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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Die Maras und ihre (sub)kulturellen Symbole – (3) Sprache(n)

Heidrun Zinecker | | Artikel drucken
Lesedauer: 28 Minuten

Mit den Tattoos und Graffiti wurde sie begonnen, und mit einem Beitrag zu den (Gang)Sprachen soll unsere lose Quetzal-Serie über die (sub)kulturellen Symbole der Maras nun fortgesetzt werden. Warum „Sprachen“ in der Überschrift in Plural und Singular steht, wird im Text erklärt. Über die Maras, jene gewalttätigen Jugendbanden, die in den USA und Zentralamerika ihre Wurzeln haben, aber längst schon die Grenzen des amerikanischen Kontinents, auch nach Europa, überschritten haben, wird schon lange und viel geschrieben. In Honduras, El Salvador und Guatemala sind sie nach wie vor der Gewaltakteur schlechthin, der zigtausende Morde zu verantworten hat. In Costa Rica und Nicaragua gibt es sie nicht oder kaum (vgl. Zinecker 2014). Die Maras folgen zweierlei Logik, nicht nur der des egoistischen (ökonomischen und politischen) Interesses, sondern auch der einer kulturell-symbolischen Expressivität. Letztere Logik allerdings war und ist der ersten untergeordnet: Die gegenwärtigen Maras sind kriminelle Jugendbanden und keine bloße Jugendkultur oder kulturelle Bewegung. Auch deshalb sind Publikationen über ihre zweite Logik sehr viel spärlicher als über die erste. Quetzal will das Manko mindern. Der hier vorgelegte Artikel könnte nicht nur etwas für Mara-Interessierte, sondern ebenso für neugierige Linguisten sein. Jedoch, was Ersteren zum Vorteil gereichen könnte, mag für Letztere fachliche Beschränktheit bedeuten: dass der Text, zumindest bei einigem Bemühen, auch für den linguistischen Laien verständlich ist. Spanisch zu beherrschen, ist dafür lediglich ein Vorteil, kein Muss.

 

Mara-Sprache als „(sub)kulturelle Symbole“?

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag – nicht nur Tattoos und Graffiti, sondern auch Sprache beruht auf kulturellen Symbolen: Denn bei allen dreien handelt es sich, wiewohl um verschiedene, Zeichen, die der Kommunikation dienen. Kultur wie Sprache sind letztlich Zeichen- oder auch Codes-Reservoir. Ähnlich ihren Tattoos und Graffiti stützt sich auch die Sprache der Maras auf subkulturelle Zeichen, denn letzten Endes handelt es sich bei ihr um eine Gangsprache, um eine Sprache einer ganz bestimmten (kriminellen) Gruppierung. Von ihnen selbst werden ihre Zeichensysteme auch „huilas“ oder (schriftlich) „willas“ genannt. Wie in der Einführung bemerkt, sind es bei diesen Banden eigentlich mehrere Teil-Sprachen, die sich zum Mittel ihrer verbalen Kommunikation in „der“ Mara-Sprache bündeln: Zum einen können wir hier gesprochene Sprache und Zeichensprache unterscheiden. Zum anderen ist die gesprochene Sprache ein Mix von verschiedenen (Sub)Sprachen mit den entsprechenden Ursprüngen. Und damit sind nicht Dialekte gemeint!

Das Verständnisproblem

Hören oder lesen wir das gesprochene Wort von Mareros, dürfte es uns, als Nichtmitglieder, recht schwerfallen, dieses zu verstehen. Und nein, das betrifft nicht nur diejenigen, deren Muttersprache nicht das Spanische ist. Auch die Hispanoparlantes haben dabei so ihre Schwierigkeiten. Schauen wir es uns an!

Wie würdest du den folgenden Satz übersetzen?

Desde que era bicho (…) deseaba andar en la frecuencia (…) y pasear en mi cancha (…), viendo a las michas (…) para que admiraran mi bandana (…). (Auslassungen H.Z., dabei handelt es sich um die im Originaltext mitgegebenen Erklärungen des Slangs).“ (Cáceres 2006)

Oder diesen?

„No es posible tener amistad con otros jombois (…). Es cierto que ellos también han brincado el Barrio (…), pero para nosotros? ¿Los de la MS? Ellos son una cacocha (…). Su respuesta fue ubicar el nombre de pichonas (…). Cuando los veo, aprieto mi borro o cuete porque es cosa de estar listo. En otro caso, siempre tengo mis fierros (…) a la mano por si se debe resolver alguna duda. Siempre están conmigo y lo digo de cora (…). Como soy chero (…), puedo afirmar que nunca seré un volteado y menos voy a echar rata (…). (Auslassungen H.Z., dabei handelt es sich auch hier um die im Originaltext mitgegebenen Erklärungen des Slangs).“ (Ebenda)

Oder den?

„¿Qué húbole? Primera Palabra ordena un cuadro cohetee a una chavala. Hay que preparar una plantilla.“ (ABC Espan͂a o.J.) (In diesem Zitat gab es keine Slang-Erklärungen.)

Nein, selbst wenn du als Leser gut Spanisch kannst, dürftest du bei den Wörtern scheitern, deren Erklärung hier (zunächst) bewusst aus den Zitaten entfernt wurde. Für die Leser, die des Spanischen nicht mächtig sind, folgt nun die Übersetzung aller drei Zitate ins Deutsche, aber auch dabei werden die spezifischen Mara-Vokabeln vorerst weggelassen, um es spannender zu machen. Am Ende des Textes gibt es dann die Gesamtauflösung!

