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Dabei sein ist alles oder Stellt euch vor, es ist Olympia und keiner geht hin Einige mehr oder weniger ungeordnete Gedanken zu den Olympischen Spielen in Rio

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Das Wichtigste an den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme, wie auch das Wichtigste im Leben nicht der Sieg, sondern das Streben nach einem Ziel ist. Das stammt von Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit. Ach ja, und nicht zu vergessen: Die Sportler sollen ihre Kräfte in einem friedlichen Wettkampf messen und fair miteinander umgehen. Jetzt vergleichen Sie diese hehren, aber schon damals nicht ganz so ernst gemeinten, Ideale einmal mit der olympischen Realität. Der olympische Gedanke ist wirklich viel zu schön, um wahr zu sein.

 

 

Brasilien: Olympiastadion - Foto: DodoedoIrgendwie scheinen kurz vor den Olympischen Spielen in Rio diese Widersprüche zwischen Ideal und Wirklichkeit wieder einmal bestätigt zu werden. Bereits seit geraumer Zeit überwiegen Skepsis, Ablehnung, Skandale. Es gibt Stimmen, die die erste Vergabe der Olympischen Spiele an ein südamerikanisches Land als großen Fehler bezeichnen: Die Brasilianer würden das eh nicht hinkriegen. Umweltverschmutzung, Korruption, Schlamperei dominieren nicht selten die Berichterstattung über die Vorbereitung des Ereignisses. Die Sportstätten, so wird geklagt, werden nicht rechtzeitig fertig, die Infrastruktur ist chaotisch und die Bucht von Guanabara, Austragungsort der Segelwettbewerbe, könne man nur als Kloake bezeichnen. Von der Kriminalität ganz zu schweigen. Eigentlich kann man so kurz vor der Eröffnung der Spiele der XXXI. Olympiade in Rio de Janeiro nur den Kopf schütteln über das Spektakel vor dem Spektakel.

Richtig dick kam es mit ZIKA, einem Problem also, das eigentlich nichts mit Olympia zu tun hat und für welches die Brasilianer nun wirklich nichts können. Der Zika-Virus wird von Stechmücken übertragen und löst beim Menschen das sogenannte Zika-Fieber aus. Der Verlauf dieser neuen Krankheit ist eher milde. Nur wenige Menschen entwickeln überhaupt Symptome, die nach etwa einer Woche wieder abklingen. Aber Zika steht im Verdacht, Mikrozephalien bei Ungeborenen zu verursachen, wenn sich eine Schwangere im ersten Schwangerschaftsdrittel infiziert hat. Wie bei allen neuen Krankheiten regierte die Öffentlichkeit etwas panisch, und die WHO schlug umgehend Alarm. Etwas übereilt, wie von Experten inzwischen verlautet, aber das Procedere kennen wir auch von der sogenannten Schweinegrippe. Aber egal, wie berechtigt der Alarm der WHO war, in Rio gingen inzwischen immer wieder Absagen ein. Eine Reihe von Golfstars sagte seine Teilnahme wegen des Zika-Virus ab, es folgten die Tennisspieler. Also gut, bei Golfern könnte ich die Angst ja verstehen, so gemütlich wie die sich übers Green bewegen. Da hat Aedes, egal ob aegypti oder albopictus, alle Zeit der Welt, ihr böses Werk zu tun. Aber mal ehrlich: Haben Dustin Johnson, Jordan Spieth oder Rory McIllroy tatsächlich die Absicht, in Rio schwanger zu werden? Oder sind sie es gar schon?

Doch es werden voraussichtlich noch mehr Athleten in Rio fehlen. Nach dem Vorwurf des systematischen Staatsdopings wurden Rufe laut, die gesamte russische Mannschaft von den Spielen auszuschließen. Dazu konnte sich das IOC dann doch nicht entschließen, aber es sperrte das gesamte Leichtathletik-Team, egal ob konkrete Sportler nun gedopt haben oder nicht. Genaugenommen widerspricht diese Form der Sippenhaft dem olympischen Gedanken. Dass endlich einmal energisch gegen Dopingsünder vorgegangen wird, kann allerdings nur gut sein. Auch wenn das IOC ein wenig über das Ziel hinausschießt, irgendwo muss einmal angefangen werden.

