Am 25. Oktober wird in Uruguay eine neue Regierung gewählt. Es wird knapp für die linke Regierung, die mit Pepe Mujica einen ehemaligen Tupamaro als Präsidentschaftskandidaten ins Rennen schickt. Dabei kann die Regierung eine beachtliche Reihe von Erfolgen aufweisen: wirtschaftliches Wachstum, Lohnerhöhungen, verbesserte soziale Leistungen. Sein neoliberaler Widersacher Luis Alberto Lacalle kritisiert eben die Steuer- und Sozialpolitik und setzt offensiv auf Modelle, die in Lateinamerika kaum mehr Raum zu haben schienen: Liberalisierung, Deregulierung,freie Hand für die Banken. Es findet also ein echter Lagerwahlkampf zwischen links und rechts statt, gewürzt mit den verbalen Schlammschlachten der Kandidaten. Dies verprellt die in Uruguay immer noch starke Mittelschicht. Aber auch links von der Regierungspartei Frente Amplio artikuliert sich zum ersten Mal eine Opposition. Diese kritisiert die Regierungspolitik als neoliberal und autoritär: Militärmanöver und Investitionsabkommen mit den USA, die Konzentration von Reichtum sowie ein Ausverkauf des Landes an ausländische Investoren und multinationale Konzerne.
Von der Euphorie der ersten Monate nach jenem 31. Oktober 2004 ist nichts mehr zu spüren. Damals rief der erste sozialistische Präsident des Landes, der mit 50,4 Prozent der Stimmen gewählte Tabaré Vázquez, zigtausenden vor Glück taumelnden UruguayerInnen zu: »Festejen Uruguayos, festejen« (Feiert Uruguayer, feiert!). Vielmehr sind die AnhängerInnen der Frente Amplio, dem seit 1. März 2005 regierenden Mitte-Links-Bündnis aus etwa 20 Parteien und Bewegungen, teils verunsichert, teils verzweifelt. Viele befürchten die Wiederkehr der Konservativen, die das Land seit der Unabhängigkeit im Jahre 1828 mit Ausnahme der Zeiten der beiden Militärdiktaturen im 20. Jahrhundert regierten. Sie zittern zu Recht. Die jüngsten Umfragen von Ende September 2009 sagen für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 25. Oktober 2009 45 Prozent für die Frente Amplio, 32 Prozent für die konservative Nationalpartei (Blancos) und elf Prozent für die rechtsliberalen Colorados voraus. Und kurz vor den Wahlen ist die Zahl der Unentschlossenen wieder deutlich angestiegen, eigentlich ein ungewöhnlicher Trend. Zwölf Prozent der Bevölkerung wissen noch nicht, wem sie beim Urnengang, bei dem Wahlpflicht herrscht, ihre Stimme geben wollen. Das sind fünf Prozent mehr als noch vor einem Monat.
Das liegt wohl auch daran, dass der Wahlkampf absolut polarisiert ist und sich die beiden aussichtsreichsten Kandidaten eine Schlammschlacht liefern, bei der sie sich permanent im Ton vergreifen. Vor allem José Mujica, der offizielle Kandidat der Mitte-Links-Koalition redet sich gerne um Kopf und Kragen. Beruhigend ist nur, dass Luis Alberto Lacalle, sein konservativer Widersacher von den Blancos, dahinter kaum nachsteht. Lacalle hat angekündigt, »mit der Motorsäge die Sozialausgaben zu kürzen« und verhöhnt die Armen im Land, denen er nach seinem Wahlsieg eine Badewanne schenken will, damit sie sich endlich einmal waschen können. Mujica dagegen titulierte Ende September offenherzig Teile seiner Koalition als »Idioten« und sprach von den argentinischen Nachbarn als hysterisch, verrückt und paranoid. Und so ist ein Teil der WählerInnen, vor allem aus der politischen Mitte, die auch in Uruguay wahlentscheidend weil wechselwählend sind, verschreckt und auch nicht wenige Frente-AnhängerInnen sind verunsichert.
