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Guevara, Ernesto Che: Episoden aus dem Revolutionskrieg

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Wiedergelesen

Seit langem haben wir darüber nachgedacht, wie man eine Geschichte unserer Revolution schreiben könnte, die alle ihre vielfältigen Erscheinungsformen und markanten Details umfasst…

 

Gelesen_Che_Revolutionskreig_CoverZu Beginn ist eine grundlegende Feststellung vonnöten: Das ist kein Tagebuch! Auch wenn das Buch inzwischen, in erweiterter Fassung, bei Kiepenhauer & Witsch als „Kubanisches Tagebuch“ verkauft wird. Vor mir liegt die Erstausgabe von Reclam Leipzig aus dem Jahre 1978, die allerdings die zweite Ausgabe in deutscher Sprache war. Bereits 1969 erschienen bei Rowohlt die „Aufzeichnungen aus dem kubanischen Befreiungskrieg 1956-1959“, in einer m. E. nicht eben guten Übersetzung.

Die Episoden aus dem Revolutionskrieg mögen auf Tagebuchaufzeichnungen beruhen, doch sie sind, wie Che in seinem Vorwort deutlich macht, das Ergebnis von die Ereignisse zusammenfassenden Aufzeichnungen, die er in eine übersichtliche Form brachte. Wobei er sich erklärtermaßen auf das beschränkte, worüber er aus eigener Anschauung berichten konnte.

Ein Teil der Texte war bereits zuvor in anderem Zusammenhang veröffentlicht worden, Ches Aufzeichnungen gehen thematisch über die bloße Schilderung des Revolutionskrieges hinaus. Das Buch enthält eine mehr oder weniger chronologische Darstellung der Kämpfe in der Sierra Maestra, an denen Che beteiligt war, aber auch Überlegungen zu politischen Bündnispartnern und Gegnern sowie zur weiteren politischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Es finden sich also Schilderungen von Scharmützeln in der Sierra Maestra ebenso wie Darlegungen zur Agrarreform oder ein Brief der Revolutionäre an Fidel Castro, in dem dieser aufgefordert wird, sich eingedenk seiner Bedeutung für die Revolution auf sein persönliches Eingreifen auf dem Gefechtsfeld zu verzichten. Die Unterschiedlichkeit der Texte erklärt den wechselnden Stil der Episoden.

Che nimmt kein Blatt vor den Mund, er schreibt offen und kritisch über Fehler, Versäumnisse, Verrat und Winkelzüge politischer Verbündeter und Gegner. Am schonungslosesten geht er mit sich selbst ins Gericht. Er war alles andere als eitel und beschreibt unverblümt, wenn er in den Kämpfen wenig heldenhaft agierte, z.B. als er den Schüssen des Feindes vor allem die hintere Seite seiner Körpers präsentiert hatte. Oder dass es ihn belastete, die Gefährten wegen seiner Asthmaerkrankung aufzuhalten. Die Offenheit und der immer wieder aufblitzende Humor machen den Band lesenswert. Che Guevara pflegte einen guten Stil, der Text vermag zu fesseln.

Da Guevara die Ereignisse offen und weitgehend ungeschminkt schildert, stellt sich mitunter die Frage, wieso die kubanische Revolution überhaupt siegreich sein konnte. Ches Bericht erscheint streckenweise als eine Schilderung von Desastern. Das beginnt schon bei der Überfahrt von Mexiko. Die Revolutionäre sind während der Fahrt größtenteils seekrank und infolgedessen geschwächt, es mangelt an Wasser und Treibstoff, und die Granma verspätet sich um zwei Tage – die Koordination mit dem von Frank Pais geleiteten Aufstand in Santiago de Cuba misslingt. Bei der Landung am 2. Dezember 1956 werden sie von den Batistatruppen bereits erwartet und drei Tage später überraschend bei Alegría de Pío gestellt. Wieso eigentlich überraschend? Hatten die Kämpfer nicht damit gerechnet, verfolgt zu werden? Danach waren von den ursprünglich 82 Guerilleros noch 22 übrig; das Gros war entweder tot oder den Batistatruppen in die Hände gefallen. Die Truppe war in einem desolaten Zustand, sie hatte keine Ausrüstung und keine Waffen. Der Eindruck eines schlecht geplanten, chaotischen Unternehmens entsteht immer wieder.

Erwähnt sei eine „Besonderheit“ der kubanischen Revolution. Bereits im Februar 1957 ist mit dem US-Amerikaner Herbert Matthews ein Journalist bei den Rebellen in der Sierra Maestra. Mit Matthews Besuch kann nicht nur das von Batista verbreitete Gerücht widerlegt werden, Castro und Guevara seien tot, mit ihm beginnt auch die gezielte Öffentlichkeitsarbeit der Guerilleros. Die barbudos nutzten die modernen Medien ihrer Zeit systematisch, um ihre Ziele und ihren Kampf bekannt zu machen. Sie gaben eine kleine Zeitung heraus, und bereits im Februar 1958 wurde Radio Rebelde gegründet, das die Möglichkeit bot, die Kubaner direkt über Ziele und neueste Entwicklungen zu informieren.

Und immer wieder waren Journalisten vor Ort. Matthews, der die kubanischen Guerilleros nach seiner ersten Visite noch mehrere Male besuchte, war nicht zufällig in der Sierra Maestra. Er war eingeladen worden, so wie andere Medienvertreter nach ihm. Ein Höhepunkt der Medienkampagne war zweifellos der Besuch des Kanadiers Erik Durschmied, der Ende 1958 die ersten Filmaufnahmen aus der Sierra Maestra mitbrachte. Che berichtet häufig von den Besuchen der ausländischen Journalisten, die nicht alle Freunde der Rebellen waren, und seine Aufzeichnungen machen deutlich, dass bei diesen Besuchen nichts dem Zufall überlassen wurde: Diese Tage verliefen protokollgemäß. Eines machen Ches Episoden schonungslos deutlich: Ein Guerillakrieg ist ein Krieg und kein Abenteuer, er hat kein menschliches Gesicht, wie man in Anlehnung an einen sowjetischen Dokumentarfilm sagen könnte. In den Episoden aus dem Revolutionskrieg erscheint er in all seiner Härte und Grausamkeit: mit den Niederlagen, den gefallenen Kameraden, dem Ringen um Disziplin und Professionalität und den Strafmaßnahmen gegen Verräter. Und paradoxerweise scheint das Ringen mit den Gräueln des Krieges besonders in der Schilderung einer kleinen Begebenheit auf, nachdem die Revolutionäre gezwungen waren, einen Hundewelpen zu töten, weil sein Bellen sie auf einem Marsch zu verraten drohte.

Ich weiß nicht, ob das Lied sentimental war oder ob es die Nacht war oder die Erschöpfung… Sicher ist, das Félix, der auf dem Boden sitzend aß, einen Knochen wegwarf. Ein Hund aus dem Haus kam zutraulich näher und hob ihn auf. Félix legte ihm die Hand auf den Kopf, und der Hund schaute ihn an; Félix schaute ihn auch an, und dann trafen sich unsere Blicke, die etwas Schuldbewusstes hatten. Wir wurden plötzlich still. In uns regte sich eine kaum nach außen dringende Gemütsbewegung. Vor uns allen entstand das ermordete Hündchen wieder mit seinem zutraulichen, spitzbübischen und etwas vorwurfsvollen Blick…

 

Ernesto Che Guevara

Episoden aus dem Revolutionskrieg

Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig: 1978

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