Das erste Zitat lautet dementsprechend, aber auch seinerseits nur teilweise ins Deutsche übersetzt:

„Seit ich ein (…) war, wünschte ich mir (…), meinen (…) zu haben und mich (…) zu vergnügen, dabei den (…) zusehend, damit diese mein (…) bewundern.“

Das zweite Zitat heißt in der partiellen Übersetzung:

„Man kann nicht mit anderen (…) befreundet sein. Es ist richtig, dass auch sie (…), aber doch nicht für uns? Die von der MS? Sie sind (…). Ihre Antwort war, sie (…) zu nennen. Wenn ich sie sehe, drücke ich auf (…), weil man bereit sein muss. Auf alle Fälle habe ich immer (…) zur Hand, um jeden Zweifel auszuräumen. Sie sind immer bei mir, und das sage ich (…). Da ich (…) bin, darf ich behaupten, dass ich niemals ein (…) sein werde, und noch weniger werde ich (…).“

Das dritte Zitat ist, wenn man den Mara-Slang herauslässt, kaum noch übersetzbar:

Was (…)? (…) befiehlt (…). Wir müssen (…) vorbereiten.“

Genau, da wo es spannend wird, versagt unsere Sprachkompetenz! Gehen wir also das Übersetzungsproblem im Einzelnen an!

Das gesprochene Wort

Der Sprachmix der Mareros hat mindestens drei Ursprünge: Malespín, Caló/Caliche/Nahuatl und Spanglish. Hinzu kommt, etwas allgemeiner, der Gangslang (spanisch: jerga, auch argot): Erst alles zusammen ist das gesprochene Wort der Mareros.

Malespín

Malespín, im Malespín selbst Pelasmón genannt, war vor etwa 175 Jahren ein in Zentralamerika genutzter Sprachcode zur Verschlüsselung/Kryptierung von militärischen Botschaften. Er geht auf General Francisco Malespín Herrera (Bild) zurück, der 1844/45 ein reichliches Jahr lang das Präsidentenamt in El Salvador bekleidete. Insbesondere seine militärischen Aktionen gegen die nikaraguanische Stadt León, aber auch gegenüber Guatemala waren berühmt-berüchtigt. Sein Leben endete durch Mord, als damit verhindert werden sollte, dass er in El Salvador 1846 die Macht erneut erobern würde.Francisco Malespín - Bildquelle: Jarould

Das vom Malespín heute noch, insbesondere auf salvadorianischen Schulhöfen und in Jugendbanden, sprachlich Überkommene zeigt sich zunächst darin, dass in ihm vier Vokale und sechs Konsonanten des Spanischen jeweils untereinander ausgetauscht werden: So wird etwa das „a“ zu „e“ oder das „i“ zu „o“ und das „b“ wird zu „t“ oder das „m“ zu „p“. Allein mit diesen Lautwechseln wurde es möglich, Botschaften so zu verändern, dass sie der Feind nicht verstehen konnte. Schließlich kamen auch Silbenwechsel hinzu, wie zum Beispiel bei „caco“ statt „coca“ („Kokain“) oder „¡Qué sopa!“ statt „¿Qué pasó?“ („Was ist los?“) Dass in der Zeit von Francisco Malespín das Analphabetentum allgegenwärtig war, führte dazu, dass die „falschen“ Laut- und Silbenwechsel lange in Gebrauch blieben, nicht nur zwischen Verschwörern oder Dieben, Verliebten oder Atheisten, sondern auch in der Jugendsprache. Tradiert aus dem Malespín sind heute auch solche Wörter wie „tuani“ (bueno, gut), „peli“ (malo, schlecht) oder „guajo“ (viejo, usado, alt, gebraucht).

Caló/Caliche/Nahuatl

Caló ist ursprünglich die Sprache der spanischen Roma (Bild: Migration der Roma in Europa), die, über die Kolonisierung, auch nach Lateinamerika, insbesondere nach Mexiko, gelangte.

Movimiento gitano - Bildquelle: Public domainDort wurde das Caló mit Wörtern aus indígenas-Sprachen vermischt (vornehmlich des aztekischen Nahuatl). Im Nahuatl hat beispielsweise „a ponemos chancla“ („Kommt, wir tanzen!“) seinen Ursprung, wobei „chancla“ in Nahuatl „Sandalen“ bedeutet. Auch „mayate/mayata“ stammt aus dem Nahuatl und steht wohl noch immer für einen dunkelhäutigen Menschen. Ob auch das von den Mareros vielgebrauchte „maje“ (despektierlich: Person oder Individuum) da seinen Ursprung hat? (Bild: Textbeispiel in Nahuatl)

War es zunächst eine Sprache der Kriminellen, vor der sich vor allem Frauen zu hüten hatten, ging das Caló später in den allgemeinen Sprachgebrauch über und wurde so zum Caliche, dem Slang der mexikanischen marginalen Bevölkerung an der Südwestgrenze der USA. Es wird noch heute in Texas, Kalifornien, Arizona, Colorado und New Mexico gesprochen. Dort wiederum mischte es sich mit dem Spanglish (vgl. weiter unten). Das Caliche beschränkt sich auf heikle oder wichtige Themen wie Sex, Prostitution, Verbrechen, Knast (dafür hat Caliche allein schon 30 verschiedene Wörter), sowie die Bezeichnungen für Dieb (hier sind es über 70), Polizei, Anwälte und Richter, den „pulque“, das mexikanische alkoholische Nationalgetränk, sowie Bier, Marihuana oder auch Tod. Die Liste solcher Wörter ist sehr lang. Als weitere Beispiele seien hier aufgezählt: „chingón“ (sehr gut, potent), „chupar“ (alkoholische Getränke konsumieren), „disparar“ (die Rechnung bezahlen), „echar madres“ Napis w nahuatl - Bildquelle: Public domain(Obszönitäten aussprechen), „fumigado“ (sehr besoffen), „flaca“ (Tod), „mamado“ (stark, muskulös), „pelado“ (vulgäre Person), „popis“ (Mitglied der gesellschaftlichen Elite) oder „zafado“ (verrückt). Und schlussendlich, wenn ein Marero stolz verkündet, ihm sei es zuteil geworden „pasar tres abriles en Canadá“ („drei Aprils in Kanada zu verbringen“), dann ist er nicht notwendig weitgereist, sondern fand für drei Jahre seine Bleibe im benachbarten Knast.