Brasilien: Favela - Foto: Quetzal-Redaktion, sscDoch sieht es nun auch noch so aus, als blieben die Gastgeber weg. Kurz vor Eröffnung der Spiele vermelden Medien, dass 1,2 Millionen Karten für die Sportveranstaltungen noch nicht verkauft sind. Es scheint, als hätten die Brasilianer andere Probleme und könnten sich deshalb nicht sehr für Olympia erwärmen. Die Umweltverschmutzung, die von den Sportlern beklagt wird, trifft sie tagtäglich. Hinzu kommt weiterer Umweltfrevel, begangen im Namen von Olympia. Auf dem Hügel Mirante do Rato Molhado wurden z.B. unter Naturschutz stehende Bäume gefällt, um den Olympiabesuchern einen schöneren Blick auf die Segelwettbewerbe zu bieten. Für die Olympischen Spiele wurden ca. 77.000 Menschen umgesiedelt, viele von ihnen hatte man zwangsevakuiert, u.a. für den Bau von Zufahrtsstraßen zu Olympiaeinrichtungen. Hinzu kommt die wirtschaftliche und politische Krise im Land. Wo soll da Begeisterung für ein Sportereignis aufkommen? Oder bei einem nicht geringen Teil der Cariocas das Geld, um die Eintrittskarten zu bezahlen? Sie sind es letztlich, die das Spektakel finanzieren, dabei haben sie am wenigsten etwas davon. Nein, es sieht wirklich nicht so aus, als wären das die Spiele der Brasilianer.

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Jetzt, gut zwei Wochen später, ist es also fast vorbei. Den Marathon hat dieses Mal ein Kenianer gewonnen, jetzt stehen nur noch wenige Entscheidungen aus. Zeit also, die alten Überlegungen zu prüfen. Unterschieden sich die Spiele von den Vorhersagen: Zika, Doping, Chaos, Kriminalität, desinteressierte Brasilianer?

Nun, die Spiele fanden statt, fast reibungslos. Die Brasilianer haben es offensichtlich doch irgendwie hinbekommen. Und das Drama um überfallene und ausgeraubte US-Sportler erwies sich als Ammenmärchen. Selbiges sagt sehr viel über die Haltung besagter Sportler gegenüber dem Gastgeberland. Und sollte genauso beurteilt werden.

Die Segelwettbewerbe auf der „Kloake“ haben stattgefunden. Die Devise war offensichtlich: Nase zu und durch. Und was machte Zika? Offenbar Winterferien. Es gab brasilianische Sportfunktionäre, die sich ebenso wie Infektionsmediziner veranlasst sahen, die Angst vor dem Zika-Virus als unbegründet zu bezeichnen. Die Athleten sahen das mehrheitlich wohl ähnlich, aber die Golfer und Tennisspieler sind trotzdem nicht angereist. Die Angst vor dem Virus nahm ihnen allerdings kaum einer so recht ab. Dabei sein ist alles ist ja ein wirklich schönes Motto für eine Sportveranstaltung. Aber andererseits: Anstrengung und Leistung für fast ohne Geld? Nein, als Aktiver in manchen Sportarten kann man die Olympischen Spiele wirklich nicht ernst nehmen. Was ist Olympiagold gegen den Sieg bei einem Major? Belanglos, wie Rory McIllroy einmal freimütig bemerkte. Deshalb bleiben die Stars der einnahmeträchtigen Sportarten den Olympischen Spielen nicht selten fern – Golfer, Tennisspieler, Fußballer… Da ist Rio keine Ausnahme, Zika hin oder her.

