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In der Vergangenheit hat das Comité Cívico Staatsstreiche finanziert und Diktaturen unterstützt. Arbeitet man jetzt auch mit Terroristen zusammen?

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Im August 2008 erklärte Herland Vaca Diez, dass die Bewegung Nación Camba von der Unabhängigkeit und einer Abspaltung des bolivianischen Departements Santa Cruz von Bolivien träume. Einige Wochen darauf begann Eduardo Rózsa mit dem Aufbau einer bewaffneten Bürgerwehr in der separatistischen Tieflandregion.

Die Unabhängigkeitsbewegung in Santa Cruz habe niemals mit dem Gedanken gespielt, ihre Autonomiebestrebungen mit Waffen durchzusetzen, stellt Carlos Pablo Klinsky, Abgeordneter der Ultrarechten und einer der Führer der Autonomiebewegung, klar. Branko Marinkovic, früherer Vorsitzender des Comité Cívico pro Santa Cruz, erklärte, dass das Bürgerkomitee nie separatistische Terrorgruppen oder Paramilitärs finanziert habe. Das Bürgerkomitee und die Eliten in Santa Cruz standen nach der Revolution von 1952 an der Spitze unzähliger bewaffneter Operationen.

Die wirtschaftliche und soziale Macht in Santa Cruz konzentriert sich in den Händen von schätzungsweise 40 Familien, einige davon arabischer, deutscher oder kroatischer Herkunft. Sie gehören einer alteingesessenen Oberschicht an, die sich Ende des 19. Jahrhunderts herausbildete. (Ximena Soruco. „Los barones del Oriente: El poder en Santa Cruz ayer y hoy“. Fundación Tierra).

Die Elite von Santa Cruz ist im Besitz riesiger Ländereien. In der Zeit von 1953 bis 2002 wurden in Santa Cruz 18,8 Millionen Hektar Land an etwa 11 000 Begünstigte vergeben. Allein 24 dieser Begünstigten haben Haziendas mit einer Fläche von je 20 000 Hektar und vier besitzen auch nach der Agrarreform jeweils mehr als 50 000 Hektar Land.

Nach der Revolution von 1952 bildeten das Bürgerkomitee und die der Falange nahestehende Elite in Santa Cruz eine Opposition zur Nationalistischen Revolutionsbewegung (MNR) und agierten augenscheinlich unpolitisch und auf regionaler Ebene, wobei sie jedoch immer die Idee verfolgten, sich von Bolivien abzuspalten, beziehungsweise das Land zu „polonisieren“, das heißt, an dessen Nachbarländer aufzuteilen, wie es das Time Magazine 1982 nach der Verstaatlichung der Bergwerke und der Landreform vorschlug.

Von 1957 bis 1959 befehligte das Bürgerkomitee von Santa Cruz bewaffnete Operationen und sammelte Gelder zur Unterstützung des Militärputsches von General Hugo Banzer. Die Gebrüder Gasser, Eigentümer der Zuckerraffinerie La Bélgica, erklärten im Januar 1972 in einer Fernsehsendung, „dass es nicht schwer gewesen ist und auch nicht viel gekostet hat, die Militärführung davon zu überzeugen, sich dem Putsch anzuschließen.“ „Alle Deutschen hier haben mit Banzer kollaboriert, einige mehr, andere weniger. Sie haben ihn mit Geld und Waffen unterstützt und indem sie Putschisten Unterschlupf gewährten“, enthüllte die Zeitschrift Semanario Aquí.

Im Mai 1979 verhinderte das Bürgerkomitee den Wahlkampf von Präsidentschaftskandidat Siles Suazo in Santa Cruz und feierte später General Natusch Busch, als dieser im November desselben Jahres mit einem Militärputsch die Macht übernahm.

Nach der Wiederherstellung der Demokratie im Jahr 1985 verkündeten Bewegungen des extrem rechten Lagers wie Nación Camba oder die Jugendunion des Bürgerkomitees, Unión Juvenil Cruceñista, zu verschiedenen Anlässen die Unabhängigkeit von Santa Cruz, und Bürgermeister Percy Fernández schlug vor, Bolivien in zwei Nationen aufzuteilen (Bolivia „del Oriente“ und „del Occidente“).

Nachdem Evo Morales Präsident geworden war, begann das Bürgerkomitee von Santa Cruz eine radikalere Politik zu verfolgen. Das Komitee konspirierte mit US-Botschafter Philip Goldberg, einem Experten in Sachen „Balkanisierung“.

