Alter Knabe
Und mal wieder sind es Huren, die das Leben eines Mannes schöner machen sollen. In diesem Falle soll ihm eine als sein eigenes Geburtstagsgeschenk zum 90. dienen.
Der davon so gelassen schreibt, ist immerhin Mitte 70. Dass Huren auch im wirklichen Leben des Gabriel García Márquez eine wichtige und alltägliche Rolle spielten, kann man der von ihm verfassten Biografie „Leben um davon zu erzählen“ entnehmen. Na ja, Gabriel García Márquez ist eben kein Mitteleuropäer, Gott sei Dank oder besser: der Karibik sei Dank, die offenbar dafür sorgt, dass man solche Geschichten jenseits von Gut und Böse erzählt.
Warum die Huren traurig waren? Ich habe es nicht heraus bekommen, vielleicht weil sie immer älter und die Männer immer törichter werden, aber wer wird das nicht mit der Zeit. Zumindest kann man es gut nachvollziehen, wenn Márquez schreibt, dass es ein Alter gibt, wo alle anderen immer nur jünger sind als man selbst (er meint, es sei zu Beginn des sechsten Jahrzehnts…).
In diesem Buch nun geht es unter anderem auch um ein 13-jähriges Mädchen, dass als Geburtstagsüberraschung zur Hure gemacht werden soll. Ist das nicht eher widerlich, fragt sich die mitteleuropäische Leserin. Eine unschuldige, arme Minderjährige sexuell ausbeuten zu wollen ist doch wohl schon ohnehin das Letzte, und dann noch von einem sehr alten geilen Bock.
Aber, lies das mal von Gabriel García Márquez. Um Hurerei geht es natürlich nicht, es geht selbstverständlich um Einsamkeit, die Liebe des Lebens überhaupt, den Tod eingeschlossen. Also wieder um das große Ganze.
Ganz schnell begibst du dich aufs Neue in seine Welt, in diese seltsame Sphäre von prallem, wirklichem unwirklichem beziehungsreichen Leben voller Hitze, weißer Leinenanzüge, einprägsamer Namen und Familienreliquien, offene Türen in kühlen Räumen alter Häuser, Bücher und Zeitungen, Geräusche, Baumwollkleider, Haut und Schenkel, Musik, Straßen, Innenhöfe, Stille und Rosen. Altersunabhängige Charaktere mit detailreichen Schilderungen ihrer altersabhängigen Befindlichkeiten. Sie kommen als schnurrige Kost daher, haben es aber literarisch faustdick hinter den Ohren.
Bei der Erinnerung an meine traurigen Huren handelt es sich folglich um nichts mehr und nichts weniger als um einen vertrauten philosophisch-philanthropischen Gaumenschmaus fürs Gehirn. Man lächelt beim Lesen die ganze Zeit und bekommt einen bunten Blick.
Erinnerung an meine traurigen Huren
Gabriel García Márquez
Kiepenheuer & Witsch 2004
ISBN: 3-4620-3452-9