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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Rede von Rigoberta Menchú Tum anläßlich der Verleihung des Friedensnobelpreise 1992

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Lesedauer: 4 Minuten

„Ehrenwerte Herren des Friedensnobelpreiskomitees, Eure Majestäten Königin und König von Norwegen, Eure Exzellenz Frau Premierministerin, Mitglieder des Diplomatischen Corps, Sehr geehrte guatemaltekische Landsleute, meine Damen und Herren.

Die Verleihung des Friedensnobelpreises 1992 hat mich tief bewegt und mit Stolz erfüllt. Persönliche Gefühle und Stolz auf die tausendjährige Kultur meines Vaterlandes, auf die Werte der Gemeinschaft des Volkes, dem ich angehöre, auf die Liebe zu meiner Erde, zur Mutter Natur. Wer diese Beziehungen versteht, achtet das Leben und den Kampf, der für diese Werte geführt wird. (…)

Der Preis stellt ohne jeden Zweifel ein Zeichen der Hoffnung für die Kämpfe der indigenen Völker des gesamten Kontinentes dar. Er ist auch eine Ehrung für die Völker Mittelamerikas, die noch immer auf der Suche nach innerer Stabilität sind, nach der Gestaltung ihrer Zukunft und dem Weg ihrer Entwicklung und Integration, auf der Grundlage einer zivilen Demokratie und der gegenseitigen Achtung. (…)

Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, einige Worte über mein Land und die Maya-Kultur zu sagen. Die Mayavölker entwickelten sich, geographisch gesehen, in einer Ausdehnung von 300 000 km . Sie bewohnten Gebiete in Südmexiko, Belice, Guatemala und El Salvador und entwickelten eine sehr hohe Kultur auf den Gebieten der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Organisation. (…) Die Mayas entdeckten die mathematische Kategorie NULL, fast zur gleichen Zeit, da sie in Indien entdeckt wurde und danach zu den Arabern gelangte. Die auf mathematischen Berechnungen und wissenschaftlichen Beobachtungen basierenden astronomischen Vorhersagen sind noch heute erstaunlich. Sie entwickelten einen genaueren Kalender als es der gregorianische ist, und auf dem Gebiet der Medizin praktizierten sie z.B. auch chirurgische Schädeloperationen. Wer könnte voraussagen, welche anderen großen wissenschaftlichen Errungenschaften und welchen Stand der Entwicklung diese Völker erreicht hätten, wenn sie nicht durch Blut und Feuer erobert worden wären, Opfer eines Völkermordes, der in 500 Jahren 50 Millionen Menschen betraf. (…) Die Besonderheit der Visionen der indigenen Völker äußert sich in den Formen ihrer Beziehungen. Dies sind erstens Beziehungen gemeinschaftlicher Art zwischen menschlichen Wesen, und zweitens die Verbindung zur Erde. Die Erde ist unsere Mutter, sie gab uns das Leben und ist nicht nur eine Ware. Drittens gibt es eine enge Beziehung zur Natur, denn wir sind Teil von ihr und nicht ihre Besitzer. Die Mutter Erde ist für uns nicht nur eine wirtschaftliche Quelle, die uns den Mais spendet, der unser Leben ist, sondern schenkt so viele Sachen, welche von den Privilegierten von heute eifrig erstrebt werden. Die Erde ist Wurzel und Quelle unserer Kultur. Sie bewahrt unsere Erinnerung, sie bettet unsere Vorfahren.

Die Erde fordert für so vieles auch von uns, dass wir sie ehren und ihr mit Zärtlichkeit und Achtung die Wohltat angedeihen lassen, die sie uns angedeihen lässt. Wir müssen die Mutter Erde pflegen und beschützen, damit unsere Kinder und Enkel weiterhin ihre Wohltaten nutzen können. Wenn die Welt jetzt nicht lernt, die Natur zu achten, welche Zukunft werden die neuen Generationen haben? (…)

Meine Damen und Herren, einige offene Worte über mein Land. Die Aufmerksamkeit, die sich durch die Verleihung des Friedensnobelpreises auf Guatemala konzentriert, muss es möglich machen, dass auf internationaler Ebene die Nichtbeachtung der Menschenrechtsverletzungen aufhört und dass all jene geehrt werden, die kämpfend für die soziale Gleichheit und die Gerechtigkeit in meinem Land starben. (…) Das politische Leben in meinem Land suchte in der letzten Zeit nach einer politischen Lösung

der gesamtgesellschaftlichen Krise und des bewaffneten Konfliktes, mit dem Guatemala seit 1962 lebt. (…) Der Aufbau demokratischer Verhältnisse ist notwendig. Es ist erforderlich, dass die Menschenrechte in ihrer gesamten Skala verwirklicht werden: der Rassismus muss beendet und die Organisations- und Bewegungsfreiheit aller öffentlichen Bereiche der Bevölkerung muss gewährleistet werden. Letzten Endes ist es unumgänglich, eine multikulturelle Gesellschaft mit allen ihren Rechten zu gestalten, das Land zu entmilitarisieren und die Basis seiner Entwicklung zu schaffen, die Rückständigkeit und das Elend, in welchem wir gegenwärtig leben, zu beenden. (…) Ohne Zweifel wird es ein komplexer und langandauernder Prozess sein, aber er ist keine Utopie und wir Indígenas haben jetzt Vertrauen in seine Verwirklichung, vor allem da, wir uns nach Frieden sehnen. (…)

Um alle ladinischen, schwarzen und indigenen Nuancen des guatemaltekischen Mosaikes zusammenzufügen, müssen wir, ohne in Widerspruch zu geraten, eine Vielzahl von Farben verflechten, ohne dass sie grotesk und antagonistisch sind, ihnen Glanz geben und eine höhere Qualität, so wie sie unsere Künstler weben können – einen genialen huipil, eine Gabe an die Menschheit. Vielen Dank.“

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