Ein besonders vielgenutztes Wort aus dem Roma-Caló ist „chavalo/a“, was „(kleiner) Junge“ bedeutet, mit dem aber heutzutage von der Mara Salvatrucha die Angehörigen des Barrio 18 bezeichnet werden. Und „jaina“ (auch: haina, hyna) heißt in Caló – „Frau“. Im Mara-Slang aber steht das Wort ausschließlich für die Geliebte des Marero und nicht für ein anderes weibliches Mitglied der Gang. In Caló bedeutet „aufmerksam sein“ – „aguas“, wobei „agua“ „in Wirklichkeit“ natürlich mit „Wasser“ übersetzt wird. „Agua“ wurde seinerzeit von Verkäufern heikler Ware immer dann ausgerufen, wenn die Polizei in der Nähe war. Und wenn man den Marero ständig „simón“ sagen hört, heißt das keinesfalls, dass viele seiner Kumpel den Namen „Simón“ tragen, sondern einfach – „ja“. Wenn also Martínez (2015, 50) in seinem Buch einen Marero ausrufen lässt: „Simón, era el diablo que quería el alma de ese vato“, heißt das in der Übersetzung nicht: „Simón war der Teufel ….“, sondern: „Ja, es war der Teufel, der die Seele dieses Burschen (Kumpel) wollte.“ Der Teufel könnte also auch Paco gewesen sein. An dieser Stelle mag auch gleich noch das aus dem Chicano-Caló stammende und für die Maras essentielle „vato“ (auch „bato“) eingeführt werden, das das Ende des soeben zitierten Satzes bildet. Für „nein“ wiederum sagen die Mareros gern „naranjas“, und „no way“ („auf keinen Fall“) wird mit „naranjas de China“ übersetzt. Im heutigen Caló können Sätze auf Spanisch begonnen und auf Englisch beendet werden, oder umgekehrt. Auch das Sprechen in Rhythmen oder Reimen ist seit den Caló-Zeiten beliebt: „Al rato, vato“ (Gleich, Kumpel) oder „¿Qué te pasa, calabaza? (Was ist los, Kürbis?“) – das klingt doch fast wie ein Gedicht, oder?

Spanglish

Spanglish stammt eigentlich aus Puerto Rico, als die Insel zu einem Teil der USA erklärt und den dort spanischsprachigen Bewohnern von den Kolonisatoren Englisch als Landessprache aufgedrückt wurde. Heute gibt es dort mit Englisch und Spanisch zwei Amtssprachen. Spanglish ist ein Sprach-Hybrid, also ein Mix (oder Code-Switching) von Englisch und Spanisch, und zwar von spanischsprachigen Muttersprachlern, den Hispanics oder Latinos, wobei diese beiden Gruppen nicht synonym sind, obwohl sie oft so gebraucht werden. Denn Latinos sind nur die Hispanics, die aus Mittel- und Südamerika eingewandert sind, jedoch nicht die Einwanderer aus Spanien oder deren Nachfahren. Üblich ist Spanglish außer in Puerto Rico auch in New York, sowie, genau wie das Caliche, in den südwestlichen Bundesstaaten der USA Texas, Kalifornien oder Miami (Bild: Hispanics in den USA), aber auch in Panama.

Hispanische Bevölkerung in den USA - Bildquelle: YerevenciSpanglish (von mexikanischen Immigranten auch „pocho“ genannt) spricht vor allem die zweite Latino-Generation in den USA, denn die erste kann in der Regel nur Spanisch, und die dritte beherrscht das Englische schon zufriedenstellend. In den USA sind die Latinos mit etwa 31,4 Millionen die heute größte ethnische Minderheit, in der die mexikanischen Latinos (auch „Chicanos“ genannt) wiederum mehr als die Hälfte stellen, gefolgt von, was die Immigranten aus den zentralamerikanischen „Mara-Länder“ betrifft, 2,3 Millionen Salvadorianern, 1,4 Millionen Guatemalteken und einer knappen Million Honduranern. Werden diese wieder nach Zentralamerika ausgewiesen, kann es gut sein, dass sie weder Englisch noch Spanisch beherrschen, sondern eben nur Spanglisch. Insofern überlebt das Spanglish nicht nur über Migration, sondern auch über Remigration. Das schlägt sich natürlich, ja vor allem im Mara-Slang nieder.