2008 versuchte sich die Unternehmervereinigung von Santa Cruz an die Macht zu putschen, um die Unabhängigkeit von Santa Cruz auszurufen. Während der Revolte der Landbesitzer im September und Oktober 2008 schlugen die Behörden von Santa Cruz vor, parallel zur nationalen Polizei eine unabhängige Polizeitruppe aufzubauen. Damit legten sie den Grundstein für eine Bürgerwehr, die sich aus Mitgliedern der Unión Juvenil Cruceñista rekrutiert.

In einem Interview mit dem Journalisten Haroldo Castro im August 2008 erklärte Herland Vaca Diez, radikaler Vertreter der Nación Camba, im brasilianischen Fernsehen, dass seine Bewegung von der Unabhängigkeit Santa Cruz‘ und der Abspaltung der Region von Bolivien träume.

Am 16. April 2009 wurden Eduardo Rózsa, der als Söldner schon im Balkankonflikt für die Unabhängigkeit Kroatiens gekämpft hatte, sowie zwei weitere mutmaßliche Terroristen in einem Hotel in Santa Cruz von einer Spezialeinheit der Polizei erschossen. Bei der Aktion stellte die Polizei hochexplosiven Sprengstoff, Präzisions- und Maschinengewehre sowie Pläne zur Ermordung von Präsident Evo Morales, Vizepräsident Álvaro García Linera und weiterer führender Regierungsvertreter sicher.

Präsident Morales gab bekannt, dass die Terroristengruppe, bestehend aus kroatischen, ungarischen, irischen, rumänischen und bolivianischen Söldnern, Mordanschläge geplant hatte und die Abspaltung von Santa Cruz erreichen wollte.

„Es lässt uns schon aufhorchen, dass bei einem Polizeieinsatz auf dem Gelände der Telefongesellschaft Cooperativa de Teléfonos de Santa Cruz (COTAS) ein Waffenlager gefunden wurde. Was zum Teufel haben Unternehmer und Anbieter von Dienstleistungen mit gewalttätigen Gruppen zu tun?“, meint Senator Ricardo Díaz von der Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS).

Die inzwischen aufgelöste Terroristengruppe unterhielt Verbindungen zu Unternehmern und Schlägertrupps aus den nach Autonomie strebenden Tieflanddepartements Santa Cruz, Beni und Pando sowie zu „bekannten Persönlichkeiten aus Unternehmerkreisen, deren Gesichter die Panorama-Seiten der Zeitungen schmücken“, so Vizepräsident García Linera.

Alles nur Show?

Das Bürgerkomitee und die Präfektur von Santa Cruz sind der Ansicht, dass die ganze Sache inszeniert worden sei, um das Ansehen der Führer des Departements in den Schmutz zu ziehen. Bernardo Montenegro, Abgeordneter der rechtskonservativen Partei Podemos, bemerkte dazu, dass Präsident und Vizepräsident bereits zum sechsten oder achten Mal von Staatsstreichen und Mordanschlägen sprächen, ohne jemals Beweise dafür vorzulegen.

Am 22. April strahlte das ungarische Fernsehen posthum ein am 8. September 2008 aufgezeichnetes Interview mit Eduardo Rózsa aus, in dem dieser bekannt gibt, „dass der Regionalrat von Santa Cruz (Consejo Departamental) für den Aufbau einer regionalen Sicherheitstruppe gestimmt hat …“ und dass „die Gründer der Truppe, soweit laut Gesetz zulässig, für deren Finanzierung und Bewaffnung sorgen werden …“.

In dem Interview erklärt Rózsa: „Mir wurde die Aufgabe übertragen, die Verteidigung von Santa Cruz zu organisieren (…) Als Erstes werde ich eine Bürgerwehr aufbauen (…) Wir werden nicht mit Fahnen oder Bambusstöcken herumlaufen, wir werden Waffen tragen (…) Wir werden die Unabhängigkeit ausrufen und ein neues Land gründen (…) Santa Cruz ist bereit, sich von Bolivien abzuspalten …“

Sergio Antelo, Führer der Nación Camba, bestritt allerdings jedwede Beziehungen zu Rózsa und hält es für möglich, dass dieser für mehrere Seiten gearbeitet hat. Juan Carlos Parada, Präsident der Regionalversammlung (Asamblea Departamental) von Santa Cruz, äußerte: „Mir ist nicht klar, warum er (Rózsa) diese Erklärungen abgegeben hat (…) ich weiß wirklich nicht, worauf er sich mit seinen Worten bezieht“.

