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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Machtlos an der Macht? – Eine schier endlose Debatte

Drina Ergueta / bolpress | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

(Textura Violeta) Während in Bolivien mehrere Medien immerfort einen bevorstehenden Wandel des Kabinetts und der Regierung voraussagen und verschiedene soziale Gruppen ihre Teilhabe dabei einfordern, tritt in Chile der linksgerichtete Präsident Gabriel Boric seine Amtszeit in einer lateinamerikanischen Regierung an, deren Ministeriumsposten mehrheitlich mit Frauen besetzt sind. Dieser Aspekt hat besonderes Aufsehen erregt.

Wie relevant ist die Präsenz von Ministerinnen in einem Kabinett? Für Juana Gallego handelt es sich um eine „Frage der Gerechtigkeit”. Die Universitätsprofessorin und ehemalige Studienfachberaterin des Masters Gender und Kommunikation der Universidad Autónoma de Barcelona findet im Gespräch mit Textura Violeta, eine solche Tatsache sollte die Normalität bedeuten und daher wäre die mediale Aufmerksamkeit nicht nötig. Aber so ist es nicht.

Man wird die Leistungen dieses von Frauen charakterisierten Kabinetts abwarten. Denn der Blick, mit denen Frauen in Machtpositionen taxiert werden, ist allgemein kritischer: Man verlangt ihnen viel mehr ab, einschließlich vom feministischen Standpunkt aus. Die Kritiken vonseiten der männerdominierten konservativen oder progressiven Lager sind wieder ein Kapitel für sich.

Eine großartige Neuigkeit

Dass das chilenische Kabinett einen Frauenanteil von achtundfünfzig Prozent hat, ist für Gallego in Barcelona „eine großartige Neuigkeit. Da die Hälfte der Bevölkerung Frauen sind, sollten sie meiner Meinung nach in allen Bereichen und Ebenen repräsentiert sein. Das ist nur fair”.

Bolivien_Bild_Quetzal-Redaktion_pgTatsächlich stellt die spanische Regierung, die sich selbst als „die feministischste der Geschichte” bezeichnet, ein Beispiel für eine frauenstarke Regierung dar, mit einer Präsenz von dreiundsechzig Prozent. Doch ständige Forderungen werden gerade von feministischer Seite laut wenn es darum geht, schärfer gegen machistische Gewaltverbrechen vorzugehen und Femizide auszurotten, sowie den Gender Pay Gap zu schließen, sich für Vereinbarkeit von Beruf und Familie einzusetzen, die Gläserne Decke zu durchbrechen und Gender Budgeting vorzunehmen. Auch konfliktgeladene Themen wie Prostitution und Leihmutterschaft werden angemahnt, an deren Beispiel die unterschiedliche Behandlung und Benachteiligung von Frauen im Vergleich zu Männern deutlich wird.

In Europa wird davon ausgegangen viele der Forderungen nach Gleichstellung erfüllt zu haben […] und Chile nähert sich mit dem neuen Kabinett den Zahlen an, die in jenen Ländern immer häufiger vorkommen. Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen listet als paritätische Staaten für das erste Halbjahr 2021 hinter Spanien folgende Länder auf: Lichtenstein (60 Prozent Frauen), Schweden (52,2 Prozent) Finnland (52,6 Prozent), Frankreich (51,2 Prozent) und Portugal (40 Prozent).

Derweil zeigen die jüngsten Zahlen des Observatorio de Igualdad de Género de América Latina y el Caribe (Gender Equality Observatory, UN ECLAC) dass sich in der Region durchschnittlich 28,5 Prozent Frauen in Ministeriumskabinetten der jeweiligen Regierungen befinden. Mit vergleichsweise niedrigen Ziffern, erreicht in Lateinamerika nur Costa Rica 55,17 Prozent Frauenanteil in der Regierung und Kolumbien hat ein paritätisches Kabinett mit fünfzig Prozent […].

Bolivien ist mittlerweile sehr weit von einer Parität in der Regierung entfernt, mit drei von Frauen geleiteten Ministerien aus insgesamt sechzehn, was achtzehn Prozent ergibt.

