Literatur - Montoya - Microcuentos 2 (203 Downloads )
Der Unsterbliche
Wann immer ich ihm nach seinem Leben trachtete, entging er dem Tod. Fest entschlossen meinem Albtraum ein Ende und ihm so schnell wie möglich ein für allemal den Garaus zu machen, bewaffnete ich mich mit einer kurzläufigen Pistole, rempelte ihn auf der Straße an, hielt ihm die Waffe an den Kopf und feuerte aus nächster Nähe einen Schuss auf ihn ab. Er blickte mich ganz gelassen an, öffnete den Mund und spuckte die Kugel aus.
Angezeigter Tod
Ich war noch nicht einmal geboren, da zeigten die Tageszeitungen bereits meinen Tod an. Als ich 55 Jahre später zufällig im Internet den Nekrolog: „Schriftsteller nahm sich unter ungeklärten Umständen das Leben“ las, sah ich keinen anderen Ausweg, lud den Revolver und erschoss mich.
Im Halbschlaf
Am Ende ihrer Kindheit erwürgte sie ihre Stoffpuppe und sprach im Halbschlaf. Komm mir nicht zu nah, Mama … Lass mich in Ruhe schlafen … Streichle mir nicht meine Beine und küss mir nicht den Mund … Machst du das noch ein einziges Mal, sag ich es Papa … Er schließt auch die Tür und löscht das Licht, bevor er mich küsst und streichelt …
Prinzessin im Unglück
Es war einmal ein Schloss, in dem lebte eine unglückliche Prinzessin. Ihr eigentliches Elend bestand, so unwahrscheinlich dies auch anmuten mag, darin, dass sie nicht zur Prinzessin geboren war.
Als man sie einem Märchenprinzen aus einem fernen Dorf angetraut hatte, wähnte sie sich die unglückseligste aller Ehefrauen, die jemals den Erdboden betreten hatte, bis sie eines Tages – der Prinz war in den Krieg gezogen – vom Schloss weglief und sich mit dem allerniedrigsten der Arbeitsmänner im Dorf vermählte.
Seit jener Zeit ist sie um des Glückes willen keine Prinzessin mehr.
Der Bergsteiger
Er bezwang den höchsten Berggipfel, betrachtete die Leere, die sich unter seinen Füßen auftat und machte zur Würdigung seiner hervorragenden Leistung einen Sprung. Das Echo seines Schreis rollte zwischen den Felsen und sein Körper, der wie ein Stein hinabstürzte, wurde kleiner und kleiner und kleiner, schließlich zu einem winzigen schwarzen Punkt und ganz am Ende nichts.
Der Flüchtige
Stehen geblieben!
Der Flüchtige lief weiter.
Bum! …
Der Flüchtige fiel kopfüber.
Das Blut lief weiter.
Vogel Phönix
Des ewig wiederkehrenden Todes im Feuer und der Wiedergeburt aus der eigenen Asche überdrüssig entschied sich der sagenumwobene Vogel der ägyptischen Mythologie eines Tages, sein Schicksal zu wenden: Er blies seine Asche in den Wind und ward fortan sterblich.
Horror
Seit ich Horrorromane las, konnte ich weder Schlaf finden noch in Ruhe leben. Mein Kopf war bevölkert von Stimmen jenseits des Grabes und mein Körper bewohnt von dem Geist derjenigen, die unter unglaubwürdigen Umständen einen grässlichen Tod gefunden hatten. So vergingen meine Tage: Ich saß im hintersten Zimmer des Hauses in dem Schaukelstuhl aus Korbweide, bis ich eines Nachts, als der Himmel unter Blitzen und Regengüssen zerriss und ich ein Kapitel las, in dem sich ein neues Verbrechen anbahnte, eine schwerfällige Hand sich auf meine Schulter senken fühlte. Mein Kopf fuhr herum und war dem kühlen Blick eines Monsters ausgesetzt, das mir mit nur einem einzigen Hieb einer gewaltigen Machete den Körper spaltete.
Überfall
Fünf Kapuzenträger stürzten in das Geschäft. Der Überfall ließ den Juwelier vor Schreck erstarren, während seine Frau – wie von einem Stromschlag getroffen – zwischen Ladentisch und Vitrinen niedersank, die Augen weiß und die Zähne gefletscht.
Die Täter waren ganz in Schwarz, groß, stämmig und von zweifelhafter Herkunft. Der eine, der herumbrüllte und keine Skrupel kannte, befahl, den Tresor zu öffnen. Als der Juwelier sah, dass seine Frau kein Lebenszeichen mehr von sich gab, weigerte er sich standhaft, bis er von einem von ihnen kaltblütig und gnadenlos niedergestochen wurde.
Die Täter zerschlugen die Vitrinen, verstauten den Schmuck in Säcken und machten sich in wilder Flucht davon, während der Juwelier auf dem Boden neben seiner Frau mit dem Tode rang mit nur einem Rinnsal Blut als Zeugen, das sich auf seinem Weg zur Tür über eine Schneeflocke ergoss, die vom Wind fortgerissen worden war.
Kakerlake
Ich war eine Kakerlake, die davon träumte, ein Mensch zu sein. Auf einer Stecknadel aufgespießt bin ich nun Teil einer Sammlung von seltsamen Orthoptera. Manchmal besuche ich heimlich das Museum, wo man mich ausstellt, und betrachte mich präpariert in einem Insektenkasten.
Übersetzungen aus dem Spanischen: Gabriele Eschweiler
Zeichnungen: Quetzal-Redaktion, cd.