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Allende, Isabel: Dieser weite Weg

Gabi Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Zum ersten Mal hörte ich von der Winnipeg,

dem Schiff der Hoffnung, in meiner Kindheit

im Haus meiner Großeltern.

 

rezensiert_Isabel_Allende_Dieser_weite_WegMit diesen Worten beginnt Isabel Allende ihre Danksagung für ihr Buch „Dieser weite Weg“. Ich hatte die Danksagung vor dem Roman gelesen, weshalb ich davon ausging, dass dieser die Geschichte jener beispiellosen Rettungsaktion aus dem Sommer des Jahres 1939 erzählt. Damals konnten, angeregt vom chilenischen Präsidenten Pedro Aguirre Cerda und organisiert von dem Dichter Pablo Neruda, ca. 2000 spanische Bürgerkriegsflüchtlinge Frankreich verlassen und an Bord der Winnipeg in ihr Exilland Chile gelangen. Neruda hatte später in seinen Memoiren kurz von der Winnipeg berichtet. Und so dachte ich mir, vielleicht kann mir ja Allendes Geschichte der Winnipeg helfen, mein Urteil über die Schriftstellerin zu revidieren, das vornehmlich von ihren frühen Büchern „Von Liebe und Schatten“ und „Eva Luna“ geprägt ist. Beide Romane hatte ich nach jeweils 40-50 Seiten Lektüre entnervt zur Seite gelegt. Heute ist mir nur noch die irgendwie kitschtriefende Sprache in Erinnerung. Warum ich „Eva Luna“ (das Dritte ihrer auf Deutsch erschienenen Bücher) überhaupt gekauft habe, kann ich heute wirklich nicht mehr sagen. Auf jeden Fall habe ich Isabel Allendes Bücher seitdem konsequent ignoriert. Jetzt, nach der Lektüre ihrer neuesten deutschen Veröffentlichung (der Rezension wegen) komme ich zu dem Schluss, richtig gehandelt zu haben. Über all die Jahre, in der ich die Bücher der von der Kritik immer wieder gelobten Chilenin nicht zur Kenntnis nahm, habe ich offensichtlich tatsächlich nichts verpasst.

Ich muss gestehen, dass ich schon den Titel des Buches nicht so richtig verstanden habe. Von welchem weiten Weg ist da eigentlich die Rede? Dem Weg ins Exil, dem durchs Leben oder dem des Verlagsmitarbeiters zu ein wenig Originalität? Gut, deutsche Titel ausländischer Bücher zeichnen sich nicht selten durch eine ausgeprägte Schlichtheit aus. Wer hat eigentlich die Mär vom Land der Dichter und Denker erfunden? Isabel Allende kann man das ehrlicherweise nicht anlasten. Der Originaltitel „Largo pétalo de mar“ ist da schon weit poetischer. Aber diese Worte stammen ja auch von Pablo Neruda, der sein Land in dem Gedichtband „Die Trauben und der Wind“ genau so beschrieb: Chile, schmales Blütenblatt aus Meer und Wein und Schnee (Wenn von Chile, dt.: Erich Arendt). Allende hat sich in diesem Roman überhaupt oft bei ihrem großen Landsmann bedient, jedem Kapitel ist ein Zitat des Dichters vorangestellt. Diese Praxis erhöht auf jeden Fall das poetische Niveau des Romans; das hat der aber auch bitter nötig.

Und da wir gerade dabei sind: Auch meine anfängliche Erwartung wird enttäuscht, denn um die Winnipeg geht es bestenfalls am Rande. Der Roman erzählt im Wesentlichen die Geschichte der katalanischen Familie Dalmau und umspannt die Jahre 1938 bis 1994. Die Dalmaus haben sich, jeder auf seine Weise, für die spanische Republik engagiert. Nach dem Sieg Francos gelingt es einem Teil der kleinen Familie, der Mutter Carme und dem ältesten Sohn Víctor, nach Frankreich zu fliehen. Begleitet werden sie von Roser, der schwangeren Geliebten des jüngeren Sohnes Guillem, der in der Ebroschlacht gefallen war. Víctor und Roser haben Glück, sie gehören zu den Passagieren, die mit der Winnipeg das sichere Exilland Chile erreichen. Vorher hatten die jungen Leute geheiratet, einzig und allein der Hoffnung wegen, als Ehepaar ihre Chancen zu erhöhen, auf die Passagierliste zu gelangen. In Chile werden sie zusammenbleiben und gemeinsam Rosers und Guillems Sohn Marcel aufziehen. Sie etablieren sich in ihrer neuen Heimat, Víctor als Arzt und Roser als Pianistin, und viele Jahre später werden sie auch ein richtiges Paar sein. Nach dem faschistischen Putsch in Chile müssen sie erneut fliehen und finden in Venezuela ein zweites Exil. Doch die Katalanen fühlen sich inzwischen als Chilenen und kehren deshalb Anfang der 1980-er Jahre, als den ersten Exilierten eine Heimkehr erlaubt wird, nach Chile zurück.

