Was haben María Cecilia Barbetta (Schriftstellerin), Ciro Capellari (Filmemacher), Ernesto Garzón Valdés (Philosoph, Ex-Diplomat), Marta Kapustin (Psychoanalytikerin, Schriftstellerin), Nidia Palacios (Opernsängerin), César Lozano (Maler), María Marta Colusi (Tänzerin, Choreographin), Andrés Wertheim (Fotograf), Fabiana Jarma (Tänzerin, Tanzlehrerin), Carmen Piazzini (Pianistin), Osvaldo Bayer (Schriftsteller, Journalist), Miguel Rothschild (Bildhauer), Gabriel Sala (Tänzer) und Jeanine Meerapfel (Filmemacherin) gemeinsam? Sie wurden alle in Argentinien geboren und leben heute – zumindest zeitweise – in Deutschland. Die Cellistin Sol Gabetta lebt in der Schweiz und der Schlagersänger Semino Rossi in Österreich.
Damit vereint das Buch „Zwei Kontinente – ein Leben“ Begegnungen mit 16 Künstlern und Intellektuellen aus Argentinien, die es ins deutschsprachige Europa verschlagen hat. Die Spanierin Yolanda Prieto und die deutsche Journalistin Sabine Keller haben die Protagonisten getroffen und befragt. Ein Teil der Interviews erschien bereits in der deutsch-argentinischen Zeitschrift „La Guía de Frankfurt/RheinMain“, die von dem (ebenfalls in Deutschland lebenden) Argentinier Claudio Blasco herausgegeben wird. Blasco fungierte auch als Herausgeber dieses Bandes. Bei 16 Künstlern und Intellektuellen ist die große Bandbreite der dargestellten „Leben“ nicht verwunderlich. Die ältesten der Protagonisten (Garzón Valdés, Bayer) sind Mitte 80, Sol Gabetta – die Jüngste – wurde 1981 geboren. So unterschiedlich wie die Generationen sind auch die Gründe, weshalb Europa zum Lebensmittelpunkt wurde – die Ausbildung, der Beruf, die Liebe und die Politik.
Ernesto Garzón Valdés hatte als Philosoph Deutsch gelernt, was man, wie er einschätzt, seinerzeit in dieser Profession unbedingt beherrschen musste. Als er von den Peronisten Ende der 1950er Jahre aus Beruf und Ämtern gedrängt wurde, verließ er Argentinien und ging nach Deutschland. Gabetta kam bereits als Kind in die Schweiz, die begabte Cellistin studierte in Basel. Der Ausbildung wegen kamen auch andere der vorgestellten Intellektuellen und Künstler nach Deutschland – jedenfalls letztendlich; so Carmen Piazzini oder Janine Meerapfel. Andere verschlug es irgendwie nach Europa.
Man merkt dem Band an, dass die Interviews, zumindest zum Teil, für eine Zeitschrift entstanden sind. 16 Interviews auf 113 Seiten, zweisprachig, in einer recht raumgreifenden Schrift. Dazu zahlreiche Fotos. Da ist nicht allzu viel Platz, sich tiefer mit den Gesprächspartnern zu beschäftigen. Für eine Zeitschrift ist das sicher völlig ausreichend, für ein Buch erscheint mir das jedoch zu wenig. Die Interviews sind in ihrer Qualität sehr unterschiedlich, was sicher auch an den Befragten liegt. Semino Rossi schwätzt vermutlich immer so herum, das gehört wohl auch zu seinem Image. Von und über Ernesto Garzón (um nur einen zu nennen) hätte ich dagegen gerne noch mehr erfahren. Das Material scheint ja da zu sein, darauf verweisen die Erläuterungen der Autorinnen, die in die Interviews eingefügt wurden, wohl um selbige nicht zu lang werden zu lassen. Diese Einschübe empfand ich zum Teil als eher verwirrend, da sich nicht immer sofort erschloss, ob gerade die Meinung der Interviewerin oder der/des Interviewten wiedergegeben wird. Die Vielfalt der Lebensverläufe, die das Buch vorstellt und die aufgrund der Geschichte Argentiniens noch eine besondere Komponente haben, ist damit nicht im möglichen Umfang genutzt worden, es wurde m.E. einfach zu früh aufgehört zu fragen. Ich persönlich hätte mir, bei allen vorgestellten Künstlern und Intellektuellen die Frage „Wer ist …“ gewünscht, schon weil der ‚Zwang’, sich selbst möglichst kurz zu charakterisieren, sehr interessante Ergebnisse zeitigte. Meisten jedenfalls.
Zum Schluss sei hier noch auf die Fotos von Milton Arías verwiesen. Der kolumbianische Fotograf hat nicht alle Gesprächspartner abgelichtet, aber doch die meisten. Er vermochte es hervorragend, die Protagonisten zu charakterisieren, ohne diese Bilder würde dem Band wirklich sehr viel fehlen. Dass man seinen Namen nur unter den Bildnachweisen, findet, ist m.E. auf jeden Fall kritikwürdig.
Zwei Kontinente – Ein Leben, 2010 erschienen bei Brandes & Apsel.