Die Arbeiter in Argentiniens besetzter Keramik-Fabrik FASINPAT haben diese Woche einen großen Sieg errungen: Die Fabrik gehört nun auch nach bürgerlichem Recht der Bevölkerung. Die Provinzregierung hat einer Enteignung der Fabrik zugestimmt und es der Arbeiterkooperative zum legalen und zeitlich unbegrenzten Verwalten übergeben. Seit 2001 haben die ArbeiterInnen von Zanon für eine legale Anerkennung der ArbeiterInnenkontrolle in Lateinamerikas größter Keramik-Fabrik gekämpft. Seit dem haben sie Jobs geschaffen, unterstützen Community-Projekte und soziale Bewegungen weltweit und zeigten der Welt, dass ArbeiterInnen keine Bosse brauchen.
„Das ist unglaublich, wir sind glücklich. Die Enteignung ist ein Akt von Gerechtigkeit“ sagt Alejandro Lopez, Generalsekretär der Keramik-Gewerkschaft, überwältigt von den Gefühlen des Sieges. „Wir werden die Leute nie vergessen, die uns in den härtesten Zeiten zur Seite standen, oder die 100.000 Menschen, die die Petition für die Enteignung gezeichnet haben.“
Hunderte FASINPAT-MitarbeiterInnen (FASINPAT = Fabrica Sin Patrones = Fabrik ohne Bosse) warteten gespannt bis tief in die Nacht auf die Entscheidung des Parlaments. Das Gesetz zur Enteignung wurde mit 26 Stimmen bei 9 Gegenstimmen angenommen. Tausende UnterstützerInnen anderer ArbeiterInnen-Organisationen, Menschenrechtsgruppen und sozialer Bewegungen zusammen mit ganzen Familien und Studierenden, haben sich mit den ArbeiterInnen versammelt, als sie draußen vor dem Parlament in der Hauptstadt Neuquens auf die Entscheidung warteten. Während des patagonischen Winterwetters spielten Aktivisten Trommeln und riefen: „Hier sind die ArbeiterInnen von Zanon, ArbeiterInnen ohne Boss“.
FASINPAT arbeitet unter ArbeiterInnenkontrolle schon seit 2001, als der Besitzer entschloss, die Fabrik zu schließen und ArbeiterInnen ohne Auszahlung schon seit Monaten ausstehender Gehälter zu entlassen. Bereits ein Jahr zuvor begannen die ArbeiterInnen von Zanon zu streiken um für die Auszahlung der Gehälter und den Fortbestand der Fabrik zu kämpfen.
Der Besitzer, Luis Zanon, mit über 75 Millionen Dollar Schulden bei privaten und öffentlichen Kreditgebern (inklusive der Weltbank mit über 20 Millionen Dollar), feuerte die ArbeiterInnen im großen Stil und schloss die Fabrik 2001 – eine „Boss-Aussperrung“. Im Oktober 2001 erklärten ArbeiterInnen die Fabrik für besetzt und unter ArbeiterInnenkontrolle. Die ArbeiterInnen zelteten monatelang vor den Fabriktoren, verteilten Informationen und blockierten zeitweise eine Autobahn in die Hauptstadt Neuquens. Während die ArbeiterInnen außerhalb zelteten, beschloss ein Gericht, dass die Angestellten die Lagerbestände verkaufen könnten um ihren Lohn zu holen. Als die Lagerhallen im März 2002 leer wurden beschloss die Versammlung der ArbeiterInnen, die Produktion ohne Boss wieder aufzunehmen. Seit der Besetzung wurde die Fabrik in FASINPAT umbenannt.
Die ArbeiterInnen bauten eine Bühne mit einer riesigen Leinwand auf, auf der tausende UnterstützerInnen dem Verlauf der Abstimmung folgen konnten. Als die Entscheidung verlesen wurde brachen ArbeiterInnen nacheinander in Tränen aus, ungläubig darüber dass nach 8 Jahren Kampf sie endlich die legale Kontrolle über die Fabrik gewonnen hatten. „Diese Entscheidung spiegelt einen organisierten Kampf wieder, welcher die Unterstützung der Bevölkerung gewonnen hat“ sagt Veronica Hillipan von der Konföderation der Mapuche. Sie sagt, dass das Netzwerk der indigenen Mapuche-Gemeinden in Patagonien den Kampf der ArbeiterInnen von Zanon unterstützt hat und dass die Entscheidung ein „politischer Triumpf der ArbeiterInnen-Organisation“ ist.
