Pepe Mujica ist tot!
Am 13. Mai 2025 ist José Alberto Mujica Cordano, besser bekannt als Pepe Mujica, an den Folgen eines Krebsleidens gestorben. Es ist dem Westend Verlag zu danken, dass wir die Gelegenheit haben, mehr über das Leben eines Menschen mit einzigartiger Ausstrahlung zu erfahren. „Er ist authentisch und leidenschaftlich, hat jedoch auch einen großen Sinn für Humor. Er besitzt eine Fähigkeit, der ich nirgends sonst begegnet bin, nämlich tiefe und komplizierte Vorgänge und Tatsachen auf einfache und zugleich wunderschöne Art auszudrücken. Ich denke Pepe Mujica ist so etwas wie der poetische Philosoph des Volkes.“ Wer würde bei diesen Worten an einen Politiker oder gar Präsidenten denken? Pepe Mujica war neben diesen beiden „Berufen“ vieles: Blumenzüchter, Guerillero, politischer Gefangener, Aktivist … und ein Philosoph des Volkes. Wer wissen will, wie all das zusammenpasst und was den Menschen Pepe Mujica ausmacht, der kann sich im Buch von Saúl Alvídrez, das im März erschienen ist und aus dem das kurze Zitat stammt, kundig machen. Die folgende Rezension von Jürgen Schübelin bietet eine erste Gelegenheit, sich darüber zu informieren. Weitere Möglichkeiten, mehr über Pepe Mujica zu erfahren, sind unter den angegebenen links nebst Hinweis auf ein weiteres Buch zu finden.
https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/pep-mujica-ist-gestorben/ (Auszüge aus dem Buch von Saúl Alvídrez)
https://www.arte.tv/de/videos/048584-000-A/pepe-mujica-ein-praesident-aus-uruguay/ (Dokumentarfilm von 2015; bei arte bis 13. August 2025 verfügbar)
https://www.youtube.com/watch?v=yx3PcGGm1UM&t=19s (selbige Doku bei youtube)
Worte des »ärmsten Präsidenten der Welt« José »Pepe« Mujica. Übersetzt von Joachim Schäfer, 148 Seiten, am 10. Januar 2022 beim Nomen Verlag erschienen. Preis: 10,00 € ISBN: 9783939816515
die Redaktion
Dem ehemaligen mexikanischen Studentenführer, Aktivisten und Dokumentarfilmer Saúl Alvídrez ist ein echtes Kunststück gelungen: Noam Chomsky (Jahrgang 1928) und José (Pepe) Mujica (geb. 1935, verstorben am 13. Mai 2025), die sich bis dahin nie getroffen hatten, zusammen zu bringen, um drei intensive Tage lang über die brennendsten Fragen der Menschheit und Perspektiven für die Zukunft zu diskutieren. Erstaunlich, dass niemand zuvor auf diese Idee gekommen ist! Alvídrez‘ ursprüngliches Projekt, über die von ihm organisierte Begegnung auf der kleinen Finca von Uruguays Ex-Präsidenten und seiner Frau Lucía Topolansky in Rincón del Cerro, östlich von Montevideo, einen Dokumentarfilm zu drehen, konnte – vor allem wegen Finanzierungsproblemen – bis heute nicht abgeschlossen werden. Dafür ist der Gedankenaustausch zwischen diesen beiden Persönlichkeiten der Zeitgeschichte jetzt in Buchform nachzulesen. Chomsky, vermutlich einer der einflussreichsten Intellektuellen unserer Zeit, ist Linguist, Philosoph und Politikwissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Mujica, seit Jahren mit Abstand populärste Politiker Lateinamerikas, war zwischen 2010 und 2015 Präsident Uruguays. Von Beruf Blumenzüchter, war er in den 1960er Jahren Mitglied der Guerrillabewegung Tupamaros. Fast anderthalb Jahrzehnte wurde er als politischer Häftling in den berüchtigtsten Foltergefängnissen des Militärregimes gefangen gehalten. Nach dem Ende der Diktatur war er Abgeordneter, Senator, Landwirtschaftsminister. In intensiven Gesprächen arbeiten sich die Beiden profund und eloquent durch die Geschichte der Menschheit, um immer wieder auf die drängendsten Probleme und Bedrohungen unserer Zeit einzugehen.