Pepe der Hoffnungsträger
Auch deshalb bemüht die Frente Amplio die Geschichte, um sich Mut zu machen: Alle 100 Jahre bestimme ein »Pepe« die Geschicke Uruguays. Pepe werden alle genannt, die mit Vornamen José heißen. 1810 war es der Staatsgründer und Freiheitsheld José Artigas, 1910 der legendäre und auch heute noch verehrte Reformpräsident José Battle y Ordoñez. So wird Geschichte gemacht: Am 1. März 2010 soll José »Pepe« Mujica die Präsidentschaft im zweitkleinsten lateinamerikanischen Land antreten.
Dazu muss er aber zuerst einmal bei den Nationalwahlen am 25. Oktober 2009 mit 50 Prozent plus einer Stimme gewählt werden. Gelingt ihm das nicht, steht am 29. November eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen an. Dabei kann sein Gegner Luis Alberto Lacalle von der Blanco-Partei, der eher ländlich orientierten der beiden konservativen Traditionsparteien Uruguays, auf die Stimmen der rechtsliberalen Colorado-Partei, heute die dritte Kraft im Lande, zählen. Pedro Bordaberry, der Sohn des ehemaligen Diktators Juan María Bordaberry (1972-1976) könnte dem ehemaligen Präsidenten Lacalle (1990-1995) bei der Stichwahl die entscheidenden Stimmen zum Sieg verschaffen, während Mujica sein Potenzial schon beim ersten Wahlgang ausschöpfen dürfte.
Exguerillero mit Präsidentschaftsambitionen
Mit dem 75jährigen José Mujica und dem 68jährigen Luis Alberto Lacalle stehen sich zwei Personen mit völlig unterschiedlichen Biografien gegenüber. Der Mitbegründer der Stadtguerilla MLN-Tupamaros (Movimiento de Liberación Nacional – Bewegung zur nationalen Befreiung) Mujica, der insgesamt 14 Jahre seines Lebens im Kerker verbrachte, ist Senator und war bis zu seiner offiziellen Kandidatur für das Präsidentenamt im Juni 2009 Anführer der Bewegung für die Beteiligung des Volkes (Movimiento de Participación Popular-MPP), der mit Abstand stärksten Kraft in der Frente Amplio. Der ungelernte Blumenzüchter, der eine direkte Sprache spricht, sitzt seit 1995 im Parlament und ist besonders bei den einfachen Leuten auch wegen seiner Hemdsärmeligkeit sehr populär. Eine große Zahl von UruguayerInnen hält den ehemaligen Landwirtschaftsminister allerdings nicht für präsidiabel. Und das weniger wegen seiner politischen Programmatik, sondern vielmehr wegen seiner Unberechenbarkeit und dem Bild, das er in der Öffentlichkeit abgibt. Bei den AnhängerInnen der »Frente Amplio « machen ihn aber gerade diese Unkonventionalität und der Bruch mit den traditionellen Politikformen und -mustern beliebt. Mit diesem Image konnte er auch im Juni 2009 die gesetzlich vorgeschriebenen Vorwahlen für sich entscheiden. Mit 59 Prozent der Stimmen schlug er seinen Konkurrenten, den wirtschaftsliberalen Danilo Astori, bis August 2008 Wirtschafts- und Finanzminister und Wunschkandidat des scheidenden Präsidenten Vázquez. Mujica, der, je näher die Wahl rückt, immer öfter Lula da Silva und Michelle Bachelet als seine politischen Vorbilder bezeichnet, seine guten Verbindungen zu Hugo Chávez dagegen unter den Teppich kehrt, konnte zwar direkt nach den internen Wahlen vom Juni Astori als seinen Kandidaten für die Vizepräsidentschaft gewinnen. Ob das allerdings ausreicht, die Zweifel an seiner Führungs- und Integrationsfähigkeit und seiner ökonomischen Kompetenz zu beseitigen, ist fraglich.