Zanons ArbeiterInnen erinnerten ihre UnterstützerInnen, dass der Kampf um Zanon auch der Kampf von Carlos Fuentealba war – einem Lehrer aus der Provinz Neuquen, welcher während eines friedlichen Protest zur Verteidigung der öffentlichen Bildung von der Polizei getötet wurde. Die ArbeiterInnen von Zanon haben nicht nur Jobs geschaffen, sondern Arbeitskämpfe auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene unterstützt. Die ArbeiterInnen von FASINPAT waren bei den Protesten, als Fuentealba mit einer Tränengasgranate direkt an/in den Kopf geschossen wurde. Für diese Repression verantwortlich ist die konservative Koalition von Neuquen MPN, welche die patagonische Provinz seit der Militärdiktatur von 1976-1983 beherrscht.
„Dies ist ein wichtiges Kapitel im Kampf der ArbeiterInnen von Zanon, welche seit mehr als 9 Jahren auf der Straße kämpfen. Zuerst versuchten sie uns zu Räumen um die Fabrik zu versteigern. Der Kampf der ArbeiterInnen und der Gemeinde haben die Regierung dazu gezwungen, die Fabrik zu enteignen“ sagte Raul Godoy, Arbeiter von Zanon, der Tageszeitung Pagina 12. Heute exportiert die Fabrik Keramik in 25 Länder.
Viele Abgeordnete wollten den ArbeiterInnen der selbstverwalteten Fabrik abverlangen, einen „Pakt für sozialen Frieden“ zu schließen. Doch für die ArbeiterInnen wurde der Pakt für sozialen Frieden gebrochen, als Geschäftsleute in betrügerischer Weise pleite gingen und hunderte ArbeiterInnen auf die Straße setzten. „Die Kapitalisten erklären durchgehend Krieg mit ihren Tariferhöhungen, wenn sie öffentliche Unternehmen privatisieren und Leute feuern. In Angesicht dieser Situation müssen sich die ArbeiterInnen selbst verteidigen; und die ArbeiterInnen von Zanon beschlossen, dass wir uns auf der Straße wehren, was auch immer es koste.“
Dem neuen Gesetz nach wird die FASINPAT mit 470 Angestellten unter der Kontrolle der Kooperative bleiben. Der Staat zahlt den Gläubigern 22 Millionen Pesos ( ca. 5 Millionen Euro). Einer der Hauptgläubiger ist die Weltbank, welche Luis Zanon 20 Millionen für den Bau der Fabrik lieh, welches er nie zurück zahlte. Der andere Hauptgläubiger ist die Italienische Firma SACMY, welches Keramik-Maschinen baut und über 5 Millionen Peso lieh. Wie auch immer, die ArbeiterInnen stimmen dem statlichen Ausbezahlen nicht zu. Gerichte haben ihrer Meinung nach bewiesen, dass die Gläubiger an dem betrügerischen Bankrott der Fabrik mit beteiligt gewesen waren, denn ihre Kredite flossen direkt in die Taschen von Luis Zanon und wurden nicht in die Fabrik investiert. „Wenn jemand zahlen sollte, dann ist das Luis Zanon, welcher wegen Steuerhinterziehung angeklagt ist“ sagt Omar Villablanca von FASINPAT.
