Vom 8. bis 11. März 2001 fand in Leipzig der 13. Deutsche Hispanistentag statt. Die diesjährige Tagung schien vor allem auf der Suche nach einer zeitgemäßen und richtungsweisenden Selbstdefinition. Worin besteht die wissenschaftliche Aufgabe der Hispanistik im Zeichen von Postmoderne und Globalisierung? Was kann und muß sie in der Zukunft leisten? Bereits während der Eröffnung wurde deutlich, daß nach dem Abschied vom Universalromanisten auch das Berufsbild des Hispanisten einen tiefgreifenden Wandel erlebt. Hispanisten sollten sich längst nicht mehr nur als Philologen, sondern auch als Kultur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler verstehen. Dieser Anspruch bleibt jedoch ein Postulat, solange die disziplinären und methodischen Grenzen in der universitären Realität keine Revision erfahren. Einen wichtigen Schritt zur interdisziplinären Zusammenarbeit stellt sicherlich die Gründung des Lateinamerikazentrums der Universität Leipzig dar, auch wenn sich dessen öffentliche Darstellung bisher leider auf einige kulturtheoretische Definitionsversuche von Hybridität beschränkte. Der Eröffnungsvortrag des renommierten Kulturtheoretikers und Autors von „Hybrid Cultures“, Nestor Garcia Canclini, leistete einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über den Zusammenhang von Globalisierung und Interkulturalität und deren Auswirkungen in Lateinamerika. Auf diesen einleitenden Vortrag, der zum Motto der Tagung werden sollte, folgte eine beinahe parodistische Antwort. Nachdem ausgiebig über den Charakter hybrider Kulturen und ihre allgegenwärtigen Phänomene philosophiert wurde, begeisterte das Männerensemble ACATIFE das zunächst verwirrte Plenum mit folkloristischen Gesängen aus Lanzarote und feierte kulturelle Ursprünglichkeit und Machismo. Ein Geschenk der spanischen Botschaft, wie es wirkungsvoller kaum hätte sein können.
Indem die Organisation der Tagung in den Händen des Iberoamerikanischen Forschungsseminars unter der Leitung von Prof. Dr. Alfonso de Toro lag, dominierten erwartungsgemäß wieder die Literatur- und Sprachwissenschaften, während Landeskunde und Kulturstudien leider nur am Rande vertreten waren. Die Anwesenheit zahlreicher Lusitanisten in den verschiedenen Arbeitgruppen bewies zudem die Notwendigkeit der Einbeziehung von Gastsektionen in derartige Tagungen, um in Zukunft die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen zu fordern.
Die Themenauswahl in den literaturwissenschaftlichen Sektionen reichte vom Boom und Postboom, jüdischer und neulateinischer Literatur, der Beziehung zwischen Humor und Avantgarde bis zum zeitgenössischem Theater in Spanien und Lateinamerika. In der Linguistik beschäftigte man sich vor allem mit Syntaxtheorie, Lexik, Grammatikographie und Sprachkontakten. Als besonders erfreulich ist die Teilnahme zahlreicher spanischer und lateinamerikanischer Wissenschaftlerinnen an den insgesamt 16 Sektionen zu bewerten, wodurch die Tagung die Selbstverständlichkeit transnationaler Zusammenarbeit betonte. Zu den bekanntesten Namen auf der Teilnehmerliste gehörten Walter Bruno Berg, Hartmut Stenzel, Harald Wentzlaff-Eggebert, Edna Aizenberg, Juan Villegas, Alberto Kurapel, Horst Geckeier, Gustav Siebenmann, Hans-Otto Dill, um nur einige zu nennen.
Einen Höhepunkt der Tagung bildete sicherlich die äußerst unterhaltsame Lesung mit Antonio Skarmeta, der als Schriftsteller bereits Weltruhm erlangte, bevor er als chilenischer Botschafter nach Deutschland entsandt wurde, und der in Leipzig Auszüge aus seinem aktuellen Buch „Die Hochzeit des Dichters“ vorstellte. Die spanische Schriftstellerin Rosa Montero begeisterte mit einer Lesung aus ihrem Buch „Die Tochter des Kannibalen“ und verwies in ihrem Abschlußvortrag über das Wesen des Schriftstellers und dessen beständige „Schatzsuche“ auf humorvolle und hochgradig metaphorische Weise literaturwissenschaftliche Interpretationsstrategien in ihre Schranken.
In einem abschließenden Rundtischgespräch, moderiert von Alfonso de Toro und Günter Maihold (Ibero-Amerikanisches Institut, Berlin), diskutierten Klaus Bodemer (AdLAF), Georg Boomgarden (Beauftragter für Lateinamerikapolitik im Auswärtigen Amt), Hans-Joachim König (Historiker, Katholische Universität Eichstätt), Wilfried Morawetz (Institut für Botanik, Uni Leipzig) und Prof. Dr. Lothar Beyer (Institut für Chemie, Uni Leipzig) das Thema: „Transkultureller Dialog Spanien -Lateinamerika – Deutschland im Zeitalter der Globalisierung: Chancen und Probleme“ und zeigten damit zugleich (unfreiwillig) die Grenzen der viel beschworenen Transdisziplinarität und Transdiskursivität auf. Dem Zuhörer blieb angesichts zahlreicher definitorischer Mißverständnisse nur die ernüchternde Erkenntnis, daß die interdisziplinäre Diskussion vielleicht von gemeinsamen Intentionen geleitet, aber noch immer in verschiedenen wissenschaftlichen Sprachen geführt wird.
Das Studium einer Sprache setzt das Beherrschen derselben voraus. Bereits zur Eröffnung wurde auf die Bedeutung der schulischen Fremdsprachenausbildung hingewiesen, deren allmähliche Profilierung durch geplante Schulschließungen auch in Leipzig wieder gefährdet ist, gerade in einer Zeit, wo Mehrsprachigkeit zu den Grundvoraussetzungen einer beruflichen Entwicklung gehört. Zudem sollte sich insbesondere die Leipziger Romanistik die Frage stellen, welche Erwartungen die Abiturenten mit einem Studium der Hispanistik verbinden, wenn den überfüllten Lehrveranstaltungen des Grundstudiums eine unverhältnismäßig geringe Zahl an Absolventen gegenüber steht. Die vorgelegten Konzepte für die Zukunft der Hispanistik scheinen durchaus tragfahig, ihre Umsetzung hängt jedoch nicht zuletzt von der Bereitschaft der Literatur- und Sprachwissenschaftler ab, eigene, klassische „Hoheitsgebiete“ gegenüber anderen Disziplinen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten zu öffnen, um die wissenschaftliche Legitimation der hispanischen Philologie und zugleich die multifunktionale Einsetzbarkeit ihrer Absolventen in einer globalisierten, außer-universitären Arbeitswelt zu gewährleisten. Der nächste Deutsche Hispanistentag findet 2003 in Regensburg statt.