Neoliberaler Widersacher
Für den rechten Präsidentschaftskandidaten Luis Alberto Lacalle ist und bleibt Mujica ein Castrist, Chavist und ein ewiger 1960er. Der Ex-Präsident steht für eine neoliberale Privatisierungspolitik, für die Liberalisierung des Arbeitsmarktes, die Ausweitung des tertiären Dienstleistungssektors, eine Schwächung der Gewerkschaften, für weitere Abkommen mit dem IWF und der Weltbank, für den Widerstand gegen die lateinamerikanische Integration und den Mercosur etc. Lacalle steht auch für unzählige Korruptionsfälle (vor allem bei der Privatisierung von staatlichen Banken). Mehrere Mitglieder seiner Regierung und verschiedene seiner Geschäftspartner wurden angeklagt und der Jurist Lacalle selbst vervielfachte sein privates Geldvermögen und seinen Landbesitz während seiner Regierungszeit. Mit Bankenskandalen kennt sich Lacalle also aus. Vielleicht ist gerade das in Zeiten der Krise, die mit einigen Monaten Verspätung auch in Uruguay angekommen ist, ein Grund dafür, dass er sowohl den Vorwahlkampf seiner Partei gegen seinen Kontrahenten Jorge Larrañaga, einen eher moderaten Caudillo aus dem Landesinneren, für sich entschied, als auch Zustimmung bei gut einem Drittel der Bevölkerung erfährt. Dazu wuchert er erfolgreich mit dem Pfund des ehemaligen Staatschefs, kritisiert vor allem die Sozialprogramme und die Steuerpolitik. Und legt genüsslich den Finger auf die Wunden der Frente Amplio-Regierung.
Obwohl Uruguay immer noch das sicherste Land Südamerikas ist, sind wie in anderen lateinamerikanischen Ländern auch Kriminalität, Gewalt, öffentliche Sicherheit und Drogenmissbrauch die offenen Flanken der Linken.
Erfolgsbilanz der ersten Mitte-Links-Regierung in Uruguay
Der scheidende Präsident Tabaré Vázquez darf laut Verfassung nicht direkt wiedergewählt werden. Auf den ersten Blick betrachtet ist die Erfolgsbilanz seiner Regierung beachtlich. Das Bruttoinlandsprodukt stieg von 2005 bis 2008 um 21 Prozent, das jährliche Wachstum betrug trotz mehrerer schwerer Dürreperioden und dem internationalen Preisanstieg zum Beispiel für Rohöl acht Prozent. Die Arbeitslosigkeit sank von 16 Prozent im Jahre 2004 auf 6,9 Prozent in 2008, den niedrigsten Stand seit den 1960er Jahren. In einigen Sektoren wie in der Softwareindustrie, die weltweit konkurrenzfähig ist und stark nachgefragt wird, herrscht sogar Fachkräftemangel.
Der Reallohn ist um 25 Prozent gestiegen, für das unterste Drittel der Gesellschaft sogar um 35 Prozent, der Mindestlohn verdoppelte sich in vier Jahren auf 4400 Pesos (ca. 140 Euro). 2004 lebten 32 Prozent der UruguayerInnen in Armut, vier Prozent davon in absoluter Armut. Laut dem Nationalen Statistikamt INE betrug der Anteil der Armen 2008 20 Prozent, derjenigen in absoluter Armut 1,5 Prozent. Für die Landarbeiter wurden der Acht-Stunden-Tag und eine Arbeitslosenversicherung durchgesetzt. Eine Rente wurde auch für Hausangestellte, Kulturschaffende und SportlerInnen eingeführt. Der Kündigungsschutz wurde verbessert und die Rechte der Gewerkschaften deutlich gestärkt, vor allem durch die Wiedereinführung der Räte für Lohnfragen (Consejos de Salarios).
Die beim Arbeitsministerium angesiedelten Räte setzen sich aus drei VertreterInnen des Staates und jeweils zwei von Gewerkschaften und Unternehmensverbänden zusammen. Die hier ausgehandelten Mindestlöhne und Arbeitsbedingungen sind für die weiteren Lohn- und Gehaltsverhandlungen auf der Ebene der Unternehmen und Betriebe bindend. Für die Gewerkschaften ist das ein absoluter Bedeutungszuwachs, der sich auch in der Mitgliederzahl niederschlägt. Waren 2001 im Dachverband PIT-CNT 100.000 UruguayerInnen organisiert, sind es heute über 300.000. Eine Steuerreform, durch die die unteren Einkommen entlastet wurden und eine deutliche Erhöhung des Bildungsetats stehen ebenfalls auf der Habenseite.