Erst Sieg, dann Räumung
Während der Sieg von FASINPAT Hoffnung für die mehr als 200 besetzten argentinischen Fabriken bringt, welche in Selbstverwaltung arbeiten, sind viele noch von rechtlichen Attacken bedroht. Früh am gestrigen Morgen, nur Stunden nach dem Sieg von Zanon, haben Polizeikräfte die Textilfabrik Quilmes geräumt. Diese wurde in der Welle von Neubesetzungen in 2009 besetzt. Die vier ArbeiterInnen der Nachtwache wurden brutal geräumt. Die Regierung von Buenos Aires debattiert derweil über eine Enteignung für Textil-Quilmes und mehreren anderen neuen Besetzungen in der Provinz Buenos Aires. Die TextilarbeiterInnen wehren sich gegen die Räumung vor den Toren der Fabrik und sammeln Unterstützung, um die Fabrik trotz Anwesenheit der Polizei wieder zu besetzen. Sie hatten bereits einen temporären rechtlichen Schutz durch einen Enteignungsbeschluss einer tieferen Ebene der Provinzregierung.
Die ArbeiterInnen besetzten die Fabrik am 11. Februar 2009. „Wir haben außerhalb der Fabrik gezeltet um den Abtransport der Maschinen durch die Bosse zu verhindern. Und die ArbeiterInnen entschieden sich für die direkte Aktion: Besetzung der Fabrik und Aufbau einer Kooperative.“ sagt Eduardo Santillan, ein Quilmes Textil Arbeiter. Während die restliche Baumwolle die Fabrik verlassen hat, haben die ArbeiterInnen sofort angefangen, neuen Faden zu produzieren. Zur Zeit der Feuerung hatten mehr als 80 Menschen in der Fabrik gearbeitet. Einer weit verbreiteten Praxis von Fabrikbesitzern folgend, welche Bankrott zeichen trotz einer steigenden Nachfrage für ihr Produkt, schuldet der Besitzer Ruben Ballani von Febatex den ArbeiterInnen Monate Lohn, vergab unbezahlten Urlaub und verweigerte Sozialabgaben. Die ArbeiterInnen berichteten auch davon, dass der Besitzer seine Angestellten zu 12 Stunden Schichten zwingen wollte, eine Praxis, welche nun schon beinahe 100 Jahre verboten ist.
Sechs Monate nachdem die ArbeiterInnen gefeuert wurden und die Gewerkschaft (Sindicato Textil – AOT) nicht einschritt, haben die ArbeiterInnen die Produktion wieder gestartet. Sie zeigen an, dass die Gewerkschaft, welche den GenossInnen den Rücken kehrte sobald sie gefeuert waren, nun im Sinne der Bosse verhandelt.
Die Zahl der Besetzungen in Argentinien steigt weiterhin an, während das südamerikanische Land von der globalen Wirtschaftskrise getroffen wird. Die Arrufat Schokoladenfabrik, Disco de Oro Empanadas Großbäckerei, Indugraf Druckerei, Febatex Faden Produzent und Lidercar Fleischverpackungen zählen nun ebenfalls zu den besetzten Fabriken der Bewegung von 2008 zu 2009. Textil Quilmes hat mit ArbeiterInnen anderer besetzter Fabriken in Angesicht der globalen Wirtschaftskrise auf eine Enteignung hingearbeitet; keine hat eine gesicherte legale Zukunft.
Viele unabhängige Analysten erwarten, dass die globale Rezession Argentiniens Realwirtschaft treffen wird. Die Arbeitslosenzahl steigt weiter an und industrieller Wachstum stagniert, während der Finanzsektor unberührt bleibt, da er bereits 2001 zusammenbrach. Die, welche von der ökonomischen Erholung Argentiniens profitierten benutzen natürlich nun die Krise als eine Entschuldigung, Löhne zu drücken und ArbeiterInnen zu entlassen – trotz öffentlicher Zuschüsse und Kredite.
Das Phänomen der Fabrikbesetzungen wächst weiter an, während die Welt tiefer in die momentane Rezession fällt. Fast 20 neue Fabriken in Argentinien wurden seit 2008 neu besetzt. Dies könnte ein Zeichen sein, dass ArbeiterInnen der momentanen globalen Finanzkrise mit Lehren und Werkzeugen aus vorherigen Fabrikbesetzungen, dem ökonomischen Kollaps von 2001 und folgender öffentlicher Rebellion entgegentreten. Heute sind bereits ca. 250 von ArbeiterInnen besetzte Fabriken am Laufen und beschäftigen mehr als 13.000 Menschen. Viele davon produzieren unter Selsbtverwaltung seit 2002 und bieten damit fast ein Jahrzehnt an Erfahrung, Experimenten, Strategien und Fehlern, aus denen Gelernt werden kann.
