Knapp zehn Jahre nach ihrer Veröffentlichung erreicht „Mexican Boleros. Songs of Heartbreaking, Passion & Pain“ die Quetzal-Redaktion. Doch jeder Nachteil hat seinen Vorteil, denn der Bolero entstand genau vor 90 Jahren in der damals noch nicht ganz so riesigen Metropole Mexiko City. Diese Musik hätte auch im Tempo einer Flaschenpost den Atlantik durchqueren können, denn bei der Ausgabe, die der Münchner Verlag Trikont herausbrachte, handelt sich um ein echtes historisches Dokument. Boleros wurden ursprünglich von sehr talentierten Volks- bzw. Bordellmusikern geschrieben und mit dem Massenerfolg auch von anderen, hochkarätigen Musikern sowohl in Mexiko als auch in anderen Ländern (neu)interpretiert, aufgenommen und weiterentwickelt. Die verschiedenen hier versammelten Autoren und Interpreten stellen einen Streifzug durch die Geschichte des Boleros dar, welcher mithilfe der Rundfunktechnik und der Filmindustrie rasch die Welt eroberte. Auch wenn die Tonqualität von Song zu Song schwankt, wird das nicht als Nachteil, sondern eher als Vorteil angesehen, da so ein umfassender und „anfassender“ Überblick über die Geschichte des Boleros vermittelt wird.
Im vorliegenden Album sind verschiedene musikalische Besetzungen zu hören. Während der „traditionelle“ Klang rhythmisch, harmonisch und melodisch von Bass, Klavier, Percussion, Streichensembles und evtl. Blasorchester bestimmt wird, nehmen die Kapellen im Laufe der Zeit verschiedene Formen an. So kam es, dass die Melodien von der Flöte und der Trompete („Falsa“) und die harmonischen Kadenzen quasi vom Wurlitzer („No me platiques“) übernommen werden. Außerdem bilden andere kleine Besetzungen, wie z.B. ein Trio aus Jazzgitarren und Stimmen (Los Tres Ases) und nur die Klavierbegleitung (Bola de Nieve, Agustín Lara) das breite Spektrum des Boleros. In allen Fällen sind außergewöhnliche Frauen- und Männerstimmen zu hören.
Das Album beginnt („Humanidad“, „La número cien“, „Vereda tropical“) und schließt („Zafiro“, „Nunca“) mit historischen Aufnahmen, welche die Geburt bzw. den Auftakt zum Boom des Stils dokumentieren. Dazwischen tauchen andere Songs auf, die eindeutig „modern“ klingen und die schnelle Entwicklung der Tonaufnahmetechnik während der 1940er und 1950er Jahre widerspiegeln. Ein sorgfältig verfasstes Beiheft, welches ein sehr kenntnisreiches, breit umfassendes Essay (deutsch und englisch) von Stefan Wimmer über die Entstehung, Blütezeit und Niedergang des Boleros enthält, wobei der Bolero aus einer historischen und soziopolitischen Perspektive dargestellt wird, begleitet die CD. Die insgesamt seriöse Ausgabe, die die Ursprünge dieser Musik aufspürt und zusammenfasst, zeigt Liebe und Respekt für die Musik und die MusikerInnen. Außerdem wird dieses Album nicht nur den Mentoren des Boleros und deren tragischen Schicksalen gerecht, sondern auch den MusikliebhaberInnen.
Stefan Wimmer (Hg.)
Mexican Boleros. Songs of Heartbreaking, Passion & Pain (1927-1957)
Trikont US-0362 (2007)