Aber das Problem des Ursprungs dieser Mixsprache reicht noch tiefer, denn neben dem bereits an anderer Stelle beschriebenen zentralamerikanischen Ursprung haben die Maras auch einen genuin US-amerikanischen. Beide Ursprünge wirkten bekanntermaßen zusammen: In den USA, in Los Angeles (Bild), entstand zunächst das (anfangs rein mexikanische) Barrio 18. Dieses ist die ältere und größere, inzwischen in starkem Maße von US-Zentralamerikanern jeglicher Couleur konstituierte Mara, und sie wurde dort schon in den 1960er Jahren gegründet, die MS 13 dagegen erst in den 1980er Jahren – als Abspaltung der „18“. Im Barrio 18 – zunächst clika der Clanton Street Throw Away in Los Angeles – waren die Cholos integriert, das heißt Mexikaner, die von den anderen US-Gangs als unzureichend „rein“ abgelehnt worden waren. In die US-amerikanische MS 13 gelangten wiederum nur die US-Salvadorianer, die ihrerseits von der „18“ nicht eingelassen worden waren.

Los Angeles, California - Bildquelle: Joe MabelDie MS 13 gehört in den USA (noch immer) zu den Suren͂o Gangs, mithin den Southern California Hispanic Street Gangs, und ist mit der mexikanischen Mafia Prison Gang assoziiert. La „EME“, wie sie genannt wird, ist auch die Bezeichnung der mexikanischen Mafia, die die MS 13 als eine ihrer Banden inkorporiert hatte. Sie hat sich von einer zuerst hedonistischen Rocker- und Stoner-Gang zur militanten Mara entwickelt. Die Pandilleros aus Northern California hingegen – sie hatten sich 1965 von den Suren͂o Gangs abgespalten – wahrten ihre Loyalität zur anderen mexikanischen Mafia, der Nuestra Familia.

Die Jugendlichen, die in Kalifornien (später auch in Washington D.C., Nashville, New York City oder Houston) in die beiden Maras eintraten, waren also Kinder von mexikanischen und zentralamerikanischen Migranten. In der Reaganschen Asylpolitik wurde ihnen der Flüchtlingsstatus verwehrt. In den USA hofften sie vor allem auf Arbeit. Da die Eltern den Lebensunterhalt verdienen mussten, waren ihre Kinder auf sich alleingestellt und suchten in einer ihnen fremden Welt ihren Halt in Gruppen Gleichgesinnter – den Maras. Selbst wenn sie dort keine Straftaten im engeren Sinne begingen, gelten die zentralamerikanischen Mara-Mitglieder in den USA schon insofern als „Straftäter“, weil sie in das Land illegal „eingereist“ sind. Allein deshalb konnten sie stets problemlos in ihre zentralamerikanische Heimat ausgewiesen werden. Aber auch da waren sie fremd, denn im Zweifel hatten sie, wenn sie Kinder von Migranten waren (also zur bereits erwähnten zweiten Generation von Einwanderern gehörten), nie richtiges Spanisch gelernt. (Bild: territoriale Verteilung der spanischen Sprache in den USA)

Hispanische Bevölkerung in den USA - Bildquelle: Wikimedia CommonsZilberg (2004, 770, 767 und 761) zitiert in diesem Kontext zwei Mareros: Weasel und Bulldog. Weasel sagt von sich, als er in El Salvador angekommen ist: „I feel like a tourist, a permanent one.“ Und: „It was like they were sending me to Mars or something. I hadn’t been to the country for twenty something, twenty two years. And then I come back and I’m completely lost, man.” Ob Mars oder El Salvador – für Weasel ist es dasselbe. Bulldog beschreibt seine Heimatlosigkeit so: „Shit, homes, I’ve never been here. I mean, I know I’m from here, homes, but I’ve never been here.“ (Kursiv H.Z.) Das kursiv gesetzte „homes“ ist Slang und wird im folgenden Text noch erklärt. Aber Bulldogs Aussage ist auch so klar: Er weiß, er ist Salvadorianer, aber sein Land kennt er nicht. Was er kennt, ist – seine Mara.

Am Ende war es also allein die mit den Jugendlichen „mitwandernde“ Diaspora-Gemeinschaft der Mara, die ihnen Schutz, Heimat und Zugehörigkeit in der „verlorenen“ Heimat versprach (Zinecker 2019). Und nur in ihr fanden sie auch den ihnen aus den USA vertrauten Laut: Spanglish. In diesem Sprach-Mix wurde das „hang out“ („mit Freunden herumhängen“) schon einmal zu „jangear“ und aus „watching“ – „guachar“. Der „brother“ mutierte zum „broder“, und aus „to rent“ entwickelte sich die „renta“, dies als Begriff für das aus Erpressung stammende Geld oder für, im Verständnis der Maras, „rechtmäßige Steuern“. „Rentear“ heißt bei den Mareros folglich auch keineswegs „mieten“, sondern „Steuern eintreiben“. Und „feria“ bedeutet nicht etwa „Messe“, sondern „Klein-oder Wechselgeld“, und zwar nach dem englischsprachigen „fare“ (Fahrpreis). Selbst nach einem rein spanischsprachigen Satz ruft der Marero am Ende häufig „men“ (nicht „man“ und erst recht nicht „hombre“) für „Mann“ aus. Im Spanglish wird auch kalkiert (das ist eine Wort-zu-Wort-Übersetzung), zum Beispiel in „llamar p’atrás“ (zurückrufen), und es werden „falsche Freunde“ verwendet, etwa „ganga“ statt „pandilla“ („Bande“).