In der Außenpolitik steht Vázquez für eine Re-Integration nach Lateinamerika. Die erste Regierungshandlung des Frente Amplio-Präsidenten am 1. März 2005 war die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Kuba. In einem Austauschprogramm wurden tausende StudentInnen nach Kuba zum Medizinstudium geschickt und das Programm »Operación Milagro« (Operation Wunder) aufgelegt, durch das sehbehinderte oder vor dem Erblinden stehende UruguayerInnen erfolgreich auf der Karibikinsel operiert werden konnten. Schließlich brach das Mitte-Links-Bündnis mit der Tradition der Blancos und Colorados, in internationalen Organisationen stellvertretend für die USA Fidel Castros Politik zu verurteilen. Mit Venezuela wurden ebenfalls wichtige Abkommen zur bilateralen Zusammenarbeit unterzeichnet. Uruguay befürwortete den Eintritt Venezuelas in den Mercosur, den 1991 von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay gegründeten Gemeinsamen Markt des Südens. Das Land beteiligt sich mit weiteren sechs lateinamerikanischen Staaten an Telesur, dem multistaatlichen TVSatellitensender mit Sitz in Caracas, der als Gegengewicht zur Dominanz von CNN und BBC 2005 am 222. Geburtstag Simón Bolivars gegründet wurde.
Kein Paradies der Straflosigkeit mehr
Unter der Regierung der Frente Amplio wurden erstmals die während der Militärdiktatur (1973-1985) begangenen Verbrechen untersucht. Militärs und politisch Verantwortliche, darunter auch der ehemalige Präsident Juan María Bordaberry (1972-1976), der den Militärs den Weg ebnete, wurden angeklagt und verurteilt. Ein Reparationsgesetz für die Opfer der Militärdiktatur wurde verabschiedet und erstmals wurde ernsthaft nach den sterblichen Überresten der etwa 200 »Verschwundenen« gesucht. Mehrere Leichen wurden daraufhin auf Militärgelände gefunden, exhumiert und identifiziert. Die als Sofortmaßnahme nach dem Regierungsantritt angelaufenen Sozialprogramme, die Auszahlung eines »Bürgereinkommens « an fast ein Zehntel der uruguayischen Bevölkerung sowie weitere Sozial- und Bildungspläne wie der Plan Ceibal (mit dem allen SchülerInnen bis Ende 2009 ein Laptop zur Verfügung gestellt wird) sind Maßnahmen, die auch über Uruguay hinaus Anerkennung und Respekt gefunden haben. Das gleiche gilt auch für die Homo-Ehe, die Unión Concubinaria, die Ende 2007 verabschiedet wurde und die heiratswilligen Männer- und Frauenpaaren in beinahe allen Rechten und Pflichten den Partnern in einer herkömmlichen Ehe gleichstellt: im Zivilrecht, im Erbrecht und in der Hinterbliebenenversorgung. Seit dem 10. September 2009 ist auch das volle Adoptionsrecht für alle, die in einer stabilen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben, Gesetz. Das ist eine für Lateinamerika einzigartige Entwicklung.