Zanon und andere aus der Fabrikbesetzungs-Bewegung haben bewiesen, dass sie dazu in der Lage sind, was Bosse nicht tun wollen: Neue Jobs in einer Arbeit in Würde schaffen. Das könnte der Grund sein, warum Regierungsabgeordnete, Industriebosse und Fabrikbesitzer still geworden sind und oft mit Sorge an dieses Thema gehen; sie sind besorgt, dass dieses Beispiel Schule macht und sich weiter ausbreitet.
In Zanon benutzen die ArbeiterInnen durchgehend den Slogan „Zanon es del pueblo“ oder Zanon gehört der Bevölkerung. Die ArbeiterInnen haben sich das Ziel gesetzt, nicht nur Jobs und Einkommen für mehr als 470 Menschen zu schaffen, sondern auch neue Jobs zu schaffen, der Gemeinde zu spenden und andere soziale Bewegungen zu unterstützen. Für Viele der wiedereroberten Fabriken bedeutet die Besetzung mehr als nur das Erhalten des eigenen Jobs – es wurde Teil eines Kampfes für eine Welt ohne Ausbeutung. Während der Sieg um Zanon ein Schritt in die richtige Richtung ist, sind viele Besetzungen von Räumung bedroht. FASINPAT kann nun legal operieren und seinen Fokus auf die Herstellung von Keramiken in einer stagnierenden Ökonomie legen. Das Kollektiv von Zanon hat ihre kontinuierliche Hingabe für die Verteidigung von ArbeiterInnenrechten und Selbstverwaltung gezeigt, nicht nur ihrer sondern aller Besetzungen, welches sich in ihrem Slogan ausdrückt: „si nos tocan a uno, nos tocan a todos“ „wenn sie einen von uns angreifen, greifen sie alle an“.
Übersetzung aus dem Englischen: Marie Trigona
Dieser Artikel wurde bereits am 27. August 2009 bei Indymedia Deutschland veröffentlicht und ist unter der Creative Commons-Lizenz „Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland“ lizensiert.
Original-Beitrag „Zanon belongs to the people: FASINPAT wins definitive expropriation“ aus: Indymedia Argentina vom 14. August 2009.
Bildquellen:
01. Belegschaftsfoto. Oriana Eliçabe.
02. Produktion ohne Boss. Oriana Eliçabe.
03. Friedliche Proteste. Indymedia Argentina, Sebastian Hacher.
04. In den Produktionshallen. Oriana Eliçabe.
Na mal schauen wie lange das gut geht….
Und was soll das denn heissen: „Zanon und andere aus der Fabrikbesetzungs-Bewegung haben bewiesen, dass sie dazu in der Lage sind, was Bosse nicht tun wollen: Neue Jobs in einer Arbeit in Würde schaffen.“
Böse Bosse, die den ganzen Tag darüber brüten, wie man den guten Arbeiterinnen schaden kann und ArbeiterInnen die nur das Gute wollen und vorallem alleine wissen, wie man es umsetzt gibt es nur in ideologischen Wunschvorstellungn. Egal in welcher Fabrik ein Produkt hergestellt wird, es muss sich trotzdem noch auf dem Markt verkaufen, auf welchem die kapitalistischen Regeln der Konkurrenz existieren. Die Produktion muss rentabel sein, dass Produkt günstig. Sonst kauft es keineR und die Fabrik geht pleite. Zu denken, in einer Fabrik in die ArbeiterInnen entscheiden, kann man soviele Leute einstellen wie man möchte oder so viel Lohn zahlen wie „gerecht“ ist, ist Quatsch. Damit günstig produziert werden kann muss die Produktion auch rational verlaufen.
Und was heisst überhaupt „Arbeit in Würde“? Arbeit ist Arbeit. Wer Arbeit so toll findet, kann gerne meine auch noch machen….meinentwegen auch in Würde…