(Gang)Slang/jerga

Sprache ist ein soziales Phänomen. Sie bildet sich nicht nur in Abhängigkeit von geografischen Variablen (Dialekte) heraus, sondern auch von sozialen. Bei Gangsprachen handelt es sich um Soziolekte, die sich von der Standardsprache unter anderem dadurch unterscheiden, dass sie in der Regel nur innerhalb der jeweiligen Gruppe verwendet werden und oft auch nur in ihr verständlich sind. Slang/jerga ist ein solcher linguistischer Code, der nur von bestimmten sozialen Gruppen als „Binnensprache“ genutzt wird. Manche Autoren setzen Slang und Jargon (gergon-jargon-jerga) gleich, bei anderen wird Jargon breiter gefasst, wenn der „Fachsprech“ von Berufsgruppen ebenfalls einbezogen wird. Jerga unterscheidet sich vom Dialekt wie folgt: Es ist geringer dimensioniert, nicht geographisch bestimmt und auch weniger beständig, sondern dynamisch, wiewohl auch nicht völlig unbeständig. Im Deutschen wird als Äquivalent für „jerga“ „Rotwelsch“, im Französischen „argot“ und in Spanien „Germanía“ gebraucht. Sie alle gelten als „Gaunersprache“, üblich für „Gesindel“ oder „Unterwelt“, aber eben auch für Gangs.

Die Grenze zwischen Alltags- oder auch Jugendsprache und Slang kann verschwimmen. Jerga als Alltagssprache kann, obgleich kein geographisch bestimmter Dialekt, von Land zu Land verschieden sein: „Cabal“ („gewiss“, „bestimmt“) hört man beispielsweise oft und nicht nur von den Mareros in El Salvador. „Cheque“ („Das klingt gut!“) erklingt in Honduras so wie auch „goma“ („hangover“), während „bayunco“ („verrückt“) wieder El Salvador-typisch ist. In El Salvador werden die Kinder gern „cipotes“ genannt, wobei „cipote“ ursprünglich für „dick“ oder „Tollpatsch“ steht. „Puchica“ („verdammt!“) hört man allenthalben in Guatemala und El Salvador. Wovon sich diese Wort ableitet, soll hier dezent verschwiegen werden, aber jeder Spanisch Sprechende wird es wissen …. Und natürlich ist bekannt, dass sich Honduraner „catrachos“, Costa Ricaner „ticos“, Salvadorianer „guanacos“ und Guatemalteken „chapines“ nennen. In ihrer Anrede benutzen sie alle das „Voseo“, also das „Vos“ statt des „tú“ oder „Usted“. (Bild: Verbreitung des Voseo in Lateinamerika)

Hispanische Bevölkerung in den USA - Bildquelle: Marcel MontesIn der Mara-jerga finden wir Vieles auf Spanglish, wenn auch angepasst an den spezifischen Slang: Essentiell dafür ist „homeboy“ oder „homie“ oder „home“ („jombois“, „jomies“), das sich auf ein vertrautes Gesicht aus der Nachbarschaft bezieht, von den Mareros aber als „Gangmitglied“ oder „Gangbruder“ verstanden wird. Der Begriff könnte etwas mit „home“ und „boy“ zu tun haben, vielleicht auch mit dem spanischsprachigen „hombre“. Für „Versammlung“ (Spanisch eigentlich: „reunión“) sagen die Mareros traditionell „mirin“, was eine Verballhornung des englischsprachigen „meeting“ ist. Ein „breikero“ ist, wie man erahnen kann, ein Bandenmitglied mit einer Vorliebe für Break Dance.

Andere Mara-Wörter sind auf den ersten Blick reines Spanisch, bedeuten im Gang-Slang aber etwas anderes als ursprünglich kodifiziert, etwas, was linguistisch auch als „semantische Erweiterung“ bezeichnet werden kann. „Calmarse“ gehört dazu, was „calmar“ („schweigen“) beinhaltet, aber auch „sich beruhigen“ heißt, im Mara-Jargon allerdings für das (allerdings niemals völlige) Verlassen eines Marero seiner früheren Bande steht. „Brincar“, das eigentliche „Springen“ oder „Hüpfen“, wird im Mara-Kontext zu „brincarse“ und für den Aufnahmeritus des „Einander Schlagens“ oder „Mordens“ bzw., bei Frauen, für den „Sex-In“ verwendet. „Cuete“ heißt zwar eigentlich „Fleischscheibe“ oder auch „Rausch“, und als „cohete“ bedeutet es „Rakete“, die aber selbst Mareros nicht abschießen, denn die schießen eher mit „Feuerwaffen“, ob Gewehr oder Pistole. Sprachwissenschaftler nennen den Wandel von „cohete“ zu „cuete(e)“ einen Hiatus, soll heißen, dass hier auf beiden Seiten einer Silbengrenze ein Vokal oder Diphthong dem Konsonanten vorgezogen wird.

Und schließlich sollte man in einer Mara niemals als „rata“ gelten, denn dann wäre man nicht etwa das bekannte Nagetier mit dem unbehaarten Schwanz, sondern ein „Verräter“, einer, der Dinge „ausplaudert“. Und wird für jemanden „luz verde“, also „grünes Licht“, geschaltet, heißt das nicht, dass derjenige nun unproblematisch die Straße überqueren kann, sondern vielmehr, dass er im wahrsten Sinne des Wortes zum Abschuss freigegeben ist. „Peluche“ ist im Übrigen nicht viel besser, denn es bedeutet statt „Plüsch“ – „Entführung“. „Palabrero“ mag wohl etwas leichter zu entschlüsseln sein: Das ist der, der das Wort führt, also der Mara-Chef, auch „Primera Palabra“ genannt. Und wenn von einem „pionero“ die Rede ist, denken Mareros nicht an die Pionierorganisationen sozialistischer Länder – sie meinen schlicht und ergreifend den „pandillero“, mithin das Bandenmitglied. Zuweilen wird dieses aber auch als „cadáver“ bezeichnet, dies, ganz ohne dass es schon vollkommen tot ist. Damit das erst gar nicht geschieht, ruft ein befreundeter Marero womöglich aus: „¡Hacete alka seltzer rapipús … !“ Das heißt auf Deutsch ganz einfach „Renne schnell los!“, und mit dem berühmten Medikament hat das nichts zu tun, sieht man davon ab, dass auch dieses schnell (löslich) ist.

