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Tigua – Naive indianische Malerei aus Ecuador

Rainer Simon | | Artikel drucken
Lesedauer: 3 Minuten

Es begann mit Alexander von Humboldt. Sein Leben stand im Mittelpunkt des Spielfilms „Die Besteigung des Chimborazo“, den ich 1988 in Ecuador drehte. Wir arbeiteten zusammen mit Filmemachern von ASOCINE aus Quito und mit Indígenas aus Dörfern am Chimborazo, lebten mit ihnen, drehten gemeinsam in über 5 000 Meter Höhe.

An der touristenträchtigen Avenida Amazonas in Quito liegt das Hotel „Colón“, neben seinem Eingang sah ich zum ersten Mal die naiven bunten Bilder aus Tigua. Hochland-Indianer boten sie an, wo Touristen zu erwarten waren, vor Hotels und Restaurants, an Straßenecken und in Parks. Abgebildet waren ebensolche Indianer in bunten Ponchos vor strahlend weißen, mit braunem Punagras gedeckten Häuschen, auf Märkten, bei der Feldarbeit, mit ihren Tieren: Lamas, Schafen, Eseln. Man sah die traditionellen Feste mit Tänzern und Musikanten in prächtigen Kostümen und Masken. Hinter terassenartig angelegten Feldern, umsäumt von blühenden Phantasie-Gewächsen, erhoben sich Berge, über denen der Kondor schwebte, und über allem thronte der schneebedeckte Vulkan Cotopaxi. Die Komposition der Bilder war flächenhaft dekorativ, die Perspektive wurde nicht beherrscht, Vorder- und Hintergrund standen gleichberechtigt nebeneinander. Menschliche oder tierische Bewegungsabläufe waren unterschiedlich gemeistert. Bei den Farben fiel der Kontrast zwischen den dunklen Tönen der Erde, der Felder zu den hellen, idealisiert bunten Darstellungen von Menschen und Tieren auf. Die Bilder waren auf Schafsleder gemalt, die Rahmen meist mit Ornamenten verziert.

Als ich von den Dreharbeiten zurückflog, hatte ich auch ein paar Bilder der Indígena-Maler aus Tigua im Gepäck. Nach der Arbeit mit den Indígenas vom Chimborazo verstand ich sie als naiven Ausdruck gegenständlichen indianischen Weltsehens, das ganz erstaunlich seinen Eigenwert behauptete gegenüber dem kommerziellen Zweck, zu dem gemalt wurde. Im September 1992 reiste ich wieder nach Ecuador und kam mit den Malern ins Gespräch. Ich traf sie sonntags im Ejido-Park von Quito, wo sie neben professionellen Malern, neben den Webern aus Otavalo und Kunsthandwerkern aus allen Teilen des Landes ihre Ware anboten. Im Laufe der Jahre haben sich persönliche Handschriften entwickelt, in vielen Bildern werden Geschichten erzählt, das erzählerische Moment ist geschickt verbunden mit dem dekorativen. Der Pinsel ist feiner geworden. Immer mehr Maler beginnen die Farben zu mischen.

Weiterhin herrscht die flächige Darstellung vor, die nur in Ausnahmefällen eine perspektivische Verkürzung kennt und jedem Bildelement die gleiche Genauigkeit zukommen lässt. Eine Hierarchie der Bildelemente wird durch die Größe der Abbildung geschaffen, so sind z.B. die rituellen Tänzer, die Schamanen und auch christliche Heilige oft größer dargestellt. Das klare Licht ohne Luftperspektive aber entspricht dem Licht der Anden, in dem man selbst in der Großstadt Quito auf viele Kilometer jedes Details erkennen kann. (…)

In den Bildern lebt nach 501 Jahren die alte animistisch-schamanistische Religion weiter. Die Gegenwart ist, getreu der vorkolumbianischen Kosmologie, dargestellt als Teil des Vergangenen und als Schritt in die Zukunft. Trotz Völkermord und Religionskriegen haben die Indianer ihre Weltsicht bewahrt. Die Bilder von Tigua drücken dies aus in ihrer Einheit von Realität und Traum, in ihrer Fröhlichkeit, in ihrem Glauben an das Magische und ihrem Respekt vor Mensch, Tier und Pflanze, in allererster Linie aber vor Pachamama, der Mutter Erde. Jeder Indianer weiß, das sie unser höchstes Gut ist.

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