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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Eine Welt, in der viele Welten Platz haben
Die Antwort der Zapatisten auf die Herausforderungen der Globalisierung

Richard Stahler-Sholk | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Der „Ejercito Zapatista de Liberacion Nacional“ (EZLN) trat am l. Januar 1994 mit einen bewaffneten Aufstand an die Öffentlichkeit. Nachdem er die Aufmerksamkeit der Welt gefunden hatte, kämpfte die Bewegung anschließend mit politischen Mitteln für eine Demokratisierung von unten, wobei sie sich auf die 38 Gemeinden stützen konnte, die sich im Dezember für autonom erklärt hatten. Vor dem Hintergrund vorangegangener sozialer Bewegungen und Aufstände scheint die Zapatisten-Bewegung viele paradoxe Elemente zu enthalten. Der Diskurs der Zapatisten trotzt einer einfachen Klassifizierung, da der Ruf der indigenen Völker in Chiapas nach Rechten mit einem Aufruf zu einem Aufstand der Zivilgesellschaft für die Demokratisierung Mexikos sowie mit einem globalen Kampf gegen den Neoliberalismus miteinander verknüpft ist. In diesem Zusammenhang bestanden die Zapatisten in ihrer IV. Erklärung aus dem Lacandonischen Urwald (1996) darauf, dass „(d)ie Welt, die wir wollen, eine Welt ist, in der viele Welten Platz haben“.

In diesem Aufsatz sollen zwei der scheinbar paradoxen Aspekte der Zapatisten-Bewegung angesprochen werden:

1) Wie kann solch eine lokale Bewegung, die in den abgelegenen Dschungel- und Hochlandgemeinden von Chiapas verwurzelt ist, eine Antwort auf ein so bedeutsames und abstraktes Phänomen wie die Globalisierung geben?

2) Wie kann eine Bewegung mit dem Ziel einer indigenen Autonomie ebenfalls Ansprüche bezüglich der Staatsbürgerschaft an den Nationalstaat stellen?

Diese Überlegungen sollen verdeutlichen, warum der Zapatisten-Aufstand nicht als inhaltlich begrenzte Bewegung verstanden werden sollte, sondern in Beziehung zu einer Vielzahl miteinander verbundener Bewegungen steht.

Die Ursprünge des Zapatisten-Aufstandes waren diverser und komplexer Natur, aber der Einfluss neoliberaler Reformen, insbesondere auf die bäuerliche Landwirtschaft in den Jahren 1980 bis 1990, spielte eine bedeutsame Rolle in der Kette der Kausalitäten. Die „Reform“ des Artikels 27 der Verfassung (1992) in Vorbereitung für NAFTA beseitigte die letzte Hoffnung einer Landreform für arme Landarbeiter und hatte zur selben Zeit akute Auswirkungen in Chiapas, einer Region, in der eine korrupte Staatsregierung die Landansprüche der Landarbeiter innerhalb der Gesetze der Agrarreform lange verzögert hatte. Obwohl sich die indigenen Völker von Chiapas schneller und konkreter gegen bestimmte Umstände auflehnten, als nur gegen das abstrakte Konzept der „Globalisierung“ allein, sind die Praktiken der Politik, die sie als Beleidigungen an Gerechtigkeit und Würde erfahren haben, eindeutig durch neoliberale Umstrukturierungen geformt worden.[1] Die Globalisierung der Landwirtschaft – durch die Auflagen der Weltbank-Kredite (1989) symbolisiert – schwächte die traditionelle Rolle des Staates als politischen Mittler für Kapital sowie seine Rolle innerhalb der nationalen Regelung des Landwirtschafts- und Nahrungssystems. Nicht nur in Chiapas, sondern in ganz Mexiko reagierten unabhängige Landarbeiterinitiativen auf diese Entwicklung, indem sie die Autonomierechte wiedererlangten und lokale Modelle ländlicher Entwicklung zu mobilisieren begannen. Nicht nur die indigenen Gemeinden, sondern der gesamte soziale Sektor der von Gemeinden geleiteten Landwirtschaft würde in einzelne Teile zerfallen und/ oder der Kontrolle fremder Investoren unterliegen.

Die neoliberale Offensive, eigentlich ohne die Absicht, politischen Raum zu öffnen, brachte den autonomen Landarbeiterinitiativen in Wirklichkeit neuen Antrieb, in Form von Organisationen, die einerseits stark auf die Unterminierung der Gemeinschaft und andererseits auf die erweiterte Kommodifikation des Landes reagierten. In Chiapas konzentriert sich seit den 1970er Jahren eine Vielzahl unabhängiger Landarbeiterorganisationen auf Themen wie Land, Arbeit und Kredite. Sie werden als die Vorläufer der Zapatisten angesehen. Sie setzten die Regierung unter Druck, um für diejenigen Gruppen Zugeständnisse zu erreichen, die sich außerhalb des offiziellen CNC Landarbeiterverbandes organisierten.