Zwischenfazit

Kurzum, die gesprochene Sprache der Mara ist, anders als etwa „Nadsat“, keine Kunstsprache. „Nadsat“ ist ja eine von Anthony Burguess für einen Roman über eine kriminelle Jugendbande entwickelte Gangsprache, die vor allem durch Stanley Kubricks Film Titel „A Clockwork Orange“ bekannt geworden ist. Diese Sprache beruht auf einem anglisierten russischen Vokabular.

Zwar könnte man nun behaupten, dass die Mara-Sprache insofern ein Pendant zu Nadsat ist, als es auf einem anglisierten spanischen Vokabular (mithin Spanglish) beruht, aber das wäre zu kurz gegriffen: Denn 1) ist sie, wie erwähnt, keine Kunstsprache, sondern wird tagtäglich gesprochen und auch verändert und 2) hat sie mit Caló/Caliche/Nahuatl, Malespín, (weiterem) Gangslang und Spanglish viel mehr Ursprünge als das „Nadsat“. Sprachwissenschaftlich ausgedrückt, beruht die Mara-Sprache auf Entlehnungen wie Neubildungen und bei letzterem auf (beständigeren) Neologismen und nicht auf (gelegentlichen) Okkasionalismen. Kontaminationen (Bildung eines neuen Wortes durch Verschmelzen zweier Wörter, wobei Wortmaterial gelöscht wird), zum Beispiel bei „jomboi“, sind in ihr genauso üblich wie Derivationen (neue Wörter, die durch das Anhängen Präfixen oder Suffixen entstehen), wie etwa „tamalazo“, wobei „tamal“ für „ladrón“ (Dieb) steht, was dann als komplette Derivation „Raub“ bedeutet. Bekannt sind auch „platanazo“ für „schwul“. Ein Schwuler kann aber auch „florista“ – „Blumenverkäufer“ – heißen, wo dann aber keine (linguistische) „Derivation“ stattgefunden hat. Nicht zu vergessen: „Pericazo“ bedeutet nach der Derivation das Schnupfen von Kokain, während der „perico“ in Kolumbien tatsächlich nur Milchkaffee ist, was natürlich nicht heißt, dass das Kokain in diesem Land ein Fremdwort wäre. Vom Kalkieren und den „falschen Freunden“ im Spanglish war schon die Rede.

Damit sind wir nun ausgerüstet, die drei zu Beginn unseres Textes angeführten Zitate authentischer Mara-Sprache so anzugehen, dass wir von ihnen alles verstehen. Kursiv sind in den folgenden spanischsprachigen Textbeispielen die Mara-Slang-Wörter gesetzt, die bisher noch nicht erklärt wurden.

„Desde que era bicho (…) deseaba andar en la frecuencia (…), tener mi ‚aka‘ y pasear en mi cancha (…), viendo a las michas (…) para que admiraran mi bandana (…)“ (kursiv H.Z.),

bedeutet in der Gesamtübersetzung:

„Seitdem ich ein Kind war, wollte ich aktives Mitglied einer Bande sein, einen Alias-Namen tragen, mich auf dem Territorium der Clique meiner Mara vergnügen, die Frauen betrachten, damit sie mein Halstuch bewundern.“

Dabei bedeutet „bicho“ eigentlich „kleines Tier“ oder „Schwanz“, „deseaba andar en la frecuencia“ – „in einer Frequenz zu laufen“, und „micha“ steht für „Mieze“ (das passt ja für „Frau“ ganz gut), „cancha“ ist dasselbe wie „clica“, also eine ein bestimmtes Territorium besetzende Clique.

Dann war da noch das folgende, etwas längere Zitat:

„No es posible tener amistad con otros jombois (…). Es cierto que ellos también han brincado el Barrio (…), pero para nosotros? ¿Los de la MS? Ellos son una cacocha (…). Su respuesta fue ubicar el nombre de pichonas (…). Cuando los veo, aprieto mi borro o cuete porque es cosa de estar listo. En otro caso, siempre tengo mis fierros (…) a la mano por si se debe resolver alguna duda. Siempre están conmigo y lo digo de cora. Como soy chero (…), puedo afirmar que nunca seré un volteado y menos voy a echar rata (…).“ (kursiv H.Z.)

Dieses heißt übersetzt ins Deutsche:

„Man kann keine Freundschaft mit anderen Bandenmitgliedern halten. Es ist richtig, dass sie den Aufnahmeritus in eine Bande bestanden haben, aber doch nicht für uns? Die der Mara Salvatrucha? Die sind doch ‚verdorbener Fisch‘ (Bezeichnung vonseiten der MS für Angehörige des Barrio 18). Seine Antwort war, den Namen ‚Täubchen‘ (Bezeichnung der MS für Angehörige des Barrio 18) zu verorten. Wenn ich die sehe, drücke ich meinen Revolver, und die Sache ist ‚gegessen‘. Ansonsten habe ich auch andere Waffen zur Verfügung, für den Fall, dass irgendein Zweifel aufzulösen ist. Sie sind immer bei mir, und das sage ich von ganzem Herzen. Da ich ein Freund bin, kann ich sagen, dass ich niemals ein Überläufer (in die andere Mara) sein werde, und noch weniger werde ich Dinge ausplaudern.“

