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El Sicario – Der Auftragskiller, Zimmer 164

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

„Ich wollte nützlich sein“

El Sicario - Der Auftragskiller, Zimmer 164. Snapshot: ArteDa sitzt ein Typ in einem Motelzimmer vor der Kamera und erzählt aus seinem Leben. Er beginnt damit, dass er genau in diesem Zimmer mit der Nummer 164, in dem er sich jetzt befindet, mit Kollegen einmal einen entführten Mann gefoltert hat. Irgendwann hätten sie diesen Mann dann an andere übergeben, er weiß nicht genau, was dann mit ihm passiert sei. Aber er könne es sich denken; die meisten werden getötet. Der Mann, der da – den Kopf mit einem schwarzen schleierartigen Tuch verhüllt – 20 Jahre seines Lebens Revue passieren lässt, war Auftragsmörder eines Drogenkartells aus dem nordmexikanischen Ciudad Juárez. Er ist seit seinem Ausstieg vor drei Jahren auf der Flucht, und packt jetzt aus; offen, schonungslos und fast ohne Emotionen. Man gewinnt irgendwie den Eindruck, als würde er es genießen, vor der Kamera, im Mittelpunkt zu stehen. „Bewaffnet“ mit einem Heft und einem dicken Filzstift illustriert er seinen Bericht. Dieses Malen und Schreiben ist wie eine Krücke, an der er sich festhalten kann – eine wirkliche Funktion haben diese Illustrationen nicht. Wenn er von einem Observierungswagen erzählt, dann zeichnet er ein Auto, ein „sicheres Haus“ erscheint als Kasten. Der Zuschauer sieht nicht immer genau, was da gezeichnet oder geschrieben wird, er muss das auch nicht, er hört den Bericht.

Irgendwann geht el sicario zum Spielen über: Er spielt vor, wie das Entführungsopfer geschlagen, in der Wanne unter Wasser getaucht wird oder wie er selbst mit dem jefe telefoniert. Diese Szenen wirken grotesk, auch wenn der Zuschauer begreift, das der Exmörder das braucht – und sei es auch nur zur Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung. Das Problem ist, dass das, was dieser vermummte Mann erzählt und spielt, alles andere als grotesk ist. Er berichtet von unglaublich grausamen Folterungen, Massenmorden, Vergewaltigungen, und darüber, wie die gesamte mexikanische Gesellschaft von den Drogenkartellen korrumpiert wurde und wird. Damit erzählt er nichts wirklich Neues, man weiß das alles bereits. Doch der Auftragskiller gibt den Zahlen eine Realität jenseits der Medienberichte, und das auch noch von Seiten eines Täters. Er zeigt, wie normal das Morden für Männer wie ihn sein kann, wie gewöhnlich und unspektakulär. Deutlich wird auch, dass dieses „normale“ oder, wie er es einmal nennt, „gerechtfertigte“ Töten und Entführen ohne die Unterstützung von Polizei und Politik nicht funktionieren kann.

Seine Geschichte wirkt wie aus einem Bilderbuch über Drogenhändler. Bereits als Schüler wurde er von dem Kartell angeworben, mit den üblichen Mitteln: Autos, Mädchen, teure Klamotten, Alkohol, Drogen. Er genoss dieses Leben, schließlich war er jetzt wer. Und er wollte nützlich sein, seinem jefe dienen. Bedingungslos. Später wurde er, auf Empfehlung, in die Polizeiakademie aufgenommen, obwohl er die meisten Voraussetzungen nicht erfüllte: Er war zu jung, unverheiratet, hatte seinen Militärdienst noch nicht abgeleistet und er nahm Drogen. Die Kartelle rekrutieren ihre Leute nicht nur in den Ausbildungsstätten von Polizei und Militär, sie schicken sie auch gezielt dorthin. Die Ausbildung dort ist gut, und auf diese Weise sichert man auch den Einfluss in diesen Institutionen.

Irgendwann ertrug der Mörder sein Leben nicht mehr, er hatte Albträume und erschrak vor seiner Aggressivität; allerdings erst, als diese sich gegen die eigene Familie richtete. Also stieg er aus. Vielleicht gelang ihm das nur, weil er schon so lange dabei war und bestens weiß, wie die Kartelle mit Abtrünnigen verfahren. Auf seinen Kopf ist ein Preis ausgesetzt, er und seine Familie sind ständig auf der Flucht. Inzwischen dient el sicario übrigens einem anderen jefe; er fand zu Gott, offensichtlich bei einer evangelikalen Sekte. Mit seinen unzähligen Opfern scheint er bis heute nicht allzu viel Mitgefühl zu haben.

Der Auftragskiller – Zimmer 164. Regie: Gianfranco Rosi. arte, 21. November 2010.

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