In Bolivien war die “Präsenz der Frauen als Ministerinnen gering bis außerordentlich unbedeutend im Zeitraum von 1993-2021 […]. Einzige Ausnahme bestand in zwei Jahren paritätisches Kabinett (2010-2011). Es war eine wertvolle Geste der Anerkennung für Frauen, aber von kurzer Dauer. Und sie blieb einmalig. Abgesehen davon hatte sich der durchschnittliche Frauenanteil bei einem Fünftel der verschiedenen Kabinette eingepegelt”, so geht aus dem letzten Bericht über politische Teilhabe von Frauen hervor, der von Oxfam in Bolivien, der Koordinatorin für Frauenrechte und den CESU-UMSS1 ausgearbeitet wurde.

Frauen auf dem Präsentierteller

Die Mehrheit der Minister und Ministerinnen (unabhängig bis sozialdemokratisch) wurde als gemäßigte Linke verortet. Der Fakt, dass vierzehn Frauen auf vierundzwanzig Ministeriumsposten kommen, soll auch ein Zeichen setzen.

Jedoch ist es genau dieses moderate Linkssein, was Kritik hervorruft, die dann an den Frauen ausgelassen wird, da diese ja nur „benutzt” würden, um die Regierung fortschrittlicher hinzustellen, als sie in Wirklichkeit sei.[…]

„Es ist unabdingbar und nur gerecht Frauen in der Regierung zu haben”, unterstreicht Gallego erneut und fügt hinzu: „Wie bei jedem x-beliebigen Mann auch, kann man dann ihre Handlungen kritisieren. Es kommt darauf an, ob diese Frauen feministisch sind und La Paz_Regierungspalast_Foto_Quetzal-Redaktion_gcauch so Politik machen wollen oder ob sie einfach nur eine Machtposition innehaben, aber nicht feministisch denken und eine Politik gutheißen, die den Forderungen der Frauen zuwiderläuft“.

Möge der Bessere regieren

Im Zuge eines Antrags, dass die bolivianische Regierung ihrer Maßnahme treu sein möge, 2022 zum „Jahr der kulturellen Revolution hin zur Depatriarchalisierung” zu erklären und Ämter paritätisch zu verteilen, twitterte der Artikelschreiber einer bolivianischen Tageszeitung, Antonio Saravia: „Warum wird nicht danach gestrebt die Besten auszuwählen, egal welchen Geschlechts?“

„Da scheint mit anzuklingen, dass Frauen beweisen müssen, die Besten zu sein. Bei Männern hingegen wird ohne Frage davon ausgegangen, dass sie es sind. Also, nicht alle Männer, die an die Macht kamen sind die Besten, häufig sind sie mittelmäßig. Wir Frauen haben ebenfalls ein Recht auf Mittelmäßigkeit”, meint Gallego.

„Zu sagen, das Geschlecht sei egal, solange es die Besten sind, ist immer eine Ausdrucksweise um anzuzweifeln, wie Frauen an Machtpositionen gekommen sind, denn es schwingt dabei mit, sie wären aus anderen Gründen als ihrer fachlichen Eignung aufgestiegen. Es ist als würde man sagen: ,Wenn sie nicht besser sind als Männer, sollte man sie nicht wählen. ’ Umgekehrt behauptet aber niemand, Männer sollten besser als Frauen sein”, erläutert sie.

Die Regierung „der Besten” entspringt der klassisch-aristokratischen Vorstellung Platons, die eine Regierung weiser Männer vorsieht, in der weder Frauen noch versklavte Menschen Platz haben, so wie auch in der Demokratie des antiken Athens. In der Gegenwart ist das Konzept „der Besten” sehr diskutabel, denn zunächst müsste man definieren „die Besten worin”. Daher steht es im Zusammenhang mit Eliten und Klassenunterschieden, da einige besseren Zugang zur formellen Schul- und höheren Bildung haben als andere – und genau an diesem Punkt sind sowohl Frauen sozial benachteiligt und eingeschränkt, als auch Personen, die rassistisch diskriminiert werden. […]

 

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Quelle: Auszug aus bolpress, Drina Ergueta, Textura Violeta, Januar 2022. Mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.

Übersetzung aus dem Spanischen: Uta Hecker

Bilder: Quetzal-Redaktion [1]_pg; [2]_gc

 1 Forschungseinrichtung der Universidad Mayor de San Simón (Cochabamba).

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