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Elector 2009 – Wahlen in Bolivien, Teil 6

Muruchi Poma | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten
Bolivien - Elector 2009 - Wahlen in Bolivien - Teil 6 (274 Downloads )

„Evo schläft, träumt aber von Eseln“

Boliviens Präsident Evo Morales. Foto: Fernando Lugo, APC.Der vorangegangene Kommentar [Elector 2009 (5)] warf die Frage auf, wie es jetzt, da Evo den Umfragen zufolge die Mehrheit der Wähler auf seiner Seite hat, weitergeht. Bei der Betrachtung der Meldungen zum Thema konnten wir folgende politische Reaktionen ausmachen:

Zurückziehen der Kandidatur

Selbst optimistische Beobachter aus dem rechten Lager gehen mittlerweile davon aus, dass es keinen zweiten Wahlgang geben wird. Evo wird gewinnen. Offen ist nur, ob es für eine Zweidrittelmehrheit im Parlament reichen wird. Doch nur Wenige zweifeln daran, dass die MAS auch dieses Ziel umsetzen kann. Für die Opposition, gebildet durch den ehemaligen Militär Reyes Villa und den Unternehmer Doria Medina, ist das mit Sicherheit ein Albtraum.

Medina hat die Initiative ergriffen und angeregt, dass sein „Mitstreiter“ die Kandidatur zurückziehen solle. Reyes Villa stoße in der Bevölkerung auf Widerstand, er könne keinen Stimmenzuwachs mehr verzeichnen, so der Unternehmer. Medinas Argumentation basiert auf den Umfrageergebnissen, die klar und deutlich zeigen, dass Villa mehrheitlich abgelehnt wird. Den Umfragen ist auch zu entnehmen, dass Medina durchaus Wachstumspotential hat. „Ich kann es in eine zweite Runde schaffen“, erklärte der Unternehmer kämpferisch. Darauf antwortete Villa, dass ihn diejenigen, die mit der Regierung zusammengearbeitet haben, ohnehin nicht interessierten. Die Anhänger Villas werfen Medina vor, Evo Morales in die Hände zu spielen.

Die Diskussion um Villas Aufgabe der Kandidatur wurde von Medina politisch inszeniert, um einen größeren Anteil der Oppositionsstimmen für sich zu gewinnen. Doch allein die Wahlen am 6. Dezember können zeigen, ob diese Wahlkampfstrategie gerechtfertigt ist

Stimmensplitting – eine reale Alternative

Die Wahlkampfstrategen der Opposition schlafen nicht; ihnen rauchen die Köpfe. Es gibt noch Rettung, meinen sie: das Stimmensplitting. Doch was ist das eigentlich?

Der Stimmzettel ist zweigeteilt. Im oberen Teil finden sich die Kandidaten für das Amt des Präsidenten und des Vizepräsidenten sowie die Kandidaten für den Senat und die Listenabgeordneten. Im unteren Teil sind die Kandidaten der entsprechenden Wahlkreise aufgelistet. Der Wähler hat demnach zwei Stimmen. Er kann seine Erst- und Zweitstimme jeweils Kandidaten derselben Partei geben (voto en línea). Er kann seine Stimmen aber auch „splitten“ (voto cruzado), das heißt, mit Erst- und Zweitstimme Kandidaten verschiedener Parteien wählen. So könnte ich also im oberen Teil des Stimmzettels mein Kreuzchen für Evo machen und im unteren Teil für einen Wahlkreiskandidaten einer anderen Partei stimmen.

Die Opposition hat das Stimmensplitting als einzige und letzte Chance für sich erkannt. Schon Anfang November instruierte sie ihre aktiven Mitglieder, für dieses Vorgehen zu werben. Selbst die Katholische Kirche scheint mit von der Partie zu sein. Sie ruft die Bolivianer dazu auf, „bewusst“ zu wählen. Die Kehrseite ist jedoch, dass auch die kleinen Parteien versuchen, mittels Stimmensplitting ins Parlament einzuziehen. Der Wähler kann das Ass, das er im Ärmel hat, demnach auch gegen die Rechte einsetzen. Mit diesem Vorschlag kann die Opposition also auch alles verlieren.

