1976 – 1983) Berücksichtigung finden. Ziel bleibt allerdings, umgehend durch einen Schuldenerlass die Verschuldung auf ein tragfähiges Niveau zu reduzieren.

Anforderungen an das Land: Mit der Eröffnung des Verfahrens übernimmt die Regierung Argentiniens eine gewisse Verantwortung nicht nur gegenüber den Gläubigern, sondern auch gegenüber der eigenen Bevölkerung. In einem kohärenten Wirtschaftsplan legt sie fest, welche Maßnahmen sie zu treffen bereit ist, um beschäftigungswirksame Investitionen zu fordern und durch die Bereitstellung sozialer Dienstleistungen Umverteilung zu garantieren. Anhörungsrecht für die Betroffenen: Inzwischen haben sich in Argentinien zahlreiche Bürgerinitiativen gebildet (die asambleas de barrio beispielsweise), die in Frage kommen könnten, um das Anliegen der Betroffenen neben den traditionellen Institutionen der Zivilgesellschaft wie Gewerkschaften, Kirchen, Bauern-, Frauenorganisationen usw. zu vertreten.

Auch im Fall Argentinien zeigt sich, dass nicht nur viele Gläubiger, sondern auch Schuldnerregierungen wenig Bereitschaft zeigen, ein solches Verfahren einzuleiten. Häufig erklärt sich dieses Phänomen jedoch dadurch, dass die beteiligten Akteure immer wieder mit den selben falschen Instrumenten Probleme lösen wollen. Das Feuer bekämpft man aber mit Wasser und nicht mit Öl.

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Dr. rer. pol. Pedro Morazán ist Ökonom am Institut für Ökonomie und Ökumene SÜDWIND, Siegburg, Vorstandsmitglied der NRO – Vernetzung „erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung“ und Mitglied des Koordinierungskreises von attac-Deutschland.

www.suedwind-institut.de
E-mail: morazan@suedwind-institut.de

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Literatur

Krueger, Anne O. (2002a): A New Approach To Sovereign Debt Restructuring, IMF, Washington.

Krueger, Anne O. (2002b): The Evolution of Emerging Market Capital Flows: Why we need to look again at the Sovereign Debt Restructuring, in www.imf.org.

Paulus Ch. (2001): Ein Insolvenzverfahren für Staaten, Berlin.

SÜDWIND (2002): Schuldenkrise in Argentinien. Wer Zahlt die Zeche?, EED und Südwind (Hrg.), Texte 14, Siegburg.

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