Gemeinschaftskontrolle vs. Logik des globalen Kapitals

Die Zapatisten-Bewegung, eine Form des Widerstandes gegen das neoliberale Modell der Globalisierung, zeigt sich auch im Kampf um die gemeinschaftliche Kontrolle der Entwicklung natürlicher Ressourcen. Die neoliberale Kampagne für eine Privatisierung und Öffnung für das Auslandskapital bevorzugt globale Marktkräfte vor lokalen Prioritäten.

In der umkämpften Region von Las Canadas in Chiapas gehören zu den möglichen Ressourcen mit einem größerem Marktpotential:

– Ölvorkommen, welche möglicherweise sogar größer sind, als öffentlich auf dem Ocosingo Gebiet bekannt;

– das enorme hydroelektrische Potential des Fluss-Systems Usumacinta und

– die Biodiversität im biologischen Reservat des Montes Azules sowie im nahen Lacandonischen Dschungel.

Die Zapatisten-Bewegung ist jedoch mehr als nur ein Kampf um Öl und Waldressourcen. Es ist beispielsweise auch der Kampf um die Kontrolle der Entwicklungsstrategien. Dies zeigt, dass das zapatistische Autonomiemodell im Wettstreit mit den Globalisierungskräften liegt. Das für die Lacandón-Region vorgeschlagene Weltbank-Projekt beklagt, dass „…die Jugend das Ziel hat, Landarbeiter zu werden, wodurch ein enormer Druck auf das Land ausgeübt und gleichzeitig der soziale Sprengstoff erhöht wird“. [2]

Das neoliberale Modell würde die Landarbeiter zu auswechselbaren Arbeitskräften in einer globalen Wirtschaft machen, beliebig umsiedelbar von einen fruchtbaren Boden zum anderen, beliebig austauschbar für andere (Agrar-) Erzeugnisse. Betrachtet man die Zeit-Raum-Kompression, durch welche die Globalisierung definiert ist, sind die negativen Einflüsse von Geographie und Geschichte irrelevant, was den ausschließlich marktbestimmten Gebrauch von Ressourcen in seinen rentabelsten Kombinationen betrifft.

Aus diesem Grund wird Biodiversität als Naturressource angesehen und vor allem von denjenigen ausgebeutet, welche das dafür benötigte Kapital besitzen. Transnationale Konzerne können sich genetische Formen aneignen, verändern und patentieren, ohne dass dabei Rücksicht auf das unverkäufliche Erbe der indigenen Völker von Chiapas oder des Amazonas genommen wird, noch auf lokale Präferenzen europäischer Verbraucher, die keine genetisch veränderten Nahrungsmittel kaufen wollen. Daher steht das Beharren der Zapatisten auf Autonomie in Verbindung mit den in Seattle vorgebrachten Protesten gegen die WTO und anderem Widerstand gegen die Globalisierung.

Technokratisches „Good Governance“ vs. Mitbestimmung in der Entscheidungsfindung

Das zapatistische Projekt stellt auch eine Herausforderung an das dem Neoliberalismus innewohnende technokratische Modell der Entscheidungsfindung dar. Ein Beispiel der Auswirkungen zapatistischer Arbeit auf das technokratische „good governance“-Modell zeigt sich in dem nach zweijährigen Verhandlungen schließlich im Februar 1996 unterzeichneten „Abkommen von San Andres“ über indigene Rechte und Kultur. Die Zapatisten vertagten in verschiedenen Stadien der Verhandlungen die Gespräche, um zu den entlegenen Gemeinden zurückzukehren und dort Beratungen sowie Gespräche durchzuführen, was bei den Regierungsunterhändlern Frustration hervorrief. Sobald der Konsens unterzeichnet war, begann die Regierung mit der Neuinterpretation der Umsetzung mittels eines Exekutiverlasses und ignorierte dabei sogar die Bemühungen der Multi-Parteien-Kommission des Kongresses (COCOPA), die sich um eine Gesetzgebung auf der Basis von Kompromissen bemühte.