Kritik von links
Unzufriedenheit und Frustration gibt es auch innerhalb der Frente Amplio, eine radikale Kritik jedoch nur in der 2006 gegründeten Asamblea Popular, in der sich mehrere aus der Frente Amplio ausgetretene Parteien und Bewegungen organisiert haben. Dazu zählt die Bewegung 26. März, benannt nach dem Tag der Gründung der Frente Amplio im Jahre 1971. Die Bewegung war vor der Diktatur der legale politische Arm der Tupamaros mit dem im Mai dieses Jahres verstorbenen Dichter Mario Benedetti als ihrem Sprecher in den 1970ern. Weitere Gruppierungen der extremen Linken außerhalb der Frente Amplio wie die maoistische Kommunistische Revolutionäre Partei haben sich ebenfalls angeschlossen. Durch die Asamblea Popular gibt es erstmals seit der Gründung der Frente Amplio eine Opposition links von ihr. Obwohl zahlenmäßig noch relativ unbedeutend, stellt die Asamblea dennoch ein eigenes Kandidatenduo für die Präsidentschaftswahl auf. Ihre KandidatInnen Raúl Rodriguez und Delia Villalba haben erklärt, niemals mehr die Frente Amplio zu wählen, also auch nicht bei einer möglichen Stichwahl im November 2009. Für sie ist die aktuelle Regierung neoliberal, eine Regierung, die dem Kapital dient und nicht den ArbeiterInnen. Inwieweit die circa zwei Prozent der WählerInnen, die für sie stimmen wollen, ihnen darin folgen ist ungewiss. Sicher ist aber, dass die Asamblea sowohl die diffuse Unzufriedenheit über den autoritären Politikstil der Vázquez-Regierung als auch die konkrete Ablehnung vieler Regierungsentscheidungen durch AktivistInnen der Frente Amplio artikuliert.
Für die VerteidigerInnen der Regierungspolitik sind es Sachzwänge, für die KritikerInnen Sündenfälle: gemeinsame Militärmanöver mit den USA, die Entsendung von uruguayischen Truppen nach Haiti, das Durchpeitschen eines Investitionsabkommen mit den USA ohne Diskussion mit der Basis, ein bilaterales Freihandelsabkommen mit den USA, das der ehemalige Wirtschaftsminister Astori vehement befürwortet und die große Mehrheit der Frente Amplio ebenso vehement ablehnt, ist nicht vom Tisch. Und die Errichtung weiterer Zellulose-Fabriken am Río de la Plata wird unisono befürwortet, obwohl die Frente Amplio als Oppositionspartei die Fabriken noch abgelehnt hatte. Mit jeder Entscheidung, die dem Wahlprogramm und gravierender noch dem Parteiprogramm der Frente Amplio widerspricht, verliert das Regierungsprojekt für die KritikerInnen an Legitimation. Nach dem Wechsel der Linken von der Oppositions- auf die Regierungsbank werfen sie der Regierung und auch dem Kandidaten vor, die antiimperialistische Programmatik des Programms, die sozialistischen Reformkonzepte und die gewachsenen Strukturen der Frente Amplio nicht mehr ernst zu nehmen. Die Basis-Komitees der Frente Amplio, die entscheidend zu ihrer Identität beigetragen haben, werden nicht mehr an den Entscheidungen beteiligt, sondern nur noch vor den Wahlen zur Mobilisierung gebraucht.
Für die KritikerInnen von links liegt das Hauptversagen der Regierung darin, die Eigentumsverhältnisse nicht verändert zu haben. Mehr noch, sie werfen der Regierung vor, Macht- und Reichtumskonzentration sogar gefördert zu haben. Offizielle Statistiken bestätigen das.
Trotz aller offensichtlichen Erfolge ist die Ungleichheit in Uruguay, das traditionell eine extrem breite Mittelschicht mit nur sehr geringen Rändern oben und unten aufwies, gestiegen. In 13 der 19 Provinzen stieg die Ungleichheit an und Kritiker verweisen auf den GINIIndex, der 1998 0.438 betrug, im Jahre 2007 aber auf 0.457 anstieg. Der Index ist ein statistisches Maß zur Darstellung davon, wie Ungleichheit verteilt ist. Je näher der Wert an 1 ist, desto größer ist die Ungleichheit.