So weit eine sehr verkürzte Inhaltsangabe, eine Rezension soll schließlich nicht die Lektüre ersetzen. Gut 50 Jahre Familiengeschichte versprechen auf jeden Fall epische Breite. Die lässt sich aber auf 368 nicht eben eng bedruckten Seiten offenbar nicht so leicht herstellen. Verblüffend für mich ist, dass mich die Geschichte der Familie Dalmau während der gesamten Lektüre eigentlich nicht interessierte. An keiner Stelle ertappte ich mich dabei, wissen zu wollen, wie es mit ihnen und ihren Liebschaften, Trennungen und Wiedersehen weitergeht. Das ist zweifellos dem Stil der Autorin geschuldet. Der Roman wirkt eher wie ein sachlicher Bericht, der unbedingt alle Informationen liefern will, die als wichtig erscheinen. Immer wieder gibt es seitenlange Ausführungen über politische Ereignisse, die zumeist deplatziert wirken und (zumindest mich) irgendwann nur noch nervten. Wenn also z.B. von Pablo Nerudas Besuch in einem Debattierklub rebellischer reicher Bürgersöhne in Santiago, dem Salon der Zornigen, berichtet wird, dann bekommt die Leserin (und auch der Leser) erst einmal etwa anderthalb Seiten lang Informationen über den Dichter, bis hin zu dem im gegebenen Zusammenhang irrelevanten Hinweis, dieser werde später Mitglied der Kommunistischen Partei werden (S. 117). Es ist zweifellos eine Kunst, in einem Roman Zeitgeschichte zu vermitteln, ohne auf belehrende Abhandlungen wie aus einem Geschichtsbuch zurückzugreifen. Isabel Allende beherrscht diese Kunst offensichtlich nicht.

Andererseits passt diese Praxis aber zu der stakkatoartigen Aneinanderreihung von Etappen der Familiengeschichte der Dalmaus, aus denen dieses Buch besteht. Irgendwie wird diese nämlich auch nur abgehandelt. Die Protagonisten sind ausnahmslos irgendwie blutleere Wesen, eher Menschendarsteller als Menschen, bei denen man den Eindruck hat, dass ihr Leben nur erzählt wird und sie es nicht wirklich leben. Die Autorin berichtet genaugenommen nur, was ihre Helden tun und was ihnen widerfährt, sie lässt sie schlechterdings nicht interagieren. Ihre Handlungen sind deshalb zumeist auch kaum nachvollziehbar. Warum z.B. werden Roser und Víctor schließlich ein Liebespaar? Aus spät entdeckter Liebe, Gewohnheit, Langeweile, weil sie liebe Menschen sind? Isabel Allende lässt Roser irgendwann recht unvermittelt in Víctors Bett steigen, wo der sie genaugenommen bereits erwartet hat. Und damit weiter im Text…

Hinzu kommt, dass die handelnden Personen zumeist nicht reden, sondern deklamieren. So gibt der zwar engagierte, aber doch eher unpolitische Víctor auf Rosers Frage, wann sie denn nach Spanien zurückkehren können, eine wahrhaft meisterhaft gestanzte Antwort: Der Krieg steht unmittelbar bevor, Roser. Ein Krieg der Anschauungen und Prinzipien, zweier grundverschiedener Arten, die Welt und das Leben zu begreifen, ein Krieg der Demokratie gegen Nazis und Faschisten, der Freiheit gegen autoritäre Herrschaft. Und so weiter und so fort. Dass Allende historische Personen wie z.B. Pablo Neruda oder ihren Onkel Salvador Allende auftreten lässt, von denen sie ja echte Zitate liefern kann, macht es nicht besser. Auch sie bleiben schablonenhaft.

Belassen wir es dabei. Der früh verstorbene Roberto Bolaño, der ein großes Lästermaul war, meinte einmal, seine Kompatriotin Isabel Allende sei keine Schriftstellerin, sondern eine Schreiberin. Nach den Büchern zu urteilen, die ich von ihr gelesen habe, bin ich geneigt, ihm recht zu geben. Aber, was soll‘s! Auch „Dieser weite Weg“ wird seine Leserinnen und Leser finden. Warum auch immer. So gesehen kann Isabel Allende es sicherlich verschmerzen, dass ich mich ein weiteres Mal aus ihrer Leserschaft zurückziehe.

Isabel Allende

Dieser weite Weg

Suhrkamp: 2019

381 Seiten

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