In der Folge rangen die Zapatisten um eine breitere Unterstützung in der Zivilgesellschaft: Dem nationalen „Indigenas-Forum“, welches das „Abkommen von San Andres“ vom Januar 1996 billigte, folgte die Einweihung des „Nationalen Indigenas Kongresses“ (CNI) am symbolischen Tag des 12. Oktober 1996. Zu diesem Ereignis kamen 500 Delegierte von insgesamt 36 ethnischen Gruppen aus ganz Mexiko zusammen.[3]

Globalisierung und Zivilgesellschaft

Die Zapatisten-Bewegung als eine Antwort auf Globalisierung kann ebenfalls in dem Versuch gesehen werden, Verbindungen mit der breiteren Zivilgesellschaft herzustellen. Die wachsende globale Integration des Kapitals basiert auf seiner zunehmenden Mobilität und Flexibilität, über dem restriktiven Kontext des Nationalstaates hinaus zu operieren und verursacht einen Bedarf für neue ausgleichende Organisationsformen in der Gesellschaft.

Die Zapatisten lehnen es entschieden ab, auf eine um Staatsmacht kämpfende, bewaffnete Guerillabewegung reduziert zu werden. Stattdessen bestehen sie darauf, als Teil einer größeren Vision der Zivilgesellschaft betrachtet zu werden und nicht nur als eine Ansammlung von Organisationen, welche unabhängig vom Staat bzw. dem Staat feindlich gesinnt ist; die Zapatisten sind eine Bewegung, die die Gemeinschaft und Autonomie angesichts der größeren Strukturen der Globalisierung wiederherstellt. Anstatt nach Staatsmacht zu streben, versuchen sie das in der Gesellschaft inhärente Machtpotential wieder zu entdecken. [4]

Globalisierung beinhaltet nicht nur die Reduzierung der mexikanischen Regenwaldbestände auf den Reißbrettern der Weltbank oder transnationaler Konzerne. Globalisierung ist auch nicht mit Versammlungen europäischer Anarchisten gegen den Neoliberalismus im Lacandon-Dschungel gleichzusetzen. Globalisierung bezieht auch das Bewusstsein über die Auswirkungen dieses Drucks und entsprechende Anstrengungen mit ein, um Identitäten und Gemeinden basierend auf subjektiver Interpretation dieser sich verändernden Wirklichkeit neu zu formulieren.

Eine große Bedeutung wird dem Rückgriff der Zapatisten auf das Internet beigemessen.[5] Die Wichtigkeit dieses Aspekts der Bewegung liegt nicht in der Nutzung der Technologie an sich, sondern in der kreativen Fähigkeit, die Porosität des Staates für ihre Zwecke zu nutzen, ihre Gesprächspartner in einem Akt der Selbstbestätigung und Selbstbestimmung selbst auszuwählen. In Mexiko, wie anderswo, hat die Globalisierung die Kontaktpunkte lokaler Gemeinden vervielfacht und ihre Kapazität, Formen der Teilnahme an der Globalisierung autonom zu definieren, erhöht.
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Die tatsächliche Neuheit der Zapatisten-Bewegung liegt nicht allein darin, dass sie das Lokale mit dem Globalen verbindet, sondern eher im Beharren auf dem autonomen Recht kleiner Gemeinden, ihre Verbindungen zu größeren Strukturen selbst wählen und definieren zu können.

Aus d. Engl.: Elke Schickerling/Eva-Maria Hennig

Gekürzte Fassung eines Beitrages, der im Panel 384 „Globalization in the New Millennium? Perspectives from/for Latin America „, auf dem XXII Internationalen Kongress der Latin American Studies Association (LASA), in Miami, Florida; 16-18th March 2000 vorgetragen wurde.

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[1] Gilly, Adolfo (1998): „Chiapas and the Rebellion of the Enchanted World.“ Pp. 261-333, Rural Revolt in Mexico: U.S. Intervention and the Domain of Subaltern Politics, ed. Daniel Nugent. Durham, NC: Duke University Press.

[2] Henriquez, Elio (1999): „Millionario programa productivo en zonas de influencia zapatista.“ La Jornada, 29 Jun.

[3] Aubry, Andres (2000): „La autonomia en los Acuerdos de San Andres: expresiön y ejercicio de un nuevo pacto federal.“ Latin American Perspectives, forthcoming.

[4] Esteva, Gustavo (2000): „Sentido y alcances de la lucha por la autonomia.“ Latin American Perspectives, forthcoming.

[5] Cleaver, Harry (1998): „The Zapatistas and the Electronic Fabric of Struggle.“ Pp. 81-103, Zapatista! Reinventing Revolution in Mexico, eds. John Holloway & Eloina Pelaez. Sterling, VA: Pluto Press.

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