Stehle nicht, lüge nicht, faulenze nicht! – Nach diesen Prinzipien, welche den Moralvorstellungen der andinen Aymara-Kultur entstammen, lebt und handelt Evo Morales, der erste indigene Präsident Boliviens. Vor dem Hintergrund der indigenen Herkunft (sowohl des Autors als auch von Morales – Anm. d. Verf.) hat Muruchi Poma eine recht unterhaltsame Biografie über den Aymara, Cocalero und aktuell obersten „Häuptling“ des Landes vorgelegt. Diese ist im März 2007, nach gerade einmal einjähriger Amtszeit von Morales, im Leipziger Militzke Verlag erschienen. Immer wieder wird nach dem Sinn einer Biografie über Personen, welche noch kein „Alter der Weisheit“ erreicht haben, gefragt, allerdings kann Evo Morales mit 49 Jahren, trotz des offenen Ergebnisses seines Vorhabens der Staatsumbildung Boliviens, bereits auf ein erzählenswertes Leben und eine beachtliche politische Karriere zurückblicken.
Der Autor, selbst ein Aymara, hat zu DDR-Zeiten Wirtschaftswissenschaften in Leipzig studiert, lebt und arbeitet auch dort. Das Buch, welches vom persönlichen und politischen Werdegang von Morales als rotem Faden durchzogen wird, ist nebenher ein wahrer Informationsquell zu den Lebensbedingungen der Indígenas, kulturellen Traditionen und Bräuchen der Aymara, dem Kokaanbau und seiner traditionellen Verwendung. Mit vielen Bildern und etlichen Schautafeln werden dem Leser nützliche, teils aber auch weniger relevante Informationen vermittelt. Im Anhang befindet sich sogar ein Glossar der verwendeten Begriffe aus den beiden indigenen Sprachen Quechua und Aymara.
Im Vergleich zu anderen Biografien von politischen Persönlichkeiten der Gegenwart (etwa die Chávez-Biografie von C. Twickel) besticht Muruchí Pomas Buch nicht so sehr durch eine tiefschürfende (politische) Analyse, dafür zeichnet er aber ein gut nachvollziehbares Portrait des von ihm augenscheinlich sehr verehrten Evo Morales, dessen oftmals inkorrekt abgebildeten Fähigkeiten und Ansichten in der heimischen und ausländischen Presse er wohl auch ein wenig zu korrigieren gedenkt. Das Anliegen, Morales’ politische Richtung zu vermitteln, welches als Kritik an seiner oft oberflächlichen Verortung als Sozialist gedacht ist, gelingt aber nicht unbedingt überzeugend, selbst wenn der Autor im Buch durchgehend versucht, die für den Indígena prägenden Moralvorstellungen, Ereignisse und Persönlichkeiten darzustellen. Eine tiefere Auslotung seiner ideologischen Vorbilder und Mentoren oder auch die Beziehung zu anderen Politikern Lateinamerikas, etwa zu Hugo Chávez, wäre wünschenswert gewesen.
Wie auch in zahlreichen anderen Rezensionen über das Buch bereits bemerkt, hat Poma seine Stärken in der gut verständlichen Illustration politischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge Boliviens. So ist etwa die Schilderung der Herausbildung der Partei des MAS-ISPS, unter anderem aus den gewerkschaftlichen Organisationen der Koka-Bauern des Chapare, ansprechend dargelegt. Im Bezug auf Morales’ Rolle als Gewerkschaftsführer vermag es Poma aber nicht, dessen Macht und Einfluss klarzumachen. So wie das ganze Buch den Eindruck einer quasi zufälligen Hinführung von Morales zu seiner Bestimmung vermittelt, ist seine Figur im politischen Geschehen Boliviens – wie etwa die Beziehung und Diskrepanz zu dem Indianisten Felipe Quispe – aber nicht ausreichend beleuchtet.
Nebenher wird im Buch, zumindest ansatzweise, die neoliberale Politik der vorangegangenen Regierungen Boliviens, welche zu Privatisierungen im Bergbau und im Rohstoffsektor geführt und aufgrund von Massenentlassungen auch zum Anstieg des lukrativen Kokaanbaus beigetragen hat, geschildert. Ein weiterer damit im Zusammenhang stehender Strang des Buches, ist die Schilderung des für Lateinamerika prägenden Einflusses der US-amerikanischen Politik. Diese hat im Rahmen ihres Anti-Drogen-Kampfes und im Zusammenspiel mit den bisherigen bolivianischen Regierungen, die Kokapflanzungen im Chapare vernichten lassen, um die potentiellen Quellen der Kokaingewinnung zu beseitigen, und dadurch die Lebensgrundlage vieler Cocaleros zerstört. Nicht von ungefähr erwähnt Poma den Seitenhieb von Morales auf einen US-Diplomaten, dem er die heimliche Regentschaft Boliviens unterstellt und ihn sogar zum TV-Duell herausgefordert hat.
Die unkritische Sichtweise des Autors in Bezug auf die Person Evo Morales, mangelnde analytische Schärfe und eine, für zum Thema bereits informierte Leser, zu oberflächliche oder ausgeblendete Darstellung von politischen und geschichtlichen Hintergründen sind die wichtigsten Kritikpunkte an der Biografie. Diese Unterkomplexität, zumindest für ein akademisches Publikum, fällt aber nicht so sehr ins Gewicht, da das Buch originär nicht direkt auf jene Zielgruppe abzielt; mit seiner Sprache und Aufmachung will es vielmehr eine breitere Leserschaft ansprechen und kann durchaus mit den umfangreichen kulturellen Informationen punkten.
Die eingefügten Bilder sind thematisch passend zu den jeweiligen Absätzen, aber auch vom Motiv her, gut gewählt und sorgen für eine Auflockerung des Textes. Besonders die Farbfotos im Anhang bestechen durch eine gute Qualität. Allerdings geben die Bildunterschriften teilweise zu wenig preis und wirken manchmal etwas einfältig in ihrer Aussage. Die Übersetzung von Erik Engelhardt wirkt stellenweise etwas hölzern, nüchtern, zum Teil gar einfach und hätte, bei besserer Ausführung, der Biografie wesentlich mehr Schliff verleihen können.
Als Fazit kann festgehalten werden, dass das Buch optisch sehr ansprechend daherkommt, eine Menge an Informationen bietet, aber bei Inhalt und Stil (zumindest in der Übersetzung) und in der unkritischen Distanz zu seinem Objekt einige Abstriche hinnehmen muss.
Muruchi Poma
Evo Morales – Die Biografie. Militzke Verlag. Leipzig 2007
ISBN 378-3-86189-772-9