Es gibt keine sauberen Kriege, aber es gibt Kriege, die wegen ihrer offenkundigen Grausamkeit hervorstechen. Fray Bartolomé de la Casas, Dominikanermönch, geboren in Sevilla (laut Álvaro Huerga, zwischen 1484 und 1485), widmete sein gesamtes literarisches Werk der Anprangerung der Art und Weise, mit der die Kolonisierung Amerikas durchgeführt wurde. Las Casas und viele andere Religiöse, Politiker und gewöhnliche Bürger des Spaniens des XVI. Jahrhunderts verabscheuten die Barbareien, die an den amerikanischen Ureinwohnern im Namen Gottes, des Königs, vor allem aber im Namen der Habgier begangen wurden.
Brevísima Relación de la Destrucción de las Indias (dt.: Kurz gefasster Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder) ist aus dem umfangreichen Werk Las Casas die am weitesten verbreitete und auch die polemischste Schrift. In ihr werden die durch die Indigenen erlittenen Ungerechtigkeiten und Verbrechen während der Conquista und der Kolonisierung Amerikas angeprangert. Die auf 150 Seiten geschilderten Episoden gehen über jeden historischen Kontext hinaus und lassen sich ganz in das Genre der Horrorliteratur einordnen, obwohl es sich um eine „Chronik der Westindischen Länder“ handelt. La Brevísima, wie dieses Büchlein ebenfalls genannt wird, ist ein Text voller Schilderungen, die das Vorstellungsvermögen dessen übersteigt, der sie liest und sich vorzustellen versucht. Haben sich die Geschehnisse, die in La Brevísima, einem Werk, das bald zu einem Angriff auf das spanische Imperium werden sollte, erzählt werden, wirklich so ereignet, oder handelt es sich um Halbwahrheiten und Übertreibungen eines Geistlichen, Verteidiger der Indios, der frustriert war, weil er die ungerechte Dynamik der kolonialen Maschinerie nicht aufhalten konnte?
Das Werk, das am 8. Dezember 1542 in Valencia fertiggestellt und gemeinsam mit sieben weiteren Abhandlungen ein Jahrzehnt später veröffentlicht wurde, ist für Autoren wie José Alcina Franch eines, das nicht als Primärquelle dienen könne, das aber zu einem großen Teil nachweisbare Anschuldigungen enthalte (Alcina 1987 S. 129-131). La Brevísima wird sogar als „Pamphlet” bezeichnet (Huerga 1998 S. 21) und sein Autor als „leidenschaftlicher Mann, … (der) die Zahlen übertreibt und verzerrt und dies bis zu dem Extrem, dass er sogar als paranoid bezeichnet werden kann” (Alcina 1987 S. 129).
Die heftigen Kritiken der Autoren, die dieses und die anderen Werke von Las Casas studiert haben, müssen jedoch ausschließlich im Rahmen der Brevísima gesehen werden. Huerga weist darauf hin, dass „Las Casas nicht jener dieses erdachten und in einem Moment depressiver Krise veröffentlichten Büchleins ist” und fährt fort zu betonen, dass „… De único vacationis modo oder Historia de Indias seine Persönlichkeit besser widerspiegeln…”(Huerga 1998 S. 21). Huerga zögert auf diese Weise nicht, Las Casas als leidenschaftlichen Chronisten und Autor von Referenzwerken über diesen historischen Zeitraum, an deren wissenschaftlichem Wert und empirischer Strenge kein Zweifel besteht, zu verteidigen.
