Juana Ines Asbaje Ramirez war eine herausragende Persönlichkeit des 17. Jahrhunderts. Heute kennt man sie als Dichterin, Dramatikerin, Nonne, Humanistin und Feministin. Aus dem Geheimnis um ihre Vielseitigkeit, die Generationen von Biographen und Gelehrten fesselte, resultierte eine Unmenge von Büchern, Artikeln und Aufsätzen, die sich ihrem Leben und Werk zu nähern versuchen. Jene, die über Juana Ines schrieben und schreiben werden, berufen sich insbesondere auf die von ihr mit autobiographischen Zügen durchsetzte Schrift Respuesta a Sor Filotea de la Cruz und Aprobación del Reverendisimo Padre Diego Calleja, de la Compania de Jesus, dem ersten über sie veröffentlichten biographischen Dokument aus dem Jahre 1700. Darin finden sich Wertschätzungen und Erinnerungen von Menschen, die mit Juana Ines bekannt oder befreundet waren. Juana Ines und Pater Diego Calleja verband eine enge Freundschaft, ohne daß sie persönlichen Kontakt hatten, sondern indem sie eine intensive Korrespondenz pflegten.
Schriftliche Zeugnisse über die Familie von Juana Ines, unter anderem von ihrem Nachkommen Guillermo Ramirez Espana, berichten, daß ihre Großeltern mütterlicherseits Pedro Ramirez de Santillana und Beatriz Ramirez Rendón waren. Ursprünglich aus Kastilien stammend, kamen beide ins Vizekönigreich und verdienten sich hier als Landarbeiter. Sie hatten elf Kinder und lebten zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der Region Huichapan. Unter ihren Töchtern war auch lsabel Ramirez Santillana, eine Kreolin, gebürtig aus Yecapixtla und selbst Mutter von fünf eigenen Töchtern und einem Sohn. Der Vater der ersten drei Töchter Maria, Josefa und Juana Ines soll Pedro Manuel de Asbaje y Vargas Machuca, ein spanischer Kapitän, gewesen sein.
Schon 1635 lebten Pedro Ramirez de Santillana, Beatriz Ramirez Rendön und ihre Nachkommen in San Miguel de Nepantla, auf einem Landgut in der Nähe von Chimalhuacán, das das Kloster de San Domingo de Mexico verpachtete. An jenem Ort zwischen den großen Vulkanen des Valle de Mexico, wurde in der Herberge „La Celda“ („Die Zelle“) Juana Ines geboren. In Razón y Pasión de Sor Juana schreibt Anita Arroyo, daß der Großvater des Mädchens väterlicherseits in einem Heft mit persönlichen Notizen den 12. November 1651 vermerkte. Die Existenz dieses Heftes ist jedoch zweifelhaft. Sicher hingegen ist, daß sich der erste Biograph in „Aprobación“ auf dieses Datum als Geburtsdatum der Juana Ines bezieht. Guillermo Ramirez Espana und Alberto G. Salceda berufen sich wiederum auf eine Taufurkunde der Pfarrkirche von Chimalhuacán, wonach Juana Ines am 2. Dezember 1648 getauft wurde. Miguel und Beatriz Ramirez, die Geschwister von lsabel Ramirez Santillana, waren die Taufpaten und Bruder Pedro de Monasterio unterzeichnete den Taufakt. Der Pater Alfonso Mendez Plancarte, Autor zahlloser Artikel über das Leben und Schaffen der Juana Ines und Herausgeber ihres poetischen Werkes, fügte hinzu, daß Juana Ines möglicherweise drei Jahre von ihrem wahren Alter abgezogen hat, als sie dies dem Jesuitenpater Diego Calleja mitteilte. Octavio Paz vertrat in Sor Juana In es de l a Cruz o las trampas de la fe die Auffassung, daß das Testament von lsabel Ramirez Santillana die Taufurkunde der Pfarrkirche bestätigt. Auch andere Biographen beziehen sich auf das Geburtsjahr 1648. Der Streit um das Datum ihrer Geburt ist damit jedoch keineswegs beigelegt. Ihr Status als „Kind der Kirche und der Wahrheit“ wird zum Anlaß genommen, auf die Sündhaftigkeit der Lüge zu verweisen, die Juana Ines durch eine bewußte Änderung ihres Alters auf sich geladen hätte. Die nur lückenhafte Aufzeichnung von Geburtsdaten in jener Zeit und Region verstärkt wiederum die Unsicherheit, was ihr den religiös unbequemen Vorwurf der Lüge ersparen sollte. Diego Calleja entschloß sich in seiner Biographie zu schreiben, daß Pedro Manuel de Asbaje y Vargas Machuca sich mit lsabel Ramirez Santillana verheiratete, „aus deren ehelicher Einheit, neben anderen Kindern, auch unsere einzigartige Dichterin hervorging“. Damit begrub er den Fall in den Annalen des Vergessens. Ohne einen historischen Beleg zu haben, wurde unterstellt, daß Pedro Manuel de Asbaje seine Tochter Juana Ines anerkannte, um eine eheliche Herkunft in ihren Kirchenakten nachweisen zu können. Heutzutage ist der eheliche oder uneheliche Ursprung eines Kindes bedeutungslos geworden. Im Jahrhundert der Juana Ines und bis in die jüngste Vergangenheit hinein, verband sich mit der Abstammung noch eine wichtige soziale Komponente, auch wenn dies nicht öffentlich zugegeben wurde.