Evo schläft, träumt aber von Eseln

Angesichts der vielversprechenden Umfrageergebnisse dürfte Evo kaum Schlafprobleme haben. Wenn er auch wenig zum Schlafen kommt – immerhin, er schläft. Doch die wenigen Stunden Schlaf sind mit Sorgen verbunden: Er träumt von Eseln. In der andinen Welt bedeutet dies, dass ein bestimmter Plan möglicherweise nicht aufgeht.

Siebzehn Tage vor den Wahlen berichtete La Razón über die drei Veranstaltungen, auf denen Evo seine Anhänger davor warnte, sich vom Aufruf zum Stimmensplitting in die Irre leiten zu lassen. Er brauche seine Abgeordneten und Senatoren, um Gesetze verabschieden zu können. In der Wahlkabine jedoch entscheidet der Wähler allein, wie er seine Stimmen vergibt. La Razón zufolge gewinnt das Stimmensplitting immer mehr Befürworter.

Zu allem Überfluss war ausgerechnet Evo derjenige, der das Stimmensplitting aufgebracht und populär gemacht hat. Die Politikwissenschaftlerin Erika Brockmann erklärt: „Als Evo Morales 1997 als Abgeordneter kandidierte, setzte er gemeinsam mit der MIR auf das Stimmensplitting.“ Bekanntermaßen zog der damalige Anführer der Cocalero-Bewegung dann mit 70 Prozent der Stimmen als Wahlkreiskandidat ins Parlament ein (siehe: „Evo Morales: Die Biographie“, S. 111). „Ein Traum“, meinte Evo damals. Diese Geschichte könnte sich wiederholen, aber nicht für ihn, sondern für andere, die auch an die Macht wollen.

Evo hat sich, wie man weiß, für eine Disziplinierung seiner Wahlkreiskandidaten entschieden. Seit dem 18. November machen gesellschaftliche Organisationen offensiv gegen das Stimmensplitting mobil. Im Zuge dessen positionierten sich auch die Vorsitzenden dieser Organisationen. Sie warnen davor, dass das Stimmensplitting die neue Staatsverfassung (NCPE) zum Scheitern bringen könnte.

Da Evo aufgrund dieser Träume, die im wie Albträume vorkommen müssen, nicht gut schläft, hat er sich außerdem dafür entschieden, persönlich aktiv zu werden. Am vorletzten Novemberwochenende begleitete er die Wahlkreiskandidaten der MAS auf ihren Wahlkampfveranstaltungen. Das letzte Wort jedoch hat der kluge Wähler. Denn es gibt nicht nur die intoleranten und blinden Blockierer der Rechten, sondern auch ehrbare Kandidaten und Kandidatinnen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch Wahlkreiskandidaten der kleinen Parteien ins Parlament einziehen werden.

Fast eine halbe Million „illegale Bolivianer“

Die Wahlbehörde Boliviens (OEP) sorgt – im Guten wie im Schlechten – stets aufs Neue für Überraschungen. Diesmal spuckten die Festplatten ihrer Computer die Information aus, dass fast eine halbe Million Bolivianer keine Geburtsurkunde besitzen, also „illegale Bolivianer“ sind. Am 23. November gab die Wahlbehörde die Zahl der registrierten Wähler mit 5.138.583 an. Davon seien 400.671, das heißt 8 Prozent, „unter Vorbehalt wahlberechtigt“. Dieser Terminus ist jedoch in keinem Gesetz zu finden, auch nicht im geltenden Übergangswahlgesetz. Letzten Endes wird es wohl darauf hinauslaufen, dass die „illegalen Bolivianer“ nicht wählen können, auch wenn die Wahlbehörde immer wieder darauf verweist, dass die Betroffenen bis zum 3. Dezember nur eine Kopie ihrer Geburtsurkunde vorlegen müssen.

Die Situation treibt die Politiker der Opposition vollkommen zur Verzweiflung. Plötzlich konkurrieren sie nicht mehr mit den anderen Kandidaten, sondern mit den Wählern. Sie fordern die Bereinigung der Wählerregister sowie den Ausschluss der „unter Vorbehalt Wahlberechtigten“ von den Wahlen. Logischer wäre es, Mittel und Wege zu finden, damit auch diese Bürger wählen und für sie stimmen können. Stattdessen begeben sie sich auf Abwege und fordern die Streichung der Betroffenen aus den Wählerregistern, denn es sei davon auszugehen, dass die Ursache für diese Unregelmäßigkeiten in der Einführung der Personalausweise in Bolivien in den letzten Jahren zu finden ist. Der Regierung zufolge wurden für diese Anschuldigungen aber nie Beweise vorgelegt. Hier hat wohl die Wahlparanoia das Urteilsvermögen der Politiker getrübt.

Bei diesen registrierten Wählern handele es sich um Bürger aus Fleisch und Blut, die nichts falsch gemacht haben, äußerten Vertreter der Regierungspartei, und Evo Morales forderte die Betroffenen mit Nachdruck auf, darauf hinzuweisen, dass sie Einspruch erheben werden. Minister San Miguel erklärte, dass Probleme beim Eintragen der Vor- oder Zunamen der Bürger in die Geburtsurkunden oder Ausweise weit verbreitet waren (Abi, 26.11.09). Trotz zahlreicher Reformen, denen das System seit den 1930er Jahren unterzogen wurde, als die Katholische Kirche in Bolivien aufhörte, in ihren Taufämtern Identitätslisten zu führen, ist die Situation anachronistisch (Ebd.). Es ist also nicht die Schuld der „illegalen Bolivianer“, dass ihre Daten fehlerhaft in die Personenstandsregister eingetragen wurden. „Der Staat kann Verantwortlichkeiten, die ihm obliegen, nicht einfach an den Bürger weitergeben. Das ist ein Grundprinzip des Verwaltungsrechts“, so der Minister (Ebd.).

Am Tag nachdem die Liste mit den unter Vorbehalt Wahlberechtigten veröffentlicht wurde, erschienen Tausende von Bolivianerinnen vor den Türen der Wahlbehörde. In der Hand ihre Geburtsurkunden. Es sind Frauen, die bei der Heirat ihre Nachnamen geändert haben. Fünf Tage vor den Wahlen wurden alle Vorbehalte gegen Wahlberechtigte zurückgezogen. Der „Macho” ist noch einmal um die Tracht Prügel herumgekommen.

Die Wahlen am 6. Dezember

Am 6. Dezember werden der Präsident, der Vizepräsident und insgesamt 166 Parlamentarier gewählt. Der Nationalkongress wird sich im Oberhaus aus 36 Senatoren zusammensetzen (4 aus jedem Department) und im Unterhaus aus 130 Abgeordneten, von denen 7 indigene Vertreter sind.

Außerdem werden in verschiedenen Departments und indigenen Gemeinden sowie in der Provinz Gran Chaco Autonomiereferenden abgehalten.

Bolivien: Übersicht über die Wahlen im Dezember 2009

Die Autonomiereferenden auf departamentaler und regionaler Ebene werden ohne Zweifel normal verlaufen und von einer überwältigenden Mehrheit angenommen werden.

Auch für die Referenden auf Gemeindeebene wird ein relativ problemloser Ablauf erwartet. Nachfolgend eine Tabelle mit den 12 indigenen Gemeinden, in denen Autonomiereferenden abgehalten werden.

Bolivien: Übersicht über indigene Autonomiereferenden im Dezember 2009

27. November 2009

Übersetzung aus dem Spanischen: Franziska Pfab

Bildquelle: Fernando Lugo APC


Dieser Beitrag ist Bestandteil unseres Quetzal Bolivien-Tagebuchs: Bolivia en Movimiento Bolivia en Movimiento - Das Quetzal Bolivien-Tagebuch

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