Da fällt zuerst das Wort „jomebois“ ins Auge. Das ist leichter zu interpretieren, wenn man die anglisierte Schreibweise „homeboys“ nutzt, was bereits erklärt wurde. „Cacocha“ ist hier mit „verdorbener Fisch“ wiedergegeben worden, vielleicht aber kommt es auch von „caca“ („Kacke“). Na ja, es stinkt ja beides. „Pichonas“ (Täubchen“, auch „Grünschnabel“) sind nur insofern Slang, als sie hier zu stehenden Bezeichnungen für die Angehörigen der anderen Mara geworden sind, und „fierro“ bedeutet zunächst einfach nur „Eisen“, im Mara-Kontext jedoch „Schusseisen“, also „Waffe“. „Chero“ – das ist den Mareros der „Freund“.

Und schließlich heißt das dritte Zitat …

¿Qué húbole? Primera Palabra ordena un cuadro cohetee a una chavala. Hay que preparar una plantilla.“ (kursiv H.Z.)

… auf Deutsch:

„Was geht ab? Der Chef ordnet an, dass ein Kommando ein Mitglied des Barrio 18 erschießen soll. Wir müssen einen Plan erarbeiten.“

¿Qué húbole?“ kann mit „wie geht es?“ übersetzt werden. Dieser Satz repräsentiert keinen spezifischen Mara-Slang, denn das Spanische hat auch ohne dies furchtbar viele Wendungen für diese einfache Frage, die immer am Anfang eines Gesprächs steht. Oft aber reicht dabei nicht diese eine karge Frage, sondern sie „vermehrt sich“ zu ganz vielen davon, die allesamt ohne Pause unmittelbar hintereinander gesprochen werden und die alle dasselbe bedeuten, zum Beispiel so: „¿Quéhubocómoestásquétalquéhashechocómosiguescómovanlascosas“? Keine Angst, das ganze Monstrum bedeutet lediglich (mehrfach) „wie geht es“, wenn auch in verschiedenen Varianten. „Cohetee“ und „chavalo“ sind dem Leser und Leserin nach der bisherigen Lektüre bereits ein Begriff, und für „plantilla“ hat das Wörterbuch alles Mögliche parat, von „Stammpersonal“ bis „Einlegesohle“. Aber selbiges verweist auch auf „Schablone“ oder „Vorlage“. Und wenn „plan“ einfach als „Plan“ übersetzt wird und der Rest des Wortes auf „Schablone/Vorlage“ zurückgehen könnte – liegt „plantilla“ als Diminutiv („Plänchen“) ausgesprochen nahe.

Schriftlich, etwa in Stellungnahmen gegenüber der Regierung, fällt bei den Mareros eine besonders hochtrabende Wortwahl auf. Und was hier textlich natürlich nicht dargestellt werden kann, ist deren typische Sprachmelodie. Ihre Intonation hört sich etwas monoton an und klingt manchmal wie ein „aufgesagtes Gedicht“, eben recht gelangweilt. Zuweilen, wenn Emotionen im Spiel sind, werden die Sätze aber auch energisch herausgepresst. Insgesamt aber scheint es, dass die Mareros so sprechen wie sie gehen: langsam, leicht schwankend. Ihre Sätze enden oft mit „men“, „va“ oder „a vos“. Das hört man schön im Interview mit „El Diabólico“, Chef der Mara Salvatrucha in Guatemala, das sich hinter dem folgenden Link verbirgt:

Allerdings, so dürfte es beim Hören aufgefallen sein, ist das in diesem Video gesprochene Wort im Wesentlichen gut verständlich, weil mit nur wenig Slang vermischt. Aber hier spricht ja auch ein Mara-Chef mit einem ausländischen Medium und kein Marero mit einen homeboy!

Die Zeichensprache

So wZeichensprache - Bildquelle: pixabayie viele andere Gangs bedient sich auch die Mara einer Zeichensprache, in erster Linie, um untereinander über eine Entfernung hinweg und unverständlich für Außenstehende zu kommunizieren oder eben um sich zu identifizieren. Die Zeichensprache als Sprache der Hände, derer sich auch die Gehörlosen als Gebärdensprache bedienen, geht in der illegalen Welt auf die Triaden in China zurück, die sich im Opium-Silber-Handel mit Großbritannien im 18. Jahrhundert hervortaten. Der Begriff „Triade“ rührt von dreieckigen Emblemen her, die die entsprechenden Geheimgesellschaften benutzten. Noch heute werden chinesische Verbrecherbanden als „Triaden“ bezeichnet, die auch ihrerseits Fingercodes nutzen.

Es gibt verschiedene Varianten, eine Zeichensprache zu nutzen: Man kann mit den Händen Symbole oder Buchstaben in die Luft schreiben, für Buchstaben Substitute, etwa Zahlen (die Stelle/Nummer des jeweiligen Buchstaben im Alphabet), nutzen, aber auch „unschuldige“ Handbewegungen vollführen, allein um die Polizei zu irritieren. Doch die kennt die Mara-Zeichensprache längst und präsentiert deren Photos gern auf Powerpoint. Die Maras selbst bezeichnen ihre nonverbale Sprache als „vomitar“ (eigentlich: „erbrechen“), „apilar“ (eigentlich: „stapeln“), „paginar“ (eigentlich: „mit Seitenzahlen versehen“) oder „caminar de pandilla“ (eigentlich: „als Bande gehen“).