Es darf dabei nicht übersehen werden, daß ein Großteil der (männlichen) Spanier, die im 16. und 17. Jahrhundert in die Neue Welt kamen, ihre Ehefrauen auf der Iberischen Halbinsel zurückließen. Ein baldiges Wiedersehen der Eheleute war oftmals ausgeschlossen, wodurch die Spanier sich zunehmend mit Kreolinnen, Mestizinnen und Indias vergnügten. Unzucht wurde in jener Zeit in einem Ausmaß betrieben, daß sogar Priester angeklagt wurden und Strafen bezahlen mußten. Das Resultat war eine Unzahl nichtehelicher Kinder in der Kolonie. Der Zugang zu wirtschaftlichen, sozialen und politischen Privilegien war diesen Kindern eindeutig erschwert. Natürlich gab es auch Ausnahmen, Personen, die sich durch persönliche Fähigkeiten, familiäre Beziehungen oder Vermögen Geltung verschaffen konnten. Ein Gegenbeispiel stellte Juana Ines dar: Talent, Beharrlichkeit und Glück vereinigten sich in ihr. Sie genoß Privilegien. Gleichzeitig schränkte die Befangenheit in der Frömmigkeit ihre Freiheit ein. Einige kommen dabei zu der Schlußfolgerung, daß ihre uneheliche Abstammung die Motivation für ihr Nonnendasein bildete. Aufgrund ihrer Herkunft wäre es für sie ansonsten beinahe unmöglich gewesen, einen standesgemäßen Ehemann zu finden.
Pedro Ramirez de Santillana pachtete ein weiteres Landgut der Kirche in der Gemeinde Mecameca für drei Generationen: sich, seine Tochter lsabel und die Enkelin Maria. Auf diesem Land wuchs auch Juana Ines auf. Nur wenige Daten sind aus jener Zeit überliefert. Über die Mutter schreibt man, daß sie eine ruhige Frau, ohne Zugang zu Bildung und mit großer Sorge um ihre Kinder war, was aus ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung sowie der feindlichen Umwelt herrührte. lsabel Ramirez Santillana besaß charakterliche Stärke, die sie auch in der Übernahme der Verantwortung für den Grundbesitz in Panoayán von 1655 bis 1688 bewies. Juana Ines und ihre Mutter verband keine geistige Einheit oder Abhängigkeit. Möglicherweise beeinflußte diese spirituelle Verwaisung das spätere Wesen der Dichterin. Über den Vater existieren trotz vielfältiger Nachforschungen keine zuverlässigen Informationen. Juana Ines selbst ignorierte ihn völlig. Es ist jedoch hinzuzufügen, daß sie im Vorwort des zweiten Bandes ihres Werkes in der Ausgabe von Sevilla 1692 mit Stolz auf ihre baskischen Wurzeln väterlicherseits verweist. Juana Ines artikuliert ihre Enttäuschung darüber, daß er ihre Familie verlassen hat, als sie noch ein Kind war. Wahrscheinlich kannte sie ihn nicht einmal oder er erkannte sie nicht als seine leibliche Tochter an. In einem oft zitierten Epigramm reagiert die Dichterin auf die Gerüchte um ihre Unehelichkeit und beschäftigt sich mit der Herkunft ihres Vaters:
El no ser de Padre honrado
fuera defecto a mi ver,
si como recibí el ser de el,
se lo hubiera yo dado.
Más piadosa fue tú Madre,
que hizo, que a muchos sucedas;
para que entre tanto puedas
tomar el que más te cuadre.
Über Pedro Manuel de Asbaje kursieren nur Vermutungen. Der Baske soll mit einer Spanierin verheiratet gewesen sein, weshalb er lsabel Ramirez Santillana nicht zur Frau nehmen konnte. Vielleicht war er auch einer dieser Mönche, die sich mit ledigen oder verheirateten Frauen einließen. Darauf würde zumindest eine Unsicherheit in der Orthographie seines Familiennamens hinweisen. In der Pfarrkirche von Chimalhuacán fanden sich zwei Taufdokumente aus dem Jahre 1666, die von einem Mönch de Asvaje unterzeichnet wurden. War dieser Mönch nun ein Verwandter des Vaters von Juana Ines oder selbst ihr Erzeuger?
Auf dem Landgut von Panoayän verbrachte Juana Ines ungefähr drei Jahre. Danach zog die Familie nach Amecamena, wahrscheinlich weil die ältesten Töchter von lsabel Ramirez Santillana das schulpflichtige Alter erreichten und in der Umgebung von Panoayán keine Schule existierte. Juana Ines erzählte später einige Kindheitserinnerungen aus jener Zeit: „Ich war noch keine drei Jahre alt, als meine Mutter eine ältere Schwester von mir auf eine Mädchenschule schickte, damit sie Lesen lernte. Ich heftete mich an ihre Fersen und als ich sah, wie ihr Unterricht erteilt wurde, erwachte auch in mir der Wunsch, lesen zu können. Ich versuchte die Lehrerin davon zu überzeugen, daß meine Mutter auch für mich Unterricht wünschte. Sie glaubte mir natürlich nicht, war es doch auch sehr unglaubwürdig. Um mir eine Freude zu bereiten, lehrte sie mich jedoch das Lesen.“
Diese kurze Geschichte zeigt sehr deutlich, wie früh Juana Ines ihr charakteristisches Interesse für Studium und Wissen entwickelte. Ihr Ehrgeiz ging sogar so weit, daß sie darauf verzichtete, Käse zu essen, weil sie gehört hatte, daß dieser den Verstand trübte.
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Die Angaben zum Geburtsdatum der Juana Ines variieren, lediglich das Taufdatum scheint gesichert. Also nehmen wir selbiges zum Anlaß, um an diese große Dichterin zu erinnern. Aber eigentlich bedarf es dazu wohl keines besonderen Jubiläums.