Gerade unter der linken Regierung hat die Marginalisierung von Teilen der Bevölkerung weiter zugenommen. Und das trotz des deutlichen Anstiegs des BIP, trotz des Anstiegs der Real- und Mindestlöhne und trotz der vielfältigen Sozialpläne wie dem sozialen Notfallplan und dem Gleichheitsplan. Dagegen hat sich die neoliberale Globalisierung und Spekulation, die sich heute nicht mehr wie in den 1990er Jahren auf den Bankensektor beschränkt, gerade auch in den produktiven Sektoren wie der Agrarwirtschaft festgesetzt. Die Ausweitung der Sojaanbauflächen, der Ausverkauf des Landes an ausländische Investoren und die Ausweisung immer größerer, ehemals für die extensive Viehwirtschaft genutzter Flächen für Eukalyptus-Monokulturen, sind die wichtigsten Beispiele hierfür. Vor allem multinationale Konzerne haben dabei von den äußerst günstigen Rahmenbedingungen, die der liberale Wirtschafts- und Finanzminister Danilo Astori (heute Mujicas Kandidat für die Vizepräsidentschaft) gegen den Widerstand weiter Teile der Frente Amplio Basis durchsetzen konnte, profitiert. Der jetzige Präsidentschaftskandidat José Mujica hat dem als Landwirtschaftsminister nichts entgegengesetzt. Nichtregierungsorganisationen schließen sich dieser Kritik an: Feministische Gruppen kritisieren das Veto des Präsidenten Vázquez vom November 2008 gegen die Legalisierung der Abtreibung; UmweltschützerInnen kritisieren den Ausverkauf des Landes an multinationale Zellstoffkonzerne, die für die geplanten fünf Fabriken im Land bis zu sieben Millionen der insgesamt 18 Millionen Hektar des Landes mit Eukalyptus-Plantagen und anderen Monokulturen bepflanzen wollen.
Anfang vom Ende des Linksrutsches in Lateinamerika?
Bei einem Wahlsieg des Berufspolitikers und Neoliberalen Lacalle würden sich die Machtverhältnisse in Lateinamerika nach rechts verschieben. Der vielzitierte Linksrutsch in Lateinamerika, der durch die Wahl von Hugo Chávez in Venezuela 1999 und Lula da Silva in Brasilien 2002 eingeleitet wurde, wäre in Gefahr. In Argentinien sieht es so aus, als ob die Uhr für die Kirchners abläuft und die »Berlusconisierung« des Landes weitergeht, nachdem in Buenos Aires der Unternehmer Mauricio Macri zum Bürgermeister gewählt wurde und sein Kollege De Narváez bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni 2009 triumphierte. In Chile, wo im Dezember 2009 Wahlen anstehen, sehen die Umfragen Mitte-Rechts vorne, und eine Prognose für die Post-LulaÄra nach dem Oktober 2010 in Brasilien traut sich heute kaum jemand zu. Aber vielleicht kann José »Pepe« Mujica diesen befürchteten Rechtsruck zumindest in Uruguay doch noch verhindern. Wird er gewählt, dann könnte das sowohl für Uruguay eine Konsolidierung linker Reformpolitik bedeuten als auch im Spektrum der linken Regierungen wieder eine neue Dynamik befördern. Denn der alte Tupamaro ist wenig berechenbar. Obwohl selbst an der ersten Mitte-Links-Regierung in Uruguay beteiligt und insofern auch mitverantwortlich für die oftmals autoritäre Politik von oben herab, vertritt er doch auch die Auffassung und steht dafür mit seiner politischen Biographie, dass nur mit mehr direkter Beteiligung des Volkes wirklich »nachhaltige« Veränderungen erreicht werden können: »Niemand ist mehr wert als der andere, weil nur das Kollektiv etwas aufbauen und verteidigen kann. Es gibt keinen Gott, der die Geschichte ändern kann. Die Macht kommt definitiv von unten, nicht von oben. Gnade denjenigen, die glauben, die Macht käme von oben.«
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Stefan Thimmel ist freier Journalist und entwicklungspolitischer Gutachter in Berlin und Montevideo mit den Schwerpunkten Lateinamerika, Soziale Bewegungen,Nachhaltigkeit, Partizipation, Jugendpolitik und Stadtentwicklung.
Der Artikel erschien als Beitrag in der Reihe Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
Bildquellen:
01. Luis Alberto Lacall, Offizielle Website von Luis Alberto Lacalle_.
02. José Mujica, U.S. State Department_.
03. Pedro Bordaberry, U.S. State Department_.