In der Zeichensprache der Mara erkennen wir viele Symbole aus ihren Tattoos oder Graffiti wieder: Besonders markant für die Mara Salvatrucha ist die „garra“, die Teufelskralle oder die Teufelshörner, die auch von Rockkonzerten bekannt sind. Sie sollen zum einen, als „garra de la bestia“, die Verbindung zum Satanismus herstellen, zum anderen symbolisieren sie, wenn die Hand umgedreht wird, das „M“ für Mara (hier: Mara Salvatrucha). Für beides werden Zeigefinger und kleiner Finger nach oben gestreckt, Mittel- und Ringfinger nach unten gebeugt und in der Handinnenfläche vom Daumen festgehalten.

„Das“ Barrio 18 hingegen hält beide Hände, jeweils in die andere Richtung gedreht, übereinander, wobei die Daumen einander berühren, um eine arabische „18“ darzustellen, oder aber „es“ hebt den Zeigefinger nach oben und streckt alle anderen Finger, einschließlich des Daumens, nach vorn, auf diese Weise die „XVIII“ mit römischen Ziffern zeigend.

Die folgenden Links stehen für Videos, die die gesprochene, aber auch die Zeichensprache der Maras demonstrieren:

Für die Mara Salvatrucha:

Für das Barrio 18:

Fazit

Zur Mara-Sprache gibt es bislang kaum eine seriös-umfassende Literatur, schon gar keine linguistisch fundierte. Auch in diesem Artikel konnte nur ein erster Zugang zu diesem spannenden Sprachphänomen gelegt werden, nicht mehr. Bei der Mara-Sprache handelt es sich um einen Soziolekt im engsten Sinne, eine Gruppensprache, die mit einem Stigma behaftet ist. Ihre Ursprünge sind aber so vielfältig und so „unsystematisch“ zusammengefügt, dass sich hier dem Soziolinguisten ein weites Feld auftut. Doch auch Anthropologen und andere Mara-Spezialisten sollten sich ihr zuwenden, bevor sie in’s „Feld“ gehen, dort gar teilnehmende Beobachtung versuchen, damit sie auch ganz simpel sprachlich verstehen können, was sie am Ende ideographisch „verstehen“ wollen. Wann und ob Mareros in ihren Interviews „die Wahrheit sagen“, ist für uns Außenstehende ohnehin oft ungewiss, aber die Sprache des Anderen zu sprechen, könnte ein hoffnungsvoller Beginn für „etwas mehr“ Wahrheit sein. Doch Achtung, verfallen wir auch nicht in den entgegengesetzten Irrtum! Merkmale wie Tätowierungen, Graffiti oder Slang und Gebärdensprache reichen niemals aus, eine Person als Marero zu identifizieren, erst recht nicht ihn zu kriminalisieren. Auch Rocker sind tätowiert – außerdem sind Tattoos heute ja ein gängiges modisches Accessoire. Graffiti können höchste Preise auf Kunstauktionen erzielen und müssen überhaupt nichts mit kriminellen Banden zu tun haben. Und schließlich: Auch Gehörlose nutzen eine Gebärdensprache, und Slang trifft man allenthalben an, sogar unter Wissenschaftlern.

 

*Die Autorin freut sich über Kommentare zu allen drei bisherigen Artikeln und kündet mit Freude an, dass in dieser Serie, dann aus anderer Feder, ein weiterer und letzter Aufsatz folgen wird – zur Musik der Mareros. Und sie dankt Laura Waegerle herzlich für ihre Unterstützung.

 

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Literatur:

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Chang Chiu, María Mayley (2017): El lenguaje cotidiano de los alumnos universitarios. Chiapas.

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Garzón Cortés, Natalia (2015): Mara Salvatrucha: Producción y reconfiguración simbólica. Una mirada desde la semiótica. Bogotá.

https://elpais.com/internacional/2019/12/17/america/1576623441_457879.html (Zugriff 24.12.20).

https://www.youtube.com/watch?v=iHRkXmuGqWM&feature=youtu.be (Zugriff 24.12.20).

https://www.youtube.com/watch?v=ql8wiOIq4Gw&feature=youtu.be (Zugriff 24.12.20).

Lemus, Aura (2011): Latinos, hispanos, espan͂ol y espanglish. Las implicaciones políticas de un nombre. In: OpenEdition Journals, No. 4. Unter: https://journals.openedition.org/amerika/2045 (Zugriff 28.12.20).

Martínez D’Aubuisson; Juan José (2015): Ver, oír, callar. Un an͂o con la Mara Salvatrucha 13. Logron͂o.

Ornstein-Galicia, Jacob L. (1987): Chicano Caló: Description and Review of a Border Variety. In: Hispanic Journal of Behavioral Sciences, Vol. 9, No. 4.

Zilberg, Elana (2004): Fools Banished from the Kingdom: Remapping Geographies of Gang Violence between the Americas (Los Angeles and San Salvador). In: American Quarterly, Vol. 56, No. 3.

Zinecker, Heidrun (2014): Gewalt im Frieden. Formen und Ursachen der Gewaltkriminalität in Zentralamerika. Baden-Baden.

Zinecker, Heidrun (2019): The Maras: a Diaspora sui generis? In: De Toro, Alfonso/Tauchnitz, Juliane (eds.): The World in Movement. Performative Identities and Diasporas. Leiden.

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Bildquellen: [1] Jarould_; [2-3] Wikimedia Commons, Public Domain; [4] Yerevanci_; [5] Joe Mabel_; [6] Wikimedia Commons_; [7] Marcel Montes_; [8] Augusto Ordóñez_

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