Die Autonomiebewegung habe Rózsa nicht mit dem Aufbau einer Bürgerwehr beauftragt, stellte auch Pablo Klinsky klar. „Eine Verletzung der neuen bolivianischen Verfassung kann ich nicht unterstützen. Ich würde mich nie an Gesprächen beteiligen, die von einer Teilung des Landes ausgehen (…) Den Einsatz von Terrorgruppen oder von Waffengewalt sehen wir nicht als Weg zur Erlangung der Autonomie an.“

Branko Marinkovic, Ex-Präsident des Comité Cívico Pro Santa Cruz, bestritt, die mutmaßlichen Terroristen finanziell unterstützt zu haben: „Es gab Personen, die zur Finanzierung der Volksversammlungen (Cabildos) beigetragen haben, es wurden Unterschriften geleistet, aber das ist auch bei anderen politischen Kampagnen in einer Demokratie der Fall. Eine bewaffnete Truppe aufzustellen, ist allerdings etwas völlig anderes (…) Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es jemanden in meinem Bekanntenkreis gibt, der so etwas finanzieren würde.“

Laut Marinkovic hat das Bürgerkomitee nie Terroristen finanziert, weder als er das Komitee leitete, noch unter irgendeiner anderen Führungsperson.

Was sagt die private Presse?

Die ständige Menschenrechtsversammlung Boliviens (APDHB) äußerte sich besorgt darüber, dass es in Bolivien zu Spannungen kommen könnte, die zu einer Delegitimierung der Demokratie führen. Dem Terrorismus sei im Vorfeld zu Militärschlägen bisher immer eine Schlüsselrolle zugekommen. Wochen vor dem Staatsstreich durch Hugo Banzer am 21. August 1971 verübte das nationalistische Ejército Cristiano Nacionalista (ECN) Terroranschläge. Während der Diktatur von René Barrientos legten Mitglieder des ECN in Häusern politischer Gegner Bomben, für die das Regime nachher radikale Anhänger des Kommunismus´ Fidel Castros verantwortlich machte.

Guillermo Mendoza, Abgeordneter der Unidad Nacional (UN), glaubt, dass „globale Wirtschaftsunternehmen versuchen, in Bolivien einen Bürgerkrieg zu entfesseln. Diese riesigen Unternehmen haben es auf die enormen Reichtümer des Landes an Bodenschätzen abgesehen, weshalb es in ihrem Interesse liegt, dass hier ein Bürgerkrieg ausbricht und sich dieses Land selbst zerstört.“

Der historische und ökonomische Kontext spielt in der privaten Presse jedoch meist nur eine untergeordnete Rolle. In der vergangenen Woche versuchten die großen Fernsehsender, Rundfunkanstalten und Zeitungsagenturen die Glaubwürdigkeit der Regierung im Zusammenhang mit dem Skandal um den Terrorismusfall in Santa Cruz, in den bekannte Autonomiebefürworter verwickelt waren, zu untergraben. Dabei spielte ihnen ein Irrtum von Innenminister Alfredo Rada in die Hände. Dieser hatte ein Foto mit mutmaßlichen Terroristen verbreitet, die sich jedoch als Airsoft-Spieler herausstellten, einem Kriegsspiel mit Spielzeugwaffen.

Die Zeitung El Deber titelte: „Innenminister Rada bringt Parlament mit Foto in Schwierigkeiten“. „Regierungserklärung verkompliziert die Situation“, kommentierte El Mundo de Santa Cruz ironisch. Im Diario de La Paz hieß es: „Mutmaßliche Terroristen entpuppen sich als Sportler“ und der Correo del Sur de Sucre schrieb: „Radas Beweis löst sich in Luft auf und Evo stimmt externer Untersuchung zu“.

Bolpress, 24.04.2009

Mit freundlicher Genehmigung von bolpress.com

Übersetzung aus dem Spanischen: Franziska Pfab


Dieser Beitrag ist Bestandteil unseres Quetzal Bolivien-Tagebuchs: Bolivia en Movimiento Bolivia en Movimiento - Das Quetzal Bolivien-Tagebuch

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