Bei den russischen Sportlern war das allerdings nicht ganz so einfach. Viele internationale Sportverbände, die selbst über eine Teilnahme der russischen Sportler entscheiden durften, ließen diese zu. Andere sperrten sie. So mancher der Gesperrten erstritt sich seine Teilnahme über Klagen. Ersparen wir uns das unwürdige Gezerre um Verbot und Zulassung. Die Spiele in Rio boten die wirklich paradoxe Situation, dass die des Dopings überführte Julia Stepanowa nicht an den Spielen teilnehmen durfte, die des Dopings überführte Julia Jefimowa aber sehr wohl. Eine von beiden hat das systematische Doping in Russland öffentlich gemacht. Die andere hatte einmal verlauten lassen, dass das mit dem Doping so sei wie mit dem zu schnellen Fahren: Wenn man erwischt wird, müsse man halt bezahlen, aber man fahre danach doch wieder zu schnell. Sie dürfen jetzt raten, um welche Julia es sich dabei jeweils handelte. War wohl doch nichts mit dem systematischen Kampf gegen das Doping.

Aber für dieses Paradoxon kann man die Brasilianer nun wirklich nicht verantwortlich machen. Dass der olympische Gedanke hier wieder einmal ad absurdum geführt wurde, hat nicht zuletzt das IOC zu verantworten.

Brasilien: Fora Temer - Foto: Allan TaissukeDie Gastgeber blieben den Spielen letztendlich nicht völlig fern, aber im Olympiafieber waren sie ganz offensichtlich nicht. Den Wettkämpfen fehlte oft die Kulisse, um wirklich Stimmung aufkommen zu lassen, besonders viele Zuschauer fanden nicht in die Sportstätten. Bei Usain Bolts spektakulärem Lauf – er kam, lief und siegte, wie gehabt – war das Stadion zwar nicht leer, aber überfüllt war es auch nicht gerade. Die Schwarzmarktkarten für diesen Olympiahöhepunkt waren, wie zu lesen war, schließlich unter dem regulären Preis zu haben. Gab es so etwas bei Olympia eigentlich schon einmal?

Die Brasilianer, so schien es während der Spiele, gingen ohnehin vor allem zu Veranstaltungen, bei denen auch brasilianische Sportler dabei waren, die sie dann begeistert feierten. Allen anderen gegenüber verhielten sie sich eher ablehnend, oder um es sportlich auszudrücken: sehr unfair. So sehr ich den Olympiafrust verstehe, muss man den denn unbedingt an den Sportlern auslassen? Ich glaube, damit haben die Cariocas Sympathien verspielt.

Aber es gab ein m.E. wirklich bemerkenswertes Ereignis bei diesen Spielen der XXXI. Olympiade in Rio de Janeiro, das von vielen wohl kaum zur Kenntnis genommen wurde. Dieses Ereignis hatte eher nicht mit dem Sport, aber sehr viel mit den Olympischen Spielen zu tun. Während und am Rande der Wettbewerbe hatte es immer wieder Proteste gegen Brasiliens „kommissarischen“ Präsidenten Michel Temer gegeben, die Aufforderung Fora Temer (Weg mit Temer) war allerorts auf T-Shirts und Plakaten zu sehen. Das IOC hatte daraufhin politische Losungen in den Stadien verboten. Ein Richter entschied jedoch, dass friedlicher und die Wettbewerbe nicht störender Protest bei den Sportveranstaltungen zu erlauben sei. Bei Zuwiderhandlungen, also dem Versuch, Proteste zu unterbinden und die Protestierenden der Stadien zu verweisen, drohte er Strafen an. Zu T-Shirts und Plakaten mit politischen Bekenntnissen in Sportstadien kann man sicher geteilter Meinung sein, aber man stelle sich das einmal vor: Ein Richter macht unmissverständlich klar, dass eine Olympiastadt auch während der Olympischen Spiele nicht dem IOC gehört.

Das lässt hoffen. Nicht nur für Olympia.

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Bildquellen: [1] Dodoedo_; [2] Quetzal-Redaktion, ssc;  [3] Allan Taissuke_, Comunicadores pela Democracia

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