Obwohl ihr Treffen im Juli 2017, also während der ersten Amtszeit von Donald Trump, stattfand, ist vor allem Chomskys Ausblick auf die postmodernen Politikmuster, auf die Zerstörung von Demokratie und Rechtsstaat unter der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump und damit verbundenen weltweiten Folgen von geradezu beklemmender Treffsicherheit. Für ihn provoziert die Anhäufung überwältigenden Reichtums durch ganz Wenige, die jetzt in den MAGA-USA auch noch alle politische und administrative Macht in ihren Händen konzentrieren, zwangsläufig „einen perfekten Sturm, der auf eine Katastrophe hinausläuft“. Die Vorschläge für Widerstands- und Überlebensstrategien, die Mujica und Chomsky im Laufe ihres Dialogs entwickeln, knüpfen (nicht ganz überraschend) an die anarcho-syndikalistischen Überzeugungen der beiden Männer an, bei denen es immer wieder um Selbstverteidigung in Form von gewerkschaftlichem Engagement, aber auch um alternative, selbstorganisierte Formen des Miteinander-Arbeitens und gemeinsamen Werte-Schöpfens geht.
Chomsky brilliert hier mit seinen profunden Kenntnissen und eigenen Erfahrungen aus Begegnungen mit andinen indigenen Gemeinschaften und ihren Kämpfen zur Verteidigung ihrer Lebensgrundlagen und für einen konsequent respektvoll-nachhaltigen Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen.
In der Debatte über die wachsenden Bedrohungen unserer Zivilisation diskutieren Chomsky und Mujica die Folgen, die aus der menschengemachten Klimakatastrophe, aus der Vertrauens- und Legitimationskrisen repräsentativer Demokratien, aus Populismus und Korruption sowie aus den immer brutaler ausgetragener militärischen Konfrontationen, einschließlich des Risikos eines Atomkrieges, erwachsen. Dagegen setzen sie ihre Vision von miteinander über Grenzen und Kontinente hinweg kooperierenden Gesellschaften, denen es gelingt, ihr demokratisches Zusammenleben durch Bürgerbeteiligung, das Erkämpfen von Volksbefragungen und Volksentscheiden auf lokaler und regionaler Ebene, sowie generationenübergreifende Formen gemeinschaftlichen Engagements und Verantwortungsübernahme zu verteidigen. Mujica erinnert dabei an eines der Schlüsselerlebnisse seines politischen Lebens, den Volksentscheid in Uruguay vom Dezember 1992, durch den es mit überwältigender Mehrheit gelang, die Privatisierung von Energie- und Wasserversorgung, sowie des Telekommunikationsnetzes und der öffentlichen Banken abzuschmettern. Der Neunzigjährige, der während seiner Zeit als Uruguays Präsident 90 Prozent seines Gehalts für soziale Projekte spendete, beschwört die Notwendigkeit, den nationalistischen, rechtspopulistischen Autokratien und ihre Herrschaftstechnik der Manipulation durch die Macht der Algorithmen, das im Lokalen verwurzelte Überleben auf der Basis von Gemeinschaft und Solidarität entgegen zu setzen, kollektive Welten und Werte zu schaffen und nicht alleine dazustehen. Dieses Credo liest sich jetzt, nach seinem Tod, wie ein Vermächtnis.
Am intimsten, berührendsten liest sich dieser Gesprächsband jedoch dort, wo es um die persönlichen Lebenserfahrungen der beiden alten Männer geht. Wie ist ihnen gelungen, mit Scheitern, persönlichen Krisen- und Verfolgungssituationen umzugehen? Wie haben sie es geschafft, immer wieder aufzustehen, ihr Leben mit Sinn zu füllen und gemeinsam mit anderen erfahrene Glücksmomente zu teilen?
Saúl Alvídrez
Chomsky & Mujica – Überleben im 21. Jahrhundert
Westend Verlag. Neu-Isenburg 2025