Ob die von Las Casas in La Brevísima verwendeten Angaben mit der Realität der Westindischen Länder des XV. und XVI. Jahrhunderts übereinstimmen, bleibt trotzdem ungeklärt. Um ein Beispiel zu nennen: Alcina glaubt, dass wenn der Dominikanermönch bei den Zahlen und Gründen für die Entvölkerung Amerikas übertreibt, er es nicht in einem so großen Umfang tut, wie andere Biografen manchmal anzudeuten versuchen. Der Autor erklärt, dass man die Gründe für die in den ersten Jahrzehnten der Conquista durch die Westindischen Länder erlittene Entvölkerung nicht, wie Las Casas in der Brevísima zu verstehen gibt, allein der Militäraktion zuschreiben kann. Vielmehr beschleunigten Krankheiten sowie die Zerstörung der sozialen und wirtschaftlichen Struktur der indigenen Gemeinschaften die Ereignisse in einem viel größeren Ausmaß (Alcina 1987 S.130). Folglich war die direkte Gewalt nicht die Hauptursache für das Verschwinden ganzer Populationen, sondern Teil eines größeren und nicht weniger wilden Zerstörungsprozesses, verursacht durch die Art, in der die Kolonisierung Amerikas durchgeführt wurde.
Huerga wirft dem berühmtesten Werk des Verteidigers der Indios ein komplettes Fehlen dokumentarischer Quellen vor, denn das Buch erwähnt keinerlei bibliografische Referenzen, die dabei helfen könnten, die berichteten Ereignisse zu untermauern. Des Weiteren nennt er keine Namen der Konquistadoren, welche die von ihm geschilderten Gemetzel begehen, sondern beschränkt sich darauf, die Ereignisse in anonymer Weise anzuprangern:
„Auf dieser Insel befand sich ein königlicher Beamter, dem man dreihundert Indios als repartimiento gab, und nach drei Monaten hatte er durch die Arbeit in den Bergwerken zweihundertsiebzig von ihnen umgebracht; so blieben ihm denn von allen nur dreißig übrig, also ein Zehntel. Dann gab man ihm noch einmal soviel und mehr, und er brachte auch diese um, und man gab ihm weitere, die er ebenso umbrachte, bis er selbst starb und der Teufel seine Seele holte.“ (Las Casas S. 41)
Es braucht jedoch keine umfangreiche Bibliografie, um zu beweisen, dass viele der von Las Casas in La Brevísima gemachten schwerwiegenden Behauptungen richtig waren. Der Verteidiger der Indigenen berichtet in seinem am heftigsten kritisierten Werk, dass sie im Jahr 1525 ohne das Eingreifen der Mönche und der Real Audiencia, dem höchsten Justizorgan Kastiliens, „Neuspanien innerhalb von zwei Jahren so zugerichtet hätten, wie die Insel Española heute aussieht“ (Las Casas S. 79). Española, wie Las Casas klagt, mangelte es derart an indios, dass der Dominikanermönch an anderer Stelle des Buchs berichtet: „An jener ganzen Küste, die sehr dicht besiedelt war, hat man mehr als zwei Millionen Menschen geraubt und auf die Inseln Española und San Juan verschleppt; und man hat sie auf den genannten Inseln alle umgebracht, weil man sie in die Bergwerke steckte und zu anderen Arbeiten zwang, und sie kamen noch zu der zahlreichen Volksmenge hinzu, die es auf diesen Inseln, wie wir weiter oben sagten, gegeben hat” (Las Casas S. 109). Auf diese Weise belegt Las Casas wie, nachdem nur 30 Jahre nach ihrer Entdeckung praktisch die gesamte Urbevölkerung der erwähnten Inseln ausgelöscht worden war, Indigene vom Festland entführt wurden, um die Produktion in den Minen und in anderen Bereichen aufrecht zu erhalten.
An seinem Lebensabend schreibt Bartolomé de Las Casas an den Indienrat, das mit den Angelegenheiten in Amerika beauftragte Verwaltungsorgan, und fasst die Forderungen, die er sein ganzes Leben lang gestellt hat, in acht Punkten zusammen:
- Sämtliche Conquistas waren sehr ungerecht, wie von Despoten durchgeführt.
- Alle Königreiche und Güter der Westindischen Länder wurden widerrechtlich angeeignet.
- Die encomienda war eine ungerechte und schädliche Einrichtung.
- Sowohl diejenigen, welche die encomiendas verteilten, als auch die, welche sie erhielten, versündigten sich tödlich.
- Der König hat, um jene Conquistas und die Besteuerung der encomiendas zu rechtfertigen, nichts anderes getan, als die Kriege und Räubereien zu rechtfertigen, welche die Türken an den Christen begehen.
- Falls jene, die diese Schätze geraubt haben, sie nicht an ihre wahren Eigentümer zurückgeben, werden sie sich nicht retten können.
- Die amerikanischen Ureinwohner haben jedes Recht, welches bis zum Tag des Jüngsten Gerichts andauern wird, uns den Kampf anzusagen und uns von der Erde auszulöschen. (Alcina 1987 S.13)
Von einem normalen spanischen Kolonisten, als der Las Casas 1502 nach Amerika gekommen war, wurde er zu einem Dominikanermönch, der die Ungerechtigkeiten,welche den Ureinwohnern zugefügt wurden, am heftigsten anprangerte. In seinen ersten Jahren in Amerika als encomendero auf Kuba und Española lebend, ging er später dazu über, unermüdlich die Barbareien anzuprangern, die von den Kolonisten auf den Westindischen Ländern begangen wurden. Zunächst einer unter vielen Personen in der Zerstörungsmaschinerie der Kolonie wandelte er sich zu einer Stimme, welche die Könige und encomenderos vor der ewigen Hölle warnte, die sie für die Ungerechtigkeiten, die sie an den Indigenen verübten, erwartete (Brevísma 1985 S. 83).
Bartolomé de las Casas war Zeuge und Chronist einer der strahlendsten Epochen der Menschheitsgeschichte, in der sich ein der Welt bis dahin unbekannter Kontinent vor den staunenden Augen der spanischen Abenteurer auftat. Aber Las Casas musste ebenfalls im Laufe seines gesamten literarischen Werkes, und insbesondere in La Brevísima, erleben und berichten, wie die Ureinwohner Amerikas misshandelt, ausgebeutet, getäuscht, verraten und in großem Stile ermordet wurden, mit einer Normalität und Finesse, die man sich schwer vorstellen kann und die sehr schmerzlich ist. Bartolomé de las Casas ist Zeuge der ersten Jahrzehnte der Eroberung Amerikas und seine persönliche Geschichte ist die eines Mannes, der, auch wenn er nicht der einzige unter seinen Landsleuten war, so doch derjenige war, der seine Stimme zur Verteidigung der Indigenen am lautesten erhob.
Sein Kurz gefasster Bericht über die Verwüstung der Westindischen Länder ist ein Buch, das man lesen muss, um sich eine Vorstellung von dem Ausmaß des Dramas machen zu können, das die Kolonisierung der Neuen Welt darstellte. Der Leser wird jedoch auf seine dokumentarischen Grenzen und eventuelle Übertreibungen aufmerksam gemacht. Es mag sein, dass La Brevísima für viele Autoren fast ein Werk der Fiktion ist, aber selbst in diesem Fall basiert die Geschichte, die erzählt wird, auf sehr realen Fakten.
Bibliografie:
- Las Casas de, Bartolomé. Brevísima relación de la destrucción de las Indias. Editorial Sarpe. Madrid 1985.
- Alcina Franch, José. Protagonistas de América, Bartolomé de Las Casas. Historia 16. Madrid 1986.
- Huerga, Álvaro. Fray Bartolomé de las Casas, Obras completas. Tomo 1 Vida y Obras. Alianza Editorial. Madrid 1998.
Die deutschen Textpassagen sind dem folgenden Werk entnommen: Las Casas de, Bartolomé. Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder. Insel Verlag. Frankfurt am Main und Leipzig 2006.
Übersetzung aus dem Spanischen: Monika Grabow
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