Die Fabrik gehört allen!
Jahrelang haben die ArbeiterInnen in der besetzten Fabrik Zanon ihre Selbstverwaltung aufgebaut, Repressionen abgewehrt und immer wieder Solidarität mobilisiert. Zuletzt im Oktober 2008, als mit dem Auslaufen der Überlassungsfrist erneut die Räumung drohte. Im März soll es nun tatsächlich so weit sein: die Provinzregierung von Neuquén (Patagonien) hat sich zu Verhandlungen über eine Enteignung des Alteigentümers bereiterklärt.
Einer der dramatischsten Momente war der 8. April 2003, als die Konkursverwalter aus Buenos Aires anreisten, mit einem Räumungstitel in der Tasche. Die ArbeiterInnen hatten beschlossen, die Fabrik gemeinsam zu verteidigen. Viele hatten angekündigt, dafür alles zu riskieren. Und inzwischen sagen einige öffentlich, dass sie neben den Zwillen auch „letzte Mittel“ in der Fabrik hatten, um sich notfalls bewaffnet zu wehren. Was sie in anderthalb Jahren Besetzung aufgebaut hatten, würden sie sich nicht so einfach nehmen lassen. Die Sympathie der Bevölkerung hatten sie schon längst erobert. Tausende kamen zur Unterstützung. Zanon ist zum Symbol dafür geworden, dass es in der Krise für ArbeiterInnen doch andere Optionen gibt als die vorgesehene Opferrolle.
Die Räumung wurde damals vom Gouverneur wegen unvorhersehbarer Konsequenzen abgeblasen. Im Oktober 2005 erfolgte die erste vorläufige Legalisierung. Seitdem betreibt die von den ArbeiterInnen gegründete Kooperative FaSinPat die „Fabrik ohne Chefs“. Die ArbeiterInnen sehen dies aber nur als Zwischenschritt. Sie fordern, dass der Betrieb verstaatlicht und ihnen zur Verfügung gestellt wird, damit sie dort selbstverwaltet für die Allgemeinheit produzieren können (z.B. Fliesen für öffentliche Bauvorhaben). Damit könnten sie zumindest teilweise dem Druck des Marktes ausweichen. Denn sie möchten nicht zu Unternehmern oder Eigentümern werden, und vor allem sind sie nicht bereit, für die Geldschiebereien aufzukommen, mit denen ihr früherer Chef die Firma verschuldet hat. Von den 160 Betrieben, die in Argentinien seit 2001 besetzt wurden, sind inzwischen die meisten legalisiert. In vielen Fällen sieht die „Enteignung“ aber vor, dass die ArbeiterInnen die Schulden der Ex-Besitzer abbezahlen. Stattdessen haben die KollegInnen von Zanon einen Vorschlag zur entschädigungslosen Enteignung ausgearbeitet. Dieser wurde in den letzten Jahren mehrfach eingereicht, mit 90000 Unterschriften, aber von der Provinzregierung nie behandelt.
Letztes Jahr gab die Justiz auf Betreiben eines Gläubigers grünes Licht für die Versteigerung des Betriebs. Im Oktober sollte es mit der Verwaltung durch die Kooperative vorbei sein. Nach erneuten Mobilisierungen der ArbeiterInnen erklärte die Provinzregierung schließlich, dass sie durchaus Möglichkeiten sieht, Zanon zu enteignen ohne dass die ArbeiterInnen dafür bezahlen, und dass die Modalitäten ab März an einem „Runden Tisch“ diskutiert werden sollen.
So kann das ungewöhnliche Experiment „Zanon unter Arbeiterkontrolle“ weitergehen. Ökonomisch können die BesetzerInnen einige Erfolge vorweisen. Sie haben die Belegschaft von anfangs 260 auf 470 ausgeweitet. 1500 Personen beziehen ihren Lebensunterhalt direkt aus der selbstverwalteten Produktion, und weitere 5000 indirekt. Sie haben in Erhalt und Ausbau der Maschinerie investiert, und es blieb immer noch etwas übrig für soziale Projekte und die Unterstützung anderer Streikkassen. Denn neben der Produktion legen sie genauso Wert auf ihr „zweites Standbein“: die Politik. Darunter verstehen sie intern Basisdemokratie und nach außen Solidarität. Bei Zanon wird mehr produziert als nur Fliesen. Die Fabrik ist zu einem Freiraum für Politik und Kultur geworden. Schulklassen und andere Gruppen besichtigen die Fabrik und lassen sich die Geschichte erklären – eine Art „Lehrpfad“ für ArbeiterInnenkampf und Selbstverwaltung. Die Hallen werden für politische Treffen zur Verfügung gestellt, und der Hof wurde schon mehrfach zur Konzertbühne. Im Oktober spielte dort die angesagte Rockband La Renga vor 12000 Menschen gegen die drohende Räumung. Wie immer war auch die Security selbstgemacht: Party ohne Polizei in der Fabrik ohne Chefs.
Bei Zanon wird neben den laufenden Bändern über eine andere Gesellschaft diskutiert. Denn vielen ist inzwischen klar geworden, dass ihre Fabrik keine Insel ist, und dass es innerhalb des Kapitalismus keine „Lösung“ geben kann. Die allgemeine Politisierung beruht auf einer weit entwickelten Basisdemokratie. Ständig finden Versammlungen statt: Spontan beim Schichtwechsel am Tor, wenn eine schnelle Entscheidung getroffen werden muss, regelmäßig in den Abteilungen, und alle paar Wochen leisten sich die ArbeiterInnen einen Diskussionstag, bei dem die Produktion gestoppt wird, damit alle teilnehmen können. Von Problemen in einzelnen Abteilungen bis zur Weltpolitik kann hier alles auf die Tagesordnung gesetzt werden. Anfangs ging es vor allem darum, die Besetzung zu verteidigen und die Produktion in Gang zu bringen. Mit der Legalisierung kamen die „Mühen der Ebene“ und die Diskussion über die Arbeitsdisziplin. Besonders später hinzugekommene KollegInnen, die die erste harte Zeit nicht mitgemacht hatten, nutzten den „Freiraum“, um möglichst bequem durchzukommen. Bislang konnten solche Probleme auf den Versammlungen einvernehmlich gelöst werden.
Wie überall ist derzeit auch bei Zanon die Krise Thema. Wegen sinkendem Absatz und hoher Energiekosten wurde die Produktion im Januar kurzfristig unterbrochen. Trotzdem ist die Stimmung im Betrieb optimistisch. Denn schließlich haben sie schon die argentinische Krise 2001 überstanden und daraus eine sehr positive Erfahrung entwickelt. Nach längerer Zeit politischer Ruhe kommt es jetzt in Argentinien wieder zu neuen Betriebsbesetzungen. Die Erfahrung der ArbeiterInnen von Zanon könnte ein Vorbild sein. Nicht nur im fernen Patagonien.
Dieser Artikel erschien bereits in Contraste Nr. 293 vom Februar 2009. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Contraste.
Fotos: Argentina